Treffpunkt Klassik

Südwestrundfunk

Hier dreht sich alles um Klassik: Wir sprechen mit Künstler*innen, berichten über Konzerte und Festivals im Sendegebiet, kommentieren aktuelle Ereignisse im Musikleben, und stellen neue Musik vor.

  • 15 minutes 50 seconds
    Doris Blaich über den "Soundtrack" zur Stuttgarter Carpaccio-Ausstellung
    Ein Stück Venedig in Stuttgart: ab dem 15.11. zeigt die Staatsgalerie Stuttgart eine neue Ausstellung: „Carpaccio, Bellini und die Venezianische Frührenaissance“. Der Maler Vittore Carpaccio steht im Zentrum. Wie üblich gibt’s zur Ausstellung einen Audioguide, und darauf hört man neben Kommentaren zu den Bildern auch passende Musik. Die hat der SWR in Kooperation mit der Staatsgalerie extra für diese Ausstellung aufgenommen: man kann also mit dem Soundtrack der Renaissance durch die Ausstellung flanieren. Doris Blaich ist als Musikredakteurin verantwortlich für diese Aufnahme und erzählt mehr darüber.
    14 November 2024, 9:05 am
  • 5 minutes 4 seconds
    Dancing Queen im Mittelalter-Jahrmarkt-Sound: Die Lautten Compagney Berlin interpretiert ABBA

    Weltbekannte Melodien

    Es gibt musikalische Phrasen und Motive, die erkennt man sofort. Die ersten Takte aus Beethovens 5. Sinfonie gehört dazu, genauso der Beginn von Johann Sebastian Bachs d-Moll-Toccata oder das „Halleluja“ aus Händels „Messias“, oder die ersten Takte von ABBAs Gimme! Gimme! Gimme! Die melodischen Wendungen, Harmoniefolgen und rhythmischen Akzente sind so sehr ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, dass man nicht einmal mehr den spezifischen Sound des Originals braucht, um sofort zu verstehen. Geschrieben von Benny Andersson und Björn Ulvaeus im Jahr 1979 – dem Jahr der ersten Welt-Klima-Konferenz, der beginnenden Anti-Atom-Proteste, der Gründung der Grünen und Ersterscheinung der taz. Die Schwedin Agnetha Fältskog singt darin von ihrer Einsamkeit und dass sie sich einen Mann wünscht – auf dem Album spielt Asya Fateyeva ihren Part auf dem Saxofon, begleitet von der Lautten Compagney Berlin unter Leitung von Wolfgang Katschner.

    Erfolgsgarant Poparrangements

    Klassiker aus Pop- und Rockmusik für barocke Besetzung oder anderweitig klassisches Ensemble zu arrangieren, ist kein revolutionärer Akt. Das haben vor der Lautten Compagney und Asya Fateyeva schon Hunderte gemacht, es gibt ganze Veranstaltungsreihen, -Orte, Verlage, Formate, Kollektive und Einzelkünstlerinnen und -Künstler, die sich genau das als Profil auf die Fahnen geschrieben haben. Meistens sind sie damit extrem erfolgreich – die Night of the Proms, Luciano Pavarotti oder David Garrett sind da vielleicht die prominentesten Beispiele. Geht es hier also darum die Streamingzahlen hochzutreiben und sich neues Publikum zu erschließen?

    Rameau liefert musikalisches Gegengewicht

    Im Booklet zum Album heißt es, die Idee kam vom Lautten-Compagney-Arrangeur und -Cellist Bo Wiget – er „wollte gern ABBA-Songs machen“. Um damit allerdings nicht ästhetisch in der Luft hängen zu bleiben, hat sich das Ensemble zu einer Kombination entschieden: ABBA mit einem Gegengewicht daneben. Die Musik von Jean Philippe Rameau steht ABBA deshalb auf dem Album nicht wegen vermeintlicher innermusikalischer Ähnlichkeiten gegenüber – sondern weil Rameaus Werke „sehr artifiziell, aber auch exaltiert und avantgardistisch [sind]“, weil sie für damalige Ohren am Hofe Ludwigs XIV. tänzerischer und individueller klangen als alles Vorherige.

    Freude beim Muszieren und Zuhören

    In ihrer Interpretation machen die Musikerinnen und Musiker der Lautten Compagney keinen Unterschied zwischen den schillernden und farbenreichen Instrumentalsätzen Rameaus und der einfacher gestrickten Musik der schwedischen Popgruppe. Dazu muss man aber sagen, dass Bo Wigets Arrangements manchen der Rameau-Orchestrierungen in nichts nachstehen – in seiner Fassung des Hits „Mamma Mia!“ etwa arbeitet er mit kontrapunktischen Elementen in der Begleitung, individuellen Soli einzelner Stimmen und improvisatorisch anmutender Klanggestaltung. Man merkt den Musikerinnen und Musikern, genau wie der Solistin Asya Fateyeva, an, dass sie anscheinend große Freude an diesem Experiment haben – und das offenbar kein bisschen weniger als am täglich Wasser und Brot Rameau.

    „Macht Spaß“

    Mit ihrem Album erweitern Fateyeva und die Lautten-Compagney das abgegrast scheinende Feld des Klassik-Pop-Crossovers um eine kleine Blumenwiese in der Ecke. Die Arrangements erlauben an vielen Stellen die so überbekannten Melodien noch einmal neu zu hören, ohne dabei ihren Gehalt künstlich zu überhöhen. Selbst das hüpfende four-to-the-floor mancher Arrangements wird dadurch nicht peinlich, und das ist vielleicht die größte ästhetische Leistung: Das Album macht Spaß, weil es gar nicht groß in die Interpretationsgeschichte eingehen will. Es nimmt sich selbst nicht so ernst. Warum nicht auch mal etwas Spaßiges machen in einer Welt, die immer gewaltvoller wird? Irgendwo muss die Energie zum Weitermachen ja herkommen. Diese Musik ist leicht und luftig, virtuos arrangiert und interpretiert. Die möglicherweise intendierten explodierenden Streamingzahlen seien also von Herzen gegönnt.
    14 November 2024, 9:05 am
  • 6 minutes 17 seconds
    Klaus Huber zum 100. Geburtstag – „Alles ist Transzendenz“

    Transzendenz

    War Klaus Huber in einem Konzert anwesend – und das war er häufig – wusste man das sofort. Sein üppiges weißes Haar leuchtete von weitem, und für viele verband sich damit unwillkürlich ein Gefühl der Achtung und des Respekts. Das hing womöglich mit Klaus Hubers irgendwann enormer Lebenserfahrung zusammen; er wurde fast 93 Jahre alt. Mit Preisen wie dem Ernst von Siemens Musikpreis geehrt, kannte er vieles und viele und blieb bis ins hohe Alter präsent in der Neuen Musik. Vielleicht waren es aber auch Klaus Hubers tiefer und ernster Humanismus und das unermüdliche Bemühen um die Verbesserung der Welt, um das Überwinden kultureller Grenzen und politischer Ungerechtigkeiten, die diesen Respekt abverlangten. Religion und Spiritualität gingen mit dieser Mission für Klaus Huber Hand in Hand. Eine Musik ohne Transzendenz kann ich mir nicht vorstellen. Aber noch weniger eine Menschheit ohne Transzendenz.

    Quelle: Klaus Huber, Schweizer Komponist

    Schlüsselfigur in Freiburg

    Geboren wurde Huber 1924 in Bern, er arbeitete zuerst als Lehrer und studierte dann Komposition bei Willy Burkhard in Zürich und bei Boris Blacher in Berlin. Musikvermittlung war ihm wichtig, lange bevor das Wort in Mode kam. 1969 gründete er das nicht nur in der Schweiz berühmt gewordene Komponistenseminar in Boswil. Von 1973 bis 1990 lehrte er an der Freiburger Musikhochschule Komposition. In dieser Zeit zählten nicht nur Brian Ferneyhough, Toshio Hosokawa, Kaja Saariaho, Wolfgang Rihm, Hans Wüthrich oder Younghi Pagh-Paan zu seinen Schülern und Schülerinnen. Klaus Huber belebte das einige Jahr zuvor gegründete Institut für Neue Musik mit einer Energie, die lange nachwirkte. Einige der ersten professionellen Neue-Musik-Ensembles gingen daraus hervor wie das Ensemble Recherche oder das Ensemble Aventure. Internationale Karrieren von Komponierenden oder Instrumentalisten bekamen hier ihre Impulse. Eine Station in Freiburg im Breisgau gibt es nicht zufällig in erstaunlich vielen, heute prominenten Neue-Musik-Lebensläufen.

    Unterdrückung und Befreiung

    Klaus Huber war stolz darauf, dass, wie er sagte, niemand aus seinem großen Schüler:innenkreis ähnlich oder gar ähnlich wie Klaus Huber komponierte. Er selbst zeigte sich von musikalischen Avantgarde-Strömungen und Trends wenig beeindruckt. Dafür beobachtete er genau die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in der Welt. Immer wieder hat er sich auch verbal mit klaren Statements eingemischt. Unterdrückung und Befreiung waren Eckpunkte seiner Weltsicht und auch seiner Musiksprache. Musikalisch interessierten ihn außerdem verschiedenste historische oder kulturelle, besonders auch interkulturelle Phänomene, denen er akribisch nachspürte. So entdeckte er in den 1990er Jahren die Mikrotonalität in der arabischen Musik für sich und entwickelte daraus ein eigenes System mit Sechstelton-Abständen. Unermüdlich warb er für das kritische Über-den-eigenen-Horizont-Hinausblicken, und er konnte dabei beinahe schelmisch argumentieren, mit Selbstironie und mit überraschenden Perspektiv-Wechseln.

    Kann Musik Frieden schaffen?

    „Quod est Pax? Was ist Frieden?“ heißt ein Werk für Stimmen, arabische Schlaginstrumente und Orchester, das 2007 in Donaueschingen uraufgeführt wurde. Die Texte darin stammen u.a. von Jacques Derrida, Octavio Paz und Simone Weill. Huber lässt sie gleichsam miteinander diskutieren – und mischt sich auch selbst mit Worten ein.  Kurz darauf war Klaus Huber in Bremen Ehrengast eines interdisziplinären Symposiums mit dem Titel „Den Frieden komponieren?“ Auch hier war Huber ein kritischer Gast. Wenn ich zum Beispiel in einer Diskussion „Musik und Frieden“ dann höre, dass jemand sagt „kann denn die Musik Frieden schaffen“, [...] so ist es natürlich eine Vereinfachung, die nicht geht. Denn es kann eine Musik für den Frieden da sein. Aber [um] ihn zu schaffen, ist sie nicht erfunden worden.

    Quelle: Klaus Huber über Musik und Frieden

    Dass die weltpolitischen Themen, die ihn zeitlebens und bis ins hohe Alter umtrieben, heute so aktuell sind und die Menschheit mitnichten irgendetwas dazugelernt zu haben scheint – das hätte Klaus Huber vermutlich auch noch an seinem 100. Geburtstag im Innersten verärgert – und zugleich angetrieben, weiter zu sprechen und zu komponieren.
    13 November 2024, 9:05 am
  • 5 minutes 35 seconds
    Annette Hölzl: Warum ein Papst die Rockmusik erfunden hat

    Wie macht man klassische Musik spannend?

    Das Problem an Vorurteilen ist, dass sie sich verselbstständigen. Dass sie sich wie Plastikmüll im Ozean unseres kollektiven Geistes verteilen und dort herumschwimmen, und wenn man nicht schnell genug handelt, dann zersetzen sie sich und verschmelzen nahezu untrennbar mit dem sie umgebenden gigantischen blauen Ökosystem. Wie will man dem entgegenwirken? Wie fischt man historische Mikropartikel aus dem diskursiven Meer, wie überzeugt man etwa Menschen davon, klassische Musik nicht per se langweilig, sondern ganz toll zu finden?

    Eine anekdotische Geschichtswanderung

    Annette Hölzl versucht es in ihrem Buch mit einer Art neuem Framing: Schaut her, die vermeintlich biedere „E“-Musik und die coole, junge „U“-Musik hängen doch eigentlich immer schon zusammen! Die Chorknaben des Thomanerchors haben zu Beginn des 14. Jahrhunderts doch auch die „Spielleute auf dem Marktplatz“ gefeiert! Die berühmten „four chords“ aus der Popmusik sind schon Tausende von Jahren alt und kommen aus dem alten Griechenland! Und übrigens kann man Wolfgang Amadeus Mozart schon auch irgendwie mit Michael Jackson vergleichen, weil sie beide ähnliche Lebensläufe hatten und sehr berühmt waren! Kann das funktionieren? Die Autorin beginnt ihre Ausführungen im Jahr 600 v. Chr. und bewegt sich davon ausgehend mittels Anekdoten, teils fantasierter Szenenbeschreibungen und musiktheoretischer Schlaglichter durch die musikhistorischen Epochen. Dabei handelt sie grob die grundlegenden Inhalte einer Musikgeschichtsvorlesung ab: von ars antiqua und ars nova zum Quintenzirkel, vom Pythagoreischen Komma zur temperierten Stimmung, vom Tetrachord und den Kirchentonarten zu Dur und Moll, natürlich altes Griechenland, altes Rom, Notre-Dame, Renaissance, Barock und Romantik, dazu die bekannten Namen – es abendländelt.

    Ein Potpourri an Namen

    Bei dieser inhaltlich standardisierten Nacherzählung zieht Hölzl aber immer wieder Vergleiche zu moderneren Phänomenen und Entwicklungen, zu zeitgenössischer Sprache und populären Genres. Da stehen dann Bach und Carl Orff in einem Satz mit Deep Purple, und aus einem „Ostinato“ wird auch mal ein „Loop“. Das ist oft nichts Neues, ab und zu lustig und manchmal absurd weit hergeholt. Aber in einzelnen Fällen wird es peinlich: „Und dann entdeckt Pythagoras auch noch die Quarte. Sie erklingt mit der lockersten Saite im Verhältnis 6:8, also 3:4.[… Die] Proportionen seiner Intervalle […] mit den Schwingungsverhältnissen 1:2:3:4, also Grundton, Oktave, Quinte und Quarte[,] gelten in der Antike als Weltformel für Harmonie und Ordnung, die sich auf sämtliche Bereiche des Lebens und Wissens übertragen lassen. Damit hat Pythagoras auch den Blues entdeckt! Denn etwa 2500 Jahre später besteht die Harmoniefolge des einfachen Blues aus genau diesen Intervallen.“ Natürlich hat Pythagoras nicht den Blues entdeckt, genauso wenig wie Christopher Kolumbus Amerika entdeckt hat oder Isaac Newton die Mondrakete. Der im Titel des Buches versprochene Papst hat auch nicht die Rockmusik „erfunden“, sondern Hölzls Ausführungen zufolge durch ein Verbot mehrstimmiger Musik bewirkt, dass für gewisse Zeit in den Kirchen wieder nur Grundton, Quarte und Quinte zu hören waren – wie, grob gesagt, in vielen Rock-Klassikern auch.

    Gut gemeint doch stellenweise unangenehm

    An dieser Stelle kommen wir zu einem grundsätzlichen Problem des Buches: Annette Hölzl möchte einer jüngeren Generation die klassische Musik nahebringen und passt dafür ihre Sprache und die Struktur und Aufmachung des Buches entsprechend an. Die Sätze sind kurz und sprechsprachlich, es gibt Ausrufe wie „Wow!“ und „Aha!“ und ein paar Anglizismen, daneben stehen Bilder und QR-Codes, die zu YouTube-Videos führen.  Das ist alles gut gemeint und in der Form auch stringent umgesetzt. Allerdings entstehen dabei immer wieder inhaltliche Verkürzungen, falsche Übersetzungen und Behauptungen und leider auch schlimme Stereotype, gegen die die Autorin eigentlich ins Feld ziehen wollte: Da werden alte, längst widerlegte Leiern wieder hochgeholt, wie die von Mozarts vermeintlicher Erzfeindschaft mit Antonio Salieri – und immer wieder finden sich wirklich unangenehm zu lesende Passagen etwa über Rap-Konzerte voller „hipper“ junger Leute, die Sneaker tragen und „Löcherjeans“, dazu „trendy Uhren, Ringe und Tattoos“ und die angeblich Sätze zueinander sagen wie: „Bring das Thema back-to-the-garage und dann noch was Disruptives rein! Wir sind die Game-Changer, wir denken out-of-the-box.“

    Keine Quelle für die Bachelorarbeit

    Das ist richtig schade. Denn Annette Hölzl hat durchaus einiges zu sagen. Im Buch finden sich nämlich neben dem vielen Cringe auch wirklich starke Passagen etwa zum Thema Talent, zu vermeintlicher Unmusikalität oder der Frage, wie jeder Mensch Musik hören lernen kann – und die Autorin liefert ein komplettes, erstaunlich solides Kapitel über den systematischen Ausschluss von Frauen aus der Musikgeschichte: „Nach der Barockzeit hat die Oper […] die Vernichtung der Frau zum Thema. Die männlichen Textdichter, männlichen Komponisten und männlichen Regisseure lassen die Frauen ab jetzt dafür. Büßen, dass sie angeblich die Gefühlswelt der Männer durcheinanderbringen. In den Opern werden sie besiegt, verraten, gedemütigt, verachtet, verkauft, verführt, misshandelt, verlassen, vergiftet und ermordet. […] In der Oper ist die Frau immer die Verliererin.“ Das Buch „Warum ein Papst die Rockmusik erfunden hat“ ist vielleicht eher als Konglomerat musikhistorisch inspirierter Anekdoten, Fantasien und Gedankenspiele zu lesen – aber nicht als verlässliche oder gar „wissenschaftliche“ Informationsquelle. Vielleicht schafft Annette Hölzl es ja trotzdem mit ihrem Text ein paar Plastikgegenstände aus dem Vorurteile-Meer zu fischen – selbst wenn sie gleichzeitig ein paar neue dazuschmeißt.
    13 November 2024, 9:05 am
  • 6 minutes 18 seconds
    Interkulturelle Brücken mit Musik schlagen – von Stuttgart nach Straßburg
    Das neueste Projekt von Trimum ist eine interkulturelle Brücke zwischen Strasbourg und Stuttgart: Trimum lud erstmals gemeinsam mit dem Festival „Les Sacrées Journées de Strasbourg“ ein zu Konzert und Workshop.

    Für eine friedliche Zukunft

    In den hohen hellen Räumen des Gemeindezentrums der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Stuttgart-West wird beim Projekt „Interkulturelle Brücke – Strasbourg und Stuttgart im Dialog“ fleißig geübt. Bürgerinnen und Bürger unterschiedlichen Glaubens, Herkunft und Nationalität beider Städte waren eingeladen sich aufeinander einzulassen, gemeinsam zu musizieren und so für eine friedliche Zukunft zu werben. Die Menschen, die aus verschiedenen Kulturbereichen kommen. Man redet nicht übereinander, sondern man lernt miteinander ein ganz einfaches Lied, wo jeder einstimmen kann, und man findet miteinander eine Harmonie. Man kommt auf die gleiche Wellenlänge. Also, das Musikalische, das macht ganz viel und vor allem ich merke auch jetzt heute, ich merke es an den Teilnehmern, man trifft sich vom Herzen her.

    Quelle: Gabriela Brandt, Teilnehmerin beim Workshop von Trimum

    Mehr Dialog

    Während in einem Raum leidenschaftlich gesungen wird, probt ein Stück weiter den Flur entlang das kleine Workshop-Orchester. Im Kreis sitzen sich die zehn Musikerinnen und Musiker gegenüber. Ferat Tunca von der Alevitischen Gemeinde Stuttgart spielt eine türkische Langhalslaute, die Bağlama. Den kulturellen Austausch mit den Musikerfreundinnen und Freunden aus Strasbourg findet er besonders wichtig.  Die Probleme entstehen ja dadurch, dass die Menschen eigentlich nicht im Dialog sind oder nicht miteinander reden. Und ich bin der Meinung, dass die Musik die beste Weltsprache ist, womit sich alle verständigen können.

    Quelle: Ferat Tunca, Mitglied der Alevitischen Gemeinde Stuttgart und Teilnehmer beim Trimum-Workshop

    Es wird geklatscht, gewippt und natürlich gesungen - der gut 30-köpfige Chor versprüht eine ganz eigene Energie und zeigt, dass das Konzept des Workshops auch in Stuttgart aufgegangen ist: Ein Zeichen für eine bessere, eine gemeinsam gestaltete Zukunft zu setzen.
    12 November 2024, 9:05 am
  • 6 minutes
    Licht in eine dunkle Zeit: Unplayed Stories – in 40 Fingers

    Der Schüler wird zum Freund

    Zwei Pianisten parallel an zwei Klavieren: Das ist immer eine brenzlige Situation. Besonders, wenn der eine der Lehrer ist und der andere der Schüler. Prachtvoll glitzernde Variationen in C-Dur für zwei Klaviere und ein Orchester wurden von Felix Mendelssohn-Bartholdy 1833 in Kollektivarbeit gemeinsam mit Ignaz Moscheles komponiert. Mendelssohn liebte und verehrte Moscheles. Er hatte als Kind, im Berliner Heim der Mendelssohn-Familie, mal ein paar Lektionen Klavierunterricht bei diesem gefeierten Wiener Virtuosen und „Prince des Pianistes“ genossen, gemeinsam mit Schwester Fanny. Und diese Liebe gründete auf Gegenseitigkeit. Felix ist mir wie aus dem Herzen geschnitten, ich möchte ihn Sohn, Freund, Meister nennen.

    Quelle: Ignaz Moscheles über Felix Mendelssohn in seinem Tagebuch

    Autograf wieder aufgetaucht – ein Wunder

    Ein Virtuosenfeuerwerk wie dieses, entstanden in aller Freundschaft – aber auch in aller Eile, innerhalb weniger Tage, als Auftragswerk für ein Wohltätigkeitskonzert in London: Das ist eine Rarität, so kurios wie ein Kalb mit zwei Köpfen. Moscheles und Mendelssohn haben das Stück damals auch Seite an Seite uraufgeführt. Das Autograph ist dann verloren gegangen. Überliefert war nur eine erheblich abweichende Fassung, uninteressant, nie gespielt. Aber jetzt ist die Originalhandschrift wieder da, aufgetaucht in der Rubinstein-Sammlung, in Petersburg. Solche Wunder gibt es, immer wieder. Und deshalb gibt es davon jetzt auch endlich eine Einspielung. Mit Alon Kariv und Tomer Lev vom israelischen Ensemble MultiPiano aus Tel Aviv. „Unplayed Stories – 40 Fingers“ heißt dieses neue Album. Zu deutsch:  „Nichtgespielte Geschichten für 40 Finger“. Lauter Ersteinspielungen sind da drauf.

    Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin leistet Unterstützung

    Und wo 40 Finger im Spiel sind, das sind nicht zwei Pianisten beteiligt, sondern vier. Das Kollektivstück vom Duo Mendelssohn/Moscheles ist nur eine der Geschichten, die hier von Multipiano ausgegraben wurden. Beinahe ebenso  verrückt ist die vom Grand Duo „Les Contrastes“ op.115. Komponiert von Moscheles für vier Pianisten an zwei Klavieren. Auf dem Album in einer neuen Version mit Orchester. Das ist vielleicht ein Getümmel!  Ignaz Moscheles hat hier eine der ersten „neobarocken“ Suiten überhaupt komponiert, mit Choralvariation, Kontrapunkt und Fuge. Total „up to date“ im Zeitalter des Historismus. Raffiniert, witzig, originell und ein großer Spaß. 

    Vierhändiges Spielen auf neue Stufe befördert

    Dass dieser vielgerühmte Pianist und Klavierpädagoge als Komponist nur Zweitrangiges fabriziert haben soll, dieses Vorurteil sollte endlich mal genauer überprüft werden. Hinreißend wird die versunkene Musik zurück ins Leben katapultiert vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und den vier Superpianisten aus Tel Aviv. Namentlich sind das: Berenika Glixman, Tomer Lev, Alon Kariv und Nimrod Meiry-Haftel. Sie haben mit ihrem Ensemble MultiPiano, gegründet 2011, schon etliche solche Schätze gehoben und mitgeholfen, die Kunst des Vierhändigspielens auf eine neue Stufe zu hieven. Das Album bringt Licht in jede dunkle Zeit. Alle vier Originalwerke auf diesem Album sind übrigens Ersteinspielungen. Auch die orchestrierte Fassung der von Franz Liszt arrangierte „Wanderer“-Fantasie nach Schubert. Und auch zwei Märsche von Schubert selbst, fürs Vierhändige komponiert – und ins Achthändige übertragen. Ein Album, das die Autorin dringend ans Herz legt!
    11 November 2024, 9:05 am
  • 9 minutes 9 seconds
    „Musik zum Teilen“ bei „Brot für die Welt“ – Gitarren statt Gewehre

    Ziegelherstellung, Metallbau und Gitarrenwerkstatt

    „Teilen“ ist bei Brot für die Welt schon seit dem Gründungsjahr 1959 ein zentraler Begriff. Spendenläufe, Brotbackaktionen oder eben Benefizkonzerte laden zum Teilen ein. Teilen der Zeit und Teilen der Einnahmen. Brot für die Welt ist ein Hilfswerk der evangelischen Landeskirchen Deutschland, somit ist die Musik nicht allzuweit entfernt, Kerstin Schlüter führt die Posaunen- und Gesangchöre als Beispiel an. Gesammelt wird für das Projekt „Gitarre statt Gewehre“. Hier wird ein Ausbildungszentrum in der Demokratischen Republik Kongo unterstützt, Opfer der Kämpfe finden hier eine Anlaufstelle. Neben Metallbau und Ziegelherstellung werden auch Gitarren gebaut.

    Gitarren statt Gewehre

    Schlüter erzählt von einem Jungen, der bereits mit 13 Jahren verschleppt wurde zum Kämpfen gezwungen wurde. Mit 18 fand er schließlich zu dem Ausbildungszentrum, schon kurz nach Betreten der Gitarrenbauwerkstatt war für ihn klar, dass er diesen Beruf erlernen möchte. Die Musik, so Schlüter, kann beim Überwinden der Traumata helfen. Das ist das große Ziel, dass diese Kinder, die traumatische Erfahrungen im Gepäck haben, begleitet werden bei der Ausbildung und darüber hinaus den Eintritt ins zivile Leben schaffen. Ein geregeltes Leben ohne Gewalt und dass sie von ihrem erlernten Beruf leben können, dass ihre Familien ernähren können.

    Quelle: Kerstin Schlüter, Referentin bei Brot für die Welt

    85% schaffen diesen Wandel, erklärt Schlüter. So auch Justin Bashimbe, von dem sie bereits erzählte (siehe Bild). Er hat eine Familie gegründet und ist selbst nun Ausbilder in der Gitarrenbauwerkstatt. Bei den Benefizkonzerten ist keine strikte Trennung zwischen Deutschland und Kongo zu verstehen, in der Vergangenheit gab es bereits Bemühungen, dass deutsche Musikerinnen zum Projekt vor Ort reisen. Mitmachen kann im Prinzip jeder Musiker und jede Musikerin, eine Anmeldung erfolgt über die Website. Eine besondere Patenschaft verkündet Schlüter im Gespräch: Die Bamberger Symphoniker sind 2024 Paten des Projekts.
    11 November 2024, 9:05 am
  • 8 minutes
    Gabriel Yoran über sein Buch „Schleichwege zur Klassik“

    Zugang über Metaphern

    Über den langsamen Satz aus Rachmaninows einziger Cellosonate kann man viel erzählen. Autor Gabriel Yoran beschreibt ihn so: „Diese vier Töne, wo Klavier und Cello miteinander um Harmonie ringen, das ist Liebe“. So bringt er mit einer prägnanten Metapher genau auf den Punkt, was er fühlt, wenn er diese Musik hört und ermöglicht anderen denselben Zugang. Das ist auch das zentrale Anliegen seines neuen Buches „Schleichwege zur Klassik“ und dazu braucht er keine abschreckende Fachterminologie. Man würde ja auch nicht jemandem den Weg in den Fußball über komplizierte Strategien ebnen, sondern dadurch, dass die Person mal einen Fußball in die Hand bekommt.

    Quelle: Gabriel Yoran, Unternehmer und Autor

    Zusammen mit dem Autor über Klassik staunen

    Yorans Buch ist daher kein typisches Sachbuch, sondern ein Spaziergang durch das Leben des Autors, der immer wieder über die Klassik staunt und unbedingt möchte, dass andere mit ihm staunen. Zu seinem Ansatz mit den Metaphern hat ihn eine Begebenheit als Teenager gebracht. Seine Eltern, beide ehemalige Mitglieder des Radio-Sinfonieorchesters Frankfurt, haben beim Abendessen über die Proben für die Gesamtaufnahme aller Mahler-Sinfonien mit dem damaligen Chefdirigenten Eliahu Inbal berichtet. Und der meinte, dass bei Mahler selbst bei den schönsten Stellen, immer der Teufel um die Ecke schaue. Auf einmal war sein Interesse geweckt. Mein Eindruck war, wenn man eine Metapher hat, dann hat man auch eine Brille, durch die man sich ein Werk anschauen kann.

    Quelle: Gabriel Yoran, Unternehmer und Autor

    Diese Brille liefert Yoran in seinem Buch für viele Musikbeispiele, die man sich per QR-Code auch sofort anhören kann und die viel Freude an klassischer Musik vermitteln.
    8 November 2024, 9:05 am
  • 6 minutes
    Philippe Jaroussky mit Liedern von Schubert – Ein missglücktes Wagnis des Countertenors

    Düsterer Herbst

    So viel Herbst kann wohl nur Franz Schubert komponieren. Der Countertenor Philippe Jaroussky und der Pianist Jérôme Ducros bieten mit „Herbst“ ein düsteres Schubert-Lied nach Ludwig Rellstab. Alles welkt, sinkt dahin, vergeht, die Natur, die Liebe, das Leben. Beim Hören fragt man sich: Kennen die beiden Interpreten solches Weh- und Weltenklagen – oder genügen ihnen die Sechzehntel-Winde im Klavier und das dräuende Moll?

    Farblos und wächsern und ein Mühen um korrekte Aussprache

    Jaroussky ist ein Star der Alten Musik, man schätzt ihn als stilsicheren Opern- und Oratoriensänger. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich nun Liedern zuwendet – und es ist nicht das erste Mal, dass er auf Deutsch singt. Beides ist leider noch keine Gewähr dafür, dass das bei Schubert klappt. Jarousskys Countertenor klingt auf diesem Album seltsam farblos, wächsern, als fände er seinen stimmlichen Fokus nicht. Beim längeren Hören macht einen das fast schwindelig. Und so sehr der Franzose sich um die korrekte Aussprache bemüht, so sehr merkt man ihm dieses Bemühen an. Besonders bei den schnelleren Liedern, im „Musensohn“ zum Beispiel.

    Sieben Strophen ohne Entwicklung

    Es ist sicher unfair, einem Nicht-Muttersprachler im Deutschen aspirierte Vokale oder falsche Silbenlängen vorzuwerfen – bei Schubert aber kann das stören. Es stört, weil es musikalisch auf diesem Album wenig gibt, das aufhorchen lässt. Jérôme Ducros, der Pianist, spielt solide, setzt aber kaum eigene Impulse. Und Jaroussky vertut die Chance, die in seiner Stimmlage und seinem Timbre liegt – die Chance, Schubert aus der Identifikationsfalle zu befreien, ihn zu objektivieren, gerade was das Rollenspiel der Geschlechter angeht. In „Des Fischers Liebesglück“ blitzt das ein bisschen auf. Ganz schön und ganz innig klingt die Atmosphäre hier. Nur leider klingen alle sieben Strophen gleich. Es gibt keine Entwicklung, keine Verdichtung oder Steigerung. Als kennten Jaroussky und Ducros nur einen Schubert-Ton – und der ist elegisch.

    Allem in allem leider enttäuschend

    Philippe Jaroussky ist jetzt 46 Jahre alt. Kein Alter für einen Sänger. Oder für einen Counter vielleicht doch? Es scheint, es fehle ihm die Leichtigkeit, die er früher hatte, in der Höhe muss er öfter neu ansetzen, längere Bögen machen ihm Mühe. Zwei bis drei Sterne für dieses Album. Drei, weil es Mut braucht, um sich an so viele so bekannte Schubert-Lieder zu wagen; und zwei, weil Mut leider nicht alles ist.
    7 November 2024, 9:05 am
  • 4 minutes 32 seconds
    Der deutsch-japanische Chor „Der Flügel“ aus Karlsruhe

    Multilinguales Stimmengewirr bei den Proben

    Mittwochabend, 19 Uhr im Gemeindehaus der Matthäuskirche Karlsruhe: Der Saal, in dem der deutsch-japanische Chor „Der Flügel“ probt, liegt etwas versteckt neben dem Eingang der Kirche. Kaum ein Mensch ist in der feuchten Herbstkälte auf den Straßen des umliegenden Wohnviertels unterwegs.  Im Gemeindesaal herrscht jedoch reges Treiben. Ein multilinguales Stimmengewirr und Gelächter füllen den Raum, während Chorleiter Makitaro Arima alles für die Probe vorbereitet.

    Mitglieder aus der ganzen Welt

    Man könnte meinen, dass in dem Chor vor allem Japaner und eben Deutsche mitwirken, doch so ist es nicht. Die Mitglieder stammen aus der ganzen Welt, z.B. aus Frankreich, Ungarn, den USA oder sogar Ägypten. So International der Chor aufgestellt ist, so international ist auch sein Liedgut. Als Deutsch-Japanischer Chor singen sie vor allem japanische Lieder – besonders Volkslieder, und solche, die einen deutschen Text haben. Aber auch Eigenkompositionen sind in ihrem Repertoire.

    „Der Flügel“ singt deutsch-japanische Kinderlieder

    Japanisch singen? Kein Problem

    Auf Japanisch zu singen, klingt zunächst komplex, doch die Aussprache übt Makitaro Arima vorher mit seinen Sängerinnen und Sängern. Die Chormitglieder lernen den Text größtenteils durchs Nachsprechen. Wirklich Japanisch können muss niemand.    Wir haben eine Art Lautschrift und der Text wird eingeübt. Dann ist das kein Problem.     

    Quelle: Deutsches Chormitglied über das Singen auf Japanisch

    Absolutes Highlight: Eine Japantournee

    Doch nicht nur die japanischen Lieder gehören zum Chor. Neben verschiedenen kulturellen Veranstaltungen, wie dem japanischen Neujahrsfest Shinnenkai, das der Chor jedes Jahr feiert, findet auch alle paar Jahre eine Japantournee statt. Konzerte und Übernachtungen in japanischen Familien sorgen für eine besondere Art des kulturellen Austausches. Ein Highlight für die Chormitglieder. Es ist so schön, wenn die Leute Freude an unserem Gesang haben.

    Quelle: Amerikanisches Chormitglied über seine Japanerfahrungen

    Abwechslung im Programm

    Trotz ihres sehr japanischen Schwerpunkts singt der Karlsruher Chor nicht nur japanische Werke. Im Moment bereiten sie sich auf eine Konzertreihe vor. Zusammen mit drei anderen Chören aus Deutschland und Japan singen sie in den kommenden Wochen das Requiem op. 9 von Maurice Duruflé. Das ist eine willkommene Abwechslung im Programm. Doch sobald die Konzerte vorbei sind, kehren sie wieder zum Chorgedanken, ihren japanischen Wurzeln zurück.
    5 November 2024, 9:05 am
  • 5 minutes 57 seconds
    Album-Tipp – Alexander Lonquich spielt Beethovens Klavierkonzerte: „Eine Bereicherung“

    Das zweite Konzert steht am Beginn

    Diese neue Edition der fünf Klavierkonzerte von Ludwig van Beethoven hält sich an die Reihenfolge ihrer Entstehung. Daher steht das zuerst komponierte zweite Konzert am Beginn. Und schnell wird klar: Das Münchner Kammerorchester wird seinem Namen gerecht. Abwechselnd treten einzelne Solostimmen hervor – im besten Sinne kammermusikalisch.  Dann schaltet sich erstmals der Solist ein, Alexander Lonquich. Sein Ansatz verrät, dass für ihn der junge Beethoven in der unmittelbaren Nachfolge Mozarts steht: Lonquichs Spiel klingt in erster Linie leicht und gesanglich. Munter geperlt folgt ein erster Triller.

    Hörprobe aus dem fünften Konzert

    Sehr transparente Interpretation

    Schon dieser erste Satz aus dem B-Dur-Konzert macht klar: In dieser Aufnahme wird viel Wert auf Transparenz gelegt, auf ein wachsames Aufeinander-Hören und Aufeinander-Einwirken. So auch im Finale: Das einleitende Kuckucks-Motiv gehört erst dem Klavier, dann antwortet das Orchester, das diesem Kuckuck-Klang ein markant-signalhaftes Bohren beimischt, vor allem in der Hornstimme.   Man kann diese Aufnahme als „ausgeglichen“ bezeichnen – doch sollte man diesen Begriff nicht verstehen im Sinne von „berechenbar“ oder „eintönig“. An vielen Ecken lauern Überraschungen oder Details, etwa weil Alexander Lonquich etliche Phrasen, und seien sie noch so kurz, schön ausklingen lässt. Belcanto am Klavier.

    Aufnahmetechnisch nicht optimal

    Allerdings scheint mir das Klavier aufnahmetechnisch nicht auf ganz optimale Weise eingefangen. Ein Bild im Beiheft verrät: Der Flügel steht zwar vor dem Orchester, aber schräg nach vorn gewinkelt und mit zwei Dritteln der Orchestermusikerinnen und -musiker im Rücken des Solisten. Ob das der Grund für einen minimal distanziert wirkenden Klavierklang ist? Schade, zumal Alexander Lonquich uns einige poetisch-leise Geheimnisse mitzuteilen hat. 

    Originelle Momente

    Spätestens mit dem dritten Klavierkonzert emanzipiert sich Beethoven von allen möglichen musikalischen Vorbildern. Mit einer scheinbar simplen Tonleiter hebt das Klavier an – nach einem ungewöhnlich langen Orchestervorspiel. Diese dreifache Tonleiter darf aber nicht wie eine Etüde klingen, sondern muss wachrüttelnd wirken. Lonquich arbeitet diesen Gestus heraus, möchte uns aber auch nicht überrumpeln.  Die Originalität dieser Aufnahme zeigt sich besonders zu Beginn des vierten Konzerts, bei dem das Klavier solo mit einem Akkord beginnt. Doch Lonquich fächert diesen Akkord auf zu einem Arpeggio. Das macht insofern Sinn, als die erste Einheit dieses Akkord-lastigen Beginns mit einem Lauf endet: Als solle sich mit diesem Arpeggio hier und dem Lauf dort, auf engstem Raum ein Kreis schließen.  Auf diesen lyrischen ersten Satz folgt ein schroffer Dialog zwischen Orchester und Klavier: „Andante con moto“ – mit Bewegung eben: Gemeint ist eine innere Bewegtheit, die in dieser Aufnahme eindringlich zur Geltung kommt. 

    Keine Revolution, aber viele spannende Stellen

    Man wird in dieser neuen Aufnahme der fünf Beethoven-Konzerte mit dem Münchner Kammerorchester und Alexander Lonquich keine revolutionär neue Sichtweise erkennen. Das muss auch nicht sein. Dafür liefert sie an vielen Stellen spannende Beobachtungen, die nicht zuletzt vom konstant intensiven Miteinander zwischen Orchester und Solist geprägt sind. Eine in sich geschlossene, auf jeden Fall lohnende Bereicherung des nicht gerade schmalen Katalog-Angebots bei diesen Werken.
    5 November 2024, 9:05 am
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