Politisches Interview

Südwestrundfunk

Interviews zu politischen und gesellschaftlichen Themen aus den aktuellen Kulturmagazinen von SWR2.

  • 24 minutes 25 seconds
    Bundespräsident Steinmeier: Wir sollten jetzt nicht huddeln
    Der Bundespräsident macht gerade einen Spagat. Er ist der erste Repräsentant Deutschlands auf einer Reise in Afrika - aber er ist auch ein deutsches Verfassungsorgan, so sperrig das klingt - und er muss in wenigen Tagen eine staatstragende Entscheidung treffen. Wenn der Kanzler die Vertrauensfrage am Montag im Bundestag verliert, muss der Bundespräsident entscheiden, ob er das Parlament auflöst. Das ist eine Ausnahmesituation in der Bundesrepublik. Seit fast zwanzig Jahren hat es das nicht mehr gegeben.

    Kein Grund zur Verunsicherung

    Frank Walter Steinmeier versteht, dass das Menschen beunruhigen kann und bemüht sich im ARD Interview der Woche als Garant für Stabilität aufzutreten: "Ich glaube, es ist auch die Aufgabe des Bundespräsidenten, in dieser Situation ein bisschen Beruhigung und Entschärfung der gewachsenen Konflikte der letzten Monate zu betreiben. Will sagen, das Ende einer Koalition ist außergewöhnlich, aber es ist nicht das Ende der Welt. Wir haben funktionierende Institutionen." Er sieht es als Problem, dass Politik zuletzt nur noch als Streit wahrgenommen wurde. Steinmeier will deshalb jetzt mit Ruhe und Sorgfalt handeln. "Wir sollten jetzt nicht huddeln. Die Hektik der Tagespolitik und die Schlagzahl der Medien gibt jetzt nicht das weitere Verfahren vor, sondern die Verfassung und ihre Regeln."

    Bundespräsident lädt in der nächsten Woche Fraktionen und Gruppen im Bundestag zu Gesprächen ein

    Vor einer möglichen Entscheidung über die Auflösung des Bundestags will der Bundespräsident ab nächster Woche mit den Fraktionen und Gruppen sprechen. Im ARD Interview der Woche sagt er: "Bevor die Entscheidung darüber zu fällen ist, werde ich ganz sicher, das ist die gute Staatspraxis in Deutschland, da eine Auflösung des Bundestages, nicht nur einige wenige, sondern alle Abgeordneten betrifft, die Gespräche mit den im Bundestag vertretenen Parteien und Gruppierungen aufnehmen und danach entscheiden." In den Gesprächen gehe es darum, auszuloten, ob sich möglicherweise Mehrheiten für eine andere Regierung finden lassen, die Stabilität versprechen. Steinmeier erwartet das jedoch nicht: "Ich werde nicht überrascht sein, wenn sich diese Möglichkeit in den Gesprächen mit den Fraktionsvorsitzenden und Vorsitzenden der Gruppierungen nicht zeigt. Aber die Gespräche sind abzuwarten."

    Appell an Wahlkämpfer und an Wählerinnen und Wähler

    Klare Positionen in der Sache und Fairness im Umgang, das wünscht sich der Bundespräsident für den Wahlkampf, der ja bereits begonnen hat: "Von den Wahlkämpfern wünsche ich mir, dass sie die Positionen, die Parteien vertreten, zu den unterschiedlichen Fragen, sei es das Thema Infrastruktur, sei es das Thema Steuern, sei es das Thema Gesellschaftspolitik, sei es die Zukunft, der Arbeitsmarkt und Rentenpolitik, dass sie ihre Unterschiede deutlich machen. Dass sie aber einen Stil pflegen, bei dem sie berücksichtigen, dass man möglicherweise mit dem politischen Gegner, der im Wahlkampf bekämpft wird, nach einer Neuwahl und nach einer Regierungsbildung wieder zusammenarbeiten muss. Das verlangt, dass man den Ton mindestens kontrolliert und einen politischen Stil pflegt, der dieser Republik und ihrer Demokratie angemessen ist, nämlich Kooperationsbereitschaft und Fähigkeit zur Zusammenarbeit aufrecht zu erhalten." Die Wählerinnen und Wähler bittet er, die Weihnachtstage auch zum Nachdenken über ihre Stimme zu nutzen: "Wir sind in einem besonderen Jahr: 35 Jahre friedliche Revolution und Mauerfall. Wir erinnern uns, dass Tausende auf die Straßen gegangen sind, um für freie Wahlen zu kämpfen, die wir in ganz Deutschland haben. Und das sollten wir nicht ohne weiteres wegwerfen oder für gering achten. Und jeder sollte seine Stimme so abgeben, als sei seine Stimme die Entscheidende, die für die Zusammensetzung einer nächsten Bundesregierung relevant ist."

    Regierungsbildung in "vertretbaren Zeiträumen"

    Wenn dann tatsächlich Neuwahlen stattgefunden haben, rechnet Steinmeier damit, dass es nicht einfach werden könnte, eine Koalition zu bilden. Schon einmal, 2017, musste er einschreiten, als die Verhandlungen zur Jamaika Koalition geplatzt waren, und sich so recht keine Regierungspartner finden wollten, weil die SPD keine Lust auf eine weitere große Koalition hatte. Steinmeier: "Ich kann nicht ausschließen, dass wir in ähnlich schwierige Entscheidungen auch wieder kommen". Eine zeitliche Befristung für Koalitionsverhandlungen schließt er im ARD Interview der Woche jedoch aus: "Ich hoffe, dass wir der Tradition früherer Wahlen und Regierungsbildungen folgen und in vertretbaren Zeiträumen eine stabile Regierung zustande bekommen."
    13 December 2024, 1:40 pm
  • 24 minutes 15 seconds
    IG-Metall-Chefin Benner: Wie wir aus der Wirtschaftskrise kommen
    Fast jeden Tag gibt es neue Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft: Umsatzrückgänge, Insolvenzen, Job-Abbau, Werksschließungen. Vor allem die Automobilhersteller inklusive der zahlreichen Zulieferfirmen stehen unter Druck. Neben den Unternehmen setzen auch die Gewerkschaften auf Unterstützung aus der Politik. IG-Metall-Chefin Christiane Benner fordert im ARD Interview der Woche die demokratischen Kräfte im Bundestag auf, in den nächsten Tagen parteiübergreifend zusammenzuarbeiten. Nach dem Aus der Ampel-Koalition, fehlt der Bundesregierung eine eigene Mehrheit. Benner wünscht sich deshalb, dass die Politiker den Beschäftigten und Arbeitgebern "Zuversicht unter den Christbaum legen".

    Energiekosten und E-Mobilität: Entscheidungen vor der Wahl?

    Es gebe mehrere Themen, die die Bundestagsabgeordneten noch vor der Wahl abräumen könnten. Benner: "Wir haben einfach keine Zeit noch mal ein halbes Jahr mit bestimmten Entscheidungen zu warten." Dabei denkt sie vor allem an Beschlüsse, um Energiekosten und Netzentgelte zu senken sowie den Kauf von Elektroautos anzukurbeln. "Die Sachen liegen auf der Straße, die erfolgen müssen", sagt sie. Die Menschen hätten für viele Vorgänge in Berlin wie zum Beispiel die Art und Weise, wie die FDP aus der Bundesregierung ausgestiegen ist, kein Verständnis. Und genauso wenig Verständnis gebe es, "wenn jetzt nicht mehr wichtige Entscheidungen herbeigeführt werden, die ja noch herbeigeführt werden können". Die Gesetzentwürfe lägen auf dem Tisch und dürften nicht aus Parteitaktik und Machtinteressen auf der Strecke bleiben. Viele Menschen würden sich mit ihren Problemen nicht gesehen fühlen, beobachtet die Gewerkschaftsvorsitzende. Dabei seien diese Probleme sehr konkret: hohe Mieten, gestiegene Energiekosten, zu wenig Kita-Plätze in ländlichen Gebieten. "Und dann kommt noch das Thema dazu, dass der eigene Arbeitsplatz in Gefahr ist", betont Benner, zumindest wenn man in einem von der Krise betroffenen Unternehmen arbeitet.

    Benner beobachtet "massive Verunsicherung"

    "Das ist eine massive Verunsicherung", beobachtet sie. Die IG-Metall-Chefin sieht sowohl die Arbeitgeber als auch die Politiker in Verantwortung. Die Abgeordneten seien jetzt gefordert, das zu tun, was sie können, um zur Arbeitsplatzsicherheit beizutragen. Sie fordert auch eine Reform der Schuldenbremse und damit neue Schulden aufzunehmen, um mehr in die Infrastruktur investieren zu können. "Ich bin mir sicher, dass auch die künftige Bundesregierung nicht um dieses Thema herumkommt", sagt sie.

    Zu viele Fragezeichen auf dem Weg zur Klimaneutralität

    Auf dem Weg hin zur klimaneutralen Industrie gebe es bei vielen Menschen Fragezeichen: Was ist mit der Ladeinfrastruktur, was ist mit den Preisen beim Ladestrom, wann kommen Ladestationen für Lastwagen – hier müsse die Politik liefern. Denn wenn die Menschen das Gefühl hätten, das klappt nicht, weil die Strukturen nicht passen und sie am Ende noch den Job verlieren, "dann wird die ganze grüne Geschichte echt schlecht". Dann würden die Menschen den Glauben an den wichtigen grünen Umbau der Wirtschaft verlieren. Über die allgemeine Wirtschaftslage sagt sie: "Ich bin sehr besorgt und wütend." Betroffen seien nicht nur große Konzerne, sondern auch die Zulieferer der Zulieferer. "Die ganzen industriellen Strukturen entlang, die sind gerade am Wackeln", so Benner. Die Hauptverantwortung dafür sieht sie in den Chefetagen der Unternehmen. Gerade in der Automobilindustrie seien Entwicklungen wie beispielsweise Innovationssprünge in China nicht rechtzeitig gesehen worden.

    IG Metall sieht neue Dimension im Streit mit Arbeitgebern

    Sie kritisiert den "Konfliktkurs", der in vielen Betrieben nun gefahren werde. Viele Arbeitgeber würden auf Lohnkürzungen, Stellenabbau und Werkschließungen setzen. "Und mir kann niemand richtig erklären, was dadurch besser wird", sagt sie. Es könne nicht sein, dass die Arbeitnehmer jetzt einseitig die Zeche zahlen sollen. Benner warnt davor, dass durch den angekündigten Abbau von Arbeitsplätzen zum Beispiel bei VW, Ford und vielen Zulieferbetrieben ganze Industriebereiche erst recht kaputt gemacht werden. "Und das, was an Produktion weg ist, ist weg und kommt nicht wieder", mahnt die IG-Metall-Chefin. "Wenn wir jetzt verpassen, richtig abzubiegen, dann haben wir echt ein Problem." Statt Jobs abzubauen, fordert sie in Zukunftsbereiche wie die Forschung und Produktion von Batterien, autonomes Fahren, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz zu investieren und die Produktivität in den Betrieben zu verbessern. Benner: "Wenn wir da stark werden, dann hätten wir die Wettbewerbsvorteile, die China im Moment hat, aufgeholt."
    6 December 2024, 12:38 pm
  • 24 minutes 38 seconds
    BND warnt vor Sabotage
    Als am Montag in Litauen ein DHL-Frachtflugzeug abstürzt, steht sofort die Befürchtung im Raum, es könnte russische Sabotage gewesen sein. "Den Verdacht musste man sofort haben nach den Hinweisen, die wir vorher erhalten hatten", sagt der Chef des Bundesnachrichtendiensts (BND), Bruno Kahl, im ARD Interview der Woche. Fügt aber hinzu: "Bisher haben wir keine konkreten Hinweise, dass sich etwas in diese Richtung ereignet haben könnte." Dass der Verdacht überhaupt im Raum steht, liegt daran, dass deutsche Sicherheitsbehörden bereits im Sommer vor selbstentzündlichen Paketen in DHL-Frachtflugzeugen warnten. Sicherheitskreise halten es für möglich, dass es sich dabei um Sabotage durch russische Geheimdienste handelt. "Das ist genau das, was Putin im Sinne hat. Er möchte unsere Gesellschaft durcheinanderbringen. Er möchte Zweifel und Angst säen und möchte natürlich auch die Politik dazu bringen, dass sie die Unterstützung für die Ukraine zurückfährt", so Kahl. Generell gilt: "Wir haben Hinweise, dass die kritischen Infrastrukturen ausgespäht werden und dass es auch Vorbereitungshandlungen geben soll, die im Fall des Falles dann auch zu Schadensaktionen führen könnten", so Kahl.

    Neuwahlen

    Mit Blick auf die bevorstehenden Neuwahlen und die Frage, welches Interesse der russische Präsident Putin an einer Stärkung russlandfreundlicherer Parteien wie AfD und BSW habe, antwortet Kahl: "Das Verächtlichmachen derer, die in der Mitte unserer Gesellschaft Verantwortung tragen und das Stärken derer, die am Rande tätig sind, insbesondere solcher, die auf Putins Propaganda hereinfallen und verlängerte Arme seiner Meinungsbildung hier in Deutschland sind."

    Anschläge im Sportsommer verhindert

    Mit Blick auf die Gefahr des islamistischen Terrors sagt BND-Chef Kahl: "Wir haben einen Sportsommer jetzt erlebt mit der Europameisterschaft in Deutschland, mit den Olympischen Spielen in Frankreich, wo große Anschläge Gott sei Dank vermieden werden konnten." Er stellt fest: "Es waren welche geplant und es sind auch sozusagen Leute von der Straße geholt worden, um das zu verhindern. Es ist durchaus dazu gekommen, dass Taten vorbereitet worden sind und rechtzeitig enttarnt werden konnten." - "In Europa insgesamt."

    Wechsel in die Politik

    Einen Wechsel in die Politik – wie der bisherige Präsident des Bundesverfassungsschutzes Thomas Haldenwang – kann sich Kahl nicht vorstellen. Trotz seiner Mitgliedschaft in der CDU. "Wenn ich hätte Politiker werden wollen, hätte ich mich dazu früher entschieden," sagt Kahl und ergänzt: "Jeder hat so seine Talente und ich glaube, ich bin da ganz gut aufgehoben, wo ich bin."
    29 November 2024, 2:11 pm
  • 24 minutes 32 seconds
    Neuer Grünen-Chef: Wir haben die Menschen überfordert
    Der neue Co-Parteivorsitzende der Grünen, Felix Banazsak, sagt: "Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets." Seine Heimat ist Duisburg. Er kommt also aus einer Region, die sich mit Wandel auskennt. Jetzt will er einen Neustart mit den Grünen schaffen und wird in den nächsten Wochen Robert Habeck den Rücken freihalten müssen. Sein Weg in den Bundestag und an die Parteispitze war nicht vorgezeichnet. "Banaszaks sind das, was man einfache Leute nennt.", sagt er im ARD Interview der Woche. Die Urgroßeltern sind als Arbeitsmigranten aus Polen ins Ruhrgebiet gekommen. Der Großvater hat auf einer Kokerei gearbeitet, die Oma hat sich um die Familie gekümmert, ist nebenbei putzen gegangen. "Bestimmte Codes der höheren Gesellschaft hat man mit diesem Hintergrund nicht im Blut. Deshalb ist es eine besondere Ehre im Bundestag zu sitzen."

    Er ist einer der Macher von schwarz-grün in Nordrhein-Westfalen

    Als Co-Vorsitzender der Grünen in NRW hat Banaszak den schwarz-grünen Koalitionsvertrag mitverhandelt, will das aber nicht als Zeichen für die Bundesebene verstanden wissen: "Ich habe nicht mit Herrn Wüst verhandelt, weil ich sein Programm so gut fand, sondern unseres." Klar ist, dass die Grünen auch nach der Bundestagswahl wieder regieren wollen. In welcher Konstellation, darauf will sich Banaszak nicht festlegen. "Vielleicht sollte man bestimmte Koalitionen auch nicht überhöhen. Dass die Ampel sich als Fortschrittskoalition gefeiert hat, ist vielleicht Teil der Ernüchterung, die hinterher eingetreten ist."

    Söder sucht nach Relevanz

    CSU-Chef Markus Söder schließt eine Koalition aus Union und Grünen regelmäßig aus. Banaszak glaubt, dass Söder damit eher Signale an Friedrich Merz als an die Grünen senden will. "Markus Söder muss das zweite Mal mitansehen, dass jemand, den er für weniger geeignet hält, Kanzlerkandidat der Union wird. Und deswegen braucht er irgendetwas, um noch Relevanz zu haben." Die politische Auseinandersetzung scheut Banaszak nicht. Zu lange hätten die Grünen viele Angriffe über sich ergehen lassen. "Ich werde angriffslustig bleiben. Aber immer über der Gürtellinie und an der einen oder anderen Stelle mit Humor." Banaszak stellt sich auf einen harten Wahlkampf ein. Der Ton sei sehr viel rauer geworden. Die Angriffe häufen sich, auch auf ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker. Dass CDU-Bundestagsabgeordnete wie Marco Wanderwitz oder Yvonne Magwas nicht mehr für den Bundestag kandidieren wollen, um sich und ihre Familien vor Bedrohungen zu schützen, erfüllt ihn mit Sorge. Beide hätten einen großen Beitrag zur demokratischen Kultur in diesem Land geleistet. "Die Gesellschaft hat sich an eine bestimmte Verrohung der Debatte gewöhnt, obwohl sie gemeinsam darunter leidet. Es darf keine Frage des Mutes sein, ob man sich für seine Gemeinschaft einsetzt", sagt Banaszak im ARD Interview der Woche.
    22 November 2024, 2:40 pm
  • 24 minutes 40 seconds
    Ampel-Aus: Ist die Politik kaputt, Hubertus Heil?
    Das von der Ampel-Koalition eingeführte Bürgergeld könnte schon im kommenden Jahr wieder abgeschafft werden. So haben es CDU und CSU für den Fall eines Wahlsiegs bei der Neuwahl im Februar angekündigt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warnt die Union nun davor, zu weit zu gehen: "Die Grundsicherung abzuschaffen, das verbietet unsere Verfassung", sagt Heil im ARD Interview der Woche.

    Scheitert mögliche GroKo am Bürgergeld?

    Würden Verhandlungen zu einer möglichen Neuauflage der Großen Koalition also am Bürgergeld scheitern? "Über Reformen kann man immer reden", betont Heil. "Ich habe ja Vorschläge gemacht, Dinge weiterzuentwickeln. Die könnten wir übrigens auch jetzt beschließen." Der Bundesarbeitsminister gibt zu, dass bei der Einführung des Bürgergelds ein falscher Eindruck entstanden ist. "Natürlich muss man sich selbstkritisch fragen, warum. Das Bürgergeld war nie ein bedingungsloses Grundeinkommen." Aber: "Ich glaube, das Lebensgefühl, was im Moment eine Rolle spielt, ist die Frage: Was tut ihr eigentlich für die arbeitende Mitte?"

    Rentenreform: Die Zeit drängt

    Nach dem Aus der Ampel-Koalition wird auch Heils geplante Rentenreform nicht mehr umgesetzt. Der Minister drängt darauf, das Rentenniveau schnellstmöglich zu stabilisieren: "Ab 2026 muss die Entscheidung getroffen werden, sonst verlieren Rentnerinnen und Rentner Kaufkraft. Das darf nicht sein." Die Idee einer Aktienrente, die er mit dem ehemaligen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vereinbart hatte, hält Heil weiter für den richtigen Weg: „Ich stehe zu dem Kompromiss, weil die Idee war Vorsorge zu treffen, dass die Rentenbeiträge in den 30er Jahren nicht zu sehr steigen. Da ist eine gute Lösung gelungen. Das muss dann nach der Wahl entschieden werden."

    SPD-Kanzlerkandidat: Heil "im Team Scholz"

    Dass die SPD in naher Zukunft noch einmal mit der FDP koaliert, hält Heil "derzeit nicht für vorstellbar." Für den SPD-Vize ist Bundeskanzler Olaf Scholz weiter der richtige Kanzlerkandidat: "Er hat die Erfahrung und auch die Kompetenz, die dieses Land braucht. Deshalb bin ich im Team Scholz." Über einen Rückzug aus der Politik denkt Hubertus Heil nicht nach, er kandidiert erneut für seinen Wahlkreis Gifhorn-Peine in Niedersachsen. Der Wind in der Politik ist aber rauer geworden, findet er. "Wir haben viele Krisen zu bewältigen. Aber vor dieser Verantwortung darf man gerade deshalb, weil auch Extremisten lauter geworden sind, nicht weglaufen." Wie man durchhält in der Politik? "Eine stabile Familie, Freunde sind wichtig. Und verlässliche Mitstreiter. Und die habe ich."
    15 November 2024, 1:05 pm
  • 24 minutes 33 seconds
    FDP-Fraktionschef Dürr: Wir brauchen mehr Menschlichkeit
    Mit Emotionen und Nebensächlichkeiten der Politik hat es Christian Dürr nicht so. Fragt man ihn, wie das denn so war, am Abend des Koalitionsausschusses im Kanzleramt, bleibt er sachlich. Will seine politischen Ideen verkaufen: Mehr tun für die Wirtschaft. Waffen für die Ukraine. Schuldenbremse beibehalten. Und sonst so? Gab es Emotionen? Keine Tränen, kein Lachen, sagt er. Und seine eigenen Gedanken, wenn er mal zur Ruhe kommt, vor dem Einschlafen, unter der Dusche? "Es kommen natürlich die Gedanken, wie geht es weiter? Wie kann man die Dinge so strukturieren, damit wir vernünftig vorankommen?", sagt der FDP-Fraktionschef. Politiker-Sprech.

    Reaktionen des Kanzlers haben Dürr überrascht

    Christian Dürr ist geübt. Der 47-jährige Familienvater aus Niedersachsen sitzt seit 2017 im Bundestag. Seit drei Jahren ist er Fraktionschef. Davor war er mehrere Jahre im Präsidium seiner Partei. Er versteht es, mit einem Lächeln den eigentlichen Fragen auszuweichen, seine politischen Ideen und den Spin seiner Partei zu verkaufen. Zum Beispiel den, dass die Reaktionen des Kanzlers nach dem Koalitionsausschuss am Mittwochabend unfein waren: "Das hat mich teilweise überrascht", sagt Dürr. "Ich weiß nicht, ob so scharfe Äußerungen des Nachtretens klug waren für die politische Kultur. Ich würde mich freuen, wenn wir da wieder zu mehr Menschlichkeit kommen."

    "Ich bin ein offener Typ"

    Er selbst sei ohne Groll, sagt Dürr, tritt aber auch selbst ein bisschen nach – geschickt und indirekt. Er zitiert einfach andere: "Ich habe gestern einen Journalisten gehört, der hat formuliert, dass ihm Politiker suspekt sind, die Wutausbrüche vom Monitor ablesen müssen. Aber ich glaube, das muss Olaf Scholz mit sich selbst ausmachen." Den Parlamentariern der anderen Parteien will er weiter offen begegnen. Zu manchen habe man ein engeres freundschaftliches Verhältnis, zu anderen weniger. "Ich bin ein offener Typ und bin immer bereit, mit Demokraten zu reden. Freundschaftlich." Dürr kann sich auch vorstellen, wieder mit Volker Wissing zu sprechen, der aus der FDP ausgetreten und in der rot-grünen Minderheitsregierung geblieben ist.

    "Brauchen keine Regeneration in der Opposition"

    Trotz der anstrengenden Ereignisse der vergangenen Tage bleibt Dürr dabei: Er sei gerne Fraktionsvorsitzender seiner Partei. Und überhaupt, sei er gerne Parlamentarier. An eine Zukunft seiner Partei im Bundestag glaubt er fest. "Wir brauchen keine Phase der Regenerierung in der Opposition, sondern wir sind mit Tatendrang unterwegs", sagt Dürr. Und fordert schnelle Neuwahlen. Danach will FDP-Chef Lindner sogar wieder Finanzminister werden. Wäre Dürr, studierter Ökonom, da nicht auch für das Amt des Wirtschaftsministers zu haben? Vielleicht ja sogar unter einem grünen Kanzler Habeck? Der hat seine Ambitionen jetzt öffentlich gemacht. Beim Grünen Parteitag kommende Woche soll er als Kandidat gekürt werden. Dürr lächelt. "Ich kann mir Vieles vorstellen, aber die Tatsache, dass Robert Habeck jetzt Bundeskanzler wird, sehe ich offen gestanden nicht."
    8 November 2024, 2:19 pm
  • 24 minutes 44 seconds
    Digitalpakt Schule: Stark-Watzinger erhöht Druck auf Länder
    Die Situation ist verfahren, die Fronten verhärtet, doch die Zeit drängt: Bund und Länder scheinen beim Thema Digitalpakt Schule für nächstes Jahr nicht zueinander zu finden. Knackpunkt: Kompetenzen und Geld. Im ARD Interview der Woche erhöht Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) den Druck auf die Bundesländer: "Wir vom Bund sind klar aufgestellt." 2,5 Milliarden Euro als Angebot würden auf dem Tisch liegen, jetzt komme es darauf an, "dass die Länder eben auch sagen, welchen Beitrag sie leisten wollen." Mit dem Digitalpakt 1.0 haben Bundesregierung und Länder seit 2019 Milliarden investiert, um die Schulen moderner und digitaler aufzustellen: mit W-Lan, iPads oder Tablets. Im Sommer ist der Pakt ausgelaufen, alle Beteiligten sind sich einig: Es braucht eine Fortführung, einen Digitalpakt 2.0. Doch die Zeit drängt, wenn er im neuen Jahr an den Start gehen soll. Bund und Länder liegen weit auseinander. Streitpunkt: Kompetenzen, Geld. Im ARD Interview der Woche besteht Stark-Watzinger auf einer Ko-Finanzierung: 50 Prozent der Finanzen übernimmt der Bund, 50 Prozent die Länder. Die FDP-Politikerin fordert "mehr Tempo". Doch in einem föderalen System gibt es 16 zuständige Minister in den Bundesländern – Bildung ist Ländersache. Stark-Watzinger fordert im Zuge des Digitalpakts 2.0 daher mehr Verantwortung für den Bund bei digitaler Bildung. Sie spricht sich für eine "klare Aufgabenteilung" aus, um die Umsetzung zu beschleunigen und Zuständigkeiten zu schaffen – auch über das Thema Digitalisierung hinaus: mit einheitlichen, verbindlichen Standards bei Bildungsabschlüssen. Das sei "ein großer Wunsch der Familien in unserem Land", damit es eine Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern gebe: "Wir wollen ja mobil sein mit unseren Bildungsabschlüssen." Wäre der Bund für diese übergeordneten Themen bei der Bildung zuständig, so hätten die Menschen auch einen Ansprechpartner, der in der Verantwortung stehe, so Stark-Watzinger.

    Stark-Watzinger zu Ampel-Koalition: Hängt von nächsten Wochen ab

    Nicht nur zwischen Bund und Ländern hakt es – auch in der Bundesregierung stockt die politische Arbeit: FPD, Grüne und SPD positionieren sich auf offener Bühne – jeder einzeln. Der Wahlkampf scheint längst eingeläutet zu sein, das haben vor allem die separat einberufenen Industrie- und Wirtschaftsgipfel von Kanzler Scholz (SPD) und Finanzminister Lindner (FDP) in dieser Woche deutlich gemacht. Bettina Stark-Watzinger war bei keinem dabei. Oft geht unter, dass sie auch stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP ist. Angesprochen auf einen möglichen Ampel-Bruch durch die FDP meint die Ministerin im ARD Interview der Woche: "Natürlich tritt man an in dieser Legislaturperiode und ich will auch eine Legislaturperiode zu Ende machen, aber wir müssen auch die richtigen Entscheidungen treffen." Für sie und die FDP hänge jetzt alles von der Wirtschaft und dem Haushalt ab. "Eine Regierung ist dann gut, wenn sie ihre Arbeit gut macht. Und das ist für mich die Frage der nächsten Wochen."

    Fördergeld-Affäre: "Die Sache ist erklärt, es gibt jetzt nichts, was offen ist."

    Auf weiterhin offene Fragen zur sogenannten Fördergeld-Affäre scheint Stark-Watzinger auszuweichen. In ihrem Ministerium wurde kurzzeitig geprüft, ob Forschern staatliche Fördermittel gestrichen werden könnten, die sich in einem Brief gegen die Räumung eines pro-palästinensischen Protestcamps an einer Berliner Hochschule ausgesprochen hatten. Im ARD Interview der Woche betont die Bildungsministerin erneut: Sie habe alles offengelegt. Kritiker – auch aus den eigenen Ampel-Reihen – sehen das anders, stellen weiterhin Fragen: Warum lässt die Ministerin die ehemalige Staatssekretärin, die für die Fördergeld-Affäre verantwortlich gemacht und entlassen wurde, nicht öffentlich reden? Warum legt das Ministerium die interne Kommunikation nicht offen? Damit konfrontiert, erwidert Stark-Watzinger, man müsse jetzt "auch wieder an den Themen arbeiten, die unser Land voranbringen." Weiter meint Stark-Watzinger zur Fördergeld-Affäre, die Sache sei erklärt, es gebe nichts, was offen sei.
    1 November 2024, 9:18 am
  • 24 minutes 27 seconds
    Lauterbach will steigende Pflegekosten stoppen
    Die Kosten für einen Platz in einer Pflegeeinrichtung steigen seit Jahren stark an. Nach einer Auswertung des Verbands der Ersatzkassen müssen Betroffene für das erste Jahr im Heim durchschnittlich rund 2900 Euro im Monat zahlen. Vor allem in Süddeutschland liegen die Preise noch höher. Bundesgesundheitsminister Lauterbach will das ändern. Im ARD Interview der Woche sagt er: "Ich arbeite mit Olaf Scholz schon seit einigen Wochen sehr intensiv an einem ersten Vorschlag für eine Pflegereform." Das Ziel dieser Reform sei, "dass wir die stetig steigenden Pflegekosten beherrschen." Und zwar so: "Dass der Anstieg stoppt", betont Lauterbach.

    Neue Pflegereform soll Entlastung bringen

    Der Minister verspricht eine "große Reform". Ein Teil der hohen Kosten habe allerdings nichts mit der Pflege der Menschen zu tun, sondern mit den steigenden Kosten für die Unterbringung und Versorgung. "Das sind alles Dinge, die bezahlt die Pflegekasse gar nicht. Und da müssen wir auch Lösungen finden." Er sei dazu auch mit Bauministerin Klara Geywitz im Gespräch. Lauterbach geht davon aus, dass die Reform noch vor der nächsten Bundestagswahl verabschiedet wird. "Die Zeit reicht auf jeden Fall", sagt er. Ein noch größeres Problem als die Finanzierung sieht Lauterbach darin, künftig genügend Pflegekräfte zu finden: "Weil die Babyboomer-Pflegekräfte verlassen die Pflege. Und wir haben den Nachwuchs nicht." Mit drei verschiedenen Gesetzen, die schon im Verfahren seien, will er gegensteuern und genug Pflegekräfte ausbilden. Zudem setzt Lauterbach auf das weltweite Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland: "Wir werden in der Medizin und auch in der Pflege zunehmend, und zwar stark zunehmend, auf ausländische Kräfte angewiesen sein." Der Personalmangel habe schon heute schwerwiegende Folgen. "Es ist auf dem Land jetzt zum Teil schon so, dass die Pflegeeinrichtungen keine neuen Bewohner mehr aufnehmen können", sagt Lauterbach.

    Medikamentenmangel: Lauterbach verspricht Lösung der Probleme

    Mit Blick auf Lieferengpässe bei mehreren wichtigen Medikamenten wie Antibiotika verteidigt der Gesundheitsminister im ARD-Interview seine bisherigen Gesetze gegen den Mangel von Arzneimitteln. Das Hauptproblem für die weiterhin bestehenden Probleme seien alte Rabattverträge mit den Arzneimittelherstellern bei Nachahmerprodukten, sogenannten Generika. Diese Verträge würden keine Regelungen zur Bevorratung der Medikamente beinhalten. Lauterbach: "Somit sind immer dann, wenn Lieferengpässe da sind, die deutschen Apotheken leer, weil wir eben die Lieferengpässe nicht überbrücken können. Es gibt keine Lagerhaltung, die vorgeschrieben wäre." Das seien keine intelligenten Verträge gewesen, die unter früheren Gesundheitsministern geschlossen wurden.

    Alte Verträge mit Arzneimittelherstellern müssen erst auslaufen

    Diese Fehler seien inzwischen beseitigt worden. Nun würden die "alten, schlechten Verträge" systematisch auslaufen. Problem: Aktuell sind noch viele der bisherigen Verträge in Kraft, sie können nicht einfach gekündigt werden, erklärt Lauterbach. Allerdings: "Ein Viertel ist schon ausgelaufen. Da gelten schon die neuen Verträge. Dreiviertel laufen aus", so der Minister. Künftig sollen nur noch diejenigen Arzneimittelhersteller einen Vertrag erhalten, die sechs Monate Lagerhaltung nachweisen können. Lauterbach: "Kommt dann tatsächlich ein Lieferengpass, sind diese Firmen nicht betroffen." Seine Gesetze würden wirken, und mit Verweis auf diesen Herbst und Winter unterstreicht der Minister: "Gerade bei Kindern werden wir weniger Lieferengpässe haben – bei Kinderantibiotika, auch bei den Fiebersäften wird es deutlich besser sein." Insgesamt sei die Zahl der nicht lieferbaren Medikamente zurückgegangen.

    Apotheker warnen weiter vor Lieferengpässen

    Manche Apothekerverbände sehen das anders. Vor zwei Wochen schlug der Apothekerverband Nordhessen Alarm und kritisierte, dass wieder viele Antibiotika-Säfte für Kinder und Babys fehlen würden. Aktuell werden Engpässe bei Kochsalzlösungen gemeldet, die vor allem in Kliniken gebraucht werden. Grund: Hurrikan "Helene" hat den größten Produktionsstandort der USA für Infusionslösungen beschädigt. Seitdem sprechen Experten von einer erhöhten Nachfrage und Engpässen im Markt, unter denen auch deutsche Krankenhäuser leiden.
    25 October 2024, 2:29 pm
  • 24 minutes 31 seconds
    VDA-Chefin Müller: Brauchen schnelle Entscheidung bei E-Auto-Prämie
    Das private Auto von Hildegard Müller verrät viel über die E-Mobilität in Deutschland: Denn die Cheflobbyistin der Branche fährt hybrid und sagt dazu im ARD Interview der Woche. "Wenn ich mal längere Strecken fahren und nicht ganz sicher bin, ob ich das hinbekomme mit dem elektrischen Laden, klappt das dann auch." So wie die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie zögern viele in Deutschland bei der reinen Elektromobilität. Mehr noch: Laut einer Umfrage im Auftrag des Versicherers HUK Coburg entscheiden sich immer mehr E-Autofahrer dazu, wieder auf einen Verbrenner umzusteigen. Hildegard Müller sieht die Verantwortung auch in der Politik. Als Beispiele nennt sie die abrupte Rücknahme der Kaufprämie im vergangenen Jahr und fehlende Ladesäulen. "Die Leute überlegen: Ich muss mich von A nach B bewegen. Klappt das? Kann ich laden? Kann ich nicht laden? Und diese gesamte politische Diskussion derzeit verunsichert."

    "Wir erwarten klare und schnelle Signale"

    Damit meint die VDA-Chefin auch die gerade entfachte Diskussion über neue Kaufanreize für E-Autos. Erst vor einer Woche hatte die SPD diese in ihrem Strategiepapier angeregt. Zwar zeigt sich Hildegard Müller grundsätzlich offen, mahnt aber zu Tempo: "Dieses ‚Man müsste mal darüber nachdenken, ob und ab wann‘, führt erstmal dazu, dass die Leute abwarten", sagt Müller. "Wir erwarten jetzt klare und schnelle Signale, die zum Beispiel in der Frage einer KfZ-Steuerbefreiung für E-Autos liegen könnte." Statt langer Diskussionen bräuchte es schnelles Handeln. "Die Verbraucher wollen schnell wissen, woran sie genau sind."

    "Wir müssen unsere Probleme in den Griff bekommen"

    Tempo fordert Müller auch bei der Wachstumsinitiative: Ein Maßnahmenpaket, mit dem die Bundesregierung die Wirtschaft in Deutschland ankurbeln möchte. "Wir brauchen dringend diese Impulse, es geht nicht nur um die Automobilindustrie. Die gesamte Wirtschaft wartet", so Müller. Sie verweist auf eine BDI-Studie, wonach 20 Prozent der Industrieproduktion akut gefährdet ist. Am Ende bleibe aber auch die Wachstumsinitiative ein "Tropfen auf den heißen Stein". Langfristig brauche es mehr als Symptombekämpfung: "Wir müssen unsere Probleme in den Griff bekommen." Also etwa hohe Energiekosten und zu viel Bürokratie. Ein Verschlafen der deutschen Autohersteller beim Einstieg in die E-Mobilität möchte Müller nicht erkennen. "Von den Zahlen her kann ich das nicht unterstützen, wir sind der zweitgrößte Produzent von E-Autos weltweit. Sieben von zehn in Deutschland verkauften Autos sind von deutschen Herstellern." Allerdings: Größter Hersteller von E-Autos bleibt China. Laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung McKinsey kommt die Mehrheit - nämlich fast zwei Drittel – aller weltweit produzierten Autos aus China. 2023 war demnach jedes zweite verkaufte E-Auto von einer chinesischen Marke.

    "Für viele wird sich die Welt gigantisch ändern"

    Gleichzeitig will der weltweit größte E-Autohersteller BYD aus China auch den deutschen Markt erobern: Firmenchefin Stella Li kündigte jüngst an, den Absatz in Deutschland in den kommenden sechs Monaten steigern zu wollen. Drohen die Chinesen, auch bald den deutschen E-Auto-Markt zu dominieren? "Ich bin da optimistischer, weil ich um die Qualität unserer Autos weiß. Wir stellen uns dem Wettbewerb", zeigt sich Müller hoffnungsvoll. Auch wenn es derzeit bei VW brodelt und der Konzern massiv Stellen kürzen will, Müller sieht darin eine Folge der Transformation: "Das ist jetzt auch der Abbau der bisherigen Verbrennertechnologie." Man könne nicht auf Elektro umsteigen und glauben, dass sich das nicht auf Arbeitsplätze auswirke. "Darauf haben wir immer hingewiesen." Müller erinnert auch an die mittelständische Zulieferindustrie: "Da wird sich für viele die Welt gigantisch ändern und nicht jeder findet ein neues Geschäftsmodell." Hildegard Müller glaubt trotzdem, dass die deutschen Autobauer die Transformation überleben. Sie möchte jedenfalls auch zukünftig ein deutsches Modell fahren. Dass sie irgendwann mal ein chinesisches E-Auto fährt, schließt sie nahezu aus: "Da müsste schon viel passieren."
    18 October 2024, 8:58 am
  • 24 minutes 43 seconds
    Laschet: Politik in der ersten Reihe kann mörderisch sein
    Armin Laschet ist heute einfacher CDU-Bundestagsabgeordneter aus Aachen. Dabei hatte er bis 2021 eine steile Politikerkarriere: er war Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, CDU-Parteichef - und: der letzte Kanzlerkandidat der Union vor Friedrich Merz. Als solcher war er massivem Druck ausgesetzt. Im Wahlkampf lachte er bei einem Termin nach der Flutkatastrophe an Ahr und Erft an unpassender Stelle, das Foto löste einen Shitstorm aus. Dazu kamen ständige Sticheleien vom internen Konkurrenten Markus Söder (CSU). Laschet scheiterte und macht trotzdem weiter. Respekt für Kevin Kühnert In dieser Woche hat der bisherige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert seinen Rückzug aus dem Amt und dem Bundestag aus gesundheitlichen Gründen erklärt. Laschet zeigt sich betroffen, dass Kühnert mit nur 35 Jahren aus der Politik aussteigt. "Er war ja ein Vollblutpolitiker, der sich immer ins Gefecht gestürzt hat," sagt Laschet. "Und dann sieht man auch, was die Politik und unsere Lebensart, unsere ständige Präsenz, auch an gesundheitlichen Schäden hervorrufen kann". Auf die Frage, wie mörderisch das politische Geschäft in der ersten Reihe inzwischen ist, sagt Laschet im ARD Interview der Woche: "Ja, das ist es. Ich habe vielleicht das Glück gehabt, dass das bei mir nie gesundheitlich erkennbare Schäden hervorgerufen hat." Als Kanzlerkandidat der Union sei er Anfeindungen und Hass ausgesetzt gewesen, berichtet Laschet und fügt hinzu. "Aber das ist so. Ich klage da nicht drüber. Aber man muss das wissen, wenn man in solchen Funktionen tätig ist."

    Laschet rät Kanzlerkandidat Merz: auch mal lachen

    Der aktuelle Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, wird jetzt ein Jahr unter intensiver Beobachtung stehen. Armin Laschet weiß, was das bedeutet. Ein unbedachtes Lachen im falschen Moment hat ihn Glaubwürdigkeit und vielleicht auch den Wahlsieg gekostet. Trotzdem rät er Merz vom Lachen nicht ab. "Na ja, ich finde, ab und an sollte man auch freundlich sein und lachen." In seinem Wahlkampf hat Laschet auch unter den ständigen Seitenhieben von CSU-Chef Markus Söder gelitten, der sich für den besseren Kanzlerkandidaten hielt. Jetzt sagt Söder, er sei fein damit, dass Merz der Kanzlerkandidat der Union für 2025 ist. Laschet hofft, dass Söder loyal bleibt, setzt aber im ARD Interview der Woche auch eine Spitze gegen Söder: "Ich bin noch nicht sicher, ob er nicht auch heute glaubt, dass er der Bessere ist. Aber es kann halt nur einen geben. Und Union, heißt CDU und CSU, müssen sich verständigen. Aber alle haben die Lehre aus 2021 verstanden: Zerstrittene Parteien werden nicht gewählt. Und ich glaube, das weiß auch Markus Söder."

    Koalitionsmöglichkeiten offenhalten

    Laschet hält nichts vom Kurs des CSU-Chefs Markus Söder, der ein Bündnis mit den Grünen auf Bundesebene ausschließt, ja sogar sein Veto angedroht hat. Der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen befürchtet, dass das den Verhandlungsspielraum einengt. Im ARD Interview der Woche argumentiert er: "Wenn man heute schon, sagt: DIE schon mal auf gar keinen Fall. AfD auch auf gar keinen Fall, was richtig ist, BSW auf Bundesebene auch auf gar keinen Fall. Ja, dann bleibt ja am Ende nur die SPD. Und sich auf die festzulegen, halte ich nicht für besonders klug." Laschet verweist auch auf die funktionierenden schwarz-grünen Regierungen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein und grün-schwarz in Baden-Württemberg.

    Kein AfD-Verbot

    Armin Laschet hat im Parlament viel Beifall bekommen für seine klaren Worte zur AfD. Er sieht in ihr eine Gefahr für die Demokratie, hält aber nichts davon, die Partei zu verbieten. Ein Verbotsverfahren sei aussichtslos und würde der AfD mehr nutzen als schaden. Marco Wanderwitz (CDU) und 37 Abgeordnete mehrerer Fraktionen wollen aus dem Bundestag heraus ein Verbotsverfahren gegen die AfD anstoßen. Laschet sagt dazu: "Das ist ein legitimes Anliegen. Ich habe mit ihm lange über die Frage diskutiert. Er hatte auch versucht, mich zu bewegen, da mitzumachen. Ich verstehe seine Argumente. Aber ich glaube, ich habe bessere." Das ARD Interview der Woche hat Hauptstadtkorrespondentin Eva Ellermann geführt.
    11 October 2024, 8:44 am
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    Integrationsbeauftragte Alabali-Radovan: Deutsche Einheit - Identität geht auch im Plural
    Reem Alabali-Radovan ist erst 34 Jahre alt und hat eine Vorzeige-Einwanderungsgeschichte: sie ist in Moskau geboren als Tochter irakischer Eltern, mit ihnen kam die damals 6-Jährige als Flüchtling nach Schwerin. Alabali-Radovan machte Abitur, studierte Politikwissenschaften und stieg 2015 in die Koordination der Flüchtlingsarbeit ein. Erst vor drei Jahren trat sie in die SPD ein und gewann bei der letzten Bundestagswahl gleich ein Direktmandat für ihre Partei. Sie ist Staatsministerin im Kanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und seit 2022 auch für Antirassismus. Alabali-Radovan ist verheiratet mit einem Boxer mit rumänischen Wurzeln und Mutter einer eineinhalbjährigen Tochter.

    "Identität geht auch im Plural"

    Die Zentrale Feier für den Tag der Deutschen Einheit war in diesem Jahr in Schwerin – ihrer Heimatstadt, freut sich Alabali-Radovan. Zu Deutschland gehören aus ihrer Sicht alle Menschen, die hier leben und ihren Beitrag leisten. "„Wir sind ein Einwanderungsland und wir wollen es auch bleiben und alle Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gehören selbstverständlich auch dazu", sagt die Integrationsbeauftragte im ARD Interview der Woche. "Wir müssen uns gar nicht zwischen Identitäten entscheiden", ergänzt sie. Sie selbst sagt über sich: "Ich fühle mich als Deutsche, als Schwerinerin, als Ostdeutsche, aber ich habe eben auch einen großen Bezug zu meinem irakischen Wurzeln. So fühlen viele Menschen, dass sie sich nicht zwischen einer Identität entscheiden können und wir müssen uns auch gar nicht zwischen Identitäten entscheiden. Ich finde, das gehört zu einem modernen Einwanderungsland dazu." Trotz der teilweise aufgeheizten Migrationsdebatte, sieht Alabali-Radovan keine Spaltung der Gesellschaft.

    "Patriarchale Strukturen gibt’s auch beim Oktoberfest"

    "Völlig klar ist, wir müssen Migration ordnen und steuern", stellt die Migrationsbeauftragte klar. Allerdings kritisiert sie die Migrationsdebatte als aufgeheizt und teilweise populistisch. Ihr Kabinettskollege Cem Özdemir von den Grünen hat vor kurzem gefordert, es müsse über problematische Frauenbilder und patriarchale Strukturen von jungen Männern mit Migrationshintergrund geredet werden. Die Integrationsbeauftragte widerspricht im ARD Interview der Woche: "Ich finde, es geht insgesamt um patriarchale Strukturen, die wir ebenso in Deutschland erleben bei Menschen ohne Migrationsgeschichte. Ich denke da nur zum Beispiel ans Oktoberfest und was da manchmal so los ist." Bei der Integration müssten noch viele Hürden beseitigt werden. Für ihre kleine Tochter wünscht sich Alabali-Radovan: "Vor allem, dass sie die besten Chancen hat auf gute Bildung und ich glaube, das ist das, was sich alle Eltern wünschen, dass sie unabhängig von dem, was sie jetzt von ihrem Elternhaus mitbringen, unabhängig von ihrer Herkunft, von ihrem Namen, die Möglichkeiten hat, das bestmögliche Bildungssystem zu genießen."

    "Ich stehe an der Seite der Jüdinnen und Juden und auch an der Seite der Palästinenserinnen und Palästinenser"

    In wenigen Tagen jährt sich der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel – eine Zäsur, sagt die Integrationsbeauftragte. "Für mich gibt es keine Seite, zu der man sich stellen muss, sondern es geht um Menschenwürde", sagt Alabali-Radovan im Interview der Woche. Sie betont, dass Antisemitismus strafrechtlich verfolgt werden muss und wird. Dass der Konflikt teilweise mit Gewalt und Hass auf deutsche Straßen getragen wird, kritisiert sie, warnt aber zugleich davor, alle Demonstranten unter Generalverdacht zu stellen: "Antisemitismus geht auf solchen Demonstrationen überhaupt gar nicht. Es muss aber auch eben einen Raum geben für Menschen, wo sie auf das Leid der Menschen in Gaza oder in der Region hinweisen dürfen." Alabali-Radovan setzt auf den Dialog mit Juden und Muslimen.
    4 October 2024, 10:19 am
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