Treffpunkt Klassik

Südwestrundfunk

Hier dreht sich alles um Klassik: Wir sprechen mit Künstler*innen, berichten über Konzerte und Festivals im Sendegebiet, kommentieren aktuelle Ereignisse im Musikleben, und stellen neue Musik vor.

  • 2 minutes 49 seconds
    Glosse: Was darf Kultur? Wenn Gipfelstürmer Petrarca auf Markus Lanz trifft

    Eine Bergbeschreibung getrieben von Begierde

    Vor ein paar Monaten, zwischen Weihnachten und Neujahr, verbrachte ich mit meiner Familie ein paar Tage in Avignon. Wie es dort zur Kultur dazugehört – jedenfalls sagte das mein Reiseführer – ließ ich mich von der lokalen Küche begeistern und verputzte ein paar Froschschenkel. Als begeisterter Europäer mit einer ausgeprägten Frankophilie, dachte ich, das müsse jetzt mal sein. Es schmeckte, ich war happy. Kurz darauf, der Himmel blau und kein Wölkchen in Sicht, konnte ich vom Papstpalast aus in der Ferne auf den Mont Ventoux blicken, jenem Berg also, den Francesco Petrarca einst einfach so bestieg, ohne konkreten Grund – getrieben einzig „von der Begierde“, wie er schrieb, „diese Höhenregion mit eigenen Augen zu sehen“. Da schaute ich auf den Berg und – verzeihen Sie mir mein Pathos – schon der Blick machte mich mehr als happy: So ein Glück, dachte ich, dass der da damals raufmarschiert ist und die Entwicklung dessen, was die europäische Kultur ausmacht, auf eine neue Stufe gehoben hat.

    Zeitwort: Petrarca besteigt den Mont Ventoux

    Würde Petrarca heute mit den Augen rollen?

    Und was für ein Glück auch, dass ich – wenn ich es schon nicht verstehen, so doch wenigstens ein bisschen ahnen kann – welche wundervollen, bewegenden Kunst- und Kultur-Hervorbringungen auf Petrarcas eigentlich schlichte Entscheidung zum Gipfelsturm folgten: von der Sixtinischen Kapelle über den einleitenden G-Dur-Akkord in Beethovens 4. Klavierkonzert bis in die Gegenwart. Wenn in arg verzwergten Diskussionen Kultur zum milliardsten Mal mit schlichtem Brauchtum verwechselt wird, etwa dem Verzehr einschlägiger Würstchen- oder Biersorten, dann stelle ich mir Petrarca vor, wie er bei Markus Lanz sitzt, frustriert mit den Augen rollt und sagt, dass er wegen solch würstchenhafter Plattitüden nicht da hochgekraxelt sei. Außerdem, so Petrarca, sei auch die Fähigkeit des bloßen Aufsagens eines Gedichts, etwa aus der Feder des geschätzten Kollegen Goethe, ja ganz schön, aber auch nicht viel wert, wenn es nur ums bloße Aufsagen geht und nicht darum, dass man zulässt, nach dem Lesen des Gedichts womöglich ein anderer zu sein. „Da“, so Petrarca zum erstaunten Markus Lanz, „müsse man sich mal ehrlich machen“.

    Auch der Kulturmensch ist dem Menschen ein Wolf

    Natürlich hat, jenseits der gefühlt neun Millionen Kulturbegriffe, schon das Wort „Kultur“ für mich als Musiker einen zunächst durchweg positiven Klang. Dennoch: bei all dem gerade bejubelten Wahren, Schönen und Guten – nie darf vergessen werden, dass auch weit entwickelte Kulturen die dunkelsten Seiten des Menschen zu Tage treten lassen können. Leider ist auch der Kulturmensch dem Menschen ein Wolf. Kultur, das ist also weder nur das Würstchen noch nur der Ablenkung versprechende Musentempel. Kultur – das sind wir. Wir können schön sein und wir können gefährlich sein. Im Sommer, das habe ich mir vorgenommen, will ich wieder zum Mont Ventoux. Auf den Gipfel schaffe ich es sicher nicht, aber ich werde es wenigstens mal versuchen.
    3 May 2024, 8:05 am
  • 10 minutes 50 seconds
    „Voices of Women“ | Weibliche Sichtbarkeit in der Musik: „Vielen Frauen fehlt noch immer der Mut“

    Forschungsgruppe untersucht die Rolle der Frau in der Musik

    Wie kann man weibliche Stimmen und Positionen in der Musik sicht- und hörbarer machen? Mit dieser Frage setzt sich das transnationale, EU-finanzierte Forschungsprojekt „Voices of Women“ auseinander, an dem Hochschulen aus Deutschland, den Niederlanden und Norwegen beteiligt sind. Das Projekt wolle einen Rahmen schaffen für neue Formate zur Auseinandersetzung mit weiblichen Stimmen in der Musik und gleichzeitig Studierende dazu animieren, sich mit diesen Stimme zu beschäftigen. Das erklärt Dr. Lena Haselmann-Kränzle, Professorin für Gesang und Stimmbildung an der Weimarer Hochschule für Musik, im Gespräch mit SWR Kultur. Die Forscherin und Sängerin gehört zum Konsortium des Forschungsprojekts.

    Das Projekt profitiert von internationaler Vernetzung

    Begonnen habe „Voices of Women“ mit einem Fokus auf Komponistinnen und Musikerinnen des 19. Jahrhunderts. Mittlerweile beschäftige sich das Projekt aber auch mit den Musikerinnen in der Renaissance und der aktuellen Musik. Die Fragen, die die Forschenden dabei stellen, seien je nach Epoche völlig andere. Das Projekt profitiert dabei stark von der internationalen Vernetzung. Gerade Skandinavien sei in Fragen der Gleichberechtigung Vorreiter, so Haselmann-Kränzle, auch schon in vergangenen Zeiten. Entsprechend wertvoll sei hier die Zusammenarbeit mit den Hochschulen in Tromsø und Stavanger. Ein beachtliches historisches Beispiel für die norwegische Fortschrittlichkeit in der Vergangenheit: Bereits im 19. Jahrhundert stammte ein Drittel der publizierten Kunstlieder in Norwegen von Frauen. Diese Komponistinnen kamen zum Studium nach Deutschland und schrieben hier vornehmlich Werke mit deutschen Texten. Das Forschungsprojekt beschäftige sich nun etwa mit der Frage, was heute mit diesen Liedern passieren solle.

    Bis heute ist unsere Vorstellung vom Musik-Genie männlich konnotiert

    Doch nicht nur historische Fragen untersucht „Voices of Women“. Ganz aktuelle, gesellschaftliche Fragen, die im Rahmen des Projektes diskutiert werden, sind etwa die Sinnhaftigkeit der Definition nach Geschlechtern und die Frage nach feministischer Praxis im Musikunterricht. Wie kann es etwa gelingen, auch zukünftig junge Menschen für das Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Musik zu sensibilisieren? Und muss es vielleicht ein Umdenken in der Nutzung des althergebrachten Klassik-Kanons geben? Noch immer, so Haselmann-Kränzle, sei unsere Vorstellung vom Musik-Genie und den großen Werken der Musik stark männlich geprägt. Vielen jungen Frauen fehle es daher an Mut und Bestärkung, sich als Komponistinnen zu versuchen. Weitere Informationen auf der Homepage von „Voices of Women“
    3 May 2024, 8:05 am
  • 6 minutes 43 seconds
    Maki Namekawa spielt Keith Jarretts "The Köln Concert" im ZKM
    Der 24. Januar 1975: In Köln findet ein Konzert statt mit dem Jazzpianisten Keith Jarrett. Was da noch niemand weiß: Das Konzert wird legendär. Die Aufnahme des Konzerts ist die meistverkaufte Jazz-Soloplatte aller Zeiten. Legendäre Livekonzerte müssen keine tote Materie sein und können wiederentdeckt werden, wie beispielsweise von der Pianistin Maki Namekawa. Sie spielt das „Köln Concert“ am 4. Mai im ZKM Karlsruhe. Über das magische Konzertereignis von damals und ihren Zugang zu Jarretts Musik erzählt sie in SWR Kultur.
    2 May 2024, 8:05 am
  • 5 minutes 46 seconds
    Cristian Măcelaru dirigiert George Enescus Orchestermusik

    „In Enescu steckt so ziemlich alles“

    Großes, Geheimnisvolles kündigt sich zu Beginn der dritten Sinfonie von George Enescu an. Komponiert wurde sie ursprünglich von 1916 bis 1918, aber in den folgenden Jahrzehnten hat Enescu sie immer wieder überarbeitet – ein Lebenswerk. Es geht um alles. Aus der etwa zweiminütigen Einleitung des Kopfsatzes entwickeln sich heftige Kämpfe. Das Klangbild dicht wie bei Richard Strauss, aber auch harsche Architektur wie von Brahms. Vor allem in anderen Werken auch rumänische volkstümliche Einflüsse, dazu französische Finesse des Wahl-Parisers: In Enescu steckt so ziemlich alles.  Und alles gönnt sich auch die dritte Sinfonie, im Finale erklingen Glocken und Chor. Kosmisch übersteigert – aber nicht auftrumpfend oder lärmend pompös, sondern verklärend, philosophisch, auch diffus erotisch. Ein bisschen Szymanowski, ein bisschen Zauberer von Oz.

    National bekannt

    In Rumänien ist Enescu überall bekannt. Der Bukarester Flughafen ist nach ihm benannt, wie auch ein wichtiges Musikfestival und sein Heimatdorf. Aber anders als seine Generationsgenossen Schönberg, Strawinsky, Bartók oder Ravel wird Enescu weltweit eher wenig gespielt und schon gar nicht eingespielt. Verdienstvoll also, dass sich das Orchestre National de France mit dem rumänischen Dirigenten Cristian Măcelaru jetzt Enescu vorgenommen hat: gleich drei Sinfonien auf drei CDs, dazu die beiden frühen Rumänischen Rhapsodien, von denen zumindest eine im Konzertbetrieb halbwegs präsent ist.

    Langsame Sätze

    Aber die erste Sinfonie von 1905 ist umso unbekannter, dabei ist sie reizvoll, vor allem der gefühlsinnige zweite Satz. Überhaupt gefallen Enescus langsame Sätze. Auch in der zweiten Sinfonie, die ab 1912 entstand. Immer wieder wird man daran erinnert, dass Enescu auch ein herausragender Geiger war und Lehrer von Yehudi Menuhin. Dichte, manchmal dicke Musik sind zur hören, sie sind verschachtelt und sinnlich. Melomanisch mäandernd, aber nicht melodiös im Sinne von Ohrwürmern. Und man muss Enescus erschlagende Großwerke öfter hören, um einigermaßen durchzusteigen – am Anfang ist das ein durchaus strapaziöses Vergnügen. 

    Ein Problem der Aufnahme

    Der Dirigent Cristian Măcelaru ist auch Geiger. Enescu nennt er ein großes Genie und seinen persönlichen Helden. Tiefe Sehnsucht ist für Măcelaru, was alle Werke Enescus verbindet.  Ideale Voraussetzungen also für dieses Album. Und doch gibt es für mich einen Dämpfer, und zwar im Wortsinn: Die Einspielung klingt in meinen Ohren stumpf. Hohes Holz kommt schön zur Geltung, aber das Blech klingt gedeckelt, der Bass trägt nicht, Harfen und Pauken kommen von sonstwo. Alles, was „hinten“ ist, fehlt in der Aufnahme. Das ruft bei mir manchmal einen verwaschenen Eindruck hervor. Kein Problem des Komponisten oder der ausführenden Interpreten, sondern der Aufnahme. 

    Empfehlenswerte Alternative

    Insofern wären im spärlichen Enescu-Katalog eine Alternative etwa die Aufnahmen des finnischen Tampere Philharmonic Orchestra unter dem Dirigenten Hannu Lintu im Label Ondine: Sie sind feuriger interpretiert, was Geschmackssache ist – vor allem aber brillanter aufgenommen. Măcelarus Interpretationen sind eher breit, gediegener – das hat auch etwas. Und jedenfalls liefert auch sie einen kompakten Einstieg in die großorchestrale Orchesterwelt von Enescu.
    2 May 2024, 8:05 am
  • 5 minutes 29 seconds
    Furzende Hexen auf dem Brocken: Walpurgisnacht in der Musik
    Eigentlich leitet sich die Walpurgisnacht von der heiligen Walburga ab. Sicherlich eine Frau, aber nicht unbedingt eine Hexe. Dennoch hat sich der Legende nach eine Art Alternativfeier auf dem Brocken oder volkstümlich Blocksberg herausgebildet. Ein Hexensabbat, ein heidnisches Naturfest, mit dem in den Mai getanzt wird. Und der hat auch musikalische Spuren hinterlassen.
    30 April 2024, 8:05 am
  • 5 minutes 40 seconds
    Freitag, der Dreizehnte: Schönberg wird in Wien lebendig
    Arnold Schönberg wurde vor 150 Jahren in Wien geboren. Die Musik des Erfinders der Zwölftontechnik und Begründers der zweiten Wiener Schule gilt allerdings noch immer als sperrig und ist nur in Teilen im Kanon des Opern- und Konzertbetriebs angekommen. In seiner Geburtsstadt widmet sich nun das Theater an der Wien dem Geburtstagskind mit einer außergewöhnlichen Produktion.
    30 April 2024, 8:05 am
  • 5 minutes 47 seconds
    Großartig: „Venus Rising“ von Kyrie Kristmanson

    Komponistinnen aus 900 Jahren

    „Talk“ heißt dieser Song von Kyrie Kristmanson. „Ich bin eine Stimme ohne Körper“, singt sie und fordert: „Sprich mit mir.“ Als Dialog mit „Voices Without a Body“ könnte man viele Songs auf dem Album bezeichnen, denn Kyrie Kristmanson und das Trio SR9 erwecken Kraft ihrer Stimmen und Instrumente Stimmen von Frauen wieder zum Leben, die teilweise schon vor Jahrhunderten lebten. Die älteste Komposition ist dabei fast 900 Jahre alt. “O quam mirabilis est“ – Hildegard von Bingen hat diesen Lobpreis auf das Wunder des menschlichen Lebens komponiert. Das mittelalterliche Antiphon klingt in diesem Arrangement wie eine moderne Jazzimprovisation. Kyrie Kristmanson singt federleicht, ungemein natürlich und auf packende Weise erzählerisch. 

    Arrangements mit feministischer Perspektive

    Geradezu akrobatisch bewegt Kristmanson ihre Stimme durch alle Lagen. Falls Druck zu hören ist, ist er inhaltlich motiviert, etwa um Schmerz auszudrücken, wie bei Lili Boulanger. Boulanger hat dieses „Pie Jesu“ vor rund einhundert Jahren komponiert, kurz vor ihrem Tod im Alter von 24 Jahren. Das Arrangement erinnert mit angestrichenen Marimbaphon-Klängen an die Streicherchöre des Originals, wirkt dabei aber noch gespenstischer. Bei der Auswahl der Lieder haben Kyrie Kristmanson und das Trio SR9 persönliche Lieblingsstücke arrangiert. Dabei fällt immer wieder eine feministische Perspektive auf.

    Parabeln auf weibliche Liebeslust

    Germaine Tailleferre etwa vertont in ihren „Chansons du folklore de France“ eine Parabel über weibliche Liebeslust: Schäfer und Schäferin treffen sich, zwischen beiden funkt es gewaltig. Doch als der Mann über die Schäferin herfallen will, lacht sie ihn aus. „Warum lachst du?“, fragt der Schäfer. Die Frau antwortet: „Ich lache über deine Verliebtheit, die so groß ist, dass du mir nicht eine einzige Frage gestellt hast“.

    Gelungene Übersetzung in moderne musikalische Sprache

    Während die Gesangslinien fast immer nahe am Original geblieben sind, gestaltet das Trio SR9 die Begleitung freier. Das Ergebnis überzeugt durchweg. Eine gute Idee: In Barbara Strozzis Arie „Che si puo dir“ greift Nicolas Cousin in die Saiten des Klaviers, um harfenartige Klänge zu erzeugen. „Was kann man nur machen“, fragt das lyrische Ich, wenn die Sterne kein Mitleid haben? Dumpf klopft hier ein verletztes Herz… Die leicht raue, zittrige Stimme Kristmansons macht dieses Arrangement perfekt und für mich zu einem Höhepunkt auf diesem Album. Die Übersetzung der musikalischen Sprache in die Moderne funktioniert allerdings bei allen Werken gut – durch den neuen Anstrich verlieren die Lieder jede klassische Altertümlichkeit, trotzdem bleiben Tiefe und Komplexität erhalten. Großartig!
    29 April 2024, 2:58 pm
  • 11 minutes 31 seconds
    Musik zur Sprache werden lassen: Peter Gülke wird 90 Jahre alt
    „Eine Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier!“, wünscht sich Peter Gülke um geordnet in den Tag zu starten.
    Gülke, Musikwissenschaftler, Autor und Dirigent wird jetzt 90 Jahre alt. Musikalische Erweckung fand er unter anderem, ganz klassisch, in der Oper Hänsel und Gretel nach dem Krieg in Weimar.
    Seitdem näherte er sich Musik auf praktische und theoretische Weise, beides auf höchstem Niveau, und ist damit eine ziemlich einmalige Figur in der deutschen Musiklandschaft. Er hat aber auch festgestellt: Es gibt eine Grenze, Musik mit Sprache erklären zu können.
    29 April 2024, 6:58 am
  • 5 minutes 57 seconds
    130 Millionen Dollar-Komponist: Puccini-Katalog „Opera Meets New Media“

    Schellackplatten demokratisieren den Opernbesuch

    Die Sopranistin Juanita Caracciolo singt im Jahr 1923 die Arie der Mimì aus Puccinis „La bohème“. Von dieser Aufnahme ist im Katalog der Berliner Ausstellung „Opera Meets New Media“ das Label der Schellack-Platte abgedruckt – danach folgen viele andere historischer Puccini-Sänger kurz nach 1900. Alle übersichtlich in Form von bunten, runden und irgendwie ziemlich billig aussehenden Plattenaufklebern nebeneinander aufgereiht. Was so deutlich wird: Die damals völlig neue Serialität von Musikproduktion in Form der Grammophonaufnahme und die Erschwinglichkeit für die internationale Mittelschicht im Gegensatz zum damals sehr exklusiven Vergnügen des Opernbesuchs.

    Das Urheberrecht sieht zunächst keine Vergütung für Aufnahmen vor

    Carusos Aufnahme der Arie des Canio aus Leoncavallos „Pagliacci“ war 1904 die erste, die sich mehr als eine Million Mal verkaufte – für die damalige Musikwirtschaft eine völlig neue Dimension. Der Tenor Enrico Caruso wurde durch seine Aufnahmen von Puccini-Arien zum reichen Mann. Für Ricordi, den Verleger von Puccinis Opern, und damit auch für den Komponisten selbst sah es zunächst anders aus. Denn nach dem damals aktuellen Urheberrecht galten Schallplattenaufnahmen nicht als Kopien der verlegten Musik. Im Katalog schreibt der Musikjournalist Mario Chiodetti: Schallplatten ließen sich auch ohne Druckerlaubnis der Verlagshäuser einfach und in großer Stückzahl herstellen und vertreiben, und es war sehr viel schwieriger, die Urheberrechte an den entsprechenden Kompositionen geltend zu machen.

    Geldsegen für Giacomo Puccini

    Die Musik vom Tonträger war nur die erste von etlichen Herausforderungen, denen sich der Junior des Verlagshauses, Tito Ricordi, nach der Jahrhundertwende gegenübersah: Dazu sollten im nächsten Jahrzehnt auch Filme und Rundfunk gehören, wo ganze Opern für ein vom Opernhaus völlig unabhängiges Massenpublikum produziert werden konnten. Am Ende hatte Ricordi doch den Einfluss, um das Urheberrecht in seinem Sinn zu ändern und dem Komponisten durch Beteiligung unter anderem an Aufnahme-Rechten ein Vermögen von märchenhaften 130 Millionen Dollar zu bescheren – einmalig in der Geschichte der Oper. Die Kontrolle der Ricordis ging auch in anderen Bereichen weit über das Künstlerische hinaus, und sie begann sehr früh. Beim Kapitel „Branding Puccini“ der US-Ausstellungskuratorin Ellen Lockhart wird der Katalog besonders interessant. Bereits für Puccinis erfolglose frühe Oper „Edgar“ ließ Ricordi von dem Grafiker Adolf Hohenstein ein ambitioniertes Werbeplakat entwerfen – das wie nebenbei Hohenstein zu einem Wegbereiter des italienischen Jugendstils machte. Dass es eigentlich um eine Oper ging, vergisst man da fast. Unter anderem ein Tellerset mit den Figurinen aus „La bohème“ ist im Katalog abgedruckt – und es ist fast unvermeidlich, auch Parodien der 1920er-Jahre auf dieses scheinbar weltumspannende Marketing-Konzept zu zeigen.
    29 April 2024, 6:58 am
  • 4 minutes 49 seconds
    So klingt typisch französisch: 90 Jahre Orchestre National de France

    In einer Linie mit Bernstein, Ozawa, Celibidache und Maazel

    Das Théâtre des Champs-Élysées ist an einem Donnerstagabend im März so gut wie ausverkauft, keine Event-Touristen, dafür ein sehr aufmerksames französisches Publikum. Auf dem Programm steht ein Leckerbissen des französischen Repertoires: Hector Berlioz‘ gewaltige Oper „La damnation de Faust“ in einer konzertanten Aufführung. Cristian Măcelaru ist seit 2020 Chefdirigent des Orchestre National de France. Er folgte dem Ruf nach Paris nur zu gern. Das ONF sei ein Orchester, das über die 90 Jahre seiner Existenz einen künstlerischen Standard gehalten habe, der wirklich bemerkenswert ist, so der Rumäne Es ist für mich auch wirklich wichtig, in der Linie der Dirigenten zu stehen, die vor mir waren: Lorin Maazel, Leonard Bernstein und Seiji Ozawa, Celibidache, viele Dirigenten, die mit dem Orchester zusammengearbeitet haben. Und das Wissen von innen heraus zu gewinnen und wie diese Dirigenten die Musik konzipierten, ist auch etwas sehr Wichtiges für mein eigenes persönliches Wachstum.

    ONF-Jubiläumskonzert: „La damnation de Faust“

    Aufbauen und Verfeinern als Kernaufgabe

    Ein Nachfolger großer Dirigenten wird immer auch an seinen Vorgängern gemessen. Aber worin sieht Cristian Măcelarus seine eigenen Aufgaben? „Mein Ziel war, die Möglichkeiten zu erkunden, was noch schöner, noch interessanter und noch kreativer sein könnte“, so Măcelaru. „Ich habe mittlerweile etwa zwanzig Musiker im Orchester neu eingestellt. Ein Teil meines Jobs ist auch, den Charakter des Ensembles zu erhalten, wie er war. Also, wenn ich es kurz beschreiben ist, ist es: Aufbauen und verfeinern.“  Măcelaru zieht dabei an einem Strang mit Johannes Neubert, dem künstlerischen Geschäftsführer des Orchesters. Der in Jena geborene Kulturmanager hat bereits viele prominente Karrierestationen absolviert, war unter anderem Orchesterdirektor der Sächsischen Staatskapelle Dresden und am Wiener Konzerthaus tätig. Neubert arbeitet bereits ein Jahr länger als Măcelaru mit Begeisterung für das Orchestre National de France. „Für mich ist es das Französischste hier in Paris“, erklärt Neubert. „Und was sind die Charakteristika dieser Klangkultur: Es ist sehr fein, es ist sehr transparent, vor allem die Streicher sind deutlich transparenter als in Wien, was alles sehr viel durchhörbarer macht!“ Auch bei den Bläsern gibt es eine Tradition, die sich von denen anderer europäischer Spitzenorchester deutlich unterscheidet. Neubert erklärt: „In unserem Orchester werden also auch ausschließlich die französischen Fagotte, das französische Basson verwendet. Das ist viel obertonreicher! Die restlichen Holzbläser spielen anders, feiner, ein Stückchen weniger laut. Aber nuancenreicher, sehr auf Farbenreichtum orientiert.“

    Cristian Măcelaru dirigiert Saint-Saëns, Fauré und Skrjabin

     Der Klang ist in ständiger Bewegung

    „Der Klang dieses Ensembles ist… so schön, so subtil, in ständiger Bewegung“, erklärt Cristian Măcelaru die besondere Qualität seines Orchesters. „Es ist nie ein direkter Klang, es ist wie, wenn man auf Wasser schaut, man sieht es nie vollkommen flach, es bewegt sich immer ein bisschen, selbst wenn da gar kein Wind ist. Und das ist dieser Klang des Orchesters, den ich wirklich liebe.“ Berlioz klingt in Paris tatsächlich anders und leichter. Hier hört man irisierende Farben, eine warme, doch niemals schwere Klangfülle. Cristian Măcelaru ist es ein Anliegen, als Botschafter der französischen Musik zu wirken. Auf der Europatour nun unter anderem mit Musik von Camille Saint-Saëns.
    29 April 2024, 6:58 am
  • 3 minutes 9 seconds
    Der April-Song von Lars Reichow: "Hier stinkt's"
    Diesmal hält es Lars Reichow einfach nicht aus – egal ob in der Küche, im Flur oder im Schlafzimmer: „Hier stinkt's“. Ein Song mit einigen Duftnoten.
    26 April 2024, 8:05 am
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