Sternengeschichten

Florian Freistetter

Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie.

  • 12 minutes 9 seconds
    Sternengeschichten Folge 638: Geminga, der Pulsar voller Rätsel
    Zuerst war da nichts und dann doch etwas

    Sternengeschichten Folge 638: Geminga, der Pulsar voller Rätsel

    Vor der Küste von Kenia befindet sich die so gar nicht kenianisch klingende San-Marco-Plattform. Dort, in der Nähe des Äquators hat die italienische Raumfahrtagentur im Jahr 1964 einen Raketenstartplatz gebaut und von dort am 15. November 1972 im Auftrag der NASA einen kleinen Satelliten ins All geschickt. Der Name des kleinen Satelliten war dann auch SAS-2, was für "Small Astronomy Satellite 2" steht. Und er war wirklich klein: Er hatte nur einen Durchmesser von knapp 60 Zentimetern, ein Gewicht von 186 Kilogramm und nur ein einziges Messinstrument an Bord, mit dem man hochenergetische Gammastrahlung nachweisen kann. Aber das war ausreichend, um damit unter anderem einen Himmelskörper zu entdecken, von dem man lange Zeit nicht einmal wusste, ob er wirklich da ist und den wir selbst heute nicht vollständig verstehen.

    Fangen wir mit der Gammastrahlung an. Das ist ganz normale elektromagnetische Strahlung, genau wie das normale Licht, das wir mit unseren Augen sehen können. Nur dass die Gammastrahlung sehr viel mehr Energie hat und deswegen eine sehr viel kleinere Wellenlänge. Unsere Augen können sie nicht sehen, aber mit entsprechenden Messinstrumenten können wir sie nachweisen. Auf der Erde kennen wir die Gammastrahlung als den sehr gefährlichen, hochenergetischen Anteil der radioaktiven Strahlung. Aber man hat schon den 1940er Jahren vermutet, dass es Gammastrahlung auch im Weltall geben könnte. Nicht, weil da irgendwer Atombomben zündet oder marode Kernkraftwerke betreibt. Sondern weil es auch diverse natürliche, astronomische Prozesse gibt, bei denen Gammastrahlung frei wird. Sehr starke Supernova-Explosionen zum Beispiel oder sehr heißes, sich sehr schnell bewegendes Gas. Gammastrahlung wird auch frei, wenn Materie extrem schnell um ein schwarzes Loch wirbelt, und so weiter. Das Problem ist allerdings: Die Erdatmosphäre lässt die Gammastrahlung aus dem Weltall nicht durch. Ok, das ist nur ein Problem für die Astronomie, für uns Menschen ist das allgemein ziemlich gut, denn diese Strahlung ist gefährlich für uns. Für die Forschung hat das aber bedeutet, dass man erst dann nachsehen konnte, ob da wirklich Gammastrahlung im Weltall ist, als man in der Lage war, Raketen mit Messinstrumenten in den Weltraum zu schicken.

    Das hat man ab 1961 gemacht und SAS-2 war dann der erste Satellit, dessen Aufgabe es war, eine umfangreiche Karte des ganzen Himmels im Gammalicht zu erstellen. Das Resultat: Man konnte tatsächlich jede Menge Gammastrahlungsquellen finden. Die meisten davon waren bekannt, zumindest insofern als man in der Richtung aus der die Strahlung kam, mit anderen Instrumenten Objekte sehen konnte, von denen man gewusst hat, dass sie Gammastrahlung produzieren. Das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße zum Beispiel, oder die Überreste von Supernovaexplosionen. Aber, und deswegen forscht man ja, man hat auch Gammastrahlungsquellen gefunden, die unbekannt waren. Auch die hat man im Laufe der Zeit identifizieren können, mit vorerst einer Ausnahme. Aus Richtung des Sternbilds Zwilling kam Gammastrahlung die man nicht zuordnen konnte. Die Auflösung von SAS-2 war aber auch nicht sehr gut, das heißt man konnte auch nicht exakt sagen, wo die Strahlung her kam. Aber normalerweise nutzt man in solchen Fällen andere Instrumente um mehr Informationen zu kriegen. Man kann zum Beispiel mit Radioteleskopen schauen, ob aus der Gegend Radiostrahlung kommt. Denn bei den meisten Prozessen, die Gammastrahlung freisetzen wird auch Radiostrahlung frei. In der fraglichen Region im Sternbild Zwillinge hat man ein paar Supernova-Überreste gefunden, also heißes Gas das sich schnell bewegt. Man hat in der Richtung eine andere Galaxie entdeckt und ein paar andere Radioquellen. Aber keine davon hat wirklich überzeugend gepasst.

    Was auch noch in Frage kommen würde, wäre ein Pulsar. Was das ist, habe ich in vergangenen Folgen auch schon erklärt: Wenn ein großer Stern am Ende seines Lebens bei einer Supernova-Explosion aufhört zu existieren, bleibt der extrem verdichtete Kern übrig. Der ist nur ein paar Dutzend Kilometer groß, hat aber immer noch so viel Masse wie die Sonne. So etwas nennt man Neutronenstern und die Dinger rotieren extrem schnell - ein paar tausend Mal pro Sekunde um ihre Achse und haben auch extrem starke Magnetfelder. Dabei entstehen auch elektrische Felder, die Teilchen aus der Umgebung des Neutronensterns sehr schnell beschleunigen können und solche stark beschleunigten Teilchen können Gammastrahlung aussenden. So ein Neutronenstern erzeugt aber auch Radiostrahlung und die können wir beobachten. Weil die Strahlung nicht gleichmäßig in alle Richtungen abgegeben wird, sondern nur durch einen schmalen Kegel entlang der Rotationsachse, kann so ein Neutronenstern wie ein Leuchtturm funktionieren. Wenn der Strahlungskegel durch die Rotation regelmäßig über die Erde streicht, sehen wir quasi ein "Blinken" im Radiolicht, das extrem regelmäßig ist. So etwas nennt man Pulsar und man hat vermutet, dass die ominöse Gammastrahlungsquelle im Sternbild Zwilling genau so ein Pulsar ist.

    Nur: Egal wie sehr man gesucht hat, man hat nirgendwo passende Radiostrahlung gefunden. Auch der 1975 gestartete Gammastrahlungssatellit Cos-B der Europäischen Weltraumorganisation hat das Rätsel nicht lösen können. Deswegen hat er auch die Bezeichnung "Geminga" bekommen. Das steht einerseits sehr prosaisch für "Gemini Gamma-Ray Source", als Gammastrahlungsquelle im Zwilling. Andererseits bedeutet "gh'è minga" im lombardischen Dialekt der rund um Mailand gesprochen wird auch so viel wie "ist nicht da", was Giovanni Bignami, dem italienischen Astronomen und Entdecker der Gammastrahlungsquelle, sehr passend vorgekommen ist.

    Erst 1991 konnte man mit dem Röntgensatellit ROSAT zeigen, dass dort, wo Geminga sein sollte tatsächlich etwas ist. Und zwar tatsächlich ein Pulsar, der zwar Gammastrahlung und auch Röntgenstrahlung abgibt. Aber überraschenderweise so gut wie keine Radiostrahlung. Geminga ist eines der wenigen bekannten Beispiele für einen "radioleisen" Pulsar.

    Und bevor wir uns anschauen, was das ist, fasse ich noch einmal den aktuellen Stand des Wissens zusammen. Geminga ist ein Pulsar, also ein schnell rotierender Neutronenstern, der Überrest eines ehemals großen Sterns. Er befindet sich nur gut 800 Lichtjahre von der Erde entfernt und ist damit der uns am nächsten gelegene Pulsar den wir kennen. Oder der zweitnächste nach dem Vela-Pulsar; da sind die Entfernungsmessungen noch nicht exakt genug. Allein das würde das Objekt schon sehr spannend für die Wissenschaft machen. Dass Geminga noch dazu so seltsam ist, ist ein extra Bonus.

    Die erste Seltsamkeit ist, wie vorhin erwähnt, die Tatsache, dass er radioleise ist. Ein möglicher Grund dafür ist natürlich zuerst der offensichtliche: Der Strahlungskegel seiner Radiostrahlung überstreicht die Erde nicht, deswegen sehen wir mit den Radioteleskopen auch nichts. Es kann aber auch an seinem Alter liegen: Geminga ist vor circa 300.000 Jahren bei einer Supernova-Explosion entstanden. Es könnte sein, dass die Prozesse, die bei einem Pulsar die Radiostrahlung erzeugen im Laufe der Zeit weniger effizient werden. Das heißt: Je älter der Pulsar, desto größer wird der Gammastrahlungsanteil an seiner gesamten Strahlung. Und das, was die Strahlung produziert, sind ja die diversen, komplexen Wechselwirkungen zwischen dem Magnetfeld des Pulsars und den Teilchen in seiner unmittelbaren Umgebung. Das muss nicht bei jedem Pulsar gleich ablaufen, vielleicht ist bei Geminga irgendwas anders? Zusammengefasst: Geminga ist ein Pulsar voller Rätsel und wenn wir es schaffen, diese Rätsel zu lösen, dann haben wir damit auch gleich ein paar ganz andere Rätsel über das allgemeine Verhalten so seltsamer Objekte wie Neutronensterne gelöst.

    Deswegen schauen wir auch immer wieder hin und unsere Teleskope werden immer besser. Das im Jahr 2008 gestartete Fermi-Weltraum-Gammastrahlungsteleskop der NASA hat das natürlich auch getan und 2019 eine regelrechte, ausgedehnte Hülle aus Gammastrahlung um Geminga herum entdeckt. Könnten wir das mit unseren Augen sehen, dann würde Geminga am Himmel 40 mal größer als der Vollmond erscheinen. Das liegt - vereinfacht gesagt - daran, dass Geminga mit seiner Gammastrahlung das Sternenlicht in seiner Umgebung beeinflusst. Wie ich vorhin erklärt habe, entsteht die Gammastrahlung durch die Teilchen, die vom Magnetfeld des Pulsars beschleunigt werden. Diese Teilchen sind unter anderem Elektronen, die aus der Oberfläche des Neutronensterns gerissen werden. Sie werden auf fast Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, entfernen sich von Geminga und treffen dort auf das normale Sternenlicht, also auf normale Lichtteilchen, die von den Sternen in der Umgebung stammen. Wenn die schnellen Elektronen und das Licht miteinander wechselwirken, dann entsteht ebenfalls Gammastrahlung.

    Geminga hat uns aber auch Hinweise darauf gegegen, wieso manche Pulsare Planeten haben. Wir kennen nicht viele solcher Objekte, aber ein paar und was wir da wissen, habe ich in Folge 355 ausführlich erzählt. Denn ein Pulsar ist ja ein toter Stern, der Rest einer gewaltigen Supernova. Wenn da früher mal Planeten waren, sollten die danach weg sein. Was auch so ist, aber unter Umständen können aus den Trümmern der Explosion neue Planeten entstehen. Geminga zeigt uns, wie das gehen könnte. Der Pulsar bewegt sich nämlich sehr schnell, viel schneller als Sterne das üblicherweise tun. Er pflügt regelrecht durch das interstellare Gas, also das bisschen an Materie, das sich zwischen den Sternen befindet. Er erzeugt dabei eine Art Bugwelle, wie es auch Schiff tut, das schnell durchs Wasser fährt. In der Bugwelle kann Gas und Staub quasi aufgesammelt werden und ein bisschen was davon könnte in die Nähe des Pulsars gelangen und wenn sich im Laufe der Zeit genug davon angesammelt hat, können daraus Planeten entstehen. Man hat mit entsprechenden Beobachtungen bei Geminga zwar noch keine Planeten gefunden, aber dafür jede Menge Staub und Gas.

    Es ist viel Zeit vergangen, seit wir Geminga entdeckt haben. Aber es wird noch sehr viel mehr Zeit vergehen, bis wir dieses faszinierende Objekt wirklich verstanden haben.

    14 February 2025, 6:00 am
  • 14 minutes 3 seconds
    Sternengeschichten Folge 637: Eugene Parker und der Sonnenwind
    Licht aus, es zieht!

    Sternengeschichten Folge 637: Eugene Parker und der Sonnenwind

    Die Sonne leuchtet: Das ist eine sehr fundamentale astronomische Beobachtung und eine, die sehr einfach durchzuführen ist. Die Sonne macht aber noch viel mehr und es hat ein wenig gedauert, bis wir das verstanden haben. Die längste Zeit über war die Sonne in unserer Vorstellung einfach genau das, wonach es auch aussieht, nämlich eine Kugel, die leuchtet. Dass da noch mehr ist, dass die Sonne ein dynamisches Objekt ist, und nicht einfach nur eine eigenschaftslose Lichtquelle: Das haben wir lange Zeit über nicht verstanden. Das gilt ganz besonders für das Phänomen, das wir heute "Sonnenwind" nennen.

    Dass die Sonne mehr Einfluss auf ihre Umgebung hat als einfach nur durch ihr Licht, hat man das erste Mal so richtig im 19. Jahrhundert vermutet. Im Jahr 1859 fand das Carrington-Ereignis statt, von dem ich in Folge 484 ausführlich erzählt habe. Dabei hat es sich um eine gewaltige Sonneneuruption gehandelt, die auf der Erde für einen magnetischen Sturm gesorgt hat. Die Telegrafennetze brachen damals zusammen, es gab gewaltige Polarlichter und das hat den englischen Astronom Richard Carrington vermuten lassen, dass es da einen Zusammenhang geben muss; dass irgendwas zusätzlich zum Sonnenlicht von der Sonne zur Erde gelangt ist und die Ereignisse dort ausgelöst hat. Der norwegische Physiker Kristian Birkeland hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls vermutet, dass die Polarlichter allgemein durch Teilchen ausgelöst werden, die von der Sonne zur Erde gelangen. Damals hat man aber gerade erst angefangen, die Details der Dynamik in der Sonne zu verstehen und weder Carrington noch Birkeland wurden mit ihrer Idee der Teilchenströme von der Sonne ernst genommen.

    Und jetzt verlassen wir kurz die Geschichte und schauen mit dem Wissen von heute auf die Sonne. Dann ist es nämlich gar nicht schwer zu verstehen, dass sie mehr als nur Licht ins All hinaus schickt. Die Sonne ist eine riesige Kugel aus sehr heißem Gas. Die Teilchen bewegen sich sehr schnell, sie sind auch elektrisch geladen und erzeugen bei ihrer Bewegung elektrische und magnetische Ströme. In den äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre können die Gasteilchen jetzt einerseits durch die hohen Temperaturen und andererseits durch die magnetischen Felder so beschleunigt werden, dass sie die Sonne verlassen. Sie strömen hinaus ins All und können das vergleichsweise langsam und in vergleichsweiser geringe Menge tun. Oder aber sehr viele Teilchen auf einmal strömen sehr schnell ins All. Das ist dann eine Sonneneruption, die - sehr vereinfacht gesagt - durch elektrische Kurzschlüsse auf der Sonne ausgelöst wird.

    Das mit den Sonneneruptionen hat man auch schon im frühen 20. Jahrhundert gewusst und akzeptiert. Aber das, was der deutsche Astronom Ludwig Biermann im Jahr 1951 veröffentlicht hat, ist vorerst immer noch auf Widerstand gestoßen. Biermann hat einen Artikel geschrieben, mit dem Titel "Kometenschweife und solare Korpuskularstrahlung". Er hat darin überlegt, warum Kometen und ihre Schweife sich so verhalten, wie sie es tun. Auch das habe ich schon oft erklärt: Wenn ein Komet in die Nähe der Sonne gelangt, taut das gefrorene Material auf seiner Oberfläche auf, strömt ins All und reißt dabei Staub mit sich. Der bildet dann einen Schweif, der immer von der Sonne weg zeigt, egal wie sich der Komet gerade bewegt. Grund dafür ist der Strahlunsdruck, also die Kraft, die das Licht selbst auf die Staubteilchen ausübt. Das ist das einfache Bild, im Detail ist es aber komplizierter. Ein Komet hat nämlich nicht nur so einen Staubschweif, sondern auch oft einen zweiten, einen Plasmaschweif. Der besteht aus ionisierten Molekülen, also geladenen Teilchen. Auch dieser Schweif zeigt immer von der Sonne weg, ist im Gegensatz zum Staubschweif aber gerade. Der Staubschweif ist gekrümmt, weil der Stahlungsdruck unterschiedlich stark auf die unterschiedlich großen Staubteilchen wirkt. Beim Plasmaschweif ist das nicht der Fall und wenn man ganz genau beobachtet, dann sieht man auch, dass er nicht exakt von der Sonne weg zeigt. Biermann hat beide Phänomene mit einer "solaren Korpuskularstrahlung" erklärt, also einem ständigen Strom von Teilchen der von der Sonne ausgeht. Diese Teilchen wäre einerseits schnell genug um die Moleküle aus der Umgebung der Oberfläche des Kometen zu einem geraden Schweif davon zu pusten. Und andererseits bewegt sich ja der ganze Komet durch diesen Strom und die Bewegung des Kometen in Kombination mit der Richtung aus der die Teilchen der Sonne kommen führt dazu, dass der Plasmaschweif ein bisschen verschoben wird. Ich will das jetzt nicht im Detail erklären, aber es funktioniert ein wenig so wie die Aberration des Sternenlichts, von der ich schon in Folge 83 erzählt habe.

    Aber Biermanns Arbeit wurde in der Astronomie nicht sehr freudig aufgenommen. Ein ständiger Teilchenstrom der von der Sonne ausgeht: Das ist den meisten nicht plausibel erschienen. 1956 hat Biermann in den USA den Physiker John Simpson besucht. Der war damals eine absolute Authorität bei der Erforschung der kosmischen Strahlung und der Physik die zwischen Sonne und Erde stattfindet. Aber auch Simpson war nicht von Biermanns Forschung überzeugt. Wenn die Sonne dauernd Teilchen ins All schickt, dann müsste sie ja irgendwann "leer" sein - und außerdem war Simpson vom damaligen Bild der Sonnenatmosphäre überzeugt und das hat sie als statisch beschrieben, also so wie die Erdatmosphäre. Da tut sich zwar ein bisschen was, aber im Wesentlichen ist das halt einfach Gas, das jetzt nicht wilde Dinge anstellt. Trotzdem hat Simpson einen jungen Mitarbeiter gebeten, sich die Sache von Biermann mal in Ruhe anzusehen. Dieser Mitarbeiter war Eugene Parker, damals erst 29 Jahre alt. Parker hat sich die Sache aber nicht nur angesehen, er fand Biermanns Behauptung auch viel plausibler als sein Chef es getan hat. Deswegen hat er sich dann auch die Mühe gemacht und ein komplettes mathematisches Modell entwickelt um zu beschreiben, wie die Sonne Teilchen aus ihrer Atmosphäre beschleunigen und ins All schleudern kann. Dieses Modell wollte er dann auch veröffentlichen, was Simpson gar nicht so super gefunden hat. Er hat sich geweigert, die Publikation zu unterstützen und wollte seinen Namen da komplett raushalten. Die meisten wissenschaftliche Journale wollten den Artikel von Parker ebenfalls nicht publizieren; erst 1958 ist sein Aufsatz dann in einer Ausgabe des Astrophysical Journal erschienen und das nur, weil der damalige Chefeditor und spätere Physiknobelpreisträger Subrahmanyan Chandrasekhar zwar auch der Meinung war, dass Parkers Idee Quatsch ist - aber trotzdem nicht wollte, dass die Arbeit einfach so verschwindet. Jetzt gab es zwar eine detaillierte mathematische und physikalische Erklärung, wie die Sonne ständig Teilchen ins All schleudert, akzeptiert hat man diese Vorhersage von Parker aber trotzdem nicht. Übrigens: In dieser Arbeit von 1958 hat Parker den Begriff "Sonnenwind" noch nicht erwähnt; er stammt aber trotzdem von ihm. Schon ab 1957 hat er ihn immer wieder in Diskussionen und Gesprächen benutzt und irgendwann hat er sich dann auch in der wissenschaftlichen Literatur durchgesetzt. Was aber nichts daran geändert hat, dass außer ihm so gut wie niemand von der Existenz des Sonnenwinds überzeugt war.

    Aber zum Glück für Parker - und die Wissenschaft ganz allgemein - war mittlerweile das Weltraumzeitalter angebrochen. Im Oktober 1957 hatte die Sowjetunion mit Sputnik den ersten Satelliten ins All geschickt, die USA sind im Februar 1958 mit Explorer 1 gefolgt. Die erste Raumsonde, also das erste künstliche Objekt das nicht nur die Erde umkreist sondern weiter hinaus ins All fliegt, ist im Januar 1959 von der Sowjetunion gestartet worden. Luna 1 sollte eigentlich auf dem Mond landen, hat unseren Nachbarn aber verfehlt. Aber sie ist immerhin am Mond vorbeigeflogen und hat jede Menge Daten gesammelt. Sie war mit Messgeräten ausgestattet, die die radioaktive Strahlung im Weltall messen sollten und die Anzahl der Teilchen die da so im ansonsten leeren Weltraum runfliegen. Und mit diesem Gerät war Luna 1 in der Lage, die Existenz des Sonnenwinds zu bestätigen. Ludwig Biermann und Eugene Parker hatten Recht: Da war tatsächlich ein ständiger Strom von Teilchen aus Richtung der Sonne. Als dann 1962 die amerikanische Sonde Mariner 2 zum Merkur geflogen ist, hat sie das alles nochmal bestätigt und als die Astronauten der Apollo-Mission 1969 auf dem Mond gelandet sind, haben sie dort Messgeräte aufgestellt, die den Sonnenwind quasi live und direkt nachweisen konnten.

    Seitdem wissen wir ohne Zweifel: Die Sonne leuchtet nicht nur, sie schleudert auch ständig Teilchen aus ihrer Atmosphäre hinaus ins All. Pro Sekunde ungefähr eine Million Tonnen an Material, was zwar viel ist aber dann doch nicht so viel, dass man Angst haben müsste, unser Stern könnte sich in naher Zukunft auflösen. Seit die Sonne existiert hat sie bei dieser Rate weniger als ein zehntausendstel ihrer Masse an den Sonnenwind verloren, da müssen wir uns also keine Sorgen machen. Mittlerweile haben wir den Sonnenwind auch sehr gut erforscht. Wir wissen, dass er vor allem aus Wasserstoff- und Heliumatomkernen besteht. Was auch sonst, das sind ja die Hauptbestandteile der Sonne. Aber auch von den restlichen Elementen, die sich in geringen Mengen in der Sonne befinden, finden wir Teilchen im Sonnenwind. Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel, Eisen - und so weiter. Bei der Geschwindigkeit gibt es zwei unterschiedliche Arten von Sonnenwind. Der langsame Sonnenwind startet mit circa 150 Kilometer pro Sekunde von der Sonnenoberfläche und wird am Ende bis zu 300 Kilometer pro Sekunde schnell. Der schnelle Sonnenwind erreicht bis zu 750 Kilometer pro Sekunde und wir sind uns noch nicht ganz sicher, warum ein Teil des Sonnenwinds langsamer ist als der andere. Es hat mit Sicherheit mit den komplexen elektrisch/magnetischen Vorgängen im Sonneninneren zu tun, aber die haben wir noch nicht vollständig verstanden. Außerdem rotiert die Sonne ja auch um ihre Achse und der Sonnenwind, den sie dabei abgibt verhält sich ein bisschen so wie das Wasser in einem Sprinkler. Er bildet spiralförmige Kurven, die von der Sonne ausgehen - die übrigens heute "Parker-Spiralen" genannt werden.

    Der Sonnenwind ist aber viel mehr als nur ein paar Teilchen, die da halt durch den interplanetaren Raum sausen. Es sind ja geladene Teilchen und deswegen beeinflussen sie auch das Magnetfeld der Sonne, das sich weit hinaus, über die Planeten hinweg erstreckt. Erst bei ungefähr 100 Astronomischen Einheiten, also dem 100fachen Abstand zwischen Sonne und Erde, ist der Sonnenwind so dünn geworden, dass er sich nicht mehr von den interstellaren Teilchen unterscheiden lässt. Das vom Sonnenwind so weit transportierte und beeinflusste Magnetfeld der Sonne steht dabei natürlich in Wechselwirkung mit den Magnetfeldern aller Planeten. Der Sonnenwind hat also Auswirkungen auf alles im Sonnensystem, auch ganz konkret bei uns auf der Erde. Bei den Polarlichter, für die Raumfahrt, für den irdischen Funkverkehr, und so weiter. Der Sonnenwind besteht aus dem Material, aus dem die Sonne selbst besteht und erlaubt es uns daher, auch zu verstehen, was in der Sonne passiert. Seine Erforschung ist ein unerlässliches Werkzeug, wenn wir unseren Stern und das ganze Sonnensystem verstehen wollen.

    Eugene Parker war zwar nicht der erste, der die Idee hatte, das so etwas wie einen Sonnenwind geben könnte. Aber er war derjenige, der das ganze mathematisch-physikalisch beschrieben hat und der mit seiner Arbeit dafür gesorgt hat, dass sich die Idee am Ende durchgesetzt hat. Im August 2018 hat die NASA eine Raumsonde gestartet, um die äußerste Schicht der Sonnenatmosphäre zu erforschen. Diese Sonde fliegt so nahe an die Sonne wie keine es vor ihr getan hat und wird quasi vor Ort untersuchen können, wie der Sonnenwind entsteht. Und es ist absolut gerechtfertigt, dass diese Sonde den Namen "Parker Solar Probe" bekommen hat.

    7 February 2025, 6:00 am
  • 11 minutes 9 seconds
    Sternengeschichten Folge 636: Le-Sage-Gravitation - Wie funktioniert die Schwerkraft?
    Die ultramundanen Korpuskel sind schuld!

    Sternengeschichten Folge 636: Le-Sage-Gravitation - Wie funktioniert die Schwerkraft?

    Wie funktioniert die Schwerkraft? Wissen wir nicht! Aber weil dass in diesem Fall eine sehr kurze Podcastfolge wäre, schauen wir uns das, was wir nicht wissen, dann doch lieber ein wenig genauer an. Die aktuell beste Theorie, die wir zur Beschreibung der Gravitation haben, ist die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein. Darin wird die Schwerkraft als Auswirkung der Krümmung der Raumzeit beschrieben. Masse krümmt den Raum und alles, was sich bewegt, folgt dieser Krümmung, was für uns so aussieht, als würde eine Kraft zwischen den Massen wirken. Und das ist zwar eine sehr originelle Erklärung und die Allgemeine Relativitätstheorie funktioniert wirklich, wirklich gut. Seit über hundert Jahren konnte jede ihrer Vorhersagen immer wieder und sehr genau bestätigt werden. Wir wissen aber auch, dass die Allgemeine Relativitätstheorie trotzdem nur eine Näherung an die Realität sein kann. Gut, das gilt für jede wissenschaftliche Theorie, aber wir wissen, dass die Beschreibung der Gravitation durch die Relativitätstheorie zum Beispiel dann nicht funktioniert, wenn die Massendichten sehr groß werden; wenn wir es zum Beispiel mit schwarzen Löchern zu tun haben.

    Aber irgendwie MUSS die Gravitation ja funktionieren. Und natürlich haben sich sehr viele Menschen im Laufe der Zeit sehr viele Gedanken darüber gemacht. Denn die Schwerkraft ist ja etwas, was wir in unserem Leben ständig beobachten. Wenn wir etwas nach oben werfen, dann kommt es wieder nach unten. Wenn wir etwas fallen lassen, dann fällt es. Und so weiter. Und dafür muss es nicht nur eine Beschreibung geben, sondern auch eine Erklärung. Eine dieser Erklärungen könnte "Ja, das ist halt so!" sein. Und das war es im Wesentlichen auch, was man sich vor langer Zeit in der Antike gedacht hat. Dinge fallen nach unten, weil sie da halt hin wollen! Oder ein bisschen exakter gesagt: Alle Materie will zum Zentrum des Universums, das ist quasi fix eingebaut in die Natur der Dinge und weil die Erde im Zentrum des Universums ist, bewegt sich halt alles nach unten.

    Gut, aus heutiger Sicht ist das keine sonderlich wissenschaftliche Erklärung. Der erste, der sich tatsächlich auf eine Art mit der Gravitation beschäftigt hat, die mit der modernen Naturwissenschaft zu tun hat, war natürlich Isaac Newton. Er hat eine mathematische Formel gefunden, um zu beschreiben, wie sich die Gravitation verhält; ein universell gültiges Naturgesetz. Diese Formel war und ist enorm erfolgreich; auch heute noch und auch im Wissen, dass sie in speziellen Fällen nicht mehr funktioniert und durch die Relativitätstheorie ersetzt werden muss, wird sie in der gesamten Naturwissenschaft verwendet.

    Was Newton aber nicht getan hat, war zu erklären, warum die Gravitation so funktioniert, wie sie es tut. Er hat beschrieben, wie man ihre Stärke ausrechnen kann und dass diese Stärke von den beteiligten Massen und ihrem Abstand abhängen. Aber warum das so ist, hat er nicht erklärt. Aber sein Freund und Kollege, der Schweizer Mathematiker Nicolas Fatio de Duillier hat es gegen Ende des 17. Jahrhunderts versucht. Isaac Newton hat nicht viele Freunde gehabt, aber Fatio war einer davon. Und er hat das entwickelt, was wir heute die "Le-Sage-Gravitation" nennen und wir werden noch dazu kommen, wer Le Sage war.

    Die Idee von Fatio ist auf den ersten Blick recht simpel. Stellen wir uns vor, der gesamte Raum ist voll mit Teilchen. Die bewegen sich sehr schnell, mit konstanter Geschwindigkeit und geradlinig in alle Richtung. Und wenn da jetzt im Raum irgendwas ist, zum Beispiel ein Planet, dann ist der natürlich dem ständigen Bombardement dieser Teilchen ausgesetzt. Weil sie aber ja alle mit der selben Geschwindigkeit und aus allen Richtungen auf den Planeten treffen, hat das keinen Effekt. Die Teilchen schieben, vereinfacht gesagt, aus allen Richtungen gleich stark an und die Kräfte heben sich auf. Aber was, wenn da jetzt auch noch ein zweiter Planet ist, nicht allzu weit entfernt vom ersten? Dann blockiert der ja ein bisschen was von diesem Teilchenstrom. Aus Sicht des ersten Planeten kommen die Teilchen immer noch gleichmäßig aus allen Richtungen. Nur nicht aus der Richtung, in der sich der zweite Planet befindet, denn der blockt sie ja ab. Das bedeutet: Der erste Planet wird durch die Teilchen in Richtung des zweiten Planeten geschoben. Und aus Sicht des zweiten Planeten läuft das alles genau so, nur umgekehrt. Oder anders gesagt: Man wird beobachten, dass sich die beiden Planeten gegenseitig anziehen.

    Das klingt, wie gesagt, sehr simpel. Es klingt auch sehr plausibel. Man kann sich das gut vorstellen und verstehen, wie diese Teilchen, die sich da überall bewegen, etwas erzeugen, was für uns so aussieht wie eine Anziehungskraft zwischen den Objekten. Aber auf den zweiten Blick wird die Sache dann schwieriger. Man kann mit diesem Modell erklären, warum die Gravitationskraft vom Abstand zwischen den Objekten abhängt, beziehungsweise sogar, warum sie vom Quadrat des Abstands abhängt, wie es Newtons Formel sagt. Je mehr Abstand zwischen den Objekten ist, desto mehr Teilchen können noch dazwischen kommen; desto schlechter wird also die wechselseitige Abschirmung und desto schwächer die Kraft. Aber Newtons Formel sagt ja auch, dass die Stärke der Gravitationskraft von der Masse abhängt. Und warum sollte eine massereiches Objekt diese komischen Teilchen stärker abschirmen als ein Objekt mit weniger Masse?

    Ganz einfach, hat Fatio gesagt: Weil alle Objekte zum größten Teil aus leerem Raum bestehen! Die Teilchen können da problemlos reinfliegen. Und im Objekt werden die Teilchen zum Teil absorbiert und es kommen weniger wieder raus, als reingeflogen sind. Und zwar um so weniger, je mehr Masse da ist. Also: Die Stärke der Gravitationskraft ist auch proportional zur Masse.

    Man kann das tatsächlich alles auch mathematisch einigermaßen exakt aufschreiben, so dass sich damit Newtons Gravitationsgesetz erklären lässt. Aber man muss sich schon ein wenig anstrengen. Man muss sich zum Beispiel überlegen, wie die Kollisionen zwischen den Objekten und den komischen Teilchen im Detail ablaufen. Es kann sich dabei nicht um sogenannte "elastische Stöße" handeln, also Kollisionen bei denen keine Energie ausgetauscht wird. Bei einem elastischen Stoß hat das Teilchen vor der Kollision genau so viel Energie wie danach. Die Theorie von Fatio funktioniert aber nur, wenn ein Teil der Energie der Teilchen bei der Kollision auf die Objekte übergeht.

    Das wäre jetzt an sich noch kein Problem. Wir wissen, dass so ein elastischer Stoß sowieso nur eine idealisierter Vorstellung ist und in der Realität bei allen Kollisionen immer irgendwie Energie übertragen wird. Und nachdem Fatio sehr lange an seiner Theorie gearbeitet hatte, war er der Meinung, er könnte damit alles erklären, was erklärt werden muss. Isaac Newton war auch damit zufrieden, aber trotzdem hat Fatio es irgendwie nie geschafft, die Sache so zu veröffentlichen, dass seine Theorie allgemein bekannt werden hat können. Aber ein paar Jahrzehnte später, in der Mitte des 18. Jahrhunderts, hat der Physiker und Mathematiker Georges-Louis Le Sage, ebenfalls ein Schweizer, eine eigene Theorie der Gravitation veröffentlicht. Sie ist quasi identisch mit dem, was sich Fatio ausgedacht hat, aber Le Sage hat immer darauf beharrt, nicht bei ihm abgeschrieben zu haben. Er habe erst später von Fatios Arbeit erfahren und seine eigene Theorie sei zwar sehr ähnlich, aber deutlich besser ausgearbeitet. Ob das stimmt oder nicht, darüber kann die Wissenschaftsgeschichte diskutieren (was sie auch tut) - aber wir schauen jetzt noch mal auf das, was mittlerweile und bis heute als "Le-Sage-Gravitation" bekannt ist.

    Die Teilchen, die überall durch die Gegend fliegen hat Le Sage die "ultramundanen Korpuskel" genannt und der Rest war im Wesentlichen wie bei Fatio. Richtig erfolgreich war er damit aber nicht. Leonhard Euler, einer der berühmtesten Mathematiker und Physiker der Moderne, hat in einem Brief an Le Sage zum Beispiel geschrieben: "Sie müssen mich entschuldigen, wenn ich eine große Abneigung gegen Ihre ultramundanen Korpuskel habe, und ich werde es immer vorziehen, meine Unkenntnis über die Ursache für Schwerkraft zu gestehen, als auf solch fremdartige Hypothesen zurückzugreifen."

    Tja. Es haben sich auch andere berühmte Forscher damit beschäftigt, zum Beispiel der Astronom Pierre-Simon Laplace zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Er hat ausrechnet, dass sich die Gravitationskraft im Modell von Le Sage ungefähr 100 Millionen Mal schneller als das Licht ausbreiten muss, damit das alles funktionieren kann. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts hat die Le-Sage-Gravitation noch einmal ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bekommen, weil man mittlerweile die kinetische Gastheorie entwickelt hatte. Also, vereinfacht gesagt, die Idee, das man die Eigenschaften eines Gases durch die zufällige Bewegung der ganzen Moleküle und Atome beschreiben kann, die da rumfliegen. Eigenschaften wie Druck oder Temperatur sind das Resultat der vielen kleinen Kollisionen zwischen den Teilchen und das klingt ja schon ein wenig wie das, was Fatio und Le Sage bei der Gravitation erklärt haben. Nur sind wir jetzt halt wieder bei der Sache mit der Energie, die übertragen wird. Die kinetische Gastheorie beschreibt, wie die Übertragung der Energie bei den Kollisionen dafür sorgt, dass ein Körper wärmer (oder kälter) wird. Wenn jetzt aber auch die ultramundanen Korpuskel Energie übertragen und wenn sie das so tun, dass die Sache mit der Gravitation dadurch beschrieben werden kann, dann kann man jetzt auch ausrechnen, wie stark die Körper dadurch erhitzt werden. Das hat unter anderem der französische Physiker und Mathematiker Henri Poincaré zu Beginn des 20. Jahrhunderts getan und festgestellt, dass sich zum Beispiel die Erde dadurch in jede Sekunde um ein paar Billionen Grad aufheizen müsste.

    Einer der letzten seriösen Wissenschaftler, der sich mit dem Thema beschäftigt hat, war der amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman in den 1960er Jahren. Er hatte nicht vor die, damals schon durchaus gut bestätigte Relativitätstheorie von Einstein zu widerlegen, sondern wollte nur wissen, ob man die Gravitation nicht vielleicht doch auch prinzipiell mit einfacherer Mathematik beschreiben kann als mit der, die Einstein verwendet hat. Aber auch Feynman ist auf die ganzen Probleme gestoßen, die Poincaré, Laplace & Co vor ihm entdeckt haben.

    Heute taucht die Le-Sage-Gravitation eigentlich nur noch in der Pseudowissenschaft auf. In der echten Wissenschaft hat man akzeptiert, dass man mit dieser Hypothese nicht weiter kommt. Aber definitiv nicht akzeptiert haben wir, dass so etwas die Gravitation am Ende trotzdem eine Erklärung braucht. Daran werden wir weiterforschen, so lange bis wir wissen, warum die Dinge WIRKLICH nach unten fallen.

    31 January 2025, 6:00 am
  • 11 minutes 53 seconds
    Sternengeschichten Folge 635: Wie zerstört man einen Planeten?
    Der Weltuntergang ist schwerer als man denkt

    Sternengeschichten Folge 635: Wie zerstört man einen Planeten?

    Das Wort "Weltuntergang" taucht immer wieder mal auf. Man findet es in den Prophezeiungen von Religionen und in jeder Menge Verschwörungstheorien. Es wird aber auch im wissenschaftlichen Zusammenhang verwendet, zum Beispiel wenn es um die Folgen der Klimakatastrophe geht. Aber was wir da eigentlich so gut wie immer meinen, ist nicht die Zerstörung der Welt, sondern die Zerstörung unserer Welt. Die Klimakrise zum Beispiel hat das Potenzial, die Lebensbedingungen für uns Menschen und für sehr viele andere Lebewesen auf der Erde zu zerstören. Dem Planeten selbst ist das aber egal; die Erde stört sich nicht daran, ob sie heiß oder kalt ist oder ob auf ihr etwas lebt oder nicht. Und wie man alles Leben auf der Erde auslöschen könnte, habe ich ja schon in Folge 532 erklärt - und damals übrigens nicht, weil ich irgendwelchen irren Superbösewichten eine Anleitung geben wollte, sondern weil es durchaus sinnvoll ist, wenn man versteht, welche Ereignisse und Vorgänge theoretisch dazu führen könnten, dass das gesamte Leben auf einem Planeten verschwindet.

    Aber eben nicht der Planet selbst. Und das ist es, worum es heute gehen soll: Wie kriegt man einen Planeten kaputt? Kann nicht nur das Leben auf der Erde ausgelöscht, sondern unser ganzer Planet zerstört werden? Ja, das geht - und bevor ich erkläre, wie das funktioniert, sage ich sicherheitshalber gleich dazu, dass es absolut völlig unwahrscheinlich ist, dass irgendeiner der Prozesse, die ich im folgenden erklären werde, auf beziehungsweise mit der Erde passieren werden. Niemand muss sich Sorgen machen!

    Also: Wie zerstört man einen Planeten? Na ja, "man" tut das sowieso nicht. Wir Menschen würden es zwar hinkriegen, die Erde völlig lebensfeindlich zu machen, aber den Planeten selbst kriegen wir nicht kaputt. Vielleicht können wir in ferner Zukunft, mit irgendeiner Science-Fiction-Technik, Planeten zerlegen und die Rohstoffe nutzen. Aber darüber rede ich jetzt nicht. Die Frage lautet: Gibt es irgendwelche natürlich auftretenden Prozesse, die in der Lage sind, einen Planeten zu zerstören. Und die Antwort lautet: Ja, sogar einige!

    Wenn es um astronomische Katastrophen geht, dann sind Asteroideneinschläge ja sehr populär. Aber die stören einen Planeten in seiner Gesamtheit nicht. Ja, ein Asteroid, der groß genug ist, kann ein Massensterben verursachen oder vielleicht sogar das gesamte Leben auslöschen. Aber aus Sicht des Planeten ist trotzdem nicht viel passiert. Der Planet hat dann halt einen Krater mehr; sowas passiert im Laufe der Zeit, das ist ganz normal. Will man einen Planeten wie unsere Erde durch eine kosmische Kollision zerstören, dann muss man die wirklich großen Geschütze auffahren. Und "wirklich groß" heißt hier wirklich wirklich groß. Vereinfacht gesagt: Um einen Planeten zu zerstören, muss er mit etwas kollidieren, was ungefähr so groß ist, wie er selbst.

    Das können wir an der Erde recht gut sehen. In der Frühzeit des Sonnensystems, vor 4,5 Milliarden Jahren, als die Planeten gerade dabei waren zu entstehen, ist die noch unfertige Erde mit einem anderen unfertigen Himmelskörper kollidiert, der ungefähr so groß war wie der Mars. Ich habe von dieser planetaren Kollision ausführlich in Folge 149 erzählt. Wenn zwei solche großen Himmelskörper zusammenstoßen, ist das natürlich nicht Nichts. Da passiert schon was. Die Erde hätte das ganze fast nicht überlebt, der andere Himmelskörper ist komplett zerstört worden und aus den Trümmern der Kollision ist unser Mond entstanden. Aber auch wenn die Erde ziemlich gelitten hat, hat sie den Zusammenstoß trotzdem überlebt. Oder anders gesagt: Selbst wenn wir es irgendwie schaffen könnten, den Mars auf die Erde zu werfen, würde unser Planet das vermutlich überleben. Da müssten wir schon mit der Venus ankommen, denn die ist ziemlich so groß wie die Erde selbst. Aber das wird nicht passieren. Weder Mars, noch Venus noch irgendein anderer Planet des Sonnensystems verlässt einfach so seine Umlaufbahn und fliegt auf die Erde zu. Die Planeten bewegen sich seit Milliarden Jahren auf ihren Bahnen und werden das auch weiterhin tun. Aber, wie schon angedeutet, in der Frühzeit eines Planetensystems kann das anders sein. Da bilden sich haufenweise große und kleine junge Planeten und es ist einfach nicht für alle Platz. Einige werden kollidieren und einige werden dabei auch zerstört. Im Sonnensystem gehört die Erde zu den Überlebenden, aber viele Planeten sind vor 4,5 Milliarden Jahren zerstört worden und werden das ständig überall im Universum, wo gerade Planeten dabei sind zu entstehen.

    Kann es aber nicht auch sein, dass ein Planet von außerhalb des Sonnensystems kommt und auf die Erde prallt? Theoretisch ja. Denn in der wilden Frühzeit eines Planetensystems werden eben nicht nur Planeten zerstört, sondern manche auch aus ihren Systemen geworfen. Wir haben auch schon einige dieser "vagabundierenden Planeten" entdeckt, die frei von ihrem Stern durchs Weltall fliegen. Aber der Weltraum ist so absurd groß. Und es wäre ebenso absurd unwahrscheinlich, dass einer davon gerade auf die Erde trifft.

    Immer noch sehr, sehr unwahrscheinlich, aber zumindest ein klein wenig weniger unwahrscheinlich ist es, dass sich zwei Sterne sehr nahe kommen. So nahe, dass die Gravitationskraft des einen, die Umlaufbahnen der Planeten des anderen stört und es dann zu Kollisionen kommt.

    Wenn ein Planet - sofern er die frühe Phase seiner Entstehung überlebt hat - vor etwas Angst haben muss, dann sind das nicht andere Planeten. Sondern eher die Sterne, und vor allem den Stern, den er selbst umkreist. Unsere Sonne ist ein vergleichsweise braver Stern. Sie leuchtet seit 4,5 Milliarden Jahren vor sich hin und wird das auch noch 5 bis 6 Milliarden Jahren tun. Dann aber ist sie am Ende ihrer Entwicklung angekommen und aus dem kleinen gelben Stern wird ein roter Riese werden - auch davon habe ich in anderen Folgen der Sternengeschichten ja schon oft ausführlich erzählt. Das bedeutet: Die Sonne bläht sich auf und zwar so sehr, dass sie über die Umlaufbahn von Merkur und Venus hinaus wachsen wird. Das ist ein Prozess, der diese beiden Planeten zerstören wird und ob die Erde ihr Schicksal teilen wird, wissen wir noch nicht. Es kann sein, dass die sterbende Sonne sich bis zur Erdbahn und darüber hinaus aufbläht. Es kann aber auch sein, dass die Erde verschont bleibt. Ein Stern, der zu einem roten Riesen wird, ist aber definitiv ein Vorgang, der dazu geeignet ist, einen Planeten zu zerstören.

    Wovor man sich als Planet ebenfalls in Acht nehmen sollte, sind Gezeiten. Damit sind nicht unbedingt Ebbe und Flut gemeint, obwohl der Prozess der gleiche ist. Auf der Erde haben wir die Gezeiten, weil die Gravitationskräfte von Sonne und Mond an unterschiedlichen Orten der Erdoberfläche leicht unterschiedlich stark wirken. Das gilt aber immer: Ein Planet, der einen Stern umkreist, spürt dessen Gravitation auf der dem Stern zugewandten Seite stärker als auf der anderen Hälfte. Normalerweise ist das dem Planeten egal. Die Unterschiede sind gering und so ein Planet ist ja nicht aus Pappe - sondern ein solider Himmelskörper aus Metall und Gestein. Der hält einiges aus.

    Sollte ein Planet aber seinem Stern sehr nahe, also wirklich nahe, dann können die Gezeiten durchaus einen Effekt haben. Dann kann der Unterschied zwischen der Stärke der Gravitationskraft an unterschiedlichen Seiten des Planeten so groß sein, dass er regelrecht auseinander gerissen wird. Das gilt noch mehr, wenn es sich um einen Planeten handelt, der keinen normalen Stern umkreist, sondern ein extrem dichtes Objekt wie ein schwarzes Loch oder einen Neutronenstern.

    Natürlich ist das mit der Gezeitenkraft auch nicht so einfach, wie es klingt. Ein Stern denkt sich ja nicht: So, jetzt geht mir der Planet auf die Nerven, jetzt dreh ich die Gezeitenkraft auf und zerreiß den Planeten! Auch hier müsste sich ein Planet ja irgendwie so sehr dem Stern annähern, dass er irgendwann die Gezeitenkraft nicht mehr aushält. Und das passiert nicht von selbst. Aber es kann passieren. Ich will hier jetzt keine komplette Vorlesung über die Dynamik von Planetensystem halten. Aber es ist möglich, dass Planetenbahnen im Laufe der Zeit degenerieren. Das heißt, dass sie immer näher an den Stern rücken und verantwortlich dafür kann zum Beispiel die gravitative Wechselwirkung mit einem anderem Planeten sein. Wenn beide sich in einer besonderen Konfiguration befinden - einer Resonanz - kann einer davon langsam immer näher an den Stern rücken, bis er durch die Gezeitenkraft zerstört wird.

    Oder aber, ein Planet zieht einfach friedlich seine Runden, bis der Stern den er umkreist, sein Leben nicht in Form eines roten Riesen beendet, sondern bei einer Supernova-Explosion. Wenn der Planet nahe genug dran ist, dann überlebt er diese Mega-Explosion nicht und ist direkt zerstört. Aber auch wenn er weit genug entfernt ist, um diese erste Katastrophe zu überstehen, bekommt er es danach mit dem Neutronenstern oder dem schwarzen Loch zu tun, dass bei so einer Supernova-Explosion übrigt bleibt. Und den geänderten Gezeitenkräften, die dann wirken.

    Noch blöder kann es laufen, wenn wir es nicht mit einer Supernova-Explosion zu tun haben, sondern einem Gamma-Ray-Burst. Von diesen Ereignissen, die auch Gammablitze genannt werden, habe ich in Folge 42 mehr erzählt. Aber kurz gesagt: Es sind die größten Explosionen die das Universum zu bieten hat und sie entstehen, wenn sehr, sehr große Sterne ihr Leben beenden, oder wenn zwei Neutronensterne kollidieren. Welche Planeten da auch immer davor da waren, sind es danach nicht mehr. Und das gilt auch für die Planeten, die sich in der Nachbarschaft befinden. Genau kann man es nicht sagen, aber man schätzt, dass alle Planeten, die sich im Umkreis von 100 bis 200 Lichtjahren von einem Gammablitz befinden und direkt von der Explosion getroffen werden, das nicht überleben und regelrecht verdampft werden.

    Und wer sich jetzt doch Sorgen macht: Im entsprechenden Umkreis der Sonne kennen wir keinen Stern, der in der Lage wäre, einen Gammablitz zu produzieren.

    Man könnte sich vermutlich noch ein paar exotischere Prozesse ausdenken, mit denen man einen Planeten kaputt kriegt. Aber im Wesentlichen war es das. Wer einen Planeten zerstören will, muss entweder einen anderen, ebenso großen Planeten drauf werden. Oder dafür sorgen, dass er von einem Stern verschlungen wird. Oder ihn so nahe an einen Stern schieben, bis er zerissen wird. Oder ihn mit einem Gammablitz verdampfen.

    Im Großen und Ganzen sind Planeten aber zählebig. Unsere Erde zum Beispiel hat gute Chancen, den Tod der Sonne zu überleben. Wenn die vom roten Riesen zu einem toten weißen Zwerg geworden ist, kann die Erde immer noch ihre Runden ziehen, jetzt eben ohne Licht und Wärme. Es könnte Billionen Jahre oder noch länger dauern, bis die Erde irgendwann doch noch zerstört wird. Wir sind dann aber natürlich schon längst weg. Also machen wir das beste aus der kurzen Zeit, die wir mit unserem Planeten haben.

    24 January 2025, 6:00 am
  • 11 minutes 56 seconds
    Sternengeschichten Folge 634: Die Säulen der Schöpfung
    Astronomie trifft Ästhetik

    Sternengeschichten Folge 634: Die Säulen der Schöpfung

    "Säulen der Schöpfung" klingt ein bisschen nach Religion. Und tatsächlich stammt der Begriff aus einer Predigt, die der britische Pastor Charles Haddon Spurgeon im Jahr 1857 gehalten hat. Ich will in dieser Folge aber nicht über Religion reden, sondern natürlich von Astronomie. Um "Schöpfung" wird es aber trotzdem gehen. Als "Säulen der Schöpfung" oder auf englisch als die "Pillars of Creation" wird einerseits ein astronomisches Bild bezeichnet und andererseits auch das Objekt, das auf dem Bild zu sehen ist. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr dieses Bild alle schon einmal gesehen habt. Es ist eines der bekanntesten astronomischen Bilder, das weit über die reine Wissenschaft hinaus populär geworden ist. Ihr könnt gerne den Podcast kurz pausieren und nachsehen, wie die "Säulen der Schöpfung" aussehen und dann werdet ihr wahrscheinlich sofort sagen "Ah, ja - das Ding!"

    Also: Um was geht es? Die "Säulen der Schöpfung" sind circa 7000 Lichtjahre weit von der Erde entfernt und befinden sich im "Adlernebel". Das ist ein sogenannter "Emissionsnebel", also eine große Wolke aus Gas, zwischen den Sternen, die vom Licht der Sterne zum Leuchten angeregt wird. Und es gibt dort deswegen Sterne, deren Licht die Wolke zum Leuchten anregen kann, weil solche Wolken genau die Orte sind, wo aus dem interstellaren Gas neue Sterne entstehen. Der Adlernebel ist ungefähr 20 Lichtjahre groß und die Sterne, die dort leuchten sind vergleichsweise jung, nur ein paar hunderttausend Jahre alt.

    Den Adlernebel hat man schon im Jahr 1745 entdeckt; der Schweizer Astronom Jean-Philippe de Chéseaux hat ihn damals beobachtet. Unabhängig von ihm hat ihn auch der französische Astronom Charles Messier als Objekt Nummer 16 in seinen berühmten Messier-Katalog aufgenommen, weswegen der Adlernebel auch die Bezeichnung M16 trägt. Von den "Säulen der Schöpfung" hat man damals aber noch nichts gewusst. Den ersten Hinweis darauf hat der amerikanische Astronom John Charles Duncan gefunden, als er den Adlernebel im Jah 1920 beobachtet und dabei seltsame, dunkle Strukturen entdeckt hat. Weil sie so komisch "schlauchartig" ausgesehen haben, hat man sie "Elefantenrüssel" genannt. Wirklich im Detail hat man sie aber erst sehen können, als im Jahr 1995 das Hubble-Weltraumteleskop diese Region im Weltall fotografiert hat. Und dann war die Astronomie und der Rest wirklich enorm beeindruckt, was da zu sehen war. Ich mache es aber ein wenig spannend, und wir schauen uns jetzt erstmal an, wie das Bild zustande gekommen ist.

    Verantwortlich für diese Aufnahme waren die amerikanischen Astronomen Jeff Hester und Paul Scowen und das, was das Weltraumteleskop zur Erde geschickt hat, war auf den ersten Blick nicht sonderlich beeindruckend. Ein schwarzer Blob vor einem grauen Hintergrund, mit jeder Menge weißer "Kratzer" überall am Bild verteilt. Aber so ist das in der Astronomie immer; die Rohdaten die man bei einer Beobachtung bekommt, sehen selten so beeindruckend aus, wie die Bilder, die man daraus erstellen kann. Die ganzen "Kratzer" sind zum Beispiel die Spuren, die die kosmische Strahlung auf den Detektoren eines Teleskops hinterlässt. Die kann man aber leicht durch entsprechende Bildbearbeitung entfernen. Dann hat man einen schwarzen Blob ohne Kratzer und er ist deswegen schwarz, weil die digitalen Kameras ja keine Farben aufnehmen können. Sie messen einfach nur die Intensität der Strahlung und fertig. Wenn man Farben haben will, muss man sich ein wenig mehr anstrengen.

    Schauen wir dafür noch einmal zurück zum Adlernebel. Ich habe zu Beginn gesagt, dass das eine Gaswolke ist, die zum Leuchten angeregt wird. Im Detail funktioniert das so: Bestimmte Atome - zum Beispiel Sauerstoff - können angeregt werden, wenn vom Sternenlicht der Umgebung genug Energie übertragen wird. Solche angeregten Atome geben diese Energie aber schnell wieder ab, und zwar in Form von Licht bei einer ganz konkreten Wellenlänge, die sich je nach Art des Atoms unterscheidet. Deswegen leuchten diese Emissionsnebel auch so bunt: Jede Art von Atomen, die sich dort befinden, senden ihr eigenes Licht aus. Bei der Beobachtung kann man jetzt bestimmte Filter verwenden, die nur Licht mit der Wellenlänge eines dieser Atome durchlassen und das dann später passend farblich darstellen. Im Fall des Hubble-Teleskops und des Adlernebels hat man drei unterschiedliche Filter verwendet. Einer hat das Licht der Wasserstoffatome durchgelassen, einer das von Schwefelatomen und einer das von Sauerstoff. Entsprechend der Farben dieses Lichts hat man das Wasserstoffbild in Grüntönen, das Schwefelbild in rötlicher Farbe und das Sauerstoffbild in Blau eingefärbt und alle drei zu einem einzigen Bild kombiniert. So ist das fertige Bild der "Säulen der Schöpfung" entstanden und ich sage der Vollständigkeit halber noch dazu, warum auf diesem Bild die obere rechte Ecke komplett schwarz ist: Das liegt daran, dass man nur drei der vier Kameras von Hubble verwendet konnte, weil eine mit einer zu geringen Auflösung gearbeitet hat.

    So. Jetzt haben wir ein fertiges Bild. Darauf zu sehen ist ein Weltraum, der grün/bläulich leuchtet, mit ein paar rötlich scheinenden Sternen. Dominiert wird das Bild aber von drei dunklen Säulen, die sich dramatisch in die Höhe recken. An ihren Rändern leuchten sie hell, dazwischen sind sie rot-braun bis tiefschwarz. Ihre Form ist komplex: die höchste Säule, ganz links im Bild türmt sich aus unterschiedlichen Wolken nach oben und hat jede Menge Auswüchse an ihren Seiten. Die Säule in der Mitte hat viel glattere Konturen, ist viel dunkler und die kleinste Säule ganz rechts scheint sich irgendwie am unteren Ende aufzulösen, so als würde sie gerade dabei sein, ins Weltall davon zu fliegen.

    Das sind die "Säulen der Schöpfung" und dieser Name klingt nicht nur viel schöner als "Elefantenrüssel" sondern ist auch gar nicht so übertrieben. Was man dort sieht, ist tatsächlich Schöpfung: Dort entstehen neue Sterne - das hat man auch vorher schon gewusst. Aber die "Säulen der Schöpfung" haben dieses Prozess in einem Detailreichtum gezeigt, den man bis dahin nicht gekannt hat. Die Säulen sind einige Lichtjahre lang; sie erheben sich wie Stalaktiten in einer Höhle aus dichten Wolken, die vor allem aus Wasserstoff entstehen. In ihnen ist der Wassertoff dicht genug, damit daraus Sterne entstehen können. Auch das war bekannt. Was man in den Säulen der Schöpfung aber erstmals gesehen hat, waren "verdunstende gasförmige Globulen", auf englisch "evaporating gaseous globules" oder abgekürzt EGGs. Und vermutlich hat es irgendwer lustig gefunden, dass da EGGs, also "Eier" im Adlernebel sind, aber wir gehen jetzt nicht weiter auf den Humor (oder den Mangel davon) in der Wissenschaft ein. Diese EGGs kann man sich als sehr dichte Taschen aus Wasserstoffgas vorstellen. Darin entstehen Sterne, aber wir kriegen davon nicht viel mit, weil wir nicht durch das Gas und den Staub hindurch sehen können. Wenn jetzt aber in der Nähe junge und heiße Sterne existieren, dann schicken die auch sehr viel energiereiche Ultraviolettstrahlung ins All. Die kann das Gas der EGGs quasi verdampfen, das nennt man "Photoevaporation". Anders gesagt: Die Strahlung heizt das Gas auf, die Teilchen bewegen sich schneller als vorher und strömen von den Säulen hinaus ins All. Übrig bleibt nur der innere Kern der EGGs, die dichtesten Regionen aus Gas, in deren Inneren die Sterne dabei sind, zu entstehen.

    Schaut man sich die Säulen der Schöpfung ganz genau an, dann sieht man jede Menge dieser EGGs. Manche davon befinden sich an den Spitzen der aus den Säulen hinauswachsenden kleinen, fingerartigen Strukturen. Manchen haben sich schon abgelöst und schweben neben den Säulen im All. Diese Stadien der Sternentwicklung konnte man so detailliert vorher noch nicht beobachten. Und es ist ein wichtiges Stadium: Je mehr Gas durch die UV-Strahlung evaporiert wird, desto weniger kann zur Sternentstehung beitragen. Oder anders gesagt: Je schneller die EGGs vom Rest der Gaswolken in den Säulen getrennt werden, desto weniger Masse können sie haben.

    Aber woher wissen wir eigentlich, dass da so viel UV-Strahlung ist? Dafür ist der Schwefel gut. Ich habe vorhin gesagt, dass das Bild mit Filtern gemacht worden ist, die das Licht von Wasserstoff-, Sauerstoff- und Schwefelatomen durchlassen. Und der Schwefel scheint da irgendwie nicht ins Bild zu passen. Wasserstoff ist klar; das ist der Hauptbestandteil der interstellaren Wolken und der Sterne und eigentlich des ganzen Universums. Natürlich ist der auch dort zu finden. Sauerstoff ist auch noch nachvollziehbar; dieses Element wird im Inneren von Sternen durch Kernfusion erzeugt und nach ihrem Ende überall im All verteilt. Das selbe gilt aber auch für den Schwefel. Und Schwefel kann in der Astronomie als Indikator für UV-Strahlung verwendet werden. Die sehr starke UV-Strahlung junger Sterne kann den Schwefel auf ganz charakteristische Art anregen, was Licht mit einer ganz charakteristischen Wellenlänge verursacht. Deswegen sieht man die Sterne die sich auf dem Bild der Säulen der Schöpfung befinden, ja auch rötlich leuchten, aber das Schwefellicht ist vor allem wichtig, wenn man die Photoevaporation nachvollziehen will. Überall dort, wo viel UV-Strahlung auf die Gaswolken trifft, ist auch Schwefel und der fängt an, auf seine typische Weise zu leuchten. Wenn man dieses Licht gezielt beobachtet, kann man herausfinden, wie intensiv die UV-Strahlung wirklich ist und wie effektiv das Gas der Säulen dadurch verdampft wird.

    Die Säulen der Schöpfung sind also nicht nur Orte, wo wir direkt bei der Entstehung von etwas Neuem zusehen können. Die Säulen lösen sich auf; die Photoevaporation geht immer weiter. Das Gas kann auch durch Supernova-Explosionen in der Umgebung regelrecht weggepustet werden, was den Vorgang beschleunigt. Im Jahr 2007 hat man einige Hinweise gefunden, dass das vielleicht sogar schon passiert ist. Diese Beobachtungen sind aber umstritten, nicht umstritten ist, dass die Säulen der Schöpfung verschwinden werden. Das kann ein paar hunderttausend Jahre dauern oder ein paar hunderttausend Jahre mehr. Aber auch nicht recht viel länger - was aber trotzdem immer noch genug Zeit für uns ist, die Säulen der Schöpfung zu erforschen.

    Dem ersten Bild aus dem Jahr 1995 sind natürlich noch viele weitere gefolgt. Das Hubble-Teleskop hat selbst mit seiner später verbesserten Optik im Jahr 2015 nochmal hingeschaut. Das neuere James-Webb-Weltraumteleskop hat im Jahr 2022 ein Bild aufgenommen, das noch sehr viel mehr Details zeigt. Jedes Bild ist auf seine eigene Art wissenschaftlich wertvoll und wunderschön. Die "Säulen der Schöpfung" sind das beste Beispiel dafür, wie sich Astronomie und Ästhetik, Physik und Philosophie, Sterne und Spiritualität verbinden. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaft treffen auf die Erhabenheit des Universums. Die "Säulen der Schöpfung" berühren uns alle.

    17 January 2025, 6:00 am
  • 16 minutes 30 seconds
    Sternengeschichten Folge 633: Die Millenium-Simulation
    Das Universum im Computer

    Sternengeschichten Folge 633: Die Millenium-Simulation

    Warum sieht das Universum so aus, wie es aussieht? Warum sind die Galaxien in Galaxienhaufen organisiert, die in noch größeren Superhaufen organisiert sind, die wiederum die gigantischen Filamente bilden, die sich durch den ganzen Kosmos erstrecken und durch ebenso gigantische Leerräume voneinander getrennt sind? Das ist eine durchaus fundamentale Frage und eine die Forscherinnen und Forscher - zu Recht - beantworten wollen. Nur: Wie stellt man das an?

    Gut, man kann das Universum beobachten. Man kann die Positionen der Galaxien kartografieren und weil Licht, das aus großer Ferne kommt eine entsprechend lange Zeit unterwegs war und wir damit auch entsprechend weit in die Vergangenheit blicken können, können wir so auch vergleichen, wie das Universum früher im Gegensatz zu heute ausgesehen hat. Aber erstens ist das gar nicht so einfach, wie es klingt. Die kosmologische Kartografie ist ein enorm komplexes Vorhaben und wäre ein Thema für eine eigene Folge der Sternengeschichten. Aber auch die beste Kartografie zeigt uns nur einen Zustand und nicht den Prozess, der dazu geführt hat. Wir haben aber auch keine Möglichkeit, die Entwicklung des Universums "in echt" zu beobachten. Seit dem Urknall sind immerhin fast 14 Milliarden Jahre vergangen. Es bleibt nur noch eine Möglichkeit: Eine Computersimulation.

    Wir können die realen Beobachtungsdaten, die wir über den frühen Zustand des Universums haben mit den bekannten Naturgesetzen und den vermuteteten Hypothesen zur Entwicklung des Kosmos kombinieren, alles in einen Computer werfen und dann diesem Modell zusehen. Das ist natürlich ebenfalls deutlich komplexer, als es klingt, aber in diesem Fall ist das kein Thema einer zukünftigen Folge des Podcasts, sondern genau das, worum es diesmal geht. Oder genauer gesagt: Heute geht es um eine ganz besondere dieser kosmologischen Simulationen. Ich möchte von der "Millenium-Simulation" erzählen, deren Ergebnisse im Jahr 2005 veröffentlicht worden sind.

    Fangen wir dazu mit der wichtigsten Frage an: Wie simuliert man ein komplettes Universum? Wir wissen: Nach dem Urknall gab es jede Menge Wasserstoffatome, ein bisschen weniger Heliumatome, verschwindend geringere Mengen an Lithium und Beryllium, einen Haufen Energie und sonst nichts. Heute ist das Universum voller Sterne, die Galaxien bilden, die Galaxienhaufen bilden, und so weiter. Wir können jetzt aber nicht einfach ein Programm schreiben, dass die Eigenschaften von Wasserstoff- und Heliumatomen simuliert, das laufen lassen und dann warten, bis daraus Sterne und Galaxien werden. Das wäre einerseits zu kompliziert. Kein Computer der Welt wäre in der Lage, gleichzeitig all die Atome zu simulieren, die beim Urknall entstanden sind. So eine Simulation müsste die nuklearen, die chemischen, die elektromagnetischen, die gravitativen und jede Menge andere Vorgänge gleichzeitig behandeln und das für eine unvorstellbare Menge an Atomen. Wir brauchen also einen anderen Ansatz.

    Vor allem, weil das, was ich vorhin gesagt habe, auch nicht komplett richtig war. Es gab nicht nur Wasserstoff, Helium und so weiter. Es gab vor allem jede Menge dunkle Materie. Also die Art von Materie, von der wir wissen, dass sie da sein muss, weil wir beobachten können, wie ihre Gravitationskraft sich auf die Sterne und Galaxien auswirkt. Aber wir wissen nicht, um was für eine Art von Materie es sich dabei handelt; die entsprechenden Teilchen haben wir bis jetzt noch nicht entdeckt. Sicher ist nur: Es gibt im Universum sehr, sehr viel mehr dieser dunklen Materie, als es normale Materie gibt, aus der die Sterne und Galaxien bestehen.

    Dass wir nicht wissen, woraus die dunkle Materie besteht, spielt in diesem Fall aber keine so große Rolle, wie man denken mag. Denn um zu verstehen, wie das Universum so geworden ist, wie wir es heute sehen können, kommt es eigentlich nur auf die Gravitationskraft an, die diese dunkle Materie ausübt. Und deswegen steht die dunkle Materie auch im Zentrum der Millenium-Simulation. Aus diversen Beobachtungsdaten wissen wir, dass circa 85 Prozent aller Materie aus dunkler Materie besteht. Wir wissen auch, dass diese dunkle Materie nicht mit elektromagnetischer Strahlung wechselwirkt. Das heißt in diesem Fall: Sie wird nicht aufgeheizt, sie gibt auch keine Wärme ab. Oder anders gesagt: Während die normale Materie im frühen Universum durch die viele Energie enorm heiß war und die Teilchen sich wegen der großen Temperatur schnell bewegt haben, haben die Teilchen der dunklen Materie das nicht getan. Oder, ein letztes Mal anders gesagt: Die dunkle Materie ist durch durch die elektromagnetische Strahlung, also durch die Energie nach dem Urknall, weniger stark beeinflusst worden und hat sich deswegen, vereinfacht gesagt, früher "zur Ruhe gesetzt". Die ersten Strukturen im Universum waren Strukturen aus dunkler Materie. Natürlich keine Sterne aus dunkler Materie oder so. Ich will jetzt nicht zu sehr in die Details gehen, aber weil dunkle Materie so ist, wie sie ist, kann sie keine kompakten Objekte wie einen Stern bilden. Aber gigantisch große Wolken schon. Und die Anziehungskraft dieser gigantisch großen Wolken hat dann früher oder später auch die normale Materie beeinflusst, in ihr Zentrum gezogen und dort, in den Zentren dieser großen Wolken, hat die normale Materie dann Sterne und Galaxien gebildet.

    Wenn man also weiß, wo sich die dunkle Materie im frühen Universum befunden hat, ist es auch ein vergleichsweise kleines Problem, daraus zu bestimmen, wo sich die Galaxien und Galaxienhaufen befinden müssen. Die Millenium-Simulation hat sich also auf die Simulation der Bewegung der dunklen Materie beschränkt. Allerdings nicht im gesamten Universum; auch das wäre zu viel für die Computer gewesen. Man hat sich auf einen würfelförmigen Ausschnitt konzentriert, der eine Kantenlänge von 2 Milliarden Lichtjahren hat. Aber das ist schon ordentlich groß, da passt einiges rein. Die gesamte Masse an dunkler Materie in diesem Würfel, die in der Simulation untersucht worden ist, hat 10 Trillionen Sonnenmassen entsprochen. Aber wie gesagt: Diese Masse ist nicht in Form einzelner Teilchen simuliert worden. Auch nicht in Form von Stücken von zum Beispiel einem Gramm oder einem Kilogramm. Es wäre für die Computer auch viel zu viel gewesen, hätte man 10 Trillionen Objekte mit einer Sonnenmasse in den Würfel gesetzt und geschaut was passiert. Man hat die Mase auf gut 10 Milliarden Teilchen aufgeteilt. Die Simulation ist also aus 10 Milliarden "Teilchen" bestanden, von denen jedes eine Masse von knapp einer Milliarde Sonnenmasse gehabt hat. Die Bezeichnung "Teilchen" ist also ein bisschen irreführend, angesichts der Tatsache, dass die Masse unserer Milchstraße nur circa 10 Mal größer ist als die eines solchen "Teilchens".

    Aber angesichts der Größe des Universums und der vorhandenen Computertechnik war das, das was möglich war. Dieser 2 Milliarden Lichtjahre große Würfel mit seinen 10 Milliarden Teilchen aus dunkle Materie war der beste Kompromiss aus Größe und Detailreichtum, den man hoffen konnte, zu schaffen. Jetzt kann man diese Teilchen aber auch nicht einfach irgendwie in den Würfel werfen und die Simulation starten. Wir wissen - wieder aus Beobachtungsdaten des ganz frühen Universums - dass die Materie damals nicht völlig gleichförmig im Universum verteilt war. Es hat kleine Schwankungen gegeben, in manchen Regionen war ein bisschen mehr als anderswo; in anderen Regionen ein bisschen weniger. Diese Schwankungen gehen auf die quantenmechanischen Prozesse unmittelbar beim Urknall zurück, aber das würde jetzt zu weit führen. Diese Unregelmäßigkeiten hat man auf jeden Fall in der Simulation berücksichtigt und die dunkle Materie entsprechend verteilt.

    Und dann? Dann berechnet man einfach die Gravitationskräfte, die zwischen all diesen Teilchen wirken und die daraus resultierenden Bewegungen. Und schaut, wie sich das alles im Laufe der Zeit entwickelt! Wenn es so einfach wäre, dann wäre es super. Das Prinzip ist natürlich korrekt, genau das ist es, was man jetzt eigentlich tun muss. Nur: Wenn ich 10 Milliarden Teilchen habe, die sich gegenseitig über ihre Gravitationskraft beeinflussen, dann muss ich zuerst berechnen, wie zb Teilchen Nummer 2 auf Teilchen Nummer 1 wirkt. Und dann Teilchen Nummer 3 auf Teilchen Nummer 1. Und so weiter, bis zur Wirkung von Teilchen Nummer 10 Milliarden auf Teilchen Nummer 1. Und wenn ich damit durch bin, muss ich die selbe Rechnung anstellen, um herauszufinden, wie die 10 Milliarden Teilchen das Teilchen Nummer 2 beeinflussen, und so weiter, bis ich das für alle 10 Milliarden Teilchen erledigt habe. Und wenn DAS erledigt ist, und ich weiß, wie sich die Teilchen alle bewegt haben, haben sie ja jetzt ihre Position verändert, wodurch sich auch ihre Gravitationskraft aufeinander verändert. Ich muss das Spiel also von vorne beginnen und das so lange, bis ich die ganzen 14 Milliarden Jahre der bisherigen Lebensdauer des Universums abgedeckt habe. Man kann so etwas zwar prinzipiell machen; ein entsprechendes Computerprogramm zu schreiben ist nicht sonderlich schwer. Aber es würde absurd lange dauern, bis es durchgelaufen ist. Man kann so etwas machen, wenn man es zum Beispiel nur mit der Handvoll an Planeten des Sonnensystems zu tun hat. Aber nicht bei einem ganzen Universum, selbst wenn da nur 10 Milliarden Teilchen drin sind.

    Für solche kosmologischen Simulationen muss man einen anderen Ansatz wählen und bei der Millenium-Simulation war das etwas, was man als Tree-PM-Methode bezeichnet. Das im Detail zu erklären, würde zu weit führen. Aber die kurze Version geht so. "PM" steht für "Particle-Mesh", also für "Teilchen-Netz". Das soll folgendes bedeuten: Wir berechnen nicht die konkrete wechselseitige Anziehungskraft zwischen allen Teilchen. Sondern legen quasi ein "Netz" über das simulierte Universum. Und schauen dann für jede Zelle in diesem dreidimensionalen Netz nach, wie viel Masse da im Moment drin ist. Dann benutzen wir mathematische Methoden, unter anderem die Poisson-Gleichung, aber ich lasse diese Details jetzt wirklich aus, um das Gravitationspotential in jeder Zelle und über das ganze Netz zu berechnen. Das Gravitationspotential sagt uns, welche Gravitationskraft in jeder Zelle wirkt und diese Information kann man nutzen, um zu berechnen, wie sich die einzelnen Teilchen einer Zelle bewegen. Dann wird geschaut, wie viele Teilchen sich jetzt in den Zellen des Netzes befinden, ich keine wieder die Dichte für all diese Zellen berechnen, aus dieser Dichte mit der Poissongleichung wieder das Gravitationspotenzial, und so weiter, bis ich mit der Simulation bei dem Zeitpunkt angekommen bin, den ich erreichen möchte.

    Das ist natürlich alles nicht ganz so genau, wie die direkte Berechnung aller Kräfte. Aber anders geht es eben nicht und als Ausgleich gibt es noch den "Tree". Das "Tree", also das englische Wort für "Baum", das ja auch Teil der "Tree-PM-Methode" ist, bedeutet folgendes. Das Netz hat nicht einfach Zellen, die alle gleich groß sind. Sondern die Größe der Zellen hängt davon ab, was darin so los ist. Wenn wir jetzt eine Region im simulierten Universum haben, in der sich nur ein paar verstreute Teilchen befinden, dann kann ich da eine sehr große Zelle daraus machen. Wenn ich aber sehr viele Teilchen in einer Gegend habe, dann werden die Zellen dort immer feiner unterteilt. Die Zellengröße verästelt sich also wie die Äste eines Baumes und im Prinzip nutzt diese Methode die Tatsache aus, dass man die gravitative Wechselwirkung zwischen sehr weit entfernten Teilchen vernachlässigen kann, die Kräfte zwischen nahen Teilchen aber wichtig sind.

    Wie gesagt: In Wahrheit sind diese kosmologischen Simulationen sehr, sehr viel komplexer als ich sie jetzt hier dargestellt habe. Aber das war das Prinzip hinter der ersten Millenium-Simulation. Man hat damit den Kosmos - beziehungsweise den 2 Milliarden Lichtjahre großen Würfel - in 11.000 Schritten vom Anfang des Universums bis in die Gegenwart simuliert (und, das habe ich noch nicht dazu gesagt, dabei auch die Expansion des Universums berücksichtigt). Aus der Verteilung der dunklen Materie konnte man dann, so wie ich es vorhin beschrieben habe, berechnen, wo sich die Galaxien befinden müssen. Das ganze hat auf einen Supercomputer 28 Tage lang gedauert und im Juni 2005 hat man die Ergebnisse dann veröffentlicht. Und "man" war in diesem Fall das "Virgo-Konsortium", zu dem unter der Führung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching bei München auch Teams aus Großbritannen, Kanada, Japan und der USA gehört haben.

    Diese Resultate waren höchst beeindruckend. Man hat in der Simulation die tatsächlich beobachtete Verteilung der Galaxien und Galaxienhaufen sehr gut nachvollziehen können. Das Computeruniversum hat genau so ausgesehen wie das echte. Nicht im Detail, aber im Prinzip: Mit lauter Galaxien, die sich in Galaxienhaufen organisieren, die Superhaufen bilden, die sich entlang von Filamenten anordnen, und riesigen Leerräumen dazwischen. Das hat zuallererst einmal bestätigt, dass unsere Annahmen über den frühen Zustand des Universums und die Gesetze, die seine Entwicklung beschreiben, korrekt sind, denn sonst hätte die Simulation ein anderes Ergebnis geliefert. Man hat mit den Resultaten aber auch ein paar offene Fragen klären können: Zum Beispiel hat man bei Beobachtungen des frühen Universums Galaxien gesehen, in deren Zentren sich enorm massereiche schwarze Löcher befunden haben. Und dachte damals, dass sich solche großen Objekte so schnell gar nicht bilden können. In der Millenium-Simulation ist aber genau das passiert und man hat dadurch besser verstehen können, wie diese Prozesse ablaufen, die wir im echten Universum nicht beobachten können, im simulierten Universum aber so gut und lange, wie wir wollen. In der Millenium-Simulation konnte man quasi "live" dabei zusehen, wie Galaxien miteinander verschmelzen, wie sich Galaxienhaufen bilden, wie sie in den Zentren der Wolken aus dunkler Materie entstehen, und so weiter.

    Es gab natürlich auch schon davor kosmologische Simulationen, aber die Millenium-Simulation war viel detailreicher und das für einen enorm großen Ausschnitt des Universums. Auf diese ursprüngliche Simulation aus dem Jahr 2005 sind weitere gefolgt und man hat mit den Daten sogar ein virtuelles Observatorium eingerichtet. Man kann dort mit einem virtuellen Teleskop die Beobachtung des Universums anhand der Millenium-Daten simulieren, was ein wenig sinnlos klingt. Aber durchaus wichtig ist, wenn man zum Beispiel in Ruhe die Beobachtung mit echten Teleskope planen und vorbereiten möchte, ohne die knapp bemessene Beobachtungszeit an den realen Instrumenten dafür verschwenden zu müssen.

    Auf die Millenium-Simulation sind natürlich noch weitere, bessere Simulationen gefolgt, zum Beispiel das "Illustris-Projekt". Immerhin werden ja auch die Computer immer besser und je besser sie werden, desto genauer kann man die Simulationen auch durchführen. Für das gesamte Universum wird es aber trotzdem nie reichen. Am Ende müssen wir immer noch schauen, was wirklich dort draußen ist.

    10 January 2025, 6:00 am
  • 9 minutes 42 seconds
    Sternengeschichten Folge 632: Galatea und die Ringe des Neptun
    Ein Mond macht Klumpen

    Sternengeschichten Folge 632: Galatea und die Ringe des Neptun

    Im Jahr 1985 hat der amerikanische Astronom Jack Lissauer einen Fachartikel veröffentlicht, der mit diesen Sätzen beginnt: "Ein unvollständiger Ring wurde kürzlich um Neptun entdeckt. Hier wird ein Modell entwickelt, um die Begrenzung dieses Rings zu erklären. Der Ring könnte azimutal in der Nähe eines Dreieckspunkts (Trojaner-Punkt) eines noch unentdeckten Satelliten von Neptun begrenzt sein."

    Gut, das klingt ein wenig technisch, aber es ist ja auch ein wissenschaftlicher Fachartikel. Aber Lissauer sagt im wesentlichen folgendes: Man hat einen Ring des Planeten Neptun entdeckt und der sieht so seltsam aus, dass man das nur mit der Existenz eines noch unbekannten Mondes erklären kann. Und genau darum geht es in dieser Folge: Um einen Mond des Neptun und den Einfluss, den er auf seine Ringe ausübt. Über Neptun habe ich ja in Folge 122 schon ausführlicher gesprochen.

    Der Neptun ist der äußerste Planet unseres Sonnensystems. Er wurde erst 1846 entdeckt und es hat fast 150 Jahre gedauert, bis er das erste Mal Besuch von einer Raumsonde bekommen hat. Das war im Jahr 1989, als Voyager 2 an ihm vorbeigeflogen ist. Aber schon 1968 konnte man durch Beobachtungen von der Erde aus nachweisen, dass der Neptun Ringe haben muss. Weitere Beobachtungen haben dann gezeigt, dass diese Ringe erstens sehr schmal sein müssen und auch irgendwie komisch. Ein bisschen klumpig, also eher Ringstückchen anstatt kompletter Ringe, so wie wir das zum Beispiel vom Saturn kennen. Die kleinen Teilchen aus Eis, die die Ringe bilden, sind beim Neptun anscheinend nicht gleichmäßig verteilt, sondern bilden mehrere klumpige Ringbögen. Genau das hat Lissauer gemeint, als er geschrieben hat, dass ein "unvollständiger Ring" um Neptun entdeckt worden ist.

    So etwas passiert natürlich nicht einfach so. Gut, es könnte sein, dass dieser bruchstückhafte Ring des Neptun zufälligerweise ganz neu ist. Vielleicht ist da irgendein kleiner Mond auseinander gebrochen und seine Trümmer haben sich noch nicht vollständig um den Neptun herum verteilt. Das ist zwar nicht unmöglich, aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass wir zufällig gerade in diesem Moment hingesehen haben. Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass irgendetwas dafür sorgt, dass sich die Ringteilchen nicht gleichmäßig um den Neptun verteilen können. Genau das war der Grund, aus dem Lissauer seine Arbeit verfasst hat und er hat vermutet, dass es ein noch unentdeckter Mond sein könnte, der mit seiner Gravitationskraft den Ring so aussehen lässt, wie er aussieht.

    Aber bevor wir schauen, was es damit auf sich hat, schauen wir zuerst noch einmal, wie die Ringe des Neptun eigentlich tatsächlich aussehen. Jack Lissauer hat seine Arbeit vier Jahre vor der Ankunft von Voyager 2 beim Neptun geschrieben. Die Bilder der Raumsonde haben viele offene Fragen beantwortet und unter anderem im Detail gezeigt, wie die Ringe aussehen. Der Neptun hat mindestens vier Ringe. Ganz innen ist der Galle-Ring, dann folgen der Le-Verrier-Ring und der Lassell-Ring. Alle drei sind übrigens nach Astronomen benannt, die mit Entdeckungen bei Neptun zu tun haben. Johann Gottfried Galle hat den Planeten 1846 das erste Mal im Fernrohr gesehen, Urbain LeVerrier hat seine Existenz mathematisch vorhergesagt und William Lassell hat Triton, den größten Neptunmond entdeckt. Uns interessiert hier aber der äußerste Ring, der nach John Couch Adams benannt ist, einem britischen Astronomen, der ebenfalls und unabhängig von LeVerrier die Existenz von Neptun vorhergesagt hat.

    Der Adams-Ring ist schmal, mit einer Breite von nur circa 35 Kilometern. Und es ist genau dieser Ring, der klumpig ist. Man hat bis jetzt vier Abschnitte des Rings entdeckt, die deutlich heller sind als der Rest, wo sich also mehr Material befinden muss. Benannt sind sie mit französischen Begriffen: Liberté, Égalité, Fraternité und Courage; also Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Mut. Jeder dieser Abschnitte ist 100 bis 200 Kilometer lang und die Klumpen sind vergleichsweise stabil. Man hat sie schon in den 1980er Jahren mit Teleskopen von der Erde aus gesehen, dann im Detail mit der Voyager-Sonde beobachtet und auch danach zum Beispiel mit dem Hubble-Weltraumteleskop. In all dieser Zeit sind die Klumpen immer mehr oder weniger an der selben Stelle geblieben. Es muss also einen Mechanismus geben, der dafür sorgt, dass das passiert und Lissauer hat vermutet, dass es ein Mond sein muss, der dafür verantwortlich ist.

    Bevor Voyager 2 im Jahr 1989 beim Neptun angekommen ist, hat man drei Monde des Neptun gekannt: Triton, der größte mit einem Durchmesser von 2706 Kilometern und die kleineren Monde Nereid und Larissa. Als man sich die Sache dann aber aus der Nähe ansehen konnte, hat man mit einem Schlag gleich fünf weitere Monde finden können. Die Bilder der Voyager 2 haben Monde gezeigt, die heute Naiad, Thalassa, Despina, Proteus und Galatea heißen. Mittlerweile haben wir noch eine Handvoll weiterer Monde des Neptun gefunden, aber wir konzentrieren uns jetzt auf Galatea.

    Tatsächlich entdeckt hat ihn der amerikanische Astronom Stephen Synnott im Juli 1989 bei der Analyse der Voyager-Aufnahmen. Der Mond hat einen Durchmesser von 176 Kilometern und umkreist den Planeten in einem Abstand von 61.953 Kilometern auf einer fast kreisförmigen Bahn. Der Adams-Ring ist 63.930 Kilometer von Neptun entfernt, also nur knapp 2000 Kilometer von Galateas Umlaufbahn weit weg. Damit ist er dem Ring näher als die anderen bekannten größeren Monde des Neptun und ein guter Kandidat für die Rolle des Mondes, der die Strukturen im Adams-Ring verursacht.

    Schaut man sich die Umlaufzeit von Galatea an und rechnet ein bisschen herum, dann findet man folgenden interessanten Zusammenhang: In der Zeit, die Galatea für 42 Umläufe um den Neptun braucht, schafft ein Teilchen im Adams-Ring ziemlich genau 43 Umläufe um den Planeten. Oder anders gesagt: Ring und Mond befinden sich einer sogenannten 42:43 Resonanz. Das bedeutet: Nach einer ganz bestimmten Zeit wiederholt sich die relative Stellung von Mond und Ringteilchen. Die Ringteilchen spüren also in periodischen Abständen die Gravitation des Mondes besonders stark. Diese kleinen Schubser des Mondes erhöhen die Exzentrizität der Ringteilchen, das heißt, ihre Bahn weicht von einer kreisförmigen Bahn ab und wird leicht elliptisch. Das führt dazu, dass sich die Teilchen in bogenförmigen Abschnitten der Umlaufbahn ansammeln oder anders gesagt: Es bilden sich Klumpen entlang der Bahn wo mehr Teilchen sind als anderswo und das ist genau das, was wir beim Adams-Ring beobachten können. Das ganze nennt sich "Korotations-Exzentrizität-Resonanz", was man zwar nicht wissen muss, um zu verstehen worum es geht, aber jetzt, wo ich es gesagt habe, könnt ihr euch das gerne merken.

    Jack Lissauer hat also Recht gehabt. Zumindest was die Existenz eines unbekannten Mondes und seines Einflusses auf den Adams-Ring angeht. Der Mechanismus, den er damals vermutet hat, war allerdings ein anderer und selbst heute sind wir uns noch nicht ganz sicher, ob wir alle Feinheiten bei der Wechselwirkung zwischen Galatea und dem Ring verstanden haben. Es bleibt das Problem, das wir immer haben, wenn es um Neptun geht: Wir müssen wieder dorthin; dieser eine Vorbeiflug im Jahr 1989 war zu wenig, um wirklich zu verstehen, was bei diesem fernen Planeten alles passiert. Was wir dagegen wissen: Galatea wird irgendwann verschwinden. Der kleine Mond ist dem Neptun zu nahe; die Gezeitenkräfte des großen Planeten beeinflussen seine Umlaufbahn und in ein paar Dutzend Millionen Jahren wird er entweder auf den Neptun stürzen oder vorher auseinander gerissen werden. Dann wird er seinen Einfluss auf den Adams-Ring nicht mehr ausüben können - aber die Trümmer die dabei entstehen werden zumindest für einige Zeit einen neuen Ring rund um den Neptun bilden.

    3 January 2025, 6:00 am
  • 13 minutes 9 seconds
    Sternengeschichten Folge 631: Himiko - Der große Blob am Anfang des Universums
    Die Mutter und die Tochter von Sonnen

    Sternengeschichten Folge 631: Himiko - Der große Blob am Anfang des Universums

    In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um einen gewaltigen Blob vom Anfang der Zeit, der nach Äonen plötzlich aus den fernen Nebeln der Vergangenheit aufgetaucht ist und alles durcheinander gebracht hat. Ok, ja - das klingt jetzt nicht nur mehr nach einem Horrorfilm anstatt seriöser Astronomie und es ist auch mehr als stark übertrieben. Aber zumindest das Wort "Blob" hab ich mir nicht ausgedacht; das ist in diesem Fall tatsächlich ein wissenschaftlicher Fachbegriff. Ich hätte auch sagen können, dass ich in der heutigen Folge über einen Lyman-Alpha-Emitter aus der Reionisierungsepoche sprechen möchte, aber das klingt vielleicht ein wenig abschreckend. So oder so: Das ist es, worum es heute geht. Um einen Lyman-Alpha-Emitter, den man zu Recht auch als "gewaltigen Blob" bezeichnen kann. Dieser Blob hat in der Reionisierungsepoche des Universums existiert, also vor gut 13 Milliarden Jahren, was man durchaus auch "am Anfang der Zeit" nennen kann. Und als man dieses Ding 2007 entdeckt hat, hat es tatsächlich für einiges an Verwirrung gesorgt.

    Aber gehen wir das alles mal der Reihe nach durch und fangen bei den Lyman-Alpha-Emittern an. Diese Dinger sind logischer Dinger, die etwas emittieren, und zwar Lyman-Alpha. Ok, das ist nicht ganz richtig und erklärt auch nicht viel. Mit "Lyman Alpha" ist Licht mit einer ganz bestimmten Wellenlänge gemeint, und zwar 121,567 Nanometer. Das ist Licht, das unter anderen dann entsteht, wenn das Elektron eines Wasserstoffatoms vom ersten angeregten Zustand in den Grundzustand wechselt. Und das bedeutet folgendes: Ein Wasserstoffatom hat einen Kern aus einem positiv geladenen Proton und ein negativ geladenes Elektron in seiner Atomhülle. Wenn man zum Beispiel durch Strahlung von außen Energie auf dieses Elektron überträgt, dann kann es unterschiedliche Zustände einnehmen; vereinfacht gesagt: Es kann sich unterschiedlich weit vom Atomkern entfernen. Es können keine völlig beliebigen Zustände sein; das verbietet die Quantenmechanik. Das Elektron kann nur ganz bestimmte Energiemengen absorbieren und dementsprechend auch nur ganz bestimmte Zustände einnehmen. Wenn das Elektron gerade im Grundzustand ist, also dem Zustand, in dem es die niedrigste Energie hat, die es haben kann, und wenn dann Strahlung mit 121,567 Nanometern auf das Elektron trifft, dann ist das genau die passende Menge an Energie, um es vom Grundzustand in den ersten angeregten Zustand zu versetzen. Jetzt sind Elektronen aber nicht so gerne angeregt, sie wollen die Energie wieder loswerden und in den Grundzustand wechseln. Das tun sie auch irgendwann wieder und wenn sie das tun, dann geben sie Strahlung mit einer Wellenlänge von genau 121,567 Nanometern ab. Es gibt noch mehr Möglichkeiten, wie Elektronen zwischen angeregten Zuständen und dem Grundzustand hin und her wechseln können und dementsprechend auch Strahlung bei anderen Wellenlängen, die sie absorbieren oder abstrahlen können. Das erste Mal beschrieben hat dieses Verhalten der amerikanische Physiker Theodore Lyman und er hat die Übergänge mit griechischen Buchstabend sortiert. Und deswegen nennen wir diesen speziellen Übergang bei 121,567 Nanometern heute den Lyman-Alpha-Übergang.

    Soweit zu Lyman-Alpha, aber was ist mit den Emittern? Wir wissen schon, dass wir dafür Wasserstoff brauchen und wenn es im Universum etwas mehr als genug gibt, dann ist es Wasserstoff. Im frühen Universum gab es fast nur Wasserstoff, drei Viertel aller Materie ist aus diesem einfachsten Atom aufgebaut, weil es von Anfang an nach dem Urknall da war - eben weil es so simpel ist. Der Rest war Helium und für die ganzen anderen komplexen Atome hat man erst auf die Kernfusion im Inneren der ersten Sterne warten müssen. Im frühen Universum hat es also jede Menge große Ansammlungen von Wasserstoff gegeben. Wenn diese Wasserstoffansammlungen von irgendwo her mit der passenden Energie angeregt werden, geben sie Lyman-Alpha-Strahlung ab und damit haben wir die Lyman-Alpha-Emitter. Die besonders großen davon werden auch oft Lyman-Alpha-Blobs genannt. Und besonders groß ist hier genau so gemeint: Die Dinger können bis zu 500.000 Lichtjahre groß sein, das ist deutlich größer als zum Beispiel der Durchmesser unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße.

    In unserer Gegenwart des Univerums sehen wir diese gigantischen Objekte nicht. Wir finden sie nur dann, wenn wir Licht beobachten, das wirklich, wirklich lange gebraucht hat, bis es bei uns angelangt ist oder anders gesagt: Wir sehen die Lyman-Alpha-Blobs nur, wenn wir ins sehr junge Universum schauen. Typischerweise müssen wir in eine Zeit schauen, als das Universum erst 2-3 Milliarden Jahre alt war. Und es ist auch kein Wunder, dass wir sie gerade in dieser Epoche sehen. Das war die Zeit, in der quasi das Licht im Kosmos eingeschaltet wurde. Oder anders gesagt: Es war der Höhepunkt der Sternentstehung im Universum. Es hat ja ein paar hundert Millionen Jahre gedauert, bis im jungen Universum aus den Wasserstoffwolken die ersten Sterne entstanden sind und die ersten Galaxien gebildet haben. Dann sind immer mehr und mehr Sterne entstanden, bis sich die Lage wieder ein bisschen beruhigt hat. Aber damals war der Kosmos voll mit jungen, heißen Sternen und was tun junge und heiße Sterne: Sie geben viel und vor allem viel Ultraviolett-Strahlung ab, was genau die Art von Strahlung ist, die Wasserstoffwolken dazu anregt, Lyman-Alpha-Strahlung zu emittieren. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, wie man den Wasserstoff anregen kann, aber dazu komme ich später noch. Auf jeden Fall ist es keine Überraschung, wenn wir vor allem dann viele Lyman-Alpha-Blobs sehen, wenn wir in eine Zeit zurück schauen, in der das Universum noch voll mit großen Wasserstoffwolken und heißen Sternen war.

    Abgesehen davon gibt es noch sehr viel, was wir bei diesen Dingern nicht verstehen. Sie sind vermutlich ein wichtiger Schritt bei der Entstehung der ersten großen Galaxien. Wenn wir einen Lyman-Alpha-Blob sehen, dann sehen wir wahrscheinlich die frühe Phase einer Galaxie, wo das Wasserstoffgas in den riesigen Wolken gerade kühl genug geworden ist, um Sterne entstehen zu lassen. Das ist alles sehr interessant, aber in dieser Folge soll es ja um einen ganz speziellen Blob gehen. Man hat ihn bei Beobachtungen im Jahr 2007 entdeckt. Ein Team japanischer Forscherinnen und Forscher war auf der Suche nach Lyman-Alpha-Emittern im frühen Universum und hat dafür über 200 Kandidaten identifiziert und beobachtet. Einer dieser Kandidaten war extrem hell, zumindest verglichen mit den schwach leuchtenden Objekten deren Licht Milliarden Jahre bis zu uns gebraucht hat. Deswegen wollte man es zuerst gar nicht weiter analysieren, weil man davon ausgegangen ist, dass es sich um eine normale Galaxie handelt, die einfach zufällig im Vordergrund des Bilds liegt. Aber man hat das Licht dieses Objekts dann doch noch genauer angesehen und festgestellt, dass es genau die charakteristischen Eigenschaften von Licht zeigt, dass sehr, sehr lange durchs All unterwegs war. Es war kein nahes Vordergrundobjekt; ganz im Gegenteil! Es war ein Lyman-Alpha-Blob, aber einer, der extrem weit entfernt war beziehungsweise andersherum gesagt, extrem kurz nach dem Urknall existiert hat. Dieser Blob stammt aus einer Zeit, nur 800 Millionen Jahre nach dem Urknall, deutlich früher als all die anderen Blobs die man bis dahin beobachtet hat. Die Daten zeigen, dass dieser Blob auch erstaunlich groß sein muss, circa 55.000 Lichtjahre, was immerhin halb so groß wie unsere Milchstraße ist. Aus der Analyse des Lichts kann man auch ableiten, wie viele Sterne dort entstehen: Circa 34 pro Jahr, was deutlich mehr ist, als in unserer Gegenwart und eigenen Galaxie, wo es nur um die 5 Sterne pro Jahr sind. Wir sehen auch, dass das Gas sich dort sehr schnell bewegt, mit ein paar hundert Kilometer pro Sekunde - was immer auch dort passiert, passiert auf jeden Fall sehr dynamisch.

    Auf jeden Fall ist dieses Objekt ein sehr spezielles Objekt. Es ist erstaunlich groß und aktiv für ein Objekt so früh im Universum. Es passt nicht so ganz zu den Modellen, mit denen man die Entstehung von Galaxien bis dahin beschrieben hat, dafür hätte es noch nicht so gewaltig sein dürfen. Aber warum ist das so und was passiert denn da jetzt genau? Das wissen wir nicht. Ich hab vorhin schon gesagt, dass es neben der Anregung durch junge, heiße Sterne auch noch mehr Möglichkeiten gibt. Es kann auch sein, dass sich in einer jungen Galaxie schon ein aktives Zentrum gebildet hat, als ein großes schwarzes Loch, um das jede Menge heißes Gas herumwirbelt und dieses wirbelnde Gas kann ebenfalls Strahlung aussenden, die eine Wasserstoffwolke dazu bringt, Lyman-Alpha-Strahlung auszusenden. In dem Fall hat man aber keine anderweitigen Hinweise auf die Existenz so eines aktiven Zentrums gefunden, die man eigentlich sehen hätte müssen. Das ist also eher unwahrscheinlich, aber vielleicht sind da auch zwei große Blobs, also zwei Galaxien in Entstehung miteinander kollidiert und verschmolzen, denn auch bei so einem Prozess kann Wasserstoffgas entsprechend angeregt werden. Das würde auch besser zu den Beobachtungsdaten passen und könnte uns mehr darüber verraten, wie wichtig solche Kollisionsprozesse im jungen Universum für die Entstehung von Galaxien waren. Und dann könnte auch die dunkle Materie eine Rolle spielen, also die Materie, von der wir wissen, dass sie da sein muss, aber nicht wissen, aus was sie besteht. Wir gehen davon aus, dass sich die Galaxien in den Zentren riesiger Wolken aus dunkler Materie gebildet haben, weil sich dort der ganze Wasserstoff angesammelt hat. Und während der Wasserstoff ins Zentrum der Wolke fällt, kann ebenfalls Lyman-Alpha-Strahlung abgegeben werden. Dann würden wir dort tatsächlich die erste Phase der Entstehung einer Galaxie beobachten. Oder wir sehen dort wirklich das klassische Bild eines Lyman-Alpha-Blobs, wie ich es zu Anfang erklärt habe: Eine junge Galaxie mit jeder Menge Sternentstehung und junge Sterne, die die Wasserstoffwolken anregen. Das wäre sehr spannend, weil das eben nicht zu unseren bisherigen Modellen passt. So früh im Universum sollte eine so große und quasi schon fast fertige Galaxie noch nicht existieren.

    Auf jeden Fall ist klar, dass wir hier ein wirklich einzigartiges Objekt beobachten und eines, das uns auf die eine oder andere Weise mehr darüber verraten wird, wie das Universum sich von einem Kosmos ohne Sterne und Galaxien zu dem Ort entwickelt hat, den wir heute beobachten. Und weil dieser Blob so besonders ist, hat er natürlich auch einen Namen bekommen und heißt nicht mehr einfach nur "Blob". Das japanische Team hat ihn "Himiko" genannt, nach der ersten namentlich bekannten Herrscherin von Japan. Im 2. Jahrhundert soll Himiko als erste Königin eines der ersten größeren Reiche auf der japanischen Inselgruppe gegründet haben. Der Name bedeutet übersetzt so viel wie "Tochter der Sonne" oder "Kind der Sonne", was durchaus sehr poetisch ist, aber astronomisch nicht ganz korrekt. Denn wenn wir mit Himiko tatsächlich sehen, wie die ersten Galaxien im Universum entstehen, dann müsste es eigentlich die "Mutter der Sonnen" sein. Und die "Töchter der Sonne" wären dann wir selbst, die 13 Milliarden Jahre später in einem Universum voller Sterne leben, das damals seinen Anfang genommen hat.

    27 December 2024, 6:00 am
  • 10 minutes 39 seconds
    Sternengeschichten Folge 630: Das Lichtecho und die Supernova von Tycho Brahe
    Ein Bild aus der Vergangenheit

    Sternengeschichten Folge 630: Das Lichtecho und die Supernova von Tycho Brahe

    Im November 1572 ist im Sternbild Cassiopeia ein neuer Stern aufgetaucht. Er war so hell, dass er überall auf der Welt beobachtet werden konnte; heller als die anderen Sterne am Himmel. Der dänische Astronom Tycho Brahe, von dem ich in Folge 167 mehr erzählt habe, hat ihn auch gesehen und alle möglichen Beobachtungsdaten zusammengetragen. Er konnte zwar nicht herausfinden, um was es sich bei diesem Stern wirklich handelt, aber seine Arbeit hat auf jeden Fall gereicht, um den Sturz eines Weltbildes einzuleiten. Bis dahin dachte man, dass sich am Himmel nichts ändern kann, nur auf der Erde und in ihrer unmittelbaren Umgebung ist Veränderung möglich. Der Himmel ist ja immerhin der Ort der göttlichen Perfektion, da muss sich nichts ändern - im Gegensatz zur unperfekten, menschlichen Erde. Die Beobachtungen haben aber deutlich gezeigt, dass dieser neue Stern am Himmel weiter entfernt sein muss als der Mond, also tatsächlich zum Reich der Sterne gehört und nicht nur eine komische Leuchterscheinung in der Atmosphäre ist. Der neue Stern ist dann aber auch rasch dunkler geworden und ein Jahr später war er nicht mehr zu sehen.

    Hätte Tycho Brahe damals schon Teleskope gehabt, hätte er vielleicht mehr rausfinden können. Aber diese Geräte sind erst ein paar Jahrzehnte später erfunden worden. Heute wissen wir sehr viel besser, was Tycho gesehen hat und wir wissen es unter anderem deswegen, weil wir unsere modernen Teleskope genutzt haben, um den neuen Stern zu beobachten. Ja, genau: Wir haben den 1572 aufgetauchten Stern beobachtet, mehr als 400 Jahre nachdem er vom Himmel verschwunden ist. Das klingt als wäre es Quatsch. Aber Astronomie ist erstens kreativ. Und es gibt tatsächlich einen Weg, wie man Ereignisse sehen kann, die in der Vergangenheit an unserem Himmel stattgefunden haben.

    Aber bevor ich erkläre, wie das geht, bleiben wir noch ein bisschen bei Tycho Brahes Stern. Heute nennen wir das, was er damals gesehen hat, Tychos Supernova beziehungsweise offiziell SN 1572. Und eine Supernova, auch das habe ich schon oft hier erklärt, ist kein neuer Stern, sondern das, was wir sehen können, wenn ein sehr großer Stern sein Leben beendet. Dann gibt es eine gewaltige Explosion die ein paar Wochen oder Monate lang extrem hell sein kann, heller als das Licht aller Sterne einer Galaxie zusammen. Wir haben mittlerweile jede Menge Supernovae in anderen Galaxien beobachtet, aber seit der Erfindung des Teleskops konnten wir keine mehr beobachten, die in unserer eigenen Galaxie stattgefunden hat. Dabei wäre das äußerst spannend für die Astronomie. Wir wissen zwar mehr oder weniger, was bei so einer Explosion passiert, aber ein Blick aus der ersten Reihe auf so ein Ereignis, mit all unseren modernen Instrumenten: Das wäre ziemlich cool.

    Es ist aber auch ganz cool sich anzusehen, was von Tychos Supernova übrig geblieben ist. Wenn wir unsere Teleskope heute auf die entsprechende Stelle am Himmel richten, dann sehen wir dort einen wilden Nebel aus Gas und Staub. Es sind die Überreste des Sterns, das ganze Material aus dem er bestanden ist und das bei der Explosion mit enormer Geschwindigkeit ins All geschleudert wurde. Der Supernovaüberrest ist ungefähr 9000 Lichtjahre weit weg und das Gas saust dort immer noch mit ein paar tausend Kilometer pro Sekunde ins All. Anhand der historischen Beobachtungen des 16. Jahrhunderts und aus den modernen Daten kann man vermuten, dass es sich um eine Supernova vom Typ Ia gehandelt hat. Oder um eine "thermonukleare Supernova", wie sie auch oft genannt wird. Diese Explosion findet statt, wenn man ein Doppelsternsystem hat, in dem ein Stern sein Leben schon beendet hat und zu einem weißen Zwerg geworden ist. Der Übergang von einem Stern zu einem weißen Zwerg ist nicht explosiv; ein Stern wie unsere Sonne dehnt sich am Ende seines Lebens immer weiter aus, schiebt seine äußeren Schichten hinaus ins All, bis nur noch der innere, dichte Kern übrig bleibt in dem keine Kernfusion mehr stattfindet. Das ist ein weißer Zwerg und normalerweise passiert damit nicht mehr viel. Wenn dort aber noch ein zweiter Stern existiert und beide sich sehr nahe sind, dann kann Material von diesem zweiten Stern zum weißen Zwerg gelangen. Und wenn genug neues Gas dort angelangt ist, genug neuer Brennstoff quasi, dann hat der weiße Zwerg wieder genug Masse, um erneut mit der Kernfusion anzufangen. Dieses Mal aber nicht so gemütlich wie es ein normaler Stern tut, sondern extrem explosiv. Anders gesagt: Der gesamte weiße Zwerg explodiert und wir haben eine Supernova.

    Wie gesagt: Man hat vermutet, dass es sich bei Tychos Supernova um genau so einen Vorgang gehandelt hat. Aber man hat es nicht genau gewusst, dafür waren die historischen Daten nicht gut genug. Man kann den Typ einer Supernova am Verlauf der Helligkeit erkennen, denn die Explosion eines weißen Zwergs läuft immer mehr oder weniger identisch ab und das Licht wird auf charakteristische Weise heller und dunkler. Man kann es auch mit Spektroskopie probieren, also das Licht der Supernova analysieren und bestimmen, welche chemischen Elemente da entstehen. Bei der explosiven Kernfusion eines weißen Zwergs entsteht zum Beispiel kein Wasserstoff, wie bei der normalen Kernfusion, dafür aber Elemente wie Silicium. Aber wenn Brahe kein Teleskop gehabt hat, dann hat er definitiv auch kein Spektroskop besessen. Und wie soll man Licht, das seit über 450 Jahre aufgehört hat zu leuchten, heute noch analysieren?

    Damit sind wir jetzt beim Lichtecho. Das ist ein faszinierendes Phänomen und es funktioniert fast genau so wie ein normales Echo. Da werden ja Schallwellen an bestimmten Oberflächen reflektiert und zurückgeworfen so dass ein Geräusch mehrmals hintereinander zu hören ist. Bei Licht geht das im Prinzip auch. Licht breitet sich im Weltall ja in alle Richtungen aus. Auf der Erde sehen wir nur das, was halt gerade in unsere Richtung abgestrahlt worden ist. Es gibt aber Ausnahmen: Licht kann auch an den diversen interstellaren Gas- und Staubwolken gestreut werden, die sich überall im Raum zwischen den Sternen befinden. Und ein Teil dieses dort abgelenkten Lichts kann mit etwas Glück genau in Richtung Erde abgelenkt werden. Dieses Licht hat dann logischerweise einen längeren Weg zurückgelegt als das, das uns direkt erreicht hat. Und braucht deswegen auch länger, bis es bei uns ankommt. Oder anders gesagt: Wir können Phänomene wie eine Supernova-Explosion tatsächlich mehrmals hintereinander sehen. Das ist aber natürlich nicht so einfach wie es klingt, aber bei Tychos Supernova ist es tatsächlich gelungen. Im Jahr 2008 haben Forscherinnen und Forscher ihr Licht ein zweites Mal gesehen.

    Das war kein einfacher Prozess; es war nicht so, dass da plötzlich ein zweites Mal eine Supernova am Himmel im Sternbild Cassiopeia erschienen ist. So wie das Echo eines Geräusches immer schwächer wird, ist das auch beim Lichtecho der Fall. Wenn man ein Lichtecho sehen will, muss man ganz genau wissen, wohin man schauen muss. Deswegen hat man sich zuerst mal überlegt, welche hellen Supernova-Explosionen es in der Vergangenheit an unseren Himmel gegeben hat und wo passende Staub- und Gaswolken zu finden sind, die prinzipiell in der Lage sind, dieses Licht zu uns zu reflektieren. Die müssen natürlich auch in der passenden Entfernung sein, damit wir das Lichtecho auch jetzt sehen können. Zum Glück ist eine Supernova ja auch keine Explosion wie bei einem Feuerwerk, dass in ein paar Sekunden vorbei ist. Eine Supernova leuchtet über Monate und Jahre hinweg, nur eben immer schwächer und schwächer. Da ist also ein wenig Spielraum und es haben sich einige vielversprechende Wolken gefunden. Die muss man dann alle mit ausreichend guten Instrumenten beobachten und wird in den meisten Fällen trotzdem keinen Erfolg haben. Aber bei Tychos Supernova hat es tatsächlich geklappt. Im September 2008 wurden Aufnahmen einer passenden Region gemacht und sie haben eindeutig eine Lichtquelle gezeigt, die so aussieht, wie das Lichtecho einer Supernova-Explosion. Und weil wir 2008, im Gegensatz zu 1572, auch Spektroskope besitzen, konnte das Licht damit analysiert werden und nachgewiesen werden, dass es sich dabei tatsächlich um eine Supernova vom Typ Ia handelt.

    Das Universum ist ein erstaunlicher Ort. Und vor allem ist ein erstaunlich großer Ort. Wir vergessen gerne, wie groß es ist und wie lange selbst das Licht braucht, um sich von einem Ort zum anderen zu bewegen. All die Bilder, all das, was es da draußen zu sehen gibt und vor allem zu sehen gegeben hat, ist dort immer noch zu sehen. Die Bilder der Sternexplosionen der Vergangenheit und von all dem, was da sonst noch so passiert ist, sind nicht verschwunden. Das Licht ist immer noch dort draußen und mit etwas Glück finden wir einen kosmischen Spiegel, der diese Bilder aus der Vergangenheit wieder zu uns zurück wirft.

    20 December 2024, 6:00 am
  • 10 minutes 55 seconds
    Sternengeschichten Folge 629: Die Strömgren-Sphäre und die ersten Sterne
    Die Wasserstoffblasen der Sterne

    Sternengeschichten Folge 629: Die Strömgren-Sphäre und die ersten Sterne

    In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die "Strömgren-Sphäre" und man kann sich auf jeden Fall schon mal denken, dass es um irgendwas kugelförmiges gehen wird. Was auch stimmt, aber die Geschichte der Strömgren-Sphäre handelt vor allem davon, wie Sterne entstehen und ihre Umgebung beeinflussen. Sie handelt von der Entstehung und Entwicklung von Galaxien und von den ersten Sternen im Universum.

    Fangen wir aber am besten mal damit an zu klären, was ein Strömgren ist. In diesem Fall ist es kein was, sondern ein wer, nämlich der dänische Astronom Bengt Strömgren. Über ihn gäbe es viel zu erzählen, aber ich beschränke mich auf das, was er 1939 in einer Arbeit mit dem Titel "The Physical State of Interstellar Hydrogen" geschrieben hat, was auf deutsch so viel heißt wie "Der physikalische Zustand des interstellaren Wasserstoffs". Darin bezieht sich Strömgren auf eine Arbeit aus dem Jahr zuvor. Da hatten die amerikanischen Astronomen Otto Struve und Chris Elvey diverse kosmische Nebel beobachtet, in denen sehr viel ionisierter Wasserstoff zu finden war. Und um zu verstehen, warum das interessant ist, müssen wir uns nochmal erinnern, was es bedeutet, wenn Wasserstoff - oder sonst irgendwas - "ionisiert" ist. Aber keine Sorge, das ist schnell erledigt: Wasserstoff ist ein Atom, mit einem Kern aus einem Proton. Und in der Atomhülle hat der Wasserstoff ein Elektron. Fertig - Wasserstoff ist simpel; andere Atome haben mehr Protonen im Kern und mehr Elektronen in der Hülle, aber der Punkt ist: Die Elektronen aus der Hülle eines Atoms können entfernt werden und wenn das der Fall ist, dann ist das Atom ionisiert. Ionisierter Wasserstoff ist also ein Wasserstoffatom, bei dem das Elektron aus der Hülle entfernt wurde und nur noch der Atomkern übrig ist. Oder anders gesagt: Das einzelne Proton.

    Ok, was heißt das jetzt alles. Wir wissen, dass Wasserstoff das häufigste Element des Universums ist. Es ist ja auch das einfachste und es braucht nicht viel, damit es entsteht. Drum war es auch schon kurz nach dem Urknall da; fast drei Viertel der damals entstandenen Materie waren Wasserstoff und auch heute noch macht Wasserstoff die überwiegende Mehrheit der Atome im Universum aus. Warum also beschäftigen sich ein paar Astronomen in den späten 1930er Jahren mit Wasserstoff, selbst wenn er ionisiert ist? Weil es Energie braucht, um Wasserstoff zu ionisieren. Energie gibt es im Weltall natürlich auch, die kommt unter anderem von der Strahlung der Sterne. Was Strömgren in seiner Arbeit getan hat, war folgendes: Er hat sich überlegt, wie dieser ionisierte Wasserstoff tatsächlich im Raum verteilt sein müsste, wenn man davon ausgeht, dass es die Strahlung der Sterne ist, die ihn ionisiert. Das geht nicht mit jeder beliebigen Strahlung, es braucht die richtige Energie und die steckt vor allem in der ultravioletten Strahlung der sehr heißen und großen Sterne; die mit den Spektralklassen O und B, wenn es jemand genau wissen will.

    Wir haben also diese heißen Sterne, die vom üblichen interstellaren Medium umgeben sind, also dem Zeug, dass sich zwischen den Sternen befindet. Das ist natürlich auch weitestgehend Wasserstoff, aber in dem Fall neutraler Wasserstoff, oder halt einfach nur Wasserstoff, nicht ionisiert. Die energiereiche ultraviolette Strahlung der heißen Sterne kann diesen Wasserstoff jetzt ionisieren. Das heißt aber auch, dass da jetzt freie Elektronen durch die Gegend fliegen, die nicht mehr an ihre Atomkerne gebunden sind. Die können jetzt wieder von Wasserstoffatomkernen eingefangen werden - das nennt man "Rekombination" - und dabei wird Energie abgestrahlt, in Form von Lichtteilchen, die jetzt aber weniger Energie haben und nicht in der Lage sind, Atome zu ionisieren. Strömgren hat sich das alles genau durchgerechnet: Wie weit entfernt von einem Stern gibt es noch genug energiereiche UV-Strahlung, um Atome zu ionisieren; wo fängt die Zone an, wo der Wasserstoff sich wieder ein Elektron einfängt, und so weiter. Und er ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass das erstens logischerweise eine mehr oder weniger kreisförmige Region um den Stern herum sein muss, weil Sterne ihre Strahlung ja in alle Richtungen abgeben. Er ist aber auch zweitens darauf gekommen, dass die Grenze zwischen ionisierten und neutralen Wasserstoff relativ scharf sein muss. Der ionisierte Wasserstoff wird nicht irgendwie langsam immer weniger und weniger und es ist auch nicht so, dass da Bereiche mit ionisierten Wasserstoff sind, die sich mit neutralen Wasserstoff abwechseln. In der Nähe des Sterns wird Wasserstoff durch die starke Strahlung ständig ionisiert. Weiter draußen gibt es dann aber nicht mehr genug UV-Strahlung, weil die zum Teil schon von den Atomen weiter innen absorbiert worden sind. Dort werden die Atome dann entweder nicht mehr ionisiert oder schnappen sich dann gleich wieder eines der freien Elektronen. Noch weiter draußen wird dann gar nichts mehr ionisiert und, so die Rechnung von Strömgren, im Vergleich zur Ausdehnung der ionisierten Region ist diese Übergangszone sehr schmal. Man kann also durchaus von einer Blase beziehungsweise Sphäre aus ionisierten Wasserstoff sprechen, der diese Sterne umgibt und Strömgren hat auch eine Formel entwickelt, die die Größe dieser Sphäre in Abhängig der Strahlungsstärke des Sterns bestimmt. Die Strömgren-Sphären sind dabei durchaus groß; sehr viel größer als ein Stern. Bei den ganz heißen Sternen können sie einen Durchmesser von ungefähr 650 Lichtjahren haben; bei den kühlsten Sterne, die noch Strömgren-Sphären produzieren können, sind es immer noch um die 50 Lichtjahre.

    Man kann sich solche Strömgren-Sphären auch anschauen. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Rosettennebel. In seinem Zentrum befinden sich gleich ein ganzer Sternhaufen mit jungen und heißen Sterne und rundherum erkennt man deutlich die sphärischen Bereiche mit den ionisierten bzw. neutralen Wasserstoffatomen. Und man erkennt sie deswegen, weil das Licht, das bei der Rekombination der freien Elektronen von den dann wieder neutralen Wasserstoffatomen ausgestrahlt wird, eine ganz charakteristische Wellenlänge hat. Strömgren-Sphären können wir im Orion-Nebel sehen, im Adler-Nebel, und so weiter. Aber die Strömgren-Sphäre ist nicht einfach nur die theoretische Erklärung für ein paar schöne Bilder, die wir gemacht haben.

    Wenn das interstellare Medium durch die Strahlung eines heißen Sterns beeinflusst wird und sich eine Strömgren-Sphäre bildet, dann hat das natürlich auch Auswirkungen auf die weitere Umgebung. Ioniziation und Rekombination und die ganze Strahlung die dabei aufgenommen und abgegeben wird, beeinflussen das interstellare Medium und können dafür sorgen, dass die Entstehung neuer Sterne leichter oder schwerer wird. Ist das Gas zum Beispiel zu heiß, dann bewegen sich die Teilchen zu schnell, als dass die Wolke die aus dem Gas besteht, in sich zusammenfallen und so einen neuen Stern bilden kann. Wenn eine Strömgren-Sphäre sich bildet und ausdehnt, kann sie das umgebende Material andererseits aber auch erst Recht quasi zusammenschieben und so neue Sternbildung auslösen.

    Auf noch größeren Skalen betrachtet, können Strömgren-Sphären auch die Entwicklung ganzer Galaxien beeinflussen, je nachdem wie sie dort verteilt sind und damit zum Beispiel ganze Sternentstehungsregionen bilden. Die heißen Regionen aus ionisierten Wasserstoff lassen sich außerdem auch gut beobachtet, selbst aus der Ferne in anderen Galaxien. Damit können wir auch über enorme Distanzen hinweg die Sternentstehungsraten dieser Galaxien bestimmen und schauen, wo sich die Quellen der Ionisation, also die heißen Sterne befinden.

    Die Strömgren-Sphären spielen auch eine wichtige Rolle, wenn man die Reionisierungsepoche des Universums verstehen will. Das ist eigentlich wieder eine ganz andere Geschichte und eine lange noch dazu, aber ganz kurz geht sie so: Zuerst gab es im Universum nur ionisierte Atome. Es war alles zu heiß, so dass die Elektronen sich nicht an die Atomkerne binden haben können. Erst knapp 400.000 Jahre nach dem Urknall hat das geklappt. Und erst da ist das Universum "durchsichtig" geworden, soll heißen: Davor konnte sich das Licht nicht vernünftig ausbreiten, weil alles voll mit freien Elektronen war, die es dauernd abgelenkt haben und noch dazu war das Universum damals ja auch viel kleiner. Nachdem sich aber die Elektronen an die Atomkerne gebunden haben, war genug Platz für das Licht, aber es war immer noch dunkel, weil es ja keine Sterne gegeben hat. Die haben sich dann in den nächsten paar Dutzend bis Hundert Millionen Jahren gebildet und die ersten Sterne waren sehr große und sehr heiße Sterne. Sie haben also auch Strömgren-Sphären gebildet und den Wasserstoff um sich herum wieder ionisiert. Alle jungen Sternen im jungen Universum haben das getan; die Strömgren-Sphären haben sich quasi überlappt und - zusammen mit ein paar anderen Phänomenen auf die ich jetzt nicht eingehe - hat das dazu geführt, dass ein großer Teil des Wasserstoffs im Universum wieder reionisiert worden ist, so wie damals, als der junge Kosmos noch nicht durchsichtig war. Zum Glück hat sich das All aber in der Zwischenzeit weit genug ausgedehnt, es ist genug Platz für das Licht und wir können schauen, was es da alles zu sehen gibt.

    13 December 2024, 6:00 am
  • 4 minutes 29 seconds
    Sternengeschichten LIVE TOUR 2025 und ein Hörbuch
    Kommt zu den Sternengeschichten Liveshows!

    Sternengeschichten LIVE 2025 und ein Hörbuch

    Hallo liebe Hörerinnen und Hörer,

    Kurz bevor das Jahr zu Ende geht, melde ich mich noch einmal außerhalb der üblichen Folgen und direkt bei euch. Denn es gibt ein paar coole Neuigkeiten. Gleich zu Beginn das Wichtigste: Der Sternengeschichten-Podcast geht auf Tour! Nachdem ich im Frühjahr ausprobiert habe, ob sich das mit der Podcast-Liveshow auch umsetzen lässt, wird es die Show jetzt auch öfter geben. Nächstes Jahr, also 2025, wird die erste Tour starten und ich bin sicher, es wird großartig! Die Liveshow wird natürlich anders sein als der Podcast selbst; es macht ja keinen Sinn, wenn ich da auf einer Bühne 10 Minuten lang was erzähle und dann ist Ende. Nein, es wird eine komplette Show werden, ein ganzer Abend, voll mit allen möglichen Sternengeschichten, die ich in dieser Form im Podcast noch nicht erzählt habe und es wird dazu natürlich auch schöne Bilder geben, das eine oder andere Experiment, ein bisschen Action, jede Menge Spaß und endlich auch die Möglichkeit für mich, meine Hörerinnen und Hörer nach der Show auch mal persönlich zu treffen.

    Tickets für die Show sind ab heute, also ab dem 9. Dezember 2024 erhältlich und zwar unter sternengeschichten.live - die Links gibt es natürlich auch noch in den Shownotes. Die Tour selbst wird dann am 16. Februar 2025 in Frankfurt losgehen. Dann gibt es noch weitere Shows am 23. März in Bremen, am 26. Mai in Eschweiler, am 4. Juni in München, am 28. September in Leverkusen und dann in Essen, Dortmund, Düsseldorf und Berlin und zwar am 10., 11., 13. und 14. Dezember.

    Ich weiß, da fehlen noch ein paar Gegenden in Deutschland, da fehlt auch noch Österreich und die Schweiz. Aber die Shows 2025 sind hoffentlich nur der erste Schritt. Wenn das gut funktioniert und wenn genug Leute Interesse daran haben, dann wird es 2026 mehr Shows und auch an anderen Orten geben.

    Ich würde mich sehr freuen, euch bei den Auftritten zu sehen!

    Und eine zweite Ankündigung habe ich auch noch! Den Sternengeschichten-Podcast gibt es jetzt ja schon seit 12 Jahren und gut 630 Folgen. Da kann man ein wenig den Überblick verlieren, besonders wenn man neu dazu kommt. Deswegen habe ich mir gedacht, es wäre schön, wenn man einen etwas weniger umfangreichen Einstieg hätte. Und darum wird es nächstes Jahr ein Hörbuch "Sternengeschichten" geben. Ich habe dafür natürlich nicht einfach nur einen Schwung Podcastfolgen auf ne CD kopiert. Sondern ich habe 50 Geschichten aus dem Podcast ausgewählt, zu einem Hörbuch zusammengestellt, das einen halbwegs guten roten Faden hat und die Geschichten auch entsprechend modifiziert, gekürzt, erweitert, etc und alles neu aufgenommen. Außerdem habe ich sechs Geschichten komplett neu geschrieben und aufgenommen. Das ganze gibt es als Hörbuch überall dort zu hören, wo man Hörbücher hören will; das ganze wird es aber auch als echtes, physisches Objekt geben, d.h. es wird eine mp3-CD geben, mit einem schönen Booklet, Bildern, usw, das man unabhängig vom Internet hören kann.

    Erscheinen wird das Hörbuch zwar erst im März 2025, aber man kann es jetzt schon vorbestellen - die Links dazu findet ihr in den Shownotes.

    Und das war es auch schon für diesmal. Ich freu mich, wenn wir uns nächstes Jahr irgendwo bei einer meiner Liveshows sehen werden. Ich freu mich vor allem, wenn ihr weiterhin den Podcast hört und ihn so gerne hört, wie ihr ihn bisher gehört habt. Ich wünsche euch viel Spaß mit den kommenden Folgen, ich wünsche euch frohe Feiertage, und hoffentlich viel Ruhe und Erholung.

    Bis bald, im Podcast oder Live!

    Tickets für die Sternengeschichten-Liveshow: https://sternengeschichten.live/ Hörbuch "Sternengeschichten": https://www.penguin.de/buecher/florian-freistetter-sternengeschichten/hoerbuch-mp3-cd/9783844553062

    Wer die Sternengeschichten finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten)

    9 December 2024, 11:00 am
  • More Episodes? Get the App