SWR2 Kultur Aktuell

Südwestrundfunk

Beiträge aus den täglichen Kulturjournalen von SWR2. Mit Kulturnachrichten, Rezensionen, Tipps und Hintergründen zu den Themen Literatur, Kunst, Theater, Tanz, Festivals und Co.

  • 3 minutes 28 seconds
    Tatort „Letzter Ausflug Schauinsland“: Tobler und Berg ermitteln in der forensischen Psychiatrie

    Ausweg aus der Psychiatrie

    Die tote Frau im Kofferraum ist die Psychotherapeutin Lisa Schieblon. Ihr Mann bestätigt, dass sie zuletzt eine Affäre hatte, das Paar lebte aber in einer offenen Beziehung. Bei der Untersuchung ihres Wagens wird die Spurensicherung schnell fündig. Franziska Tobler und Friedemann Berg besuchen den Verdächtigen in der Psychiatrie. Die Tote war externe Gutachterin und hat dem Verdächtigen Hansi Pagel Hoffnung gemacht, bald aus der geschlossenen Anstalt rauszukommen. Entgegen der vorherrschenden Meinung der Klinikärzte. Pagel, der nicht unbedingt sympathisch aber doch einigermaßen zurechnungsfähig wirkt, bringt ihr Tod aus der Fassung.

    Forensische Klinik als geschlossener Kosmos

    Die geschlossene Anstalt ist ein bekannter Topos in Filmdramen, aber in diesem Tatort fliegt keiner übers Kuckucksnest. Auch wenn sich die Anstalt als eigener Kosmos darstellt mit einem Zimmernachbarn, der Drachen sieht, einem Leiter, der merkwürdige Substanzen zu sich nimmt und eben einer Gutachterin, die sich mächtig ins Zeug legt. Die interessante Frage, die diesmal hinter der Mordermittlung liegt: Welche Perspektive haben Menschen in der Psychiatrie? Wo verläuft möglicherweise die Grenze zur Persönlichkeitsstörung? Und wie begleitet man so etwas sinnvoll? Pagels Familie war mit seinen psychischen Problemen offensichtlich überfordert. 

    Kommissar Berg knabbert an dem Fall

    Der Fall beschäftigt Kommissar Berg, der ja meistens den knorrig schweigsamen Teil des Duos gibt, auch aus ganz persönlichen Gründen. In dem Zusammenhang ist es sicher auch kein Zufall, dass Berg ausgerechnet bei diesem Fall einen Dachschaden an seinem elterlichen Hof zu reparieren hat. Das könnte man als allzu saloppes Bild für die Ermittlungen in der Psychiatrie abtun.

    Spannung hält sich in Grenzen bei diesem Tatort

    Aber ein bisschen tiefer geht dieser Fall dann schon. Er hat seine darstellerischen Stärken eher in den Nebenfiguren, die Spannung hält sich doch ziemlich in Grenzen. Aber unter der Oberfläche verhandelt er menschliche Beziehungen: wie viel Nähe erlauben wir uns, inwieweit können wir Fehler oder auch Hilflosigkeit eingestehen. Nicht so überraschend, aber zeitlos wahr, dass am Ende die, die am gesündesten aussehen und sich am wenigsten anmerken lassen, doch die gefährlichsten sind.

    Trailer Tatort „Letzter Ausflug Schauinsland“, 20.5. 20:15 Uhr im Ersten

    18 May 2024, 1:04 pm
  • 3 minutes 34 seconds
    Zwischen Drama und Black Panther-Thriller : „The Big Cigar"

    Codename: Big Cigar

    Im Jahr 1974 ist Huey P Newton vor allem eins: auf der Flucht. Als Verdächtiger in einem Mordfall und Gründer der sozialistisch geprägten Black-Panther-Party gilt er dem FBI als Staatsfeind und sucht Unterschlupf bei seinem Kumpel, dem Hollywood-Produzenten Bert Schneider. Die Serie erzählt in vielen Rückblenden wie beharrlich sich Schneider dem meist in sanftem Singsang redenden Newton an den Hals geworfen hat und wie er dann 1974 einen Plan mit einer gefaketen Filmproduktion entwickelt hat, um Newton außer Landes nach Kuba zu bringen. Codename: Big Cigar. Mit Funkmusik, Splitscreens und Schlaghosen verbreitet die Serie viel 1970er Retrocharme. Offensichtlich sollte die Geschichte der Black Panther nicht aus dem gönnerhaften Blickwinkel weißer Teilzeit-Revolutionäre geschildert werden. Allerdings zeigt sich auch die schwarze Community gespalten zwischen einer sozialen Bewegung und bewaffnetem Straßenkampf gegen Rassismus und Polizeigewalt.

    Lovestory zwischen Filmbranche und radikalen politischen Figuren

    Andre Holland spielt Huey Newton als verletzliche Figur, der die sozialrevolutionären Ideen von Che Guevara und Frantz Fanon im Hinterkopf hat, der aber durch die Verfolgung durch das FBI an den Rand der Paranoia getrieben wird. Möglicherweise ist das aus historischer Perspektive etwas zu positiv gefärbt. Irgendwann lässt Newton dann auch eine narzisstische Ader durchscheinen. Die Beziehung zu den Filmleuten scheint zumindest ambivalent. Die Lovestory zwischen der Filmbranche, die nach Gesellschaftsveränderung gierte und radikalen politischen Figuren wie Newton bleibt faszinierend.

    Die heißeste Adresse in Hollywood

    Bert Schneiders Produktionsfirma war nach dem Kinoerfolg von „Easy Rider“ eine der heißesten Adressen in Hollywood. Mit der Unterstützung für Huey Newton und die Black Panther war er nicht allein: Marlon Brando, Jean Seberg, Jane Fonda, die Liste derjenigen, die bereit waren, ihre Karriere für politisches Engagement mehr oder weniger aufs Spiel zu setzen war lang. Aber das erfährt man in der Serie nur in Ansätzen.

    „The Big Cigar“ scheitert an den eigenen Ansprüchen

    Die verbürgte Geschichte von der Flucht nach Kuba zu Land zu Wasser und in der Luft ist verrückt genug, um guten Serienstoff herzugeben: Aber im ständigen Wechsel zwischen den Zeitebenen von 1967 bis 1974 kommt man beim Zuschauen leicht durcheinander, zumal sich die Serie zwischen Drama und Blaxploitation-Thriller mit komischen Elementen nicht so richtig entscheiden kann. Ihr Ziel ist wohl, die politische Energie der Zeit zu beschwören und die zweischneidige Kraft Hollywoods, aus historischen Figuren mythische Helden zu machen. Aber das verliert sie in ihrer verworrenen Dramaturgie mehr und mehr aus den Augen. Trailer „The Big Cigar“, ab 17.5. auf Apple TV+
    17 May 2024, 4:30 pm
  • 2 minutes 58 seconds
    Städtische Wessenberg-Galerie Konstanz zeigt das facettenreiche Leben von Ignaz Heinrich von Wessenberg
    Ignaz Heinrich von Wessenberg vererbte nach seinem Tod 1860 seine große Kunstsammlung der Stadt, die daraufhin in seinem ehemaligen Wohnhaus die Städtische Wessenberg-Galerie eröffnete. Zu Wessenbergs 250. Geburtstag zeigt sie nun das vielseitige Schaffen des einstigen Generalvikars, dem es vor allem darum ging, dass Kirche sozial und nachhaltig auf die Gesellschaft einwirkt.
    17 May 2024, 10:30 am
  • 3 minutes 39 seconds
    Hörbar unter Strom – „Echoes of the inner prophet“ von Melissa Aldana
    Zu den Auserwählten gehört seit wenigen Jahren auch die Saxofonistin Melissa Aldana. Mit ihrer ersten Veröffentlichung wurde sie direkt für einen Grammy nominiert. „Echoes Of The Inner Prophet“ heißt ihre neue, ebenfalls absolut hörenswerte Produktion - meint unser Jazzkritiker Georg Waßmuth.

    Melissa Aldana: Echoes Of The Inner Prophet

    17 May 2024, 10:30 am
  • 7 minutes 16 seconds
    Neue Sichtweisen auf ein präsentes Körperteil – Anthologie „Brüste“ von Linus Giese und Miku Sophie Kühmel
    Herausgeben haben den Band der Blogger und Übersetzer Linus Giese und die Autorin Miku Sophie Kühmel. Darin: 12 Texte von Menschen, die alle sehr unterschiedliche Beziehungen zu diesem Körperteil haben. Linus Giese etwa erzählt in einem berührenden Text, warum er sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen hat, seine Brüste abnehmen zu lassen. Und Autorin Bettina Wilpert schaut in ihrem Essay auf Darstellungen stillender Mütter – von Gemälden aus der Renaissance bis hin zu Momfluencern auf Instagram. SWR Kultur Literaturkritikerin Kristine Harthauer findet die Vielfalt der literarischen Formen in der Anthologie sehr gelungen. Die Autor*innen würden auf sehr unterschiedliche Weise auf dieses Thema schauen, dennoch gäbe es eine Sache, die alle gemeinsam hätten: „Den Wunsch, nicht zu viel auf Brüste fremder Menschen zu projizieren und Brüste auch mal Brüste sein zu lassen.“
    17 May 2024, 4:00 am
  • 12 minutes 49 seconds
    Karl Schlieker vom Open Ohr Festival: Nina Hagen ging erstmal Blumen pflücken

    Ein Ereignis mit Tradition

    Seit genau 50 Jahren wird an Pfingsten in der Mainzer Zitadelle das Open-Ohr-Festival gefeiert, ein politisches Kulturfestival mit Musik und Theater, Film, Lesungen, Diskussionen und noch einigem mehr. Ein Ereignis das mittlerweile mehrere Generationen einer Familie besuchen. Ein halbes Jahrhundert Festivalgeschichte, die unsere Gesellschaft spiegelt.

    Platz für verschiedenen Kunstformen

    Trotz prominenter Künstler wollte das Open Ohr in Mainz nie ein Kommerz-Festival sein. Stattdessen soll hier in verschiedenen Kunstformen über dringliche Themen der Gegenwart gesprochen werden: über die Sexualmoral der katholischen Kirche genauso wie über die Wehrhaftigkeit der Demokratie.

    50 Jahre OPEN OHR Festival

    Der Open Ohr Förderverein hat ein Buch über das halbe Jahrhundert Festivalgeschichte herausgegeben. Darin erzählt er unter anderem amüsante Geschichten hinter der Bühne – etwa von Nina Hagen, die sich ihren Wohnwagen anders vorgestellt hatte, als das Management es kommuniziert hatte – und deswegen erstmal umdekorierte.
    16 May 2024, 4:30 pm
  • 4 minutes 9 seconds
    Golo Maurer – Rom. Stadt fürs Leben | Buchkritik
    Rom ist mehr als ein Fest fürs Leben – und nach der Lektüre des gleichnamigen Buchs von Golo Maurer spürt der Leser, dass Rom das Leben selbst ist: in all seiner Schönheit und Abgründigkeit, in seinem Kontrast zwischen Ewigkeit und Vergänglichkeit. Freilich sollte man die Stadt kennen, um Golo Maurers Huldigung an sie schätzen zu können. Dabei gelingt dem Autor, der die Bibliothek des römischen Max-Planck-Instituts für Kunstgeschichte leitet, das Kunststück, immer wieder zwischen der Begeisterung für die ewige Stadt und ironischer Distanz zu ihr zu changieren.  Herr Maurer, was macht das Leben in Rom schwer für einen Nicht-Römer, ja für einen Deutschen:   „In Rom Urlaub machen ist eine ganz andere Sache als in Rom leben. Wer in Rom lebt, der erlebt diese Stadt von ihrer anstrengenden Seite, sie ist dysfunktional, schmutzig, frustrierend manchmal, aber manchmal denke ich mir dann: Wenn Rom in seiner ganzen Schönheit auch noch die Funktionalität von – sagen wir – Bielefeld hätte, dann wäre das zu viel.“   Diese Mischung aus Enthusiasmus und Ironie, ja Sarkasmus zeigt sich gerade auch bei Passagen, in denen Golo Maurer sich mit den eher dunklen Seiten der jüngsten italienischen Geschichte und ihrer Hauptstadt beschäftigt, beispielsweise beim Blick auf die von Mussolini geprägten Straßennamen:   So ist er, der italienische Faschismus, proletarisch und doch von pathetischer Gelehrsamkeit, futuristisch und gleichzeitig historistisch, gewalttätig und würdevoll, eine Mischung aus Sportstunde, Schlägertrupp und Lateinunterricht.

    Quelle: Golo Maurer – Rom. Stadt fürs Leben

    Ein Reiseführer? Nein, eine begeisterte Liebeserklärung an Rom 

    Dieses Buch ist kein Reiseführer und will es auch nicht sein. Vielmehr ist es Konfession, Bildungsroman, Tagebuch, impressionistisches Sprachbild und – leider ist das Wort so abgegriffen – Liebeserklärung an Rom: an seine vielfältigen Stadtteile, die meistens mit den berühmten sieben Hügeln übereinstimmen, an seine Trattorien und Bars und die Köstlichkeiten, die es dort zu entdecken gibt, an seinen nonchalanten Umgang mit Ruinen und Kirchen und katholischer Ästhetik, an die mit sprezzatura getragene Mode – und nicht zuletzt an die Römerinnen und Römer selbst: trotz mancher ihrer politischen Irrungen und Wirrungen und wegen ihrer Lebenskunst, die einem so ganz anderen Kulturverständnis entspringt. Dies bringt Golo Maurer immer wieder zu grundsätzlichen Betrachtungen – beispielsweise im Kapitel über den italienischen Signore:   Nichts ist einnehmender und zugleich verunsichernder, als diese graziöse, delikate, irgendwie antikische Bipolarität, der gegenüber der Macho sich plump und der Schöngeist sich schwächlich vorkommt.  

    Quelle: Golo Maurer – Rom. Stadt fürs Leben

    Elegant-entspannte Sprache – und durchdachte kulturgeschichtliche Theorie 

    Solche kulturgeschichtlichen Überlegungen tauchen plötzlich auf aus dem Fluss scheinbar leicht dahinplätschernder und im Stil einer conversatione formulierten Beobachtungen; und immer ist da auch ein Kulturvergleich mit Deutschland und den Deutschen. Vielleicht ist es ja gerade dieser Kulturschock, der manche Deutsche ins bel paese und besonders nach Rom lockt – sie dann aber zu einer gewissen Überheblichkeit führt, wie Golo Maurer im Interview schildert:   “Wobei ich immer den Eindruck habe, dass diese Überheblichkeit am Ende eine Kompensation ist für die ja von Deutschen doch im Alltag schmerzlich gefühlten Defizite im Zivilisatorisch-Kulturellen.“ 

    Der Lesegenuss kann die Reise kaum ersetzen – aber er schafft ungeduldige Vorfreude 

    Sprachliche Krönung des Buchs sind zweifellos die Kapitel über den Versuch einer Wanderung von Rom nach Neapel und über den Strand von Rom – ja, Rom liegt am Meer: Wer bei dieser Beschreibung „grüner Inseln, winziger Haine und sich durch das üppige Grün schlängelnder Pfade“ (284) und eines geglückten Tages am winterlichen Lido, den Golo Maurer als ein „aus dem trüben Ozean der Zeit gezogenes goldenes Fischlein“ in allen Facetten beschreibt – wer jetzt nicht gleich den Koffer packt und nach Rom aufbricht, dem ist nicht mehr zu helfen. Und keinen Hehl macht der Autor daraus, dass für den, den einmal die Liebe zu dieser abgründig-schönen Stadt gepackt hat, jede Ankunft in Rom zur Heimreise wird.  
    16 May 2024, 4:30 pm
  • 3 minutes 54 seconds
    Der Architekt Dimitri Roussel und eine Stuttgarter Ausstellung zur Zukunft des Sports in der Stadt
    An einem warmen Tag Mitte Mai läuft der französische Architekt Dimitri Roussel kreuz und quer durch Stuttgart, etwas über dreieinhalb Kilometer Strecke mitsamt etlichen Höhenmetern, vom Corbusierhaus auf dem Killesberg bis runter ins Zentrum. Die sportliche Route verbindet die fünf Stationen einer Ausstellung, die Roussel initiiert hat. Ihr Titel ist „Ca bouge en ville“, zu Deutsch: Da bewegt sich was in der Stadt.

    Räume für Sport im urbanen Raum

    Es geht um Räume für Sport, und das nicht im vereinskonform gepflegten Freizeit-Areal in Ortsrandlage, sondern um die Frage, wo nicht-kommerzieller Sport in einer zunehmend urbanen, kommerziellen Welt Platz findet – auch in einer so beengten und hoch verdichteten Stadt wie Stuttgart.  Roussel erläutert: „Es geht um kostenfrei zugängliche Sport-Einrichtungen für alle. Die sind meist eher klein. Ein Spiegel reicht, dass Leute davor tanzen, ein halbes Basketball-Feld, und sie spielen. Der Sportplatz passt sich dem Ort an.“

    Sport kann Probleme lösen

    Roussel nennt ein Beispiel aus seinem Büro, gelegen an einer denkbar grusigen und kaputten Stelle: Unter den Brücken der achtspurigen Pariser Stadtautobahn „Peripherique“. An der Porte Pouchet hat er vor zwei Jahren unter den Betondeckeln der Fahrbahnen vier kleine Fussballplätze und ein Holzgebäude mit Umkleiden und Restaurant gebaut: „Der Ort ist sicher, belebt und bunt. Man sieht dort, dass Sport sogar urbane Probleme lösen kann.“ 

    Gemischte Nutzung funktioniert nicht

    Allerdings gibt es auch Grenzen. Ein Sportplatz ist nicht automatisch der Reparaturbetrieb eines gestörten Gemeinwesens. Es ist zum Beispiel schwierig, Sportstätten für alle Interessierten offen zu halten, vor allem, wenn sie für unterschiedliche Nutzungen konzipiert sind. Denn dann ziehen vor allem Frauen und Mädchen oft den Kürzeren. „Gemischte Nutzung ist eine nette Idee, funktioniert aber in der Praxis nicht. Ich bin sehr für spezifische Plätze. Denn wenn man mixt, dann setzen sich immer die jungen Männer durch“, so Roussel.

     Offen sein für neue Entwicklungen

    Harten Wettbewerb kennt Dimitri Roussel aus seinem früheren Leben vor der Architektur. Seit dem Kindesalter war er Leistungssportler, hat viele Jahre als Profi Basketball gespielt. Das lehrte ihn, hohen Druck umzusetzen in Leistung. Wenn Dimitri Roussel aber an heutige und künftige Arten von Sport denkt, geht es ihm nicht um Konkurrenz. Beim Weg über den neuen Schlossplatz etwa fällt sein Blick auf Treppen, Rampen und Steinblöcke. „Es gibt diese neue Disziplin namens „Parcours“, da springen die Kids von hier nach da über Hindernisse, wie diese fünf Blöcke da drüben, die sind perfekt dafür. Obwohl ich als Basketballer bin, muss ich offen sein für solche neue Entwicklungen.“ 

    Ein Projekt für Olympia und danach

    Nagelneu ist auch Roussels jüngestes Projekt. Für das olympische Dorf der Sommerspiele hat er in Paris ein nachhaltiges Hochhaus aus Holz gebaut – mit einem umwerfenden Sportplatz als Krönung. Roussel erklärt dazu: „Wir haben eine Idee von LeCorbusier aufgegriffen – der öffentliche Sportplatz auf dem Dach, hier mit Panoramablick auf Eiffelturm und Sacre Coeur. Nach der Olmypiade offen für jedermann – so denken wir uns die Sportplätze der Zukunft.“
    16 May 2024, 10:30 am
  • 2 minutes 23 seconds
    Krimi mit absurder Komik: „The Actor“ von Nima Javidi

    Die ganze Welt ist eine Bühne: Shakespeare Zitat als Motto der Serie

    Eine Autopanne auf einer Wüstenstraße bei Teheran. Zuerst albert die Gruppe junger Leute noch rum, doch dann werden sie von zwei üblen Schnurrbartträgern mit Turban und Machete überfallen. Ein kurzer Schockmoment, aber letztendlich doch nur eine Inszenierung, die in einen Heiratsantrag mündet. Nicht sonderlich geschmackvoll oder überaus witzig. Den Schauspielern Ali und Morteza ist es egal, mit dieser Art Auftragsarbeiten für die iranischen Rich Kids halten sich die beiden über Wasser. Die ganze Welt ist eine Bühne – und alle Frauen und Männer bloße Spieler – das Shakespeare-Zitat steht als Motto vor jeder Folge von „The Actor“ und damit wird schon deutlich, dass es hier um einen größeren Rahmen geht. Alle spielen: die Mutter für ihren Sohn, der Chef für seine Angestellte, selbst die Figuren in dem Theaterstück „Revanche“, das die beiden einstudieren, spielen sich gegenseitig noch was vor. Verkleidungen, Masken, das ganze Leben ist ein Rollenspiel, bei dem man nicht weiß, was vorgetäuscht oder echt ist.

    Verkleiden und Verstellen als Überlebensstrategie

    Das mag einem als kulturbeflissene Plattitüde vorkommen. Aber im Rahmen einer Tragikomödie aus dem Iran gewinnt das Verkleiden und Verstellen als Überlebensstrategie eine andere Tiefendimension. Bald können die beiden ihr Schauspieltalent noch für ganz andere Zwecke einsetzen. Sie werden nämlich von einer geheimnisvollen Organisation als Privatdetektive angeheuert und kreieren dafür ihre eigenen Rollen als gut situierte Senioren oder als Drogendealer.

    Filmemacher Nima Javidi feiert die Schauspielerei

    So changiert „The Actor“ immer wieder zwischen klassisch europäischen Theaterelementen, einem Krimiplot mit absurder Komik und einem Gesellschaftsbild des modernen Iran. Ein gelungener Genremix, der nie überdreht daher kommt, eher langsam erzählt und sich dann immer wieder konzentriert auf die warmherzige Geschichte einer Freundschaft. Mit den großartigen Darstellern Navid Mohammadzadeh und Ahmad Mehranfar feiert Filmemacher Nima Javidi die Schauspielerei. Die Fähigkeit, aus wenigen Dingen eine ganze Welt zu erschaffen sich nicht zu ernst zu nehmen, sich mit List und Chuzpe durchs Leben schlagen. Und dabei, egal auf welcher Bühne, Beziehungen aufzubauen. Nicht zuletzt zu sich selbst.

    „The Actor“ in der Arte Mediathek:

    16 May 2024, 4:00 am
  • 5 minutes 45 seconds
    Das Filmfestival von Cannes – Autorenkino trifft Blockbuster
    Die Filmfestspiele von Cannes gelten als das wichtigste Filmfestival der Welt. 22 Filme wetteifern in diesem Jahr um den Hauptpreis, die begehrte „Goldene Palme“. Daneben laufen rund 100 weitere Filme in verschiedenen Unterkategorien. In SWR Kultur zieht Filmkritiker Rüdiger Suchsland Bilanz der ersten 48 Stunden.
    16 May 2024, 4:00 am
  • 4 minutes 9 seconds
    Constance Debré – Love me tender
    Constance Debrés autofiktionaler Roman „Love Me Tender“ handelt von einer radikalen Entsagung und beginnt so:  „Warum sollte die Liebe zwischen einer Mutter und einem Sohn nicht genau wie jede andere sein? Warum sollten wir nicht aufhören können, einander zu lieben? Warum sollten wir uns nicht trennen können? Warum nicht ein für alle Mal auf die Liebe pfeifen, die sogenannte, in all ihren Formen, auch dieser?“  

    Schreiben, Schwimmen und Sex 

    Seit er weiß, dass sie Sex mit Frauen hat, entzieht der Exmann ihr den gemeinsamen achtjährigen Sohn. Zu dem Zeitpunkt hat die Erzählerin bereits alles hinter sich gelassen. Den Job als Anwältin in Paris, die feste Wohnung, materiellen Besitz. Von nun an konzentriert sie sich aufs Grundlegende. Schreiben. Und Schwimmen. 40 Minuten Kraul, jeden Morgen. Sie taucht ein in Chlor, um sich zu wappnen gegen die Zumutungen, mit denen der Kampf ums Sorgerecht sie konfrontiert. Dazu Sex. Beides körperliche Aktivitäten, bei denen man, so sagt sie, ausnahmsweise die Klappe hält und aufhört zu lügen. Ihren Körper formt sie zu dem einer Kriegerin.   „Ich trainiere, um unzerstörbar zu werden. Ich muss mich vergewissern, dass ich es bin.“  In einem Radiointerview auf France Culture erklärt Constance Debré es so:    Si le corps a beaucoup d’importance dans ce livre, c’est tout simplement parce que c’est dans le mouvement de la liberté – on sait très bien, c’est toujours la contrainte de la liberté, c’est une contrainte sur le corps. Donc à un moment où ce personnage qui est la narratrice qui est un peu moi, essaie de devenir plus libre évidemment elle fait plus usage de son corps. C’est tout. Que ce soit par le sport ou par l’amour. – 
    Der Körper spielt in meinem Buch eine so große Rolle, weil es um das Streben nach Freiheit geht. Gesellschaftlicher Zwang ist ja immer ein Zwang in Bezug auf den Körper. In dem Moment, in dem die Erzählerin, in der etwas von mir selbst steckt, sich zu befreien versucht, nutzt sie ihren Körper. Sei es durch Sport oder durch Sex. 

    Quelle: Constance Debré in einem Radiointerview auf France Culture

    Im Revier der Männer wildern 

    „Love Me Tender“ liest man mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen. Unbehagen angesichts des offen zur Schau gestellten Machismo einer Frau, die auf dem Weg ihrer inneren Befreiung andere Frauen als Steigbügel benutzt. Es ist nicht Lust, die sie treibt.  „Was mich an der Homosexualität interessiert, sind nicht die Frauen, die ich ficke, sondern die Frau, die ich werde.“   Da ist aber auch Faszination, weil Constance Debré nicht nach unserer Zustimmung verlangt und mit ihrer Darstellung weiblicher Promiskuität in einem Revier der Literatur wildert, das sonst von Männern bewirtschaftet wird.  „Finito, die Arbeit, die Wohnungen, die Familien. Ihr glaubt nicht, wie gut das tut.“  Und auch die Sprache zieht in den Bann. Drei Prozent der Arbeit am Text sei Schreiben, der Rest Überarbeitung, hat Constance Debré einmal gesagt. Ihre geschliffenen Sätze in ein präzises Deutsch zu bringen – das ist Max Henninger hervorragend gelungen. Die Unnahbarkeit und der Hochmut, auch die Härte dieser Frau, die sich als zarten Schriftzug ‚fils de pute‘ hat eintätowieren lassen, werden greifbar.  „Hurensohn, steht auf meinem Bauch, wer mit mir ins Bett geht, hat das gelesen, das sind die Geschäftsbedingungen, Schätzchen.“ 

    Ich selbst sein, um jeden Preis 

    Dann wieder Sätze voller Schmerz über die Zurückweisung durch ihren Sohn und ihrer beider Entfremdung:   „Was ist das für eine verrückte Welt, in der ich lebe? Diese Welt, in der sich die Liebe in Schweigen verwandelt, ohne dass der Tod eintritt?“  Erst nach Jahren kann er hinnehmen, dass sie das traditionelle Konzept von Mutterschaft, das sie einengt, aufbricht und für sie beide neu erfindet.   Gibt es bedingungslose Liebe? Müssen wir unser innerstes Selbst verleugnen, um akzeptiert zu werden? Und was passiert, wenn wir das nicht tun? Es sind existenzielle Fragen, die Constance Debré stellt. „Love Me Tender“ ist ein kraftvoller Roman über eine gewaltsame Selbstermächtigung und den freien Willen.  „Also ja, einfach so ohne Netz über die Dächer springen, das gefällt mir. Ich glaube, es ist das, was ich immer wollte.“   Wer etwas von Freiheit verstehen will, sollte in Zukunft die Bücher von Constance Debré lesen.   
    15 May 2024, 4:30 pm
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