Sternengeschichten

Florian Freistetter

Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie.

  • 11 minutes 56 seconds
    Sternengeschichten Folge 634: Die Säulen der Schöpfung
    Astronomie trifft Ästhetik

    Sternengeschichten Folge 634: Die Säulen der Schöpfung

    "Säulen der Schöpfung" klingt ein bisschen nach Religion. Und tatsächlich stammt der Begriff aus einer Predigt, die der britische Pastor Charles Haddon Spurgeon im Jahr 1857 gehalten hat. Ich will in dieser Folge aber nicht über Religion reden, sondern natürlich von Astronomie. Um "Schöpfung" wird es aber trotzdem gehen. Als "Säulen der Schöpfung" oder auf englisch als die "Pillars of Creation" wird einerseits ein astronomisches Bild bezeichnet und andererseits auch das Objekt, das auf dem Bild zu sehen ist. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr dieses Bild alle schon einmal gesehen habt. Es ist eines der bekanntesten astronomischen Bilder, das weit über die reine Wissenschaft hinaus populär geworden ist. Ihr könnt gerne den Podcast kurz pausieren und nachsehen, wie die "Säulen der Schöpfung" aussehen und dann werdet ihr wahrscheinlich sofort sagen "Ah, ja - das Ding!"

    Also: Um was geht es? Die "Säulen der Schöpfung" sind circa 7000 Lichtjahre weit von der Erde entfernt und befinden sich im "Adlernebel". Das ist ein sogenannter "Emissionsnebel", also eine große Wolke aus Gas, zwischen den Sternen, die vom Licht der Sterne zum Leuchten angeregt wird. Und es gibt dort deswegen Sterne, deren Licht die Wolke zum Leuchten anregen kann, weil solche Wolken genau die Orte sind, wo aus dem interstellaren Gas neue Sterne entstehen. Der Adlernebel ist ungefähr 20 Lichtjahre groß und die Sterne, die dort leuchten sind vergleichsweise jung, nur ein paar hunderttausend Jahre alt.

    Den Adlernebel hat man schon im Jahr 1745 entdeckt; der Schweizer Astronom Jean-Philippe de Chéseaux hat ihn damals beobachtet. Unabhängig von ihm hat ihn auch der französische Astronom Charles Messier als Objekt Nummer 16 in seinen berühmten Messier-Katalog aufgenommen, weswegen der Adlernebel auch die Bezeichnung M16 trägt. Von den "Säulen der Schöpfung" hat man damals aber noch nichts gewusst. Den ersten Hinweis darauf hat der amerikanische Astronom John Charles Duncan gefunden, als er den Adlernebel im Jah 1920 beobachtet und dabei seltsame, dunkle Strukturen entdeckt hat. Weil sie so komisch "schlauchartig" ausgesehen haben, hat man sie "Elefantenrüssel" genannt. Wirklich im Detail hat man sie aber erst sehen können, als im Jahr 1995 das Hubble-Weltraumteleskop diese Region im Weltall fotografiert hat. Und dann war die Astronomie und der Rest wirklich enorm beeindruckt, was da zu sehen war. Ich mache es aber ein wenig spannend, und wir schauen uns jetzt erstmal an, wie das Bild zustande gekommen ist.

    Verantwortlich für diese Aufnahme waren die amerikanischen Astronomen Jeff Hester und Paul Scowen und das, was das Weltraumteleskop zur Erde geschickt hat, war auf den ersten Blick nicht sonderlich beeindruckend. Ein schwarzer Blob vor einem grauen Hintergrund, mit jeder Menge weißer "Kratzer" überall am Bild verteilt. Aber so ist das in der Astronomie immer; die Rohdaten die man bei einer Beobachtung bekommt, sehen selten so beeindruckend aus, wie die Bilder, die man daraus erstellen kann. Die ganzen "Kratzer" sind zum Beispiel die Spuren, die die kosmische Strahlung auf den Detektoren eines Teleskops hinterlässt. Die kann man aber leicht durch entsprechende Bildbearbeitung entfernen. Dann hat man einen schwarzen Blob ohne Kratzer und er ist deswegen schwarz, weil die digitalen Kameras ja keine Farben aufnehmen können. Sie messen einfach nur die Intensität der Strahlung und fertig. Wenn man Farben haben will, muss man sich ein wenig mehr anstrengen.

    Schauen wir dafür noch einmal zurück zum Adlernebel. Ich habe zu Beginn gesagt, dass das eine Gaswolke ist, die zum Leuchten angeregt wird. Im Detail funktioniert das so: Bestimmte Atome - zum Beispiel Sauerstoff - können angeregt werden, wenn vom Sternenlicht der Umgebung genug Energie übertragen wird. Solche angeregten Atome geben diese Energie aber schnell wieder ab, und zwar in Form von Licht bei einer ganz konkreten Wellenlänge, die sich je nach Art des Atoms unterscheidet. Deswegen leuchten diese Emissionsnebel auch so bunt: Jede Art von Atomen, die sich dort befinden, senden ihr eigenes Licht aus. Bei der Beobachtung kann man jetzt bestimmte Filter verwenden, die nur Licht mit der Wellenlänge eines dieser Atome durchlassen und das dann später passend farblich darstellen. Im Fall des Hubble-Teleskops und des Adlernebels hat man drei unterschiedliche Filter verwendet. Einer hat das Licht der Wasserstoffatome durchgelassen, einer das von Schwefelatomen und einer das von Sauerstoff. Entsprechend der Farben dieses Lichts hat man das Wasserstoffbild in Grüntönen, das Schwefelbild in rötlicher Farbe und das Sauerstoffbild in Blau eingefärbt und alle drei zu einem einzigen Bild kombiniert. So ist das fertige Bild der "Säulen der Schöpfung" entstanden und ich sage der Vollständigkeit halber noch dazu, warum auf diesem Bild die obere rechte Ecke komplett schwarz ist: Das liegt daran, dass man nur drei der vier Kameras von Hubble verwendet konnte, weil eine mit einer zu geringen Auflösung gearbeitet hat.

    So. Jetzt haben wir ein fertiges Bild. Darauf zu sehen ist ein Weltraum, der grün/bläulich leuchtet, mit ein paar rötlich scheinenden Sternen. Dominiert wird das Bild aber von drei dunklen Säulen, die sich dramatisch in die Höhe recken. An ihren Rändern leuchten sie hell, dazwischen sind sie rot-braun bis tiefschwarz. Ihre Form ist komplex: die höchste Säule, ganz links im Bild türmt sich aus unterschiedlichen Wolken nach oben und hat jede Menge Auswüchse an ihren Seiten. Die Säule in der Mitte hat viel glattere Konturen, ist viel dunkler und die kleinste Säule ganz rechts scheint sich irgendwie am unteren Ende aufzulösen, so als würde sie gerade dabei sein, ins Weltall davon zu fliegen.

    Das sind die "Säulen der Schöpfung" und dieser Name klingt nicht nur viel schöner als "Elefantenrüssel" sondern ist auch gar nicht so übertrieben. Was man dort sieht, ist tatsächlich Schöpfung: Dort entstehen neue Sterne - das hat man auch vorher schon gewusst. Aber die "Säulen der Schöpfung" haben dieses Prozess in einem Detailreichtum gezeigt, den man bis dahin nicht gekannt hat. Die Säulen sind einige Lichtjahre lang; sie erheben sich wie Stalaktiten in einer Höhle aus dichten Wolken, die vor allem aus Wasserstoff entstehen. In ihnen ist der Wassertoff dicht genug, damit daraus Sterne entstehen können. Auch das war bekannt. Was man in den Säulen der Schöpfung aber erstmals gesehen hat, waren "verdunstende gasförmige Globulen", auf englisch "evaporating gaseous globules" oder abgekürzt EGGs. Und vermutlich hat es irgendwer lustig gefunden, dass da EGGs, also "Eier" im Adlernebel sind, aber wir gehen jetzt nicht weiter auf den Humor (oder den Mangel davon) in der Wissenschaft ein. Diese EGGs kann man sich als sehr dichte Taschen aus Wasserstoffgas vorstellen. Darin entstehen Sterne, aber wir kriegen davon nicht viel mit, weil wir nicht durch das Gas und den Staub hindurch sehen können. Wenn jetzt aber in der Nähe junge und heiße Sterne existieren, dann schicken die auch sehr viel energiereiche Ultraviolettstrahlung ins All. Die kann das Gas der EGGs quasi verdampfen, das nennt man "Photoevaporation". Anders gesagt: Die Strahlung heizt das Gas auf, die Teilchen bewegen sich schneller als vorher und strömen von den Säulen hinaus ins All. Übrig bleibt nur der innere Kern der EGGs, die dichtesten Regionen aus Gas, in deren Inneren die Sterne dabei sind, zu entstehen.

    Schaut man sich die Säulen der Schöpfung ganz genau an, dann sieht man jede Menge dieser EGGs. Manche davon befinden sich an den Spitzen der aus den Säulen hinauswachsenden kleinen, fingerartigen Strukturen. Manchen haben sich schon abgelöst und schweben neben den Säulen im All. Diese Stadien der Sternentwicklung konnte man so detailliert vorher noch nicht beobachten. Und es ist ein wichtiges Stadium: Je mehr Gas durch die UV-Strahlung evaporiert wird, desto weniger kann zur Sternentstehung beitragen. Oder anders gesagt: Je schneller die EGGs vom Rest der Gaswolken in den Säulen getrennt werden, desto weniger Masse können sie haben.

    Aber woher wissen wir eigentlich, dass da so viel UV-Strahlung ist? Dafür ist der Schwefel gut. Ich habe vorhin gesagt, dass das Bild mit Filtern gemacht worden ist, die das Licht von Wasserstoff-, Sauerstoff- und Schwefelatomen durchlassen. Und der Schwefel scheint da irgendwie nicht ins Bild zu passen. Wasserstoff ist klar; das ist der Hauptbestandteil der interstellaren Wolken und der Sterne und eigentlich des ganzen Universums. Natürlich ist der auch dort zu finden. Sauerstoff ist auch noch nachvollziehbar; dieses Element wird im Inneren von Sternen durch Kernfusion erzeugt und nach ihrem Ende überall im All verteilt. Das selbe gilt aber auch für den Schwefel. Und Schwefel kann in der Astronomie als Indikator für UV-Strahlung verwendet werden. Die sehr starke UV-Strahlung junger Sterne kann den Schwefel auf ganz charakteristische Art anregen, was Licht mit einer ganz charakteristischen Wellenlänge verursacht. Deswegen sieht man die Sterne die sich auf dem Bild der Säulen der Schöpfung befinden, ja auch rötlich leuchten, aber das Schwefellicht ist vor allem wichtig, wenn man die Photoevaporation nachvollziehen will. Überall dort, wo viel UV-Strahlung auf die Gaswolken trifft, ist auch Schwefel und der fängt an, auf seine typische Weise zu leuchten. Wenn man dieses Licht gezielt beobachtet, kann man herausfinden, wie intensiv die UV-Strahlung wirklich ist und wie effektiv das Gas der Säulen dadurch verdampft wird.

    Die Säulen der Schöpfung sind also nicht nur Orte, wo wir direkt bei der Entstehung von etwas Neuem zusehen können. Die Säulen lösen sich auf; die Photoevaporation geht immer weiter. Das Gas kann auch durch Supernova-Explosionen in der Umgebung regelrecht weggepustet werden, was den Vorgang beschleunigt. Im Jahr 2007 hat man einige Hinweise gefunden, dass das vielleicht sogar schon passiert ist. Diese Beobachtungen sind aber umstritten, nicht umstritten ist, dass die Säulen der Schöpfung verschwinden werden. Das kann ein paar hunderttausend Jahre dauern oder ein paar hunderttausend Jahre mehr. Aber auch nicht recht viel länger - was aber trotzdem immer noch genug Zeit für uns ist, die Säulen der Schöpfung zu erforschen.

    Dem ersten Bild aus dem Jahr 1995 sind natürlich noch viele weitere gefolgt. Das Hubble-Teleskop hat selbst mit seiner später verbesserten Optik im Jahr 2015 nochmal hingeschaut. Das neuere James-Webb-Weltraumteleskop hat im Jahr 2022 ein Bild aufgenommen, das noch sehr viel mehr Details zeigt. Jedes Bild ist auf seine eigene Art wissenschaftlich wertvoll und wunderschön. Die "Säulen der Schöpfung" sind das beste Beispiel dafür, wie sich Astronomie und Ästhetik, Physik und Philosophie, Sterne und Spiritualität verbinden. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaft treffen auf die Erhabenheit des Universums. Die "Säulen der Schöpfung" berühren uns alle.

    17 January 2025, 6:00 am
  • 16 minutes 30 seconds
    Sternengeschichten Folge 633: Die Millenium-Simulation
    Das Universum im Computer

    Sternengeschichten Folge 633: Die Millenium-Simulation

    Warum sieht das Universum so aus, wie es aussieht? Warum sind die Galaxien in Galaxienhaufen organisiert, die in noch größeren Superhaufen organisiert sind, die wiederum die gigantischen Filamente bilden, die sich durch den ganzen Kosmos erstrecken und durch ebenso gigantische Leerräume voneinander getrennt sind? Das ist eine durchaus fundamentale Frage und eine die Forscherinnen und Forscher - zu Recht - beantworten wollen. Nur: Wie stellt man das an?

    Gut, man kann das Universum beobachten. Man kann die Positionen der Galaxien kartografieren und weil Licht, das aus großer Ferne kommt eine entsprechend lange Zeit unterwegs war und wir damit auch entsprechend weit in die Vergangenheit blicken können, können wir so auch vergleichen, wie das Universum früher im Gegensatz zu heute ausgesehen hat. Aber erstens ist das gar nicht so einfach, wie es klingt. Die kosmologische Kartografie ist ein enorm komplexes Vorhaben und wäre ein Thema für eine eigene Folge der Sternengeschichten. Aber auch die beste Kartografie zeigt uns nur einen Zustand und nicht den Prozess, der dazu geführt hat. Wir haben aber auch keine Möglichkeit, die Entwicklung des Universums "in echt" zu beobachten. Seit dem Urknall sind immerhin fast 14 Milliarden Jahre vergangen. Es bleibt nur noch eine Möglichkeit: Eine Computersimulation.

    Wir können die realen Beobachtungsdaten, die wir über den frühen Zustand des Universums haben mit den bekannten Naturgesetzen und den vermuteteten Hypothesen zur Entwicklung des Kosmos kombinieren, alles in einen Computer werfen und dann diesem Modell zusehen. Das ist natürlich ebenfalls deutlich komplexer, als es klingt, aber in diesem Fall ist das kein Thema einer zukünftigen Folge des Podcasts, sondern genau das, worum es diesmal geht. Oder genauer gesagt: Heute geht es um eine ganz besondere dieser kosmologischen Simulationen. Ich möchte von der "Millenium-Simulation" erzählen, deren Ergebnisse im Jahr 2005 veröffentlicht worden sind.

    Fangen wir dazu mit der wichtigsten Frage an: Wie simuliert man ein komplettes Universum? Wir wissen: Nach dem Urknall gab es jede Menge Wasserstoffatome, ein bisschen weniger Heliumatome, verschwindend geringere Mengen an Lithium und Beryllium, einen Haufen Energie und sonst nichts. Heute ist das Universum voller Sterne, die Galaxien bilden, die Galaxienhaufen bilden, und so weiter. Wir können jetzt aber nicht einfach ein Programm schreiben, dass die Eigenschaften von Wasserstoff- und Heliumatomen simuliert, das laufen lassen und dann warten, bis daraus Sterne und Galaxien werden. Das wäre einerseits zu kompliziert. Kein Computer der Welt wäre in der Lage, gleichzeitig all die Atome zu simulieren, die beim Urknall entstanden sind. So eine Simulation müsste die nuklearen, die chemischen, die elektromagnetischen, die gravitativen und jede Menge andere Vorgänge gleichzeitig behandeln und das für eine unvorstellbare Menge an Atomen. Wir brauchen also einen anderen Ansatz.

    Vor allem, weil das, was ich vorhin gesagt habe, auch nicht komplett richtig war. Es gab nicht nur Wasserstoff, Helium und so weiter. Es gab vor allem jede Menge dunkle Materie. Also die Art von Materie, von der wir wissen, dass sie da sein muss, weil wir beobachten können, wie ihre Gravitationskraft sich auf die Sterne und Galaxien auswirkt. Aber wir wissen nicht, um was für eine Art von Materie es sich dabei handelt; die entsprechenden Teilchen haben wir bis jetzt noch nicht entdeckt. Sicher ist nur: Es gibt im Universum sehr, sehr viel mehr dieser dunklen Materie, als es normale Materie gibt, aus der die Sterne und Galaxien bestehen.

    Dass wir nicht wissen, woraus die dunkle Materie besteht, spielt in diesem Fall aber keine so große Rolle, wie man denken mag. Denn um zu verstehen, wie das Universum so geworden ist, wie wir es heute sehen können, kommt es eigentlich nur auf die Gravitationskraft an, die diese dunkle Materie ausübt. Und deswegen steht die dunkle Materie auch im Zentrum der Millenium-Simulation. Aus diversen Beobachtungsdaten wissen wir, dass circa 85 Prozent aller Materie aus dunkler Materie besteht. Wir wissen auch, dass diese dunkle Materie nicht mit elektromagnetischer Strahlung wechselwirkt. Das heißt in diesem Fall: Sie wird nicht aufgeheizt, sie gibt auch keine Wärme ab. Oder anders gesagt: Während die normale Materie im frühen Universum durch die viele Energie enorm heiß war und die Teilchen sich wegen der großen Temperatur schnell bewegt haben, haben die Teilchen der dunklen Materie das nicht getan. Oder, ein letztes Mal anders gesagt: Die dunkle Materie ist durch durch die elektromagnetische Strahlung, also durch die Energie nach dem Urknall, weniger stark beeinflusst worden und hat sich deswegen, vereinfacht gesagt, früher "zur Ruhe gesetzt". Die ersten Strukturen im Universum waren Strukturen aus dunkler Materie. Natürlich keine Sterne aus dunkler Materie oder so. Ich will jetzt nicht zu sehr in die Details gehen, aber weil dunkle Materie so ist, wie sie ist, kann sie keine kompakten Objekte wie einen Stern bilden. Aber gigantisch große Wolken schon. Und die Anziehungskraft dieser gigantisch großen Wolken hat dann früher oder später auch die normale Materie beeinflusst, in ihr Zentrum gezogen und dort, in den Zentren dieser großen Wolken, hat die normale Materie dann Sterne und Galaxien gebildet.

    Wenn man also weiß, wo sich die dunkle Materie im frühen Universum befunden hat, ist es auch ein vergleichsweise kleines Problem, daraus zu bestimmen, wo sich die Galaxien und Galaxienhaufen befinden müssen. Die Millenium-Simulation hat sich also auf die Simulation der Bewegung der dunklen Materie beschränkt. Allerdings nicht im gesamten Universum; auch das wäre zu viel für die Computer gewesen. Man hat sich auf einen würfelförmigen Ausschnitt konzentriert, der eine Kantenlänge von 2 Milliarden Lichtjahren hat. Aber das ist schon ordentlich groß, da passt einiges rein. Die gesamte Masse an dunkler Materie in diesem Würfel, die in der Simulation untersucht worden ist, hat 10 Trillionen Sonnenmassen entsprochen. Aber wie gesagt: Diese Masse ist nicht in Form einzelner Teilchen simuliert worden. Auch nicht in Form von Stücken von zum Beispiel einem Gramm oder einem Kilogramm. Es wäre für die Computer auch viel zu viel gewesen, hätte man 10 Trillionen Objekte mit einer Sonnenmasse in den Würfel gesetzt und geschaut was passiert. Man hat die Mase auf gut 10 Milliarden Teilchen aufgeteilt. Die Simulation ist also aus 10 Milliarden "Teilchen" bestanden, von denen jedes eine Masse von knapp einer Milliarde Sonnenmasse gehabt hat. Die Bezeichnung "Teilchen" ist also ein bisschen irreführend, angesichts der Tatsache, dass die Masse unserer Milchstraße nur circa 10 Mal größer ist als die eines solchen "Teilchens".

    Aber angesichts der Größe des Universums und der vorhandenen Computertechnik war das, das was möglich war. Dieser 2 Milliarden Lichtjahre große Würfel mit seinen 10 Milliarden Teilchen aus dunkle Materie war der beste Kompromiss aus Größe und Detailreichtum, den man hoffen konnte, zu schaffen. Jetzt kann man diese Teilchen aber auch nicht einfach irgendwie in den Würfel werfen und die Simulation starten. Wir wissen - wieder aus Beobachtungsdaten des ganz frühen Universums - dass die Materie damals nicht völlig gleichförmig im Universum verteilt war. Es hat kleine Schwankungen gegeben, in manchen Regionen war ein bisschen mehr als anderswo; in anderen Regionen ein bisschen weniger. Diese Schwankungen gehen auf die quantenmechanischen Prozesse unmittelbar beim Urknall zurück, aber das würde jetzt zu weit führen. Diese Unregelmäßigkeiten hat man auf jeden Fall in der Simulation berücksichtigt und die dunkle Materie entsprechend verteilt.

    Und dann? Dann berechnet man einfach die Gravitationskräfte, die zwischen all diesen Teilchen wirken und die daraus resultierenden Bewegungen. Und schaut, wie sich das alles im Laufe der Zeit entwickelt! Wenn es so einfach wäre, dann wäre es super. Das Prinzip ist natürlich korrekt, genau das ist es, was man jetzt eigentlich tun muss. Nur: Wenn ich 10 Milliarden Teilchen habe, die sich gegenseitig über ihre Gravitationskraft beeinflussen, dann muss ich zuerst berechnen, wie zb Teilchen Nummer 2 auf Teilchen Nummer 1 wirkt. Und dann Teilchen Nummer 3 auf Teilchen Nummer 1. Und so weiter, bis zur Wirkung von Teilchen Nummer 10 Milliarden auf Teilchen Nummer 1. Und wenn ich damit durch bin, muss ich die selbe Rechnung anstellen, um herauszufinden, wie die 10 Milliarden Teilchen das Teilchen Nummer 2 beeinflussen, und so weiter, bis ich das für alle 10 Milliarden Teilchen erledigt habe. Und wenn DAS erledigt ist, und ich weiß, wie sich die Teilchen alle bewegt haben, haben sie ja jetzt ihre Position verändert, wodurch sich auch ihre Gravitationskraft aufeinander verändert. Ich muss das Spiel also von vorne beginnen und das so lange, bis ich die ganzen 14 Milliarden Jahre der bisherigen Lebensdauer des Universums abgedeckt habe. Man kann so etwas zwar prinzipiell machen; ein entsprechendes Computerprogramm zu schreiben ist nicht sonderlich schwer. Aber es würde absurd lange dauern, bis es durchgelaufen ist. Man kann so etwas machen, wenn man es zum Beispiel nur mit der Handvoll an Planeten des Sonnensystems zu tun hat. Aber nicht bei einem ganzen Universum, selbst wenn da nur 10 Milliarden Teilchen drin sind.

    Für solche kosmologischen Simulationen muss man einen anderen Ansatz wählen und bei der Millenium-Simulation war das etwas, was man als Tree-PM-Methode bezeichnet. Das im Detail zu erklären, würde zu weit führen. Aber die kurze Version geht so. "PM" steht für "Particle-Mesh", also für "Teilchen-Netz". Das soll folgendes bedeuten: Wir berechnen nicht die konkrete wechselseitige Anziehungskraft zwischen allen Teilchen. Sondern legen quasi ein "Netz" über das simulierte Universum. Und schauen dann für jede Zelle in diesem dreidimensionalen Netz nach, wie viel Masse da im Moment drin ist. Dann benutzen wir mathematische Methoden, unter anderem die Poisson-Gleichung, aber ich lasse diese Details jetzt wirklich aus, um das Gravitationspotential in jeder Zelle und über das ganze Netz zu berechnen. Das Gravitationspotential sagt uns, welche Gravitationskraft in jeder Zelle wirkt und diese Information kann man nutzen, um zu berechnen, wie sich die einzelnen Teilchen einer Zelle bewegen. Dann wird geschaut, wie viele Teilchen sich jetzt in den Zellen des Netzes befinden, ich keine wieder die Dichte für all diese Zellen berechnen, aus dieser Dichte mit der Poissongleichung wieder das Gravitationspotenzial, und so weiter, bis ich mit der Simulation bei dem Zeitpunkt angekommen bin, den ich erreichen möchte.

    Das ist natürlich alles nicht ganz so genau, wie die direkte Berechnung aller Kräfte. Aber anders geht es eben nicht und als Ausgleich gibt es noch den "Tree". Das "Tree", also das englische Wort für "Baum", das ja auch Teil der "Tree-PM-Methode" ist, bedeutet folgendes. Das Netz hat nicht einfach Zellen, die alle gleich groß sind. Sondern die Größe der Zellen hängt davon ab, was darin so los ist. Wenn wir jetzt eine Region im simulierten Universum haben, in der sich nur ein paar verstreute Teilchen befinden, dann kann ich da eine sehr große Zelle daraus machen. Wenn ich aber sehr viele Teilchen in einer Gegend habe, dann werden die Zellen dort immer feiner unterteilt. Die Zellengröße verästelt sich also wie die Äste eines Baumes und im Prinzip nutzt diese Methode die Tatsache aus, dass man die gravitative Wechselwirkung zwischen sehr weit entfernten Teilchen vernachlässigen kann, die Kräfte zwischen nahen Teilchen aber wichtig sind.

    Wie gesagt: In Wahrheit sind diese kosmologischen Simulationen sehr, sehr viel komplexer als ich sie jetzt hier dargestellt habe. Aber das war das Prinzip hinter der ersten Millenium-Simulation. Man hat damit den Kosmos - beziehungsweise den 2 Milliarden Lichtjahre großen Würfel - in 11.000 Schritten vom Anfang des Universums bis in die Gegenwart simuliert (und, das habe ich noch nicht dazu gesagt, dabei auch die Expansion des Universums berücksichtigt). Aus der Verteilung der dunklen Materie konnte man dann, so wie ich es vorhin beschrieben habe, berechnen, wo sich die Galaxien befinden müssen. Das ganze hat auf einen Supercomputer 28 Tage lang gedauert und im Juni 2005 hat man die Ergebnisse dann veröffentlicht. Und "man" war in diesem Fall das "Virgo-Konsortium", zu dem unter der Führung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching bei München auch Teams aus Großbritannen, Kanada, Japan und der USA gehört haben.

    Diese Resultate waren höchst beeindruckend. Man hat in der Simulation die tatsächlich beobachtete Verteilung der Galaxien und Galaxienhaufen sehr gut nachvollziehen können. Das Computeruniversum hat genau so ausgesehen wie das echte. Nicht im Detail, aber im Prinzip: Mit lauter Galaxien, die sich in Galaxienhaufen organisieren, die Superhaufen bilden, die sich entlang von Filamenten anordnen, und riesigen Leerräumen dazwischen. Das hat zuallererst einmal bestätigt, dass unsere Annahmen über den frühen Zustand des Universums und die Gesetze, die seine Entwicklung beschreiben, korrekt sind, denn sonst hätte die Simulation ein anderes Ergebnis geliefert. Man hat mit den Resultaten aber auch ein paar offene Fragen klären können: Zum Beispiel hat man bei Beobachtungen des frühen Universums Galaxien gesehen, in deren Zentren sich enorm massereiche schwarze Löcher befunden haben. Und dachte damals, dass sich solche großen Objekte so schnell gar nicht bilden können. In der Millenium-Simulation ist aber genau das passiert und man hat dadurch besser verstehen können, wie diese Prozesse ablaufen, die wir im echten Universum nicht beobachten können, im simulierten Universum aber so gut und lange, wie wir wollen. In der Millenium-Simulation konnte man quasi "live" dabei zusehen, wie Galaxien miteinander verschmelzen, wie sich Galaxienhaufen bilden, wie sie in den Zentren der Wolken aus dunkler Materie entstehen, und so weiter.

    Es gab natürlich auch schon davor kosmologische Simulationen, aber die Millenium-Simulation war viel detailreicher und das für einen enorm großen Ausschnitt des Universums. Auf diese ursprüngliche Simulation aus dem Jahr 2005 sind weitere gefolgt und man hat mit den Daten sogar ein virtuelles Observatorium eingerichtet. Man kann dort mit einem virtuellen Teleskop die Beobachtung des Universums anhand der Millenium-Daten simulieren, was ein wenig sinnlos klingt. Aber durchaus wichtig ist, wenn man zum Beispiel in Ruhe die Beobachtung mit echten Teleskope planen und vorbereiten möchte, ohne die knapp bemessene Beobachtungszeit an den realen Instrumenten dafür verschwenden zu müssen.

    Auf die Millenium-Simulation sind natürlich noch weitere, bessere Simulationen gefolgt, zum Beispiel das "Illustris-Projekt". Immerhin werden ja auch die Computer immer besser und je besser sie werden, desto genauer kann man die Simulationen auch durchführen. Für das gesamte Universum wird es aber trotzdem nie reichen. Am Ende müssen wir immer noch schauen, was wirklich dort draußen ist.

    10 January 2025, 6:00 am
  • 9 minutes 42 seconds
    Sternengeschichten Folge 632: Galatea und die Ringe des Neptun
    Ein Mond macht Klumpen

    Sternengeschichten Folge 632: Galatea und die Ringe des Neptun

    Im Jahr 1985 hat der amerikanische Astronom Jack Lissauer einen Fachartikel veröffentlicht, der mit diesen Sätzen beginnt: "Ein unvollständiger Ring wurde kürzlich um Neptun entdeckt. Hier wird ein Modell entwickelt, um die Begrenzung dieses Rings zu erklären. Der Ring könnte azimutal in der Nähe eines Dreieckspunkts (Trojaner-Punkt) eines noch unentdeckten Satelliten von Neptun begrenzt sein."

    Gut, das klingt ein wenig technisch, aber es ist ja auch ein wissenschaftlicher Fachartikel. Aber Lissauer sagt im wesentlichen folgendes: Man hat einen Ring des Planeten Neptun entdeckt und der sieht so seltsam aus, dass man das nur mit der Existenz eines noch unbekannten Mondes erklären kann. Und genau darum geht es in dieser Folge: Um einen Mond des Neptun und den Einfluss, den er auf seine Ringe ausübt. Über Neptun habe ich ja in Folge 122 schon ausführlicher gesprochen.

    Der Neptun ist der äußerste Planet unseres Sonnensystems. Er wurde erst 1846 entdeckt und es hat fast 150 Jahre gedauert, bis er das erste Mal Besuch von einer Raumsonde bekommen hat. Das war im Jahr 1989, als Voyager 2 an ihm vorbeigeflogen ist. Aber schon 1968 konnte man durch Beobachtungen von der Erde aus nachweisen, dass der Neptun Ringe haben muss. Weitere Beobachtungen haben dann gezeigt, dass diese Ringe erstens sehr schmal sein müssen und auch irgendwie komisch. Ein bisschen klumpig, also eher Ringstückchen anstatt kompletter Ringe, so wie wir das zum Beispiel vom Saturn kennen. Die kleinen Teilchen aus Eis, die die Ringe bilden, sind beim Neptun anscheinend nicht gleichmäßig verteilt, sondern bilden mehrere klumpige Ringbögen. Genau das hat Lissauer gemeint, als er geschrieben hat, dass ein "unvollständiger Ring" um Neptun entdeckt worden ist.

    So etwas passiert natürlich nicht einfach so. Gut, es könnte sein, dass dieser bruchstückhafte Ring des Neptun zufälligerweise ganz neu ist. Vielleicht ist da irgendein kleiner Mond auseinander gebrochen und seine Trümmer haben sich noch nicht vollständig um den Neptun herum verteilt. Das ist zwar nicht unmöglich, aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass wir zufällig gerade in diesem Moment hingesehen haben. Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass irgendetwas dafür sorgt, dass sich die Ringteilchen nicht gleichmäßig um den Neptun verteilen können. Genau das war der Grund, aus dem Lissauer seine Arbeit verfasst hat und er hat vermutet, dass es ein noch unentdeckter Mond sein könnte, der mit seiner Gravitationskraft den Ring so aussehen lässt, wie er aussieht.

    Aber bevor wir schauen, was es damit auf sich hat, schauen wir zuerst noch einmal, wie die Ringe des Neptun eigentlich tatsächlich aussehen. Jack Lissauer hat seine Arbeit vier Jahre vor der Ankunft von Voyager 2 beim Neptun geschrieben. Die Bilder der Raumsonde haben viele offene Fragen beantwortet und unter anderem im Detail gezeigt, wie die Ringe aussehen. Der Neptun hat mindestens vier Ringe. Ganz innen ist der Galle-Ring, dann folgen der Le-Verrier-Ring und der Lassell-Ring. Alle drei sind übrigens nach Astronomen benannt, die mit Entdeckungen bei Neptun zu tun haben. Johann Gottfried Galle hat den Planeten 1846 das erste Mal im Fernrohr gesehen, Urbain LeVerrier hat seine Existenz mathematisch vorhergesagt und William Lassell hat Triton, den größten Neptunmond entdeckt. Uns interessiert hier aber der äußerste Ring, der nach John Couch Adams benannt ist, einem britischen Astronomen, der ebenfalls und unabhängig von LeVerrier die Existenz von Neptun vorhergesagt hat.

    Der Adams-Ring ist schmal, mit einer Breite von nur circa 35 Kilometern. Und es ist genau dieser Ring, der klumpig ist. Man hat bis jetzt vier Abschnitte des Rings entdeckt, die deutlich heller sind als der Rest, wo sich also mehr Material befinden muss. Benannt sind sie mit französischen Begriffen: Liberté, Égalité, Fraternité und Courage; also Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Mut. Jeder dieser Abschnitte ist 100 bis 200 Kilometer lang und die Klumpen sind vergleichsweise stabil. Man hat sie schon in den 1980er Jahren mit Teleskopen von der Erde aus gesehen, dann im Detail mit der Voyager-Sonde beobachtet und auch danach zum Beispiel mit dem Hubble-Weltraumteleskop. In all dieser Zeit sind die Klumpen immer mehr oder weniger an der selben Stelle geblieben. Es muss also einen Mechanismus geben, der dafür sorgt, dass das passiert und Lissauer hat vermutet, dass es ein Mond sein muss, der dafür verantwortlich ist.

    Bevor Voyager 2 im Jahr 1989 beim Neptun angekommen ist, hat man drei Monde des Neptun gekannt: Triton, der größte mit einem Durchmesser von 2706 Kilometern und die kleineren Monde Nereid und Larissa. Als man sich die Sache dann aber aus der Nähe ansehen konnte, hat man mit einem Schlag gleich fünf weitere Monde finden können. Die Bilder der Voyager 2 haben Monde gezeigt, die heute Naiad, Thalassa, Despina, Proteus und Galatea heißen. Mittlerweile haben wir noch eine Handvoll weiterer Monde des Neptun gefunden, aber wir konzentrieren uns jetzt auf Galatea.

    Tatsächlich entdeckt hat ihn der amerikanische Astronom Stephen Synnott im Juli 1989 bei der Analyse der Voyager-Aufnahmen. Der Mond hat einen Durchmesser von 176 Kilometern und umkreist den Planeten in einem Abstand von 61.953 Kilometern auf einer fast kreisförmigen Bahn. Der Adams-Ring ist 63.930 Kilometer von Neptun entfernt, also nur knapp 2000 Kilometer von Galateas Umlaufbahn weit weg. Damit ist er dem Ring näher als die anderen bekannten größeren Monde des Neptun und ein guter Kandidat für die Rolle des Mondes, der die Strukturen im Adams-Ring verursacht.

    Schaut man sich die Umlaufzeit von Galatea an und rechnet ein bisschen herum, dann findet man folgenden interessanten Zusammenhang: In der Zeit, die Galatea für 42 Umläufe um den Neptun braucht, schafft ein Teilchen im Adams-Ring ziemlich genau 43 Umläufe um den Planeten. Oder anders gesagt: Ring und Mond befinden sich einer sogenannten 42:43 Resonanz. Das bedeutet: Nach einer ganz bestimmten Zeit wiederholt sich die relative Stellung von Mond und Ringteilchen. Die Ringteilchen spüren also in periodischen Abständen die Gravitation des Mondes besonders stark. Diese kleinen Schubser des Mondes erhöhen die Exzentrizität der Ringteilchen, das heißt, ihre Bahn weicht von einer kreisförmigen Bahn ab und wird leicht elliptisch. Das führt dazu, dass sich die Teilchen in bogenförmigen Abschnitten der Umlaufbahn ansammeln oder anders gesagt: Es bilden sich Klumpen entlang der Bahn wo mehr Teilchen sind als anderswo und das ist genau das, was wir beim Adams-Ring beobachten können. Das ganze nennt sich "Korotations-Exzentrizität-Resonanz", was man zwar nicht wissen muss, um zu verstehen worum es geht, aber jetzt, wo ich es gesagt habe, könnt ihr euch das gerne merken.

    Jack Lissauer hat also Recht gehabt. Zumindest was die Existenz eines unbekannten Mondes und seines Einflusses auf den Adams-Ring angeht. Der Mechanismus, den er damals vermutet hat, war allerdings ein anderer und selbst heute sind wir uns noch nicht ganz sicher, ob wir alle Feinheiten bei der Wechselwirkung zwischen Galatea und dem Ring verstanden haben. Es bleibt das Problem, das wir immer haben, wenn es um Neptun geht: Wir müssen wieder dorthin; dieser eine Vorbeiflug im Jahr 1989 war zu wenig, um wirklich zu verstehen, was bei diesem fernen Planeten alles passiert. Was wir dagegen wissen: Galatea wird irgendwann verschwinden. Der kleine Mond ist dem Neptun zu nahe; die Gezeitenkräfte des großen Planeten beeinflussen seine Umlaufbahn und in ein paar Dutzend Millionen Jahren wird er entweder auf den Neptun stürzen oder vorher auseinander gerissen werden. Dann wird er seinen Einfluss auf den Adams-Ring nicht mehr ausüben können - aber die Trümmer die dabei entstehen werden zumindest für einige Zeit einen neuen Ring rund um den Neptun bilden.

    3 January 2025, 6:00 am
  • 13 minutes 9 seconds
    Sternengeschichten Folge 631: Himiko - Der große Blob am Anfang des Universums
    Die Mutter und die Tochter von Sonnen

    Sternengeschichten Folge 631: Himiko - Der große Blob am Anfang des Universums

    In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um einen gewaltigen Blob vom Anfang der Zeit, der nach Äonen plötzlich aus den fernen Nebeln der Vergangenheit aufgetaucht ist und alles durcheinander gebracht hat. Ok, ja - das klingt jetzt nicht nur mehr nach einem Horrorfilm anstatt seriöser Astronomie und es ist auch mehr als stark übertrieben. Aber zumindest das Wort "Blob" hab ich mir nicht ausgedacht; das ist in diesem Fall tatsächlich ein wissenschaftlicher Fachbegriff. Ich hätte auch sagen können, dass ich in der heutigen Folge über einen Lyman-Alpha-Emitter aus der Reionisierungsepoche sprechen möchte, aber das klingt vielleicht ein wenig abschreckend. So oder so: Das ist es, worum es heute geht. Um einen Lyman-Alpha-Emitter, den man zu Recht auch als "gewaltigen Blob" bezeichnen kann. Dieser Blob hat in der Reionisierungsepoche des Universums existiert, also vor gut 13 Milliarden Jahren, was man durchaus auch "am Anfang der Zeit" nennen kann. Und als man dieses Ding 2007 entdeckt hat, hat es tatsächlich für einiges an Verwirrung gesorgt.

    Aber gehen wir das alles mal der Reihe nach durch und fangen bei den Lyman-Alpha-Emittern an. Diese Dinger sind logischer Dinger, die etwas emittieren, und zwar Lyman-Alpha. Ok, das ist nicht ganz richtig und erklärt auch nicht viel. Mit "Lyman Alpha" ist Licht mit einer ganz bestimmten Wellenlänge gemeint, und zwar 121,567 Nanometer. Das ist Licht, das unter anderen dann entsteht, wenn das Elektron eines Wasserstoffatoms vom ersten angeregten Zustand in den Grundzustand wechselt. Und das bedeutet folgendes: Ein Wasserstoffatom hat einen Kern aus einem positiv geladenen Proton und ein negativ geladenes Elektron in seiner Atomhülle. Wenn man zum Beispiel durch Strahlung von außen Energie auf dieses Elektron überträgt, dann kann es unterschiedliche Zustände einnehmen; vereinfacht gesagt: Es kann sich unterschiedlich weit vom Atomkern entfernen. Es können keine völlig beliebigen Zustände sein; das verbietet die Quantenmechanik. Das Elektron kann nur ganz bestimmte Energiemengen absorbieren und dementsprechend auch nur ganz bestimmte Zustände einnehmen. Wenn das Elektron gerade im Grundzustand ist, also dem Zustand, in dem es die niedrigste Energie hat, die es haben kann, und wenn dann Strahlung mit 121,567 Nanometern auf das Elektron trifft, dann ist das genau die passende Menge an Energie, um es vom Grundzustand in den ersten angeregten Zustand zu versetzen. Jetzt sind Elektronen aber nicht so gerne angeregt, sie wollen die Energie wieder loswerden und in den Grundzustand wechseln. Das tun sie auch irgendwann wieder und wenn sie das tun, dann geben sie Strahlung mit einer Wellenlänge von genau 121,567 Nanometern ab. Es gibt noch mehr Möglichkeiten, wie Elektronen zwischen angeregten Zuständen und dem Grundzustand hin und her wechseln können und dementsprechend auch Strahlung bei anderen Wellenlängen, die sie absorbieren oder abstrahlen können. Das erste Mal beschrieben hat dieses Verhalten der amerikanische Physiker Theodore Lyman und er hat die Übergänge mit griechischen Buchstabend sortiert. Und deswegen nennen wir diesen speziellen Übergang bei 121,567 Nanometern heute den Lyman-Alpha-Übergang.

    Soweit zu Lyman-Alpha, aber was ist mit den Emittern? Wir wissen schon, dass wir dafür Wasserstoff brauchen und wenn es im Universum etwas mehr als genug gibt, dann ist es Wasserstoff. Im frühen Universum gab es fast nur Wasserstoff, drei Viertel aller Materie ist aus diesem einfachsten Atom aufgebaut, weil es von Anfang an nach dem Urknall da war - eben weil es so simpel ist. Der Rest war Helium und für die ganzen anderen komplexen Atome hat man erst auf die Kernfusion im Inneren der ersten Sterne warten müssen. Im frühen Universum hat es also jede Menge große Ansammlungen von Wasserstoff gegeben. Wenn diese Wasserstoffansammlungen von irgendwo her mit der passenden Energie angeregt werden, geben sie Lyman-Alpha-Strahlung ab und damit haben wir die Lyman-Alpha-Emitter. Die besonders großen davon werden auch oft Lyman-Alpha-Blobs genannt. Und besonders groß ist hier genau so gemeint: Die Dinger können bis zu 500.000 Lichtjahre groß sein, das ist deutlich größer als zum Beispiel der Durchmesser unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße.

    In unserer Gegenwart des Univerums sehen wir diese gigantischen Objekte nicht. Wir finden sie nur dann, wenn wir Licht beobachten, das wirklich, wirklich lange gebraucht hat, bis es bei uns angelangt ist oder anders gesagt: Wir sehen die Lyman-Alpha-Blobs nur, wenn wir ins sehr junge Universum schauen. Typischerweise müssen wir in eine Zeit schauen, als das Universum erst 2-3 Milliarden Jahre alt war. Und es ist auch kein Wunder, dass wir sie gerade in dieser Epoche sehen. Das war die Zeit, in der quasi das Licht im Kosmos eingeschaltet wurde. Oder anders gesagt: Es war der Höhepunkt der Sternentstehung im Universum. Es hat ja ein paar hundert Millionen Jahre gedauert, bis im jungen Universum aus den Wasserstoffwolken die ersten Sterne entstanden sind und die ersten Galaxien gebildet haben. Dann sind immer mehr und mehr Sterne entstanden, bis sich die Lage wieder ein bisschen beruhigt hat. Aber damals war der Kosmos voll mit jungen, heißen Sternen und was tun junge und heiße Sterne: Sie geben viel und vor allem viel Ultraviolett-Strahlung ab, was genau die Art von Strahlung ist, die Wasserstoffwolken dazu anregt, Lyman-Alpha-Strahlung zu emittieren. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, wie man den Wasserstoff anregen kann, aber dazu komme ich später noch. Auf jeden Fall ist es keine Überraschung, wenn wir vor allem dann viele Lyman-Alpha-Blobs sehen, wenn wir in eine Zeit zurück schauen, in der das Universum noch voll mit großen Wasserstoffwolken und heißen Sternen war.

    Abgesehen davon gibt es noch sehr viel, was wir bei diesen Dingern nicht verstehen. Sie sind vermutlich ein wichtiger Schritt bei der Entstehung der ersten großen Galaxien. Wenn wir einen Lyman-Alpha-Blob sehen, dann sehen wir wahrscheinlich die frühe Phase einer Galaxie, wo das Wasserstoffgas in den riesigen Wolken gerade kühl genug geworden ist, um Sterne entstehen zu lassen. Das ist alles sehr interessant, aber in dieser Folge soll es ja um einen ganz speziellen Blob gehen. Man hat ihn bei Beobachtungen im Jahr 2007 entdeckt. Ein Team japanischer Forscherinnen und Forscher war auf der Suche nach Lyman-Alpha-Emittern im frühen Universum und hat dafür über 200 Kandidaten identifiziert und beobachtet. Einer dieser Kandidaten war extrem hell, zumindest verglichen mit den schwach leuchtenden Objekten deren Licht Milliarden Jahre bis zu uns gebraucht hat. Deswegen wollte man es zuerst gar nicht weiter analysieren, weil man davon ausgegangen ist, dass es sich um eine normale Galaxie handelt, die einfach zufällig im Vordergrund des Bilds liegt. Aber man hat das Licht dieses Objekts dann doch noch genauer angesehen und festgestellt, dass es genau die charakteristischen Eigenschaften von Licht zeigt, dass sehr, sehr lange durchs All unterwegs war. Es war kein nahes Vordergrundobjekt; ganz im Gegenteil! Es war ein Lyman-Alpha-Blob, aber einer, der extrem weit entfernt war beziehungsweise andersherum gesagt, extrem kurz nach dem Urknall existiert hat. Dieser Blob stammt aus einer Zeit, nur 800 Millionen Jahre nach dem Urknall, deutlich früher als all die anderen Blobs die man bis dahin beobachtet hat. Die Daten zeigen, dass dieser Blob auch erstaunlich groß sein muss, circa 55.000 Lichtjahre, was immerhin halb so groß wie unsere Milchstraße ist. Aus der Analyse des Lichts kann man auch ableiten, wie viele Sterne dort entstehen: Circa 34 pro Jahr, was deutlich mehr ist, als in unserer Gegenwart und eigenen Galaxie, wo es nur um die 5 Sterne pro Jahr sind. Wir sehen auch, dass das Gas sich dort sehr schnell bewegt, mit ein paar hundert Kilometer pro Sekunde - was immer auch dort passiert, passiert auf jeden Fall sehr dynamisch.

    Auf jeden Fall ist dieses Objekt ein sehr spezielles Objekt. Es ist erstaunlich groß und aktiv für ein Objekt so früh im Universum. Es passt nicht so ganz zu den Modellen, mit denen man die Entstehung von Galaxien bis dahin beschrieben hat, dafür hätte es noch nicht so gewaltig sein dürfen. Aber warum ist das so und was passiert denn da jetzt genau? Das wissen wir nicht. Ich hab vorhin schon gesagt, dass es neben der Anregung durch junge, heiße Sterne auch noch mehr Möglichkeiten gibt. Es kann auch sein, dass sich in einer jungen Galaxie schon ein aktives Zentrum gebildet hat, als ein großes schwarzes Loch, um das jede Menge heißes Gas herumwirbelt und dieses wirbelnde Gas kann ebenfalls Strahlung aussenden, die eine Wasserstoffwolke dazu bringt, Lyman-Alpha-Strahlung auszusenden. In dem Fall hat man aber keine anderweitigen Hinweise auf die Existenz so eines aktiven Zentrums gefunden, die man eigentlich sehen hätte müssen. Das ist also eher unwahrscheinlich, aber vielleicht sind da auch zwei große Blobs, also zwei Galaxien in Entstehung miteinander kollidiert und verschmolzen, denn auch bei so einem Prozess kann Wasserstoffgas entsprechend angeregt werden. Das würde auch besser zu den Beobachtungsdaten passen und könnte uns mehr darüber verraten, wie wichtig solche Kollisionsprozesse im jungen Universum für die Entstehung von Galaxien waren. Und dann könnte auch die dunkle Materie eine Rolle spielen, also die Materie, von der wir wissen, dass sie da sein muss, aber nicht wissen, aus was sie besteht. Wir gehen davon aus, dass sich die Galaxien in den Zentren riesiger Wolken aus dunkler Materie gebildet haben, weil sich dort der ganze Wasserstoff angesammelt hat. Und während der Wasserstoff ins Zentrum der Wolke fällt, kann ebenfalls Lyman-Alpha-Strahlung abgegeben werden. Dann würden wir dort tatsächlich die erste Phase der Entstehung einer Galaxie beobachten. Oder wir sehen dort wirklich das klassische Bild eines Lyman-Alpha-Blobs, wie ich es zu Anfang erklärt habe: Eine junge Galaxie mit jeder Menge Sternentstehung und junge Sterne, die die Wasserstoffwolken anregen. Das wäre sehr spannend, weil das eben nicht zu unseren bisherigen Modellen passt. So früh im Universum sollte eine so große und quasi schon fast fertige Galaxie noch nicht existieren.

    Auf jeden Fall ist klar, dass wir hier ein wirklich einzigartiges Objekt beobachten und eines, das uns auf die eine oder andere Weise mehr darüber verraten wird, wie das Universum sich von einem Kosmos ohne Sterne und Galaxien zu dem Ort entwickelt hat, den wir heute beobachten. Und weil dieser Blob so besonders ist, hat er natürlich auch einen Namen bekommen und heißt nicht mehr einfach nur "Blob". Das japanische Team hat ihn "Himiko" genannt, nach der ersten namentlich bekannten Herrscherin von Japan. Im 2. Jahrhundert soll Himiko als erste Königin eines der ersten größeren Reiche auf der japanischen Inselgruppe gegründet haben. Der Name bedeutet übersetzt so viel wie "Tochter der Sonne" oder "Kind der Sonne", was durchaus sehr poetisch ist, aber astronomisch nicht ganz korrekt. Denn wenn wir mit Himiko tatsächlich sehen, wie die ersten Galaxien im Universum entstehen, dann müsste es eigentlich die "Mutter der Sonnen" sein. Und die "Töchter der Sonne" wären dann wir selbst, die 13 Milliarden Jahre später in einem Universum voller Sterne leben, das damals seinen Anfang genommen hat.

    27 December 2024, 6:00 am
  • 10 minutes 39 seconds
    Sternengeschichten Folge 630: Das Lichtecho und die Supernova von Tycho Brahe
    Ein Bild aus der Vergangenheit

    Sternengeschichten Folge 630: Das Lichtecho und die Supernova von Tycho Brahe

    Im November 1572 ist im Sternbild Cassiopeia ein neuer Stern aufgetaucht. Er war so hell, dass er überall auf der Welt beobachtet werden konnte; heller als die anderen Sterne am Himmel. Der dänische Astronom Tycho Brahe, von dem ich in Folge 167 mehr erzählt habe, hat ihn auch gesehen und alle möglichen Beobachtungsdaten zusammengetragen. Er konnte zwar nicht herausfinden, um was es sich bei diesem Stern wirklich handelt, aber seine Arbeit hat auf jeden Fall gereicht, um den Sturz eines Weltbildes einzuleiten. Bis dahin dachte man, dass sich am Himmel nichts ändern kann, nur auf der Erde und in ihrer unmittelbaren Umgebung ist Veränderung möglich. Der Himmel ist ja immerhin der Ort der göttlichen Perfektion, da muss sich nichts ändern - im Gegensatz zur unperfekten, menschlichen Erde. Die Beobachtungen haben aber deutlich gezeigt, dass dieser neue Stern am Himmel weiter entfernt sein muss als der Mond, also tatsächlich zum Reich der Sterne gehört und nicht nur eine komische Leuchterscheinung in der Atmosphäre ist. Der neue Stern ist dann aber auch rasch dunkler geworden und ein Jahr später war er nicht mehr zu sehen.

    Hätte Tycho Brahe damals schon Teleskope gehabt, hätte er vielleicht mehr rausfinden können. Aber diese Geräte sind erst ein paar Jahrzehnte später erfunden worden. Heute wissen wir sehr viel besser, was Tycho gesehen hat und wir wissen es unter anderem deswegen, weil wir unsere modernen Teleskope genutzt haben, um den neuen Stern zu beobachten. Ja, genau: Wir haben den 1572 aufgetauchten Stern beobachtet, mehr als 400 Jahre nachdem er vom Himmel verschwunden ist. Das klingt als wäre es Quatsch. Aber Astronomie ist erstens kreativ. Und es gibt tatsächlich einen Weg, wie man Ereignisse sehen kann, die in der Vergangenheit an unserem Himmel stattgefunden haben.

    Aber bevor ich erkläre, wie das geht, bleiben wir noch ein bisschen bei Tycho Brahes Stern. Heute nennen wir das, was er damals gesehen hat, Tychos Supernova beziehungsweise offiziell SN 1572. Und eine Supernova, auch das habe ich schon oft hier erklärt, ist kein neuer Stern, sondern das, was wir sehen können, wenn ein sehr großer Stern sein Leben beendet. Dann gibt es eine gewaltige Explosion die ein paar Wochen oder Monate lang extrem hell sein kann, heller als das Licht aller Sterne einer Galaxie zusammen. Wir haben mittlerweile jede Menge Supernovae in anderen Galaxien beobachtet, aber seit der Erfindung des Teleskops konnten wir keine mehr beobachten, die in unserer eigenen Galaxie stattgefunden hat. Dabei wäre das äußerst spannend für die Astronomie. Wir wissen zwar mehr oder weniger, was bei so einer Explosion passiert, aber ein Blick aus der ersten Reihe auf so ein Ereignis, mit all unseren modernen Instrumenten: Das wäre ziemlich cool.

    Es ist aber auch ganz cool sich anzusehen, was von Tychos Supernova übrig geblieben ist. Wenn wir unsere Teleskope heute auf die entsprechende Stelle am Himmel richten, dann sehen wir dort einen wilden Nebel aus Gas und Staub. Es sind die Überreste des Sterns, das ganze Material aus dem er bestanden ist und das bei der Explosion mit enormer Geschwindigkeit ins All geschleudert wurde. Der Supernovaüberrest ist ungefähr 9000 Lichtjahre weit weg und das Gas saust dort immer noch mit ein paar tausend Kilometer pro Sekunde ins All. Anhand der historischen Beobachtungen des 16. Jahrhunderts und aus den modernen Daten kann man vermuten, dass es sich um eine Supernova vom Typ Ia gehandelt hat. Oder um eine "thermonukleare Supernova", wie sie auch oft genannt wird. Diese Explosion findet statt, wenn man ein Doppelsternsystem hat, in dem ein Stern sein Leben schon beendet hat und zu einem weißen Zwerg geworden ist. Der Übergang von einem Stern zu einem weißen Zwerg ist nicht explosiv; ein Stern wie unsere Sonne dehnt sich am Ende seines Lebens immer weiter aus, schiebt seine äußeren Schichten hinaus ins All, bis nur noch der innere, dichte Kern übrig bleibt in dem keine Kernfusion mehr stattfindet. Das ist ein weißer Zwerg und normalerweise passiert damit nicht mehr viel. Wenn dort aber noch ein zweiter Stern existiert und beide sich sehr nahe sind, dann kann Material von diesem zweiten Stern zum weißen Zwerg gelangen. Und wenn genug neues Gas dort angelangt ist, genug neuer Brennstoff quasi, dann hat der weiße Zwerg wieder genug Masse, um erneut mit der Kernfusion anzufangen. Dieses Mal aber nicht so gemütlich wie es ein normaler Stern tut, sondern extrem explosiv. Anders gesagt: Der gesamte weiße Zwerg explodiert und wir haben eine Supernova.

    Wie gesagt: Man hat vermutet, dass es sich bei Tychos Supernova um genau so einen Vorgang gehandelt hat. Aber man hat es nicht genau gewusst, dafür waren die historischen Daten nicht gut genug. Man kann den Typ einer Supernova am Verlauf der Helligkeit erkennen, denn die Explosion eines weißen Zwergs läuft immer mehr oder weniger identisch ab und das Licht wird auf charakteristische Weise heller und dunkler. Man kann es auch mit Spektroskopie probieren, also das Licht der Supernova analysieren und bestimmen, welche chemischen Elemente da entstehen. Bei der explosiven Kernfusion eines weißen Zwergs entsteht zum Beispiel kein Wasserstoff, wie bei der normalen Kernfusion, dafür aber Elemente wie Silicium. Aber wenn Brahe kein Teleskop gehabt hat, dann hat er definitiv auch kein Spektroskop besessen. Und wie soll man Licht, das seit über 450 Jahre aufgehört hat zu leuchten, heute noch analysieren?

    Damit sind wir jetzt beim Lichtecho. Das ist ein faszinierendes Phänomen und es funktioniert fast genau so wie ein normales Echo. Da werden ja Schallwellen an bestimmten Oberflächen reflektiert und zurückgeworfen so dass ein Geräusch mehrmals hintereinander zu hören ist. Bei Licht geht das im Prinzip auch. Licht breitet sich im Weltall ja in alle Richtungen aus. Auf der Erde sehen wir nur das, was halt gerade in unsere Richtung abgestrahlt worden ist. Es gibt aber Ausnahmen: Licht kann auch an den diversen interstellaren Gas- und Staubwolken gestreut werden, die sich überall im Raum zwischen den Sternen befinden. Und ein Teil dieses dort abgelenkten Lichts kann mit etwas Glück genau in Richtung Erde abgelenkt werden. Dieses Licht hat dann logischerweise einen längeren Weg zurückgelegt als das, das uns direkt erreicht hat. Und braucht deswegen auch länger, bis es bei uns ankommt. Oder anders gesagt: Wir können Phänomene wie eine Supernova-Explosion tatsächlich mehrmals hintereinander sehen. Das ist aber natürlich nicht so einfach wie es klingt, aber bei Tychos Supernova ist es tatsächlich gelungen. Im Jahr 2008 haben Forscherinnen und Forscher ihr Licht ein zweites Mal gesehen.

    Das war kein einfacher Prozess; es war nicht so, dass da plötzlich ein zweites Mal eine Supernova am Himmel im Sternbild Cassiopeia erschienen ist. So wie das Echo eines Geräusches immer schwächer wird, ist das auch beim Lichtecho der Fall. Wenn man ein Lichtecho sehen will, muss man ganz genau wissen, wohin man schauen muss. Deswegen hat man sich zuerst mal überlegt, welche hellen Supernova-Explosionen es in der Vergangenheit an unseren Himmel gegeben hat und wo passende Staub- und Gaswolken zu finden sind, die prinzipiell in der Lage sind, dieses Licht zu uns zu reflektieren. Die müssen natürlich auch in der passenden Entfernung sein, damit wir das Lichtecho auch jetzt sehen können. Zum Glück ist eine Supernova ja auch keine Explosion wie bei einem Feuerwerk, dass in ein paar Sekunden vorbei ist. Eine Supernova leuchtet über Monate und Jahre hinweg, nur eben immer schwächer und schwächer. Da ist also ein wenig Spielraum und es haben sich einige vielversprechende Wolken gefunden. Die muss man dann alle mit ausreichend guten Instrumenten beobachten und wird in den meisten Fällen trotzdem keinen Erfolg haben. Aber bei Tychos Supernova hat es tatsächlich geklappt. Im September 2008 wurden Aufnahmen einer passenden Region gemacht und sie haben eindeutig eine Lichtquelle gezeigt, die so aussieht, wie das Lichtecho einer Supernova-Explosion. Und weil wir 2008, im Gegensatz zu 1572, auch Spektroskope besitzen, konnte das Licht damit analysiert werden und nachgewiesen werden, dass es sich dabei tatsächlich um eine Supernova vom Typ Ia handelt.

    Das Universum ist ein erstaunlicher Ort. Und vor allem ist ein erstaunlich großer Ort. Wir vergessen gerne, wie groß es ist und wie lange selbst das Licht braucht, um sich von einem Ort zum anderen zu bewegen. All die Bilder, all das, was es da draußen zu sehen gibt und vor allem zu sehen gegeben hat, ist dort immer noch zu sehen. Die Bilder der Sternexplosionen der Vergangenheit und von all dem, was da sonst noch so passiert ist, sind nicht verschwunden. Das Licht ist immer noch dort draußen und mit etwas Glück finden wir einen kosmischen Spiegel, der diese Bilder aus der Vergangenheit wieder zu uns zurück wirft.

    20 December 2024, 6:00 am
  • 10 minutes 55 seconds
    Sternengeschichten Folge 629: Die Strömgren-Sphäre und die ersten Sterne
    Die Wasserstoffblasen der Sterne

    Sternengeschichten Folge 629: Die Strömgren-Sphäre und die ersten Sterne

    In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die "Strömgren-Sphäre" und man kann sich auf jeden Fall schon mal denken, dass es um irgendwas kugelförmiges gehen wird. Was auch stimmt, aber die Geschichte der Strömgren-Sphäre handelt vor allem davon, wie Sterne entstehen und ihre Umgebung beeinflussen. Sie handelt von der Entstehung und Entwicklung von Galaxien und von den ersten Sternen im Universum.

    Fangen wir aber am besten mal damit an zu klären, was ein Strömgren ist. In diesem Fall ist es kein was, sondern ein wer, nämlich der dänische Astronom Bengt Strömgren. Über ihn gäbe es viel zu erzählen, aber ich beschränke mich auf das, was er 1939 in einer Arbeit mit dem Titel "The Physical State of Interstellar Hydrogen" geschrieben hat, was auf deutsch so viel heißt wie "Der physikalische Zustand des interstellaren Wasserstoffs". Darin bezieht sich Strömgren auf eine Arbeit aus dem Jahr zuvor. Da hatten die amerikanischen Astronomen Otto Struve und Chris Elvey diverse kosmische Nebel beobachtet, in denen sehr viel ionisierter Wasserstoff zu finden war. Und um zu verstehen, warum das interessant ist, müssen wir uns nochmal erinnern, was es bedeutet, wenn Wasserstoff - oder sonst irgendwas - "ionisiert" ist. Aber keine Sorge, das ist schnell erledigt: Wasserstoff ist ein Atom, mit einem Kern aus einem Proton. Und in der Atomhülle hat der Wasserstoff ein Elektron. Fertig - Wasserstoff ist simpel; andere Atome haben mehr Protonen im Kern und mehr Elektronen in der Hülle, aber der Punkt ist: Die Elektronen aus der Hülle eines Atoms können entfernt werden und wenn das der Fall ist, dann ist das Atom ionisiert. Ionisierter Wasserstoff ist also ein Wasserstoffatom, bei dem das Elektron aus der Hülle entfernt wurde und nur noch der Atomkern übrig ist. Oder anders gesagt: Das einzelne Proton.

    Ok, was heißt das jetzt alles. Wir wissen, dass Wasserstoff das häufigste Element des Universums ist. Es ist ja auch das einfachste und es braucht nicht viel, damit es entsteht. Drum war es auch schon kurz nach dem Urknall da; fast drei Viertel der damals entstandenen Materie waren Wasserstoff und auch heute noch macht Wasserstoff die überwiegende Mehrheit der Atome im Universum aus. Warum also beschäftigen sich ein paar Astronomen in den späten 1930er Jahren mit Wasserstoff, selbst wenn er ionisiert ist? Weil es Energie braucht, um Wasserstoff zu ionisieren. Energie gibt es im Weltall natürlich auch, die kommt unter anderem von der Strahlung der Sterne. Was Strömgren in seiner Arbeit getan hat, war folgendes: Er hat sich überlegt, wie dieser ionisierte Wasserstoff tatsächlich im Raum verteilt sein müsste, wenn man davon ausgeht, dass es die Strahlung der Sterne ist, die ihn ionisiert. Das geht nicht mit jeder beliebigen Strahlung, es braucht die richtige Energie und die steckt vor allem in der ultravioletten Strahlung der sehr heißen und großen Sterne; die mit den Spektralklassen O und B, wenn es jemand genau wissen will.

    Wir haben also diese heißen Sterne, die vom üblichen interstellaren Medium umgeben sind, also dem Zeug, dass sich zwischen den Sternen befindet. Das ist natürlich auch weitestgehend Wasserstoff, aber in dem Fall neutraler Wasserstoff, oder halt einfach nur Wasserstoff, nicht ionisiert. Die energiereiche ultraviolette Strahlung der heißen Sterne kann diesen Wasserstoff jetzt ionisieren. Das heißt aber auch, dass da jetzt freie Elektronen durch die Gegend fliegen, die nicht mehr an ihre Atomkerne gebunden sind. Die können jetzt wieder von Wasserstoffatomkernen eingefangen werden - das nennt man "Rekombination" - und dabei wird Energie abgestrahlt, in Form von Lichtteilchen, die jetzt aber weniger Energie haben und nicht in der Lage sind, Atome zu ionisieren. Strömgren hat sich das alles genau durchgerechnet: Wie weit entfernt von einem Stern gibt es noch genug energiereiche UV-Strahlung, um Atome zu ionisieren; wo fängt die Zone an, wo der Wasserstoff sich wieder ein Elektron einfängt, und so weiter. Und er ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass das erstens logischerweise eine mehr oder weniger kreisförmige Region um den Stern herum sein muss, weil Sterne ihre Strahlung ja in alle Richtungen abgeben. Er ist aber auch zweitens darauf gekommen, dass die Grenze zwischen ionisierten und neutralen Wasserstoff relativ scharf sein muss. Der ionisierte Wasserstoff wird nicht irgendwie langsam immer weniger und weniger und es ist auch nicht so, dass da Bereiche mit ionisierten Wasserstoff sind, die sich mit neutralen Wasserstoff abwechseln. In der Nähe des Sterns wird Wasserstoff durch die starke Strahlung ständig ionisiert. Weiter draußen gibt es dann aber nicht mehr genug UV-Strahlung, weil die zum Teil schon von den Atomen weiter innen absorbiert worden sind. Dort werden die Atome dann entweder nicht mehr ionisiert oder schnappen sich dann gleich wieder eines der freien Elektronen. Noch weiter draußen wird dann gar nichts mehr ionisiert und, so die Rechnung von Strömgren, im Vergleich zur Ausdehnung der ionisierten Region ist diese Übergangszone sehr schmal. Man kann also durchaus von einer Blase beziehungsweise Sphäre aus ionisierten Wasserstoff sprechen, der diese Sterne umgibt und Strömgren hat auch eine Formel entwickelt, die die Größe dieser Sphäre in Abhängig der Strahlungsstärke des Sterns bestimmt. Die Strömgren-Sphären sind dabei durchaus groß; sehr viel größer als ein Stern. Bei den ganz heißen Sternen können sie einen Durchmesser von ungefähr 650 Lichtjahren haben; bei den kühlsten Sterne, die noch Strömgren-Sphären produzieren können, sind es immer noch um die 50 Lichtjahre.

    Man kann sich solche Strömgren-Sphären auch anschauen. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Rosettennebel. In seinem Zentrum befinden sich gleich ein ganzer Sternhaufen mit jungen und heißen Sterne und rundherum erkennt man deutlich die sphärischen Bereiche mit den ionisierten bzw. neutralen Wasserstoffatomen. Und man erkennt sie deswegen, weil das Licht, das bei der Rekombination der freien Elektronen von den dann wieder neutralen Wasserstoffatomen ausgestrahlt wird, eine ganz charakteristische Wellenlänge hat. Strömgren-Sphären können wir im Orion-Nebel sehen, im Adler-Nebel, und so weiter. Aber die Strömgren-Sphäre ist nicht einfach nur die theoretische Erklärung für ein paar schöne Bilder, die wir gemacht haben.

    Wenn das interstellare Medium durch die Strahlung eines heißen Sterns beeinflusst wird und sich eine Strömgren-Sphäre bildet, dann hat das natürlich auch Auswirkungen auf die weitere Umgebung. Ioniziation und Rekombination und die ganze Strahlung die dabei aufgenommen und abgegeben wird, beeinflussen das interstellare Medium und können dafür sorgen, dass die Entstehung neuer Sterne leichter oder schwerer wird. Ist das Gas zum Beispiel zu heiß, dann bewegen sich die Teilchen zu schnell, als dass die Wolke die aus dem Gas besteht, in sich zusammenfallen und so einen neuen Stern bilden kann. Wenn eine Strömgren-Sphäre sich bildet und ausdehnt, kann sie das umgebende Material andererseits aber auch erst Recht quasi zusammenschieben und so neue Sternbildung auslösen.

    Auf noch größeren Skalen betrachtet, können Strömgren-Sphären auch die Entwicklung ganzer Galaxien beeinflussen, je nachdem wie sie dort verteilt sind und damit zum Beispiel ganze Sternentstehungsregionen bilden. Die heißen Regionen aus ionisierten Wasserstoff lassen sich außerdem auch gut beobachtet, selbst aus der Ferne in anderen Galaxien. Damit können wir auch über enorme Distanzen hinweg die Sternentstehungsraten dieser Galaxien bestimmen und schauen, wo sich die Quellen der Ionisation, also die heißen Sterne befinden.

    Die Strömgren-Sphären spielen auch eine wichtige Rolle, wenn man die Reionisierungsepoche des Universums verstehen will. Das ist eigentlich wieder eine ganz andere Geschichte und eine lange noch dazu, aber ganz kurz geht sie so: Zuerst gab es im Universum nur ionisierte Atome. Es war alles zu heiß, so dass die Elektronen sich nicht an die Atomkerne binden haben können. Erst knapp 400.000 Jahre nach dem Urknall hat das geklappt. Und erst da ist das Universum "durchsichtig" geworden, soll heißen: Davor konnte sich das Licht nicht vernünftig ausbreiten, weil alles voll mit freien Elektronen war, die es dauernd abgelenkt haben und noch dazu war das Universum damals ja auch viel kleiner. Nachdem sich aber die Elektronen an die Atomkerne gebunden haben, war genug Platz für das Licht, aber es war immer noch dunkel, weil es ja keine Sterne gegeben hat. Die haben sich dann in den nächsten paar Dutzend bis Hundert Millionen Jahren gebildet und die ersten Sterne waren sehr große und sehr heiße Sterne. Sie haben also auch Strömgren-Sphären gebildet und den Wasserstoff um sich herum wieder ionisiert. Alle jungen Sternen im jungen Universum haben das getan; die Strömgren-Sphären haben sich quasi überlappt und - zusammen mit ein paar anderen Phänomenen auf die ich jetzt nicht eingehe - hat das dazu geführt, dass ein großer Teil des Wasserstoffs im Universum wieder reionisiert worden ist, so wie damals, als der junge Kosmos noch nicht durchsichtig war. Zum Glück hat sich das All aber in der Zwischenzeit weit genug ausgedehnt, es ist genug Platz für das Licht und wir können schauen, was es da alles zu sehen gibt.

    13 December 2024, 6:00 am
  • 4 minutes 29 seconds
    Sternengeschichten LIVE TOUR 2025 und ein Hörbuch
    Kommt zu den Sternengeschichten Liveshows!

    Sternengeschichten LIVE 2025 und ein Hörbuch

    Hallo liebe Hörerinnen und Hörer,

    Kurz bevor das Jahr zu Ende geht, melde ich mich noch einmal außerhalb der üblichen Folgen und direkt bei euch. Denn es gibt ein paar coole Neuigkeiten. Gleich zu Beginn das Wichtigste: Der Sternengeschichten-Podcast geht auf Tour! Nachdem ich im Frühjahr ausprobiert habe, ob sich das mit der Podcast-Liveshow auch umsetzen lässt, wird es die Show jetzt auch öfter geben. Nächstes Jahr, also 2025, wird die erste Tour starten und ich bin sicher, es wird großartig! Die Liveshow wird natürlich anders sein als der Podcast selbst; es macht ja keinen Sinn, wenn ich da auf einer Bühne 10 Minuten lang was erzähle und dann ist Ende. Nein, es wird eine komplette Show werden, ein ganzer Abend, voll mit allen möglichen Sternengeschichten, die ich in dieser Form im Podcast noch nicht erzählt habe und es wird dazu natürlich auch schöne Bilder geben, das eine oder andere Experiment, ein bisschen Action, jede Menge Spaß und endlich auch die Möglichkeit für mich, meine Hörerinnen und Hörer nach der Show auch mal persönlich zu treffen.

    Tickets für die Show sind ab heute, also ab dem 9. Dezember 2024 erhältlich und zwar unter sternengeschichten.live - die Links gibt es natürlich auch noch in den Shownotes. Die Tour selbst wird dann am 16. Februar 2025 in Frankfurt losgehen. Dann gibt es noch weitere Shows am 23. März in Bremen, am 26. Mai in Eschweiler, am 4. Juni in München, am 28. September in Leverkusen und dann in Essen, Dortmund, Düsseldorf und Berlin und zwar am 10., 11., 13. und 14. Dezember.

    Ich weiß, da fehlen noch ein paar Gegenden in Deutschland, da fehlt auch noch Österreich und die Schweiz. Aber die Shows 2025 sind hoffentlich nur der erste Schritt. Wenn das gut funktioniert und wenn genug Leute Interesse daran haben, dann wird es 2026 mehr Shows und auch an anderen Orten geben.

    Ich würde mich sehr freuen, euch bei den Auftritten zu sehen!

    Und eine zweite Ankündigung habe ich auch noch! Den Sternengeschichten-Podcast gibt es jetzt ja schon seit 12 Jahren und gut 630 Folgen. Da kann man ein wenig den Überblick verlieren, besonders wenn man neu dazu kommt. Deswegen habe ich mir gedacht, es wäre schön, wenn man einen etwas weniger umfangreichen Einstieg hätte. Und darum wird es nächstes Jahr ein Hörbuch "Sternengeschichten" geben. Ich habe dafür natürlich nicht einfach nur einen Schwung Podcastfolgen auf ne CD kopiert. Sondern ich habe 50 Geschichten aus dem Podcast ausgewählt, zu einem Hörbuch zusammengestellt, das einen halbwegs guten roten Faden hat und die Geschichten auch entsprechend modifiziert, gekürzt, erweitert, etc und alles neu aufgenommen. Außerdem habe ich sechs Geschichten komplett neu geschrieben und aufgenommen. Das ganze gibt es als Hörbuch überall dort zu hören, wo man Hörbücher hören will; das ganze wird es aber auch als echtes, physisches Objekt geben, d.h. es wird eine mp3-CD geben, mit einem schönen Booklet, Bildern, usw, das man unabhängig vom Internet hören kann.

    Erscheinen wird das Hörbuch zwar erst im März 2025, aber man kann es jetzt schon vorbestellen - die Links dazu findet ihr in den Shownotes.

    Und das war es auch schon für diesmal. Ich freu mich, wenn wir uns nächstes Jahr irgendwo bei einer meiner Liveshows sehen werden. Ich freu mich vor allem, wenn ihr weiterhin den Podcast hört und ihn so gerne hört, wie ihr ihn bisher gehört habt. Ich wünsche euch viel Spaß mit den kommenden Folgen, ich wünsche euch frohe Feiertage, und hoffentlich viel Ruhe und Erholung.

    Bis bald, im Podcast oder Live!

    Tickets für die Sternengeschichten-Liveshow: https://sternengeschichten.live/ Hörbuch "Sternengeschichten": https://www.penguin.de/buecher/florian-freistetter-sternengeschichten/hoerbuch-mp3-cd/9783844553062

    Wer die Sternengeschichten finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten)

    9 December 2024, 11:00 am
  • 10 minutes 34 seconds
    Sternengeschichten Folge 628: Der Tod des Kometen Elenin
    Der verschwundene Weltuntergangskomet

    Sternengeschichten Folge 628: Der Tod des Kometen Elenin

    Der russische Amateur-Astronom Leonid Elenin hat am 10. Dezember 2010 das gemacht, was er zuvor schon sehr oft gemacht hat. Nämlich Bilder des Nachthimmels mit den Teleskopen des International Scientific Optical Network oder kurz ISON. ISON hat überall auf der Welt Teleskope und mit einem, das in New Mexico steht, wurden an diesem Tag vier Bilder gemacht. Das was ISON und Leonid Elenin gesucht haben, sind Asteroiden und Kometen im Sonnensystem. Um sie zu entdecken braucht man nicht unbedingt große Teleskope, aber man braucht möglichst viele Bilder des selben Bereichs am Himmel zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Die meisten der Lichtpunkte auf diesen Bildern sind Sterne und die bewegen sich im Laufe einer Nacht oder auch mehrerer Nächte nicht. Asteroiden und Kometen tun das aber sehr wohl und wenn man auf einer Bilderserie einen Lichtpunkt findet, der seine Position von Aufnahme zu Aufnahme ändert, stehen die Chancen gut, dass man einen Asteroid oder Komet entdeckt hat. Elenin war zuvor schon oft erfolgreich; bis zu diesem Tag hatte er schon ein paar Dutzend Asteroiden entdeckt. Das, was er auf den Bildern vom 10. Dezember 2010 gefunden hat, war aber kein Asteroid, sondern ein Komet. Und weil Kometen immer nach den Personen oder Einrichtungen benannt werden, die sie entdeckt haben, hat dieser Komet auch seinen Namen bekommen: C/2010 X1 Elenin. Das "C" in der Bezeichnung bedeutet, dass es sich um einen langperiodischen Kometen handelt, der also mehr als 200 Jahre für eine Runde um die Sonne braucht. Und "2010 X1" ist die für Asteroiden- und Kometennamen typische Kombination aus Zahlen und Buchstaben, aus der sich der Entdeckungszeitraum ableiten lässt; in diesem Fall sagt uns das "2010 X1", dass es sich um den ersten entdeckten Kometen in der ersten Hälfte des Dezembers 2010 handelt.

    Aber wir bleiben am besten bei "Komet Elenin", denn ich will in der Folge über das astronomische Objekt sprechen und nicht den russischen Astronomen. Eigentlich ist Elenin kein besonders außergewöhnlicher Himmelskörper. Mit zwei Ausnahmen: Erstens ist dieser Komet aus ziemlich absurden Gründen enorm prominent geworden, weil viele Menschen behauptet haben, er würde den Weltuntergang verursachen. Und zweitens hat Elenin das nicht nur nicht getan - natürlich nicht - sondern ist quasi selbst untergegangen. Es gibt ihn heute nicht mehr; der Komet Elenin ist weg; er ist zerstört und existiert nicht mehr.

    Ende 2010 war er aber noch frisch und munter, aber eher unscheinbar. Der Komet befand sich noch weit von der Erde entfernt, er war uns nur wenig näher als der Jupiter und hätte ungefähr 150.000 mal heller leuchten müssen, um mit freiem Auge gesehen zu werden. Für die Teleskope hat es aber noch gereicht und nach seiner Entdeckung wurden weitere Beobachtungsdaten gesammelt, mit denen man seine Umlaufbahn genauer bestimmen konnte. Und die zeigte, dass Elenin am 10. September 2011 den sonnennächsten Punkt erreichen würde. Ein bisschen später, am 16. Oktober 2011 würde er dann seine größte Annäherung an die Erde erreichen. Aber selbst da wäre immer noch gut 35 Millionen Kilometer weit weg gewesen, es bestand also nie auch nur der Hauch einer Gefahr, dass Elenin mit der Erde kollidiert.

    Trotzdem hat es nicht lange gedauert, bis das ganze Internet voll war mit besorgniserregenden Nachrichten. Zum Beispiel, dass sich der Nordpol des Kometen auf den Südpol der Erde ausrichten würde, was zu jeder Menge Zerstörung auf der Erde führt. Oder das die Erde den Schweif des Kometen durchqueren würde, mit ebenso jeder Menge Zerstörung. Oder dass Elenin gar kein Komet ist, sondern in Wahrheit ein brauner Zwerg, also ein Objekt so groß wie der Jupiter und mindestens ein Dutzend Mal massereicher als der Planet. Und der braune Zwerg würde natürlich auch mit der Erde kollidieren und alles zerstören. Oder die Sonne tagelang verdunkeln. Und so weiter - und den Entdeckter, Leonid Elenin, würde es auch nicht geben. Elenin sei nur eine Abkürzung für "Extinction Level Event - Nibiru is Near", also "Auslöschungsereignis - Nibiru ist nah" und "Nibiru" ist der Name eines fiktiven Himmelskörpers, den sich Verschwörungsleute schon noch viel früher ausgedacht haben und jetzt mit Elenin fusioniert haben.

    Es ist aus heutiger Sicht nicht mehr genau zu rekonstruieren, warum gerade dieser eine, unscheinbare Komet plötzlich zum Instrument des Weltuntergangs geworden ist. Wir entdecken ja ständig Kometen; ein paar hundert pro Jahr. Und auch wenn Kometen immer schon Panik bei Menschen ausgelöst haben - davon habe ich in früheren Folgen ja schon erzählt, gibt es eigentlich keinen Grund, warum gerade dieser eine auf einmal so viel Drama verursacht. Vermutlich war es einfach nur der damalige Zeitgeist; wer sich noch daran erinnert, erinnert sich ja vielleicht an den ganzen Unsinn, der über den angeblich von den Maya vorhergesagten Weltuntergang am 21. Dezember 2012 erzählt worden ist. Die ganze Sache war Quatsch von vorne bis hinten und ich will gar nicht weiter darauf eingehen. Aber diese Weltuntergangstheorien haben Anfang 2011 gerade so richtig Fahrt aufgenommen und ein böser Komet passt da natürlich gut hinein.

    So oder so: Wir wissen, dass Elenin nicht mit der Erde kollidiert ist. Er hat uns nichts getan; er hat gar nichts gemacht sondern ist einfach verschwunden. Und das ist etwas, was ihn durchaus ein wenig besonders macht. Im Sommer 2011 war Elenin schon weiter ins innere Sonnensystem geflogen und hat das gemacht, was Kometen tun wenn sie näher an die Sonne kommen: Nämlich eine eine Koma und einen Schweif entwickelt. Auch das habe ich schon oft erklärt: Kometen enthalten sehr viel gefrorenes Material und all dieses Eis taut auf und wird gasförmig. Wenn es dann ins All strömt, reißt es Staub von der Kometenoberfläche mit sich und es bildet sich eine große Hülle aus Staub um den Kometenkern herum. Der Sonnenwind sorgt dann dafür, dass sich aus der Koma der Kometenschweif entwickelt und beides war bei Elenin im Sommer 2011 der Fall. Die Koma war über 100.000 Kilometer groß und auch der Schweif war schön ausgeprägt - aber der Komet insgesamt immer noch zu schwach leuchtend, um mit freiem Auge gesehen zu werden. Dann aber haben die Beobachtungen gezeigt, dass die Koma immer diffuser wird und sich immer weiter in die Länge zieht. Das ist ein Zeichen dafür, dass da nicht einfach nur ein bisschen Staub von der Oberfläche ins All strömt, sondern dass der ganze Komet selbst langsam zerbröselt. Ein Prozess, der natürlich immer weiter fortschreitet, je näher das Objekt der Sonne kommt.

    Es war also nicht klar, ob Elenin den sonnennächsten Punkt seiner Bahn überhaupt erreichen wird. Der Komet hat sich immer mehr aufgelöst, hat immer schwächer geleuchtet und im Oktober 2011, also nachdem er den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreicht haben sollte, konnte man ihn gar nicht mehr beobachten. Dafür hat man eine Trümmerwolke gesehen, dort wo sich der Komet befinden sollte. Oder anders gesagt: Elenin hat die Runde um die Sonne nicht überlebt; er ist in so viele, kleine Stücke zerfallen, dass quasi nichts übrig geblieben ist. Die Wolke hat sich im Laufe der Zeit immer weiter verteilt und jetzt ist es so, als habe es ihn nie gegeben.

    Der Tod des Kometen Elenin war nicht einzigartig; wir haben auch davor schon Kometen beobachtet, bei denen so etwas passiert ist. Aber es kommt auch nicht so oft vor, dass es nicht dennoch interessant wäre, sich das genau anzusehen. Spätere Analysen der Daten haben gezeigt, dass Elenin ein sehr kleines Objekt war. Der Durchmesser des Kometenkerns war kleiner als 1 Kilometer. Und wenn so ein kleines Objekt bei der Annäherung an die Sonne auftaut und jede Menge Gas ins All strömt, dann kann das dazu führen, dass der Kometenkern seine Rotationsgeschwindigkeit erhöht. Das auströmende Gas wirkt wie jede Menge kleine Triebwerke, die den Kern des Kometen immer schneller um seine Achse drehen. Die schnelle Rotation beschleunigt den Auflösungsprozess, denn so ein Komet ist ja kein massiver Felsbrocken, sondern quasi ein Geröllhaufen, der durch Eis zusammengehalten wird. Die Annäherung an die Sonne, das Austreten des Gases, die erhöhte Rotation: All das hat Elenin den Rest gegeben.

    Das ist ein bisschen schade, denn wir wissen heute auch, dass Elenin ein dynamisch neuer Komet war. Das heißt, dass er direkt aus den fernsten Regionen des Sonnensystems gekommen ist, aus der Oortschen Wolke, wo sich - ein paar zehn- bis hunderttausend Mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde - Billionen von Kometen befinden. Normalerweise bleiben sie auch dort, aber ab und zu können gravitative Störungen oder Kollisionen dafür sorgen, dass einer davon auf eine Umlaufbahn gerät, die ihn ins innere Sonnenystem bringt. Manche werden dann quasi eingefangen und bleiben auf Bahnen, die sie alle paar Jahrzehnte in die Nähe der Sonne bringt; manche fliegen aber auch wieder zurück in die Oortsche Wolke und kommen erst in ein paar Jahrhunderttausenden wieder. Und ab und zu passiert auch das, was Elenin passiert ist: Der erste Besuch in der Nähe der Sonne ist auch der letzte. Es wäre interessant gewesen, wenn wir Elenin, einen Kometen, frisch aus der so fernen und unerforschbaren Oortschen Wolke, noch länger beobachten hätten können. Dann hätten zwar die Weltuntergangsspinner weiter ihren Quatsch von Tod, Zerstörung und Unheil erzählt, aber die Astronomie hätte zumindest spannende Daten gehabt. Am Ende war die einzige Zerstörung, die Elenin gebracht hat, aber nur sein eigene…

    6 December 2024, 6:00 am
  • 11 minutes
    Sternengeschichten Folge 627: Ursa Major III - die kleinste Galaxie (fast) ohne Sterne
    Die dunkle Galaxie und die Entstehung der Milchstraße

    Sternengeschichten Folge 627: Ursa Major III - die kleinste Galaxie (fast) ohne Sterne

    Verglichen mit uns Menschen ist alles groß im Universum. Aber wir Menschen sind nicht unbedingt ein universaler Maßstab und es gibt durchaus Unterschiede bei den großen Dingen. Es gibt Dinge, die sind wirklich groß, verglichen mit anderen, die kleiner sind. Und bei den kleinen großen Dingen gibt es welche, die sehr viel kleiner sind, als man es sich denken würde und manche, die so klein sind, dass sie uns vor ein Rätsel stellen. Das klingt jetzt natürlich ein wenig verwirrend, also wird es Zeit, dass wir ein wenig konkreter werden.

    Wir fangen an mit einem ganz besonderen großen Ding: Unsere Milchstraße. Die Milchstraße ist eine Galaxie, eine Ansammlung von ein paar hundert Milliarden Sternen und einer dieser Sterne ist unsere Sonne. Die Milchstraße ist eine durchaus große Galaxie, aber natürlich nicht die größte die es gibt. Aber eben auch nicht die kleinste! Ein wenig so, wie Sterne von Planeten umkreist werden und Planeten von Monden umkreist werden können, haben auch Galaxien ihre eigenen Satelliten. Man kann dabei grob zwei Arten unterscheiden: Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien. Kugelsternhaufen sind, wie der Name schon sagt, kugelförmige Ansammlungen von Sternen und Zwerggalaxien - ebenso klar am Namen erkennbar - kleine Galaxien. Beide Arten von Sternsystemen befinden sich im Halo von Galaxien wie der Milchstraße. Das ist ein kugelförmiger Bereich der die galaktische Scheibe umgibt. In der Milchstraße sind die Sterne ja in Spiralarmen angeordnet, die sich mehr oder weniger alle in einer scheibenförmigen Region befinden, die gut hunderttausend Lichtjahre im Durchmesser hat und ein paar tausend Lichtjahre dick ist. Darüber und darunter befinden sich jede Menge Kugelsternhaufen und auch Zwerggalaxien.

    Wenn wir verstehen wollen, was der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Sternsystemen ist, müssen wir uns zuerst anschauen, was sie gemeinsam haben. In beiden Fällen handelt es sich um Ansammlungen von Sternen, die durch die Gravitationskraft zusammengehalten werden. Die Sterne dort können nicht jeder für sich ihrer Wege ziehen, die Gravitationskraft die sie aufeinander ausüben hält sie als Gruppe zusammen. In so einem Kugelsternhaufen können ein paar tausend bis zu ein paar Millionen Sterne versammelt sein. Bei Zwerggalaxien können es ein paar tausend bis zu ein paar Milliarden Sterne sein.

    Und da wird jetzt der eine oder die andere vielleicht schon verwirrt sein. Wenn es Kugelsternhaufen mit ein paar tausend Sternen gibt und Zwerggalaxien mit ein paar tausend Sternen und beides Systeme sind, wo diese Sterne durch die Gravitationskraft zusammengehalten werden: Was ist dann der Unterschied?

    Das ist eine sehr gute Frage und eine, die die Wissenschaft durchaus auch beschäftigt. Für eine Antwort müssen wir uns das ansehen, was wir nicht sehen können. Es geht um die dunkle Materie, die ich ja schon oft hier im Podcast besprochen habe. Nochmal ganz kurz zur Wiederholung: Wir sehen an der Bewegung der Sterne in Galaxien, an der Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen und bei diversen anderen astronomischen Phänomenen, dass sich die Himmelsobjekte nicht so bewegen, wie sie es tun müssten, wenn die sichtbare, leuchtende Materie alles ist, was existiert. Die Himmelsobjekte bewegen sich so, als wäre da sehr viel mehr Gravitationskraft vorhanden, als sich durch die sichtbare Materie erklären lässt. Die Konsequenz: Es muss auch Materie geben, die nicht sichtbar ist und die diese zusätzliche Gravitationskraft ausübt. In Wahrheit ist alles natürlich komplizierter, aber genau darauf läuft alles hinaus, was wir in den letzten gut 100 Jahren über die Bewegung der Himmelskörper gelernt haben.

    Alle Galaxien müssen in noch viel größere Wolken aus dunkler Materie eingebettet sein; die leuchtende Materie - also die ganzen Sterne - haben sich im Zentrum der dunklen Materiewolken angesammelt; angezogen durch ihre Gravitationskraft. Die Wolken aus dunkler Materie sind quasi der Ursprung der Galaxien, ohne sie hätten sich die Galaxien gar nicht erst bilden können. Und was für die großen Galaxien wie die Milchstraße gilt, gilt auch für kleinere Zwerggalaxien: Es sind Ansammlungen von Sternen, die sich im Zentrum von Wolken aus dunkler Materie befinden.

    Kugelsternhaufen dagegen sind tatsächlich nur Haufen aus Sternen. Wie sie entstehen ist immer noch nicht vollständig verstanden, aber vermutlich liegt ihr Ursprung ebenfalls in großen Wolken, aber diesmal sind es Wolken aus normaler Materie, aus kosmischen Staub und interstellarem Gas und wenn diese Wolken gestört werden und kollabieren, können jede Menge Sterne auf einmal entstehen, die dann als Haufen zusammenbleiben.

    Oder anders gesagt: Der Unterschied zwischen Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien liegt nicht unbedingt in der Anzahl der Sterne, aus denen sie bestehen. Sondern in der Frage, ob diese Sterne in eine Wolke aus dunkler Materie eingebettet sind, oder nicht.

    Und das ist alles sehr spannend und interessant, wenn man die Entwicklung der großen Dinge im Universum verstehen will. Aber wenn wir dunkle Materie nicht sehen können, wie können wir dann Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien unterscheiden? Das ist nicht leicht, aber es geht und es kann sehr überraschende Ergebnisse liefern. Womit wir jetzt bei Ursa Majoris III angelangt sind, dem Ding, das auch im Titel dieser Folge vorkommt und das wir deswegen irgendwann besprechen müssen.

    Ursa Majoris III oder kurz UMa3 befindet sich gut 30.000 Lichtjahre von uns entfernt. Es befindet sich außerhalb der Scheibe der Milchstraße, in ihrem Halo, also genau dort, wo sich die Satelliten der Milchstraße aufhalten. Entdeckt hat man es im Jahr 2024 und bevor ich jetzt noch einmal "es" oder "das Ding" sage, sollte ich vielleicht sagen, ob es sich um einen Kugelsternhaufen oder eine Zwerggalaxie handelt. Womit wir genau bei dem Punkt sind, um den es geht. Beobachtungen, die man mit dem Keck-Teleskop der Maunakea-Sternwarte auf Hawaii angestellt hat, haben gezeigt, dass UMa3 eine Masse von knapp 16 Sonnenmassen hat. Und nein, ich habe mich nicht versprochen. Es sind keine 16.000 oder 16 Millionen Sonnenmassen. Sondern tatsächlich 16 Sonnenmassen. Und das ist wenig. Es gibt einzelne Sterne, die sehr viel mehr als die 16fache Masse der Sonne haben! Die Sterne in UMa3 sind kleiner, aber es sind nur circa 60 Stück. Wir haben da also ein System mit ein paar Dutzend Sternen die insgesamt nicht mehr Masse haben, als 16 Sterne wie die Sonne. Wie kommt man da überhaupt auf die Idee, dass es etwas anderes sein könnte, als ein kleiner Sternhaufen. Eine Galaxie, selbst eine Zwerggalaxie, kann doch nicht so enorm winzig sein?

    Die Beobachtungen am Keck-Teleskop haben aber zuerst einmal eindeutig gezeigt, dass es nicht einfach nur eine zufällige Anordnung von Sternen ist, sondern tatsächlich eine echte Gruppe; alle in mehr oder weniger derselben Entfernung - sie gehören zusammen. Die Beobachtungen haben darüber hinaus aber auch gezeigt, dass diese Sterne sich schnell bewegen. So schnell, dass sie eigentlich gar keine zusammenhängende Gruppe bilden könnten, wenn es nur die Gravitationskraft der Sterne selbst wäre, die sie zusammenhält. Damit sie zusammenhalten können, muss es sehr, sehr viel mehr Masse dort geben, als die Handvoll an Sternen. Oder anders gesagt: Die Handvoll Sterne muss in eine sehr große Wolke aus dunkler Materie eingebettet sein. Oder noch einmal anders gesagt: UMa3 muss eine Galaxie sein, die fast nur aus dunkler Materie besteht.

    Natürlich kann es auch anders sein. Theoretisch wäre es möglich, dass es wirklich nur ein Sternhaufen ist, den wir zufällig gerade kurz vor dem Moment beobachten, an dem er tatsächlich auseinander fliegt. Aber das wäre sehr unwahrscheinlich. Und wenn es sich bei UMa3 wirklich um eine dunkle Zwerggalaxie handelt, wäre das natürlich auch viel spannender. Das würde uns viel über die Entstehung der Milchstraße verraten, also die Phase, in der sich die Sterne in den Zentren der Wolken aus dunkler Materie bilden und dann die vielen Satelliten anziehen, die sie später umkreisen. Dass bei UMa3 so gut wie keine Sterne mehr vorhanden sind, muss etwas mit ihrer Entwicklung zu tun haben und mit den dynamischen Prozessen, die bei der Entstehung der Milchstraße und ihren Satellitensystemen abgelaufen sind. Was genau, das wissen wir noch nicht. Aber wenn wir besser verstehen, wie UMa3 und ähnliche Sternensysteme, die wir kennen, funktionieren, dann werden wir auch die Entstehung der Milchstraße besser verstehen. Deswegen müssen wir auch weiter ganz genau hinschauen. Wir müssen die Sterne, die wir sehen können, noch besser und genauer beobachten, ihre Geschwindigkeiten noch besser und genauer messen. Denn nur dann können wir uns sicher sein, dass es sich wirklich um eine Zwerggalaxie mit dunkler Materie handelt und nicht vielleicht doch um einen Sternhaufen, bei der ein oder zwei Sterne vielleicht eine überdurchschnittlich hohe Geschwindigkeit haben - oder wo die Geschwindigkeitsmessung vielleicht einfach nur fehlerhaft war.

    Am Ende ist es wie immer in der Wissenschaft: Wir haben ein paar faszinierende Ideen und ein paar äußerst spannende Beobachtungen. Aber wir müssen noch mehr Daten sammeln, um verlässliche Antworten zu bekommen. Die dann mit Sicherheit zu noch mehr Fragen führen werden. Aber vielleicht bringt uns gerade diese Galaxie, die nur aus einer Handvoll an Sternen besteht, ein paar dieser Antworten näher…

    29 November 2024, 6:00 am
  • 10 minutes 26 seconds
    Sternengeschichten Folge 626: Flammarions Holzschnitt und der Rand der Welt
    Ein Blick hinter die Kulisse des Universums

    **Sternengeschichten Folge 626: Flammarions Holzschnitt und der Rand der Welt ** In der heutigen Folge der Sternengeschichten möchte ich über ein Bild sprechen. Und ich weiß, dass es immer ein wenig schwierig ist, wenn ein Bild das Thema in einem Podcast ist, weil ihr könnt hier ja nichts sehen, sondern nur mich hören. Aber dieses Bild, von dem ich heute sprechen möchte, habt ihr ziemlich sicher alle schon mal gesehen. In der ursprünglichen Version ist es schwarz-weiss, es sieht ein wenig nach Mittelalter aus. Man sieht auf der rechten Seite eine Landschaft, mit Wiesen und Wäldern und ein paar kleinen Dörfern. Dahinter geht eine große Sonne unter und am Himmel darüber stehen Sterne. Dieser Himmel zieht sich aber von rechts oben nach links unten hinunter; der Himmel ist quasi eine Art Halbkugel, die sich über dem flachen Boden wölbt. Links unten, im Vordergrund, stößt der Himmel an den Boden und genau dort sieht man einen Mann mit langem Umhang und Wanderstock knien, der seinen Kopf durch das Gewölbe des Himmels steckt und auf der anderen Seite ein mysteriöses mechanisch wirkendes Wirrwarr aus Rädern, Bögen, Wolken und strahlenden Objekten sieht. Seine Hand ist in Richtung dieses Himmels hinter dem Himmel ausgestreckt und obwohl man sein Gesicht nicht erkennt, wirkt der Mann so, als sei er höchst überrascht und ergriffen von dem, was er hinter dem Rand der Welt entdeckt hat.

    Falls jemand das Bild immer noch nicht vor Augen hat, könnt ihr den Podcast gerne unterbrechen und kurz im Internet nachsehen. Es ist meistens unter dem Titel "Flammarions Holzstich" bekannt, aber auch als "Wanderer am Weltenrand". Wer Flammarion ist und was dieses Bild bedeuten soll, werden wir später noch klären. Aber es ist interessant, zuvor einen Blick auf die Art und Weise zu werfen, wie dieses Bild im Laufe der Zeit verstanden wurde. Lange Zeit hat man nämlich nicht gewusst, wer dieses Bild erstellt hat, wie alt das Bild ist und zu welchem Zweck es verwendet wurde. Der deutsche Astronom Ernst Zinner hat es in den 1950er Jahren zeitlich der deutschen Renaissance zugeordnet, also dem 15. und 16 Jahrhundert. Und das würde ja auch inhaltlich irgendwie passen. Denn im Mittelalter hat ja noch niemand gewusst, wie die Welt wirklich beschaffen ist; man hat gedacht dass die Erde eine Scheibe ist und erst später hat die in der Renaissance entstandene Naturwissenschaft ab dem 17. Jahrhundert langsam verstanden, wie die Welt wirklich funktioniert. Nur ist das natürlich Unsinn. Dass die Erde eine Scheibe ist, hat auch im Mittelalter niemand gedacht; die Leute, die sich ernsthaft mit diesen Fragen auseinander gesetzt haben, wussten sehr klar, dass wir auf einem kugelförmigen Planeten leben. Die moderne Naturwissenschaft hat zwar tatsächlich ihre Wurzeln in der Arbeit von Newton, Kepler, Galilei und sich seit dem 17. Jahrhundert immer weiter entwickelt - aber auch im Mittelalter gab es schlaue Menschen die die Welt erforscht haben. Ich habe darüber in vergangenen Folgen der Sternengeschichten ja schon gesprochen - aber Flammarions Holzstich ist eben ein wirklich faszinierendes Bild und wenn man es sich ansieht, kann man sehr gut glauben, dass man hier eine Darstellung des mittelalterlichen Weltbildes vor sich hat beziehungsweise eine Darstellung des Umbruchs, als die Weltbilder kolldidierten und wir gerade angefangen haben zu verstehen, wie alles wirklich funktioniert.

    Aber so ist es nicht. Man hat die Quelle des Bildes nie weiter zurück als ins 19. Jahrhundert verfolgen können und wir wissen heute, dass es auch nicht älter ist. Das erste Mal taucht es im Jahr 1888 auf und zwar als Illustration im Buch "L’atmosphère. Météorologie populaire" des französischen Astronomen Camille Flammarion. Und den schauen wir uns jetzt ein wenig genauer an. Er wurde 1842 geboren, hat sich schon als Kind für Astronomie interessiert und unter anderem als Assistent von Urbain LeVerrier - dem Entdecker des Planeten Neptun - an der Pariser Sternwarte gearbeitet. Er war aber auch und vor allem jemand, der die Astronomie unter die Menschen bringen wollte und hat viele populärwissenschaftliche Bücher geschrieben. Eines davon war das sechsbändige Werk über die Meteorologie von dem ich vorhin gesprochen habe. Im Kapitel "La forme du ciel", also "Die Form des Himmels" findet man die Illustration (die übrigens kein Holzstich ist, auch wenn sie immer so genannt wird, aber das würde jetzt zu weit führen) mit folgender Bildunterschrift: "Un missionnaire du moyen âge raconte qu’il avait trouvé le point où le ciel et la Terre se touchent … " oder auf deutsch: "Ein Missionar aus dem Mittelalter erzählt, dass er den Punkt gefunden hat, an dem sich Himmel und Erde berühren".

    Wenn man sich den Rest des Kapitels ansieht, dann wird auch schnell klar, warum Flammarion die Abbildung eingefügt hat. Es geht, wie ja auch schon der Titel des Kapitels sagt, um die Form des Himmels. Flammarion erklärt, dass wir immer das Gefühl haben, der Himmel würde sich über uns wölben und dass die Wölbung nicht wie eine Halbkugel erscheint, sondern ein bisschen eingedrückt, dass also die Distanz zum Horizont weiter erscheint als die Strecke bis dorthin, wo die Himmelskuppel direkt über unserem Kopf steht. Er erklärt weiter, dass die Leute ganz früher dachten, dass diese Himmelskuppel real wäre, dass man in der Antike dachte, dass sich hinter beziehungsweise auf der Kuppel die Götter befinden und dass dort die Sterne und Planeten fixiert wären. Und Flammarion schreibt von einem Missionar aus dem Mittelalter, der erzählt, dass er den Punkt gesehen hätte, wo Himmel und Erde sich treffen. Genau diese Szene ist in der Abbildung zu sehen.

    Man hat probiert herauszufinden, wo diese Geschichte mit dem Missionar herkommt und es gibt diverse Quellen in der Literatur, zum Beispiel die Legende des Heiligen Makarios von Ägypten, der im vierten Jahrhundert als Einsiedler in der Wüste gelebt haben und dabei auch den Rand der Welt entdeckt haben soll. Und es gibt diverse andere Geschichte, die Flammarion durchaus gekannt hat. Auch heute noch verwendet man in populärwissenschaftlichen Büchern gerne solche Anekdoten, wenn man ein wissenschaftliches Thema einführen will und es ist absolut nachvollziehbar, dass jemand wie Flammarion damit sein Kapitel über den Himmel in einem Buch über Meteorologie einleitet - und die Gelegenheit nutzt, ein schönes Bild dafür zu benutzen. Flammarion selbst war ja auch ein begeisterter Ballonfahrer und wollte zeigen, dass er selbst schon über die Grenzen des Himmels geflogen ist, die andere in der Antike dort vorhanden gelaubt haben. Es geht dann im Rest des Kapitels um durchaus komplizierte Themen wie zum Beispiel die Frage, wie sich die Perspektive auf den Horizont und Objekte am Erdboden ändert, wenn man aus unterschiedlichen Höhen über dem Horizont beobachtet, und so weiter. Ein paar schöne Bilder machen die Lektüre leichter und Flammarion schreibt auch immer wieder explizit, dass man sich die Bilder ansehen soll.

    Interessanterweise sehen wir diese Abbildung erst in der dritten Ausgabe des Buchs; Flammarion hat auch schon ein paar Jahre früher einen ähnlichen Text über die Atmosphäre geschrieben in der man den entsprechenden Abschnitt des Textes exakt wieder findet - aber ohne das Bild. Deswegen liegt es nahe, dass er selbst es war, der es für das Buch in Auftrag gegeben hat. Ob er es selbst gemacht oder einen anderen Künstler beauftragt hat, wissen wir nicht, aber man geht heute mit großer Sicherheit davon aus, dass der Holzstich extra für Flammarions Buch gemacht wurde, dass dieses Bild davor nicht existiert hat und absichtlich in einem mittelalterlich anmutenden Stil geschaffen wurde, um die Geschichte besser zu illustrieren.

    Über Flammarions Arbeit könnte man noch jede Menge Geschichten erzählen und das werde ich irgendwann auch machen. Er hat sich mit klassischer Astronomie beschäftigt, aber auch mit Themen wie der Frage nach außerirdischem Leben. Oder den angeblichen Kanälen auf dem Mars, von denen ich in Folge 404 der Sternengeschichten gesprochen habe. Er hat sich auch für spiritistische Phänomene interessiert und probiert, Sachen wie Telepathie oder Geistererscheinungen wissenschaftlich zu erforschen.

    Aber von all dem, was Camille Flammarion gemacht hat, ist sein Bild "Wanderer am Weltenrand" heute vermutlich das bekannteste. Man findet es in allen möglichen Zusammenhängen als Illustration, von astrologischen Büchern bis zu Dokumentationen über Astronomie; es taucht auf Plattencovern auf und in Spielen und überall sonst und anderswo.

    Und es ist ja - ganz unabhängig von der realen Geschichte die dahinter steht - ein wunderbares Bild. Es fasst so gut zusammen, wie wir Menschen sind. Wir sind nie zufrieden damit, die Welt so zu sehen, wie sie uns erscheint. Wir wollen immer wissen, wo die Grenzen sind und wenn wir diese Grenzen gefunden haben, dann müssen wir auch einen Weg finden, sie zu überschreiten und zu entdecken, was dahinter ist. Wir haben probiert, die Grenzen der Erde zu finden und festgestellt, dass es sie nicht gibt. Die Welt hat keinen Rand und der Himmel schließt uns nicht ein. Und genau deswegen haben wir uns auf den Weg in dieses Weltall gemacht, sind wir bis zum Mond gekommen und werden in Zukunft hoffentlich noch viel weiter hinaus gelangen. Als Wanderer im Weltall haben wir den Rand der Welt noch nicht entdeckt - aber wir werden weiterhin danach suchen und wenn wir ihn doch irgendwann mal gefunden haben, werden wir einen Weg finden, über diesen Rand hinaus zu sehen um zu schauen, was dahinter ist.

    22 November 2024, 6:00 am
  • 11 minutes 44 seconds
    Sternengeschichten Folge 625: Przybylskis Stern - Fabrik für exotische Elemente oder Alienmüllhalde?
    Ein Stern, voll mit komischen Zeug

    Sternengeschichten Folge 625: Przybylskis Stern - Fabrik für exotische Elemente oder Alienmüllhalde?

    Am 4. März 1961 hat der polnisch-australische Astronom Antoni Przybylski einen Fachartikel veröffentlicht, der den relativ harmlosen Titel "HD 101065-a GO Star with High Metal Content" trägt. Also übersetzt: "HD 101065- ein GO Stern mit hohem Metallgehalt". Das klingt nicht sonderlich aufregend, zumindest dann, wenn man weiß, dass in der Astronomie das Wort "Metall" etwas anderes bedeutet als im normalen Sprachgebrauch. Aber dazu kommen wir später noch. Aber tatsächlich ist der Stern, den Przybylski entdeckt und in seiner Arbeit beschrieben hat, definitiv enorm aufregend. So aufregend, dass die Forschung auch mehr als 60 Jahre später immer noch jede Menge offene Fragen hat, was dieses Ding angeht.

    Aber fangen wir mit dem an, was wir definitiv wissen. Der Stern wurde am 26. April 1960 von der Mount Stromlo Sternwarte in Australien aus beobachtet. Er ist knapp 360 Lichtjahre von der Erde entfernt und dort am Himmel, wo sich das Sternbild Zentaurus befindet. Er hat die 1,4fache Masse der Sonne, ist doppelt so groß und leuchtet circa 5,5mal heller. Przybylski hat damals nicht gezielt nach seltsamen Sternen gesucht, er wollte Sterne finden, die sich schnell bewegen und dafür hat er diverse Sterne aus dem Henry-Draper-Katalog im Detail beobachtet. Er hat ihr Spektrum bestimmt; hat also das Licht der Sterne das durch sein Teleskop gefallen ist, mit optischen Instrumenten in seine Bestandteile aufgespalten, um zu sehen, wie viel Energie das Licht bei bestimmten Wellenlängen hat. Das ist eine Standardtechnik in der Astronomie, die ich ja schon sehr oft im Podcast erklärt habe. Im Spektrum eines Sterns gibt es immer Bereiche, wo bei bestimmten Wellenlängen quasi gar nichts durchkommt. Das ist das, was man "Spektrallinien" nennt, weil dort in der visuellen bzw. grafischen Darstellung des Spektrums eine dunkle Linie zu sehen ist. Welche Spektrallinien zu sehen sind, hängt davon ab, aus welchen Elementen ein Stern besteht, denn jedes chemische Element blockt andere Wellenlängen des Lichts ab. Und wo genau man die Linie im Spektrum sehen kann, hängt davon ab, wie schnell sich die Lichtquelle, also der Stern, bewegt. Deswegen hat sich Przybylski die Spektren angesehen und deswegen hat er auch entdeckt, dass dieser eine Stern eine ganz besondere chemische Zusammensetzung hat.

    Der Stern hat vor allem sehr viele Metalle, womit in der Astronomie alles bezeichnet wird, was kein Wasserstoff und kein Helium ist. Wasserstoff und Helium sind mit sehr, sehr großem Abstand die häufigsten Elemente des Universums und damit auch die Elemente, aus denen Sterne fast komplett bestehen. Alles andere - also Zeug wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Gold, Silber, Eisen, usw, der ganze Rest des Periodensystems - wird in der Astronomie mit dem Begriff "Metalle" zusammengefasst, war zwar verwirrend und aus chemischer Sicht Quatsch ist, aber sich nun mal eben historisch so eingebürgert hat.

    Sterne, die viele Metalle enthalten, sind jetzt erst mal nicht außergewöhnlich. Die Sonne enthält auch Metalle, genau so wie alle anderen Sterne, die wir bis jetzt beobachtet haben. Nur die allerersten Sterne, die im Universum entstanden sind, können keine Metalle enthalten haben, denn damals gab es ja nur Wasserstoff und Helium, wie ich in Folge 454 der Sternengeschichten erzählt habe. Die ganzen anderen chemischen Elemente sind ja erst durch Kernfusion im Inneren der Sterne erzeugt worden. Je später ein Stern in der Geschichte des Universums entstanden ist, desto mehr Metalle kann er - theoretisch - enthalten. Es kommt aber nicht nur auf die Menge der Metalle an, sondern auch auf die Art. Und das ist genau das, was die Leuten bei Przybylskis Stern bis heute irritiert. Przybylski selbst konnte damals unter anderem Barium und Strontium nachweisen und das in ungewöhnlich großen Mengen. Außerdem viele der sogenannten "seltenen Erden". Mittlerweile weiß man, dass man es dort Caesium gibt, Holmium, Niob, Scandium, Yttrium, Neodym oder Praesodym. Von dem Zeug gibt es dort mehr als man eigenlich erwarten würde. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass Przybylskis Stern viele Actinoide enthält, also chemische Elemente die im Allgemeinen radioaktiv und darüber hinaus sehr kurzlebig sind. Thorium und Uran hat man definitiv gefunden, aber auch Indizen für Actinium, Protactinium, Neptunium, Plutonium, Americium, Curium, Berkelium, Californium und Einsteinium. Mit den meisten dieser Elemente hat man es im Alltag so gut wie nie zu tun, sie kommen eigentlich auch nicht natürlich vor. Elemente wie Neptunium, Plutonium, Americium, Curium, Berkelium, Californium und Einsteinum haben wir in kernphysikalischen Laboren oder bei der Explosion von Kernwaffen entdeckt; die liegen nicht einfach irgendwo rum. Und sie liegen deswegen nicht irgendwo rum, weil sie eben so stark radioaktiv sind und nach sehr kurzer Zeit wieder zerfallen. Einsteinium hat zum Beispiel im besten Fall eine Halbwertszeit von 472 Tagen. Das heißt, selbst wenn ein Stern aus irgendeinem Grund bei seiner Entstehung eine relevante Menge dieses Elements von irgendwoher mitbekommen hat, ist davon nach ein paar Millionen Jahren definitiv nichts mehr übrig.

    Przybylskis Stern ist auf jeden Fall über eine Milliarde Jahre alt; wenn wir heute dort solche Elemente wie Einsteinium finden, stimmt also irgendwas nicht. Es ist aber immer noch umstritten, ob man Einsteinium wirklich nachweisen konnte. Das liegt vor allem daran, dass wir hier auf der Erde nicht genug Einsteinium für die Forschung haben, um zu wissen, welche Art von Spektrallinien es im Detail produziert. Beim Element Promethium sieht es aber anders aus; das kennen wir hier auf der Erde und nutzen es zum Beispiel in der Raumfahrt als Energiequelle. Und man hat es auch relativ sicher in Przybylskis Sterns nachgewiesen. Promethium hat aber im besten Fall eine Halbwertszeit von knapp 18 Jahren; die Lage ist also nicht viel besser als beim Einsteinium.

    Also: Was ist da los? Wie kommt dieser Stern an so eine seltsame Sammlung chemischer Elemente und wieso sind dort Elemente, die eigentlich schon längst zerfallen sind. Die kurze Antwort ist: Keine Ahnung. Die längere Antwort lautet: Keine Ahnung, aber wir haben zumindest ein paar spannende Ideen. Es könnte zum Beispiel sein, dass Przybylskis Stern nicht alleine ist, sondern einen Begleiter hat. Dieser Begleiter könnte ein Neutronenstern sein, also der Überrest eines ehemaligen, großen Sterns. So ein Neutronenstern könnte Teilchen mit hoher Geschwindigkeit ins All schleudern, die dann, wenn sie auf Przybylskis Stern treffen, die entsprechenden radioaktiven Elemente erzeugen. Bis jetzt haben wir so einen Neutronenstern aber noch nicht nachgewiesen. Das heißt nicht, dass es ihn nicht gibt, aber wenn es ihn gibt, muss er sich in einer speziellen Umlaufbahn befinden, um sich so lange vor uns verstecken zu können.

    Trotzdem ist das fast noch die plausibelste Erklärung. Eine andere lautet nämlich so: Wir wissen zwar, dass die chemischen Elemente tendenziell immer instabiler werden, je mehr Kernteilchen sie enthalten. Also Atome wie Wasserstoff, mit nur einem Proton als Kernbaustein oder Sauerstoff mit 8 Protonen und 8 Neutronen sind stabil und zerfallen nicht und Elemente wie Einsteinium mit 99 Protonen und mindestens ebenso vielen Neutronen sind hoch radioaktiv und zerfallen schnell. Es gibt aber die Theorie einer "Insel der Stabilität", laut der, vereinfacht gesagt, Elemente existieren können, die ein bisschen stabiler sind, wenn die Zahl der Kernbausteine noch höher wird. Sie zerfallen zwar auch irgendwann, aber überleben deutlich länger. Wenn es diese Insel der Stabilität im Periodensystem gibt, dann könnte es entsprechende Elemente in Przybylskis Stern geben, die im Laufe der Zeit langsam zerfallen und als Zerfallsprodukte die beobachteten Elemente wie Einsteinium oder Promethium produzieren. Und weil dieser Zerfall der superstabilen Elemente kontinuierlich abläuft, wird eben auch dauernd neues Material als Zerfallsprodukt nachgeliefert. Das ist als Hypothese schon wild genug, aber man muss auch irgendwie erklären, wie ein Stern an solche Elemente kommt. Der Vorschlag: Vielleicht gibt es spezielle Arten von Supernova-Explosionen, die sie produzieren und dann durchs All schleudern.

    Oder vielleicht sind die superstabilen Elemente eh auch häufig in Sternen, aber wir kriegen sie nur in Ausnahmefällen zu sehen. Przybylskis Stern ist nämlich auch ein sogenannter roAp-Stern, ein Rapidly oscillating Ap star oder "schnell oszillierenden Ap Stern". Ich erkläre jetzt nicht im Detail, was das bedeutet, aber kurz gesagt: Der Stern ändert seine Helligkeit schnell und das deutet darauf hin, dass in seinem Inneren auch jede Menge an Dynamik abläuft, die es anderswo nicht gibt. Vielleicht werden die komischen Elemente nur bei solchen Sternen so weit aus dem Kern nach oben transportiert, dass wir sie mit spektroskopischen Methoden nachweisen können. Wie gesagt: Wir haben noch zu wenig Ahnung.

    Und wenn man keine Ahnung hat, kann man es natürlich auch immer mit einer anderen Antwort probieren: Aliens! Tatsächlich wurde auch schon vorgeschlagen, dass Außerirdische die ganzen obskuren Elemente absichtlich in Przybylskis Stern gekippt haben. Warum? Vielleicht weil sie so auf sich aufmerksam machen wollten - was ja dann auch recht gut funktioniert hätte. Oder vielleicht haben sie auf diesem Weg versucht, ihren radioaktiven Müll loszuwerden, aber dann müssten sie SEHR viel von diesem Müll haben. Gut, bei Aliens ist alles möglich, das ist ja das praktische und gleichzeitig das blöde, wenn man sie als Erklärung für irgendwas heranziehen will.

    Am Ende bleibt ein Stern, der ohne jeden Zweifel nicht so ist wie andere Stern. Ein Stern, der chemische Elemente enthält, die uns vor ein Rätsel stellen. Ein Stern, der uns die Entdeckung chemischer Elemente ermöglichen könnte und vielleicht einer ganz neuen Art von Chemie und Kernphysik. Es könnte ein Stern sein, der uns den Kontakt zu Aliens ermöglicht. Oder zumindest zu ihren Müllkippen…

    15 November 2024, 6:00 am
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