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Quelle: Gipi – Geschichten aus der Provinz
Quelle: Gipi – Geschichten aus der Provinz
Dann die Überraschung: Aus der Rache wird nichts. Sein Freund hat seinen kleinen Neffen dabei. Und vor dem Kind einen Mord begehen? In der Figur des Jungen gönnt Gipi seinen Männern diesmal einen Ausweg aus der Gewalt. Wo in Gipis Comics die Frauen bleiben? Am Rand. Obwohl in „Sie haben das Auto gefunden" eine Frau für die entscheidende Wendung sorgt. In den Bildern sind sie Körper, vielleicht noch Stichwortgeberinnen. Gipis Geschichten führen in männliche Abgründe. Aber die sind immer wieder lesenswert.Quelle: Manfred Krug – Ich beginne wieder von vorn
„Ich beginne wieder von vorn“ lautet der Titel der dritten Tagebuchlieferung von Manfred Krug aus den Jahren 2000 und 2001. Das klingt wie ein Neuanfang, bedeutet aber, nicht nur was das Körpergewicht betrifft, die Wiederkehr des Immergleichen. Und doch ist Manfred Krug entschlossen, mit dreiundsechzig noch einmal durchzustarten: als Sänger. Nicht als Schauspieler. Am 1. Januar 2000 notiert er unmissverständlich: Es wird das letzte Jahr sein, das mich als Schauspieler sehen wird. Ich kann nicht mehr.Quelle: Manfred Krug – Ich beginne wieder von vorn
Quelle: Manfred Krug – Ich beginne wieder von vorn
„Bild“ hielt das für Verhöhnung der Aktionäre, musste aber schließlich eine Gegendarstellung drucken. In eigener Sache war Krug unerbittlich. Akribisch listete er auf, wer gerade woran und in welchem Alter gestorben ist: „Die Einschläge kommen näher.“ Das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit gab ihm eine produktive Distanz zum gesellschaftlichen Leben und zum Weltgeschehen, das er gleichwohl mit großer Neugier verfolgte.Quelle: Davi Kopenawa, Bruce Albert – Der Sturz des Himmels
Yanomami-Schamanen inhalieren das Yakoana-Pulver, um einen tranceartigen, traumähnlichen Zustand zu erreichen. Dann nähern sich dem Schamanen die „Xapiri“ und führen ihre Tänze auf. „Xapiri“ sind Geisterwesen, sie können in vielen Formen auftreten. Als Tiere oder als Pflanzenwesen, oft sind sie auch menschenähnlich, manchmal verstorbene Ahnen. Das Entscheidende daran: Sie sind die Beschützer des „Waldes“, wie Davi Kopenawa sagt, also Hüter des Regenwaldes im Amazonasgebiet.Quelle: Davi Kopenawa, Bruce Albert – Der Sturz des Himmels
Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Denn unter Peter und unter seinen Nachfolgern litt das Riesenreich - anders als etwa Frankreich, England oder Preußen - unter einem fatalen Strukturproblem. In Rußland gab es keinen mächtigen, regional verwurzelten Adel mit Grundbesitz, dessen Wert schwer gewogen hätte. Die Adligen waren Knechte des Zaren und zugleich Herren der Bauern. Auf diesem Fundament ruhte das System der Selbstherrschaft.Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Mit Gewalt auf allen Ebenen, bis hinunter ins kleinste Dorf auf Kamtschatka. Nur so ließ sich das größte Land der Erde zusammenhalten. Dabei kann Baberowski zeigen, wie sich im 19. Jahrhundert durchaus freiheitliche Ideen ausbreiteten. Um 1880 schien in Petersburg gar eine regelrechte Aufbruchsstimmung zu herrschen. Kein anderer als Fjodor Dostojewski beschwor die Mission Russlands, die ganze Menschheit im Frieden zu vereinen. Seine Zuhörer reagierten euphorisch, wie Dostojewski seiner Frau schrieb: Ich kann Dir das Geheul, das Gebrüll der Begeisterung gar nicht beschreiben: Die Menschen im Publikum weinten, Fremde fielen sich in die Arme und brachen in Tränen aus und schworen einander, bessere Menschen zu sein, sich in Zukunft nicht mehr zu hassen, sondern zu lieben. Alle stürzten zu mir aufs Podium, vornehme Damen, Studenten, Staatssekretäre und wieder Studenten – all das umarmte und küßte mich. Alle, buchstäblich alle, weinten vor Begeisterung.Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Also ein anarchische Totalobstruktion, ähnlich wie sie heute mitunter in sogenannten sozialen Netzwerken en vogue ist. Unter diesen Umständen konnte man für sinnvolle Oppositionsarbeit kaum Anhänger finden. So hielt Kirchenminister Konstantin Pobedonoszew den Liberalen sein pessimistisches Menschenbild entgegen: Pobedonoszew glaubte nicht an die erzieherische Kraft vernünftiger Argumente. Schwach, selbstsüchtig, dumm, gegenüber jeder Vernunft immun seien die meisten Menschen. Demokratie und Rechtsstaat seien in den Ländern des Westens Schöpfungen einer gebildeten, selbstdisziplinierten Elite, die sich auf eine lange Tradition des Individualismus berufen könne. Worauf aber könnten die liberalen Petersburger Eliten schon verweisen?Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
So gab es in Russland lange Zeit weder Parteien noch Gewerkschaften. Keine Organisation, die sich als oppositionelle Kraft tatsächlich auf nennenswerte Teile der Bevölkerung hätte stützen können. Diese Bevölkerung begehrte durchaus auf, wenn ihr etwas nicht passte. Aber, so Baberowski: Die meisten Arbeiter konnten weder lesen noch schreiben, wußten nicht, wie sich Bedürfnisse zur Sprache bringen und durchsetzen ließen. Arbeiter zerstörten Maschinen, verwüsteten Kontore und plünderten Läden, ballten sich auf den Straßen in Massen zusammen. Aber nie kam ihnen in den Sinn, daß sich Gewalt nur dann in produktive Energie verwandeln ließ, wenn man sie in den Dienst von Zwecken und Zielen stellte.Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Im ganzen Land ließen die Bauern ihrem aufgestauten Zorn freien Lauf. Sie wandten sich gegen ihre adligen Herren, steckten deren Schlösser in Brand. In Saratow an der Wolga beobachtete das die damals 20jährige Maria von Bock. Was für eine Ironie der Geschichte. Das erste zerstörte Herrenhaus gehörte jenem liberalen Gutsbesitzer, der gewaltige Summen für die Subventionierung der linken Zeitungen geopfert hatte.Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Wittes Politik der Verständigung war steckengeblieben. Nur mit rücksichtslos harter Hand brachte Innenminister Iwan Durnowo die Lage unter Kontrolle. Ohne die Entschlossenheit, ja Skrupellosigkeit Durnowos aber wäre der zarische Staat wahrscheinlich schon im Dezember 1905 zusammengebrochen.Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Aber Stolypin wurde ermordet, 1911 in Kiew. Mit diesem Attentat schließt das Buch. Man legt es ungern aus der Hand. Reizvoll zu lesen wäre eine Fortsetzung: zu Russlands Weg in den Ersten Weltkrieg, zur Februarrevolution 1917, schließlich zu der Katastrophe für die Menschen in Russland, die übrigens von kaiserlich deutscher Seite eingefädelt wurde: Lenins Oktoberrevolution mit dem Beginn der jahrzehntelangen sowjetischen Tyrannei. In einem vergleichsweise knappen Buch hat Baberowski sich vor drei Jahren schon damit befasst. Hoffentlich schreibt er auch sein Monumentalwerk künftig noch dahingehend weiter. Für den Moment beschränkt er sich auf eine leise Mahnung: Man wird die Revolutionen der Jahre 1905 und 1917, Lenins Terror und Stalins Gewaltherrschaft, nicht verstehen, wenn man sie nur als Ausdruck eines Ideenkonfliktes und nicht auch als Versuche begreift, eine bedrohte Ordnung vor dem Zerfall zu bewahren.Quelle: Jörg Baberowski – Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich
Nachdem durch immer neue Gewaltorgien im ganzen Reich ganze Generationen traumatisiert worden waren.Quelle: Francesca Melandri – Kalte Füße
Melandri hat weite Teile ihres Buches in der Form eines Zwiegesprächs mit ihrem verstorbenen Vater Franco verfasst. Aber was soll ein anständiger Faschist sein? Rendina war 1942 mit dabei, als Franco Melandri als Kommandeur einer Truppe so genannter „Gebirgsjäger“ in der heutigen Ukraine gegen die Russen kämpfte. Die „Alpini“ waren Verbündete Nazideutschlands. Rendina stieg aus. Melandri blieb dabei, erkrankte schwer und wurde in Rom als Journalist beim Faschistenblatt „Gazzetta del Popolo“ eingesetzt. Dort trafen sich die beiden wieder: Rendina fungierte als Spion der Partisanen, Melandri schrieb seine Artikel, die mitunter neben der Tageslosung von Goebbels standen. Aber der Vater hat Massimo Rendina nicht verraten.Quelle: Francesca Melandri – Kalte Füße
Melandri fährt in die Ukraine, um zu den Orten zu recherchieren, an denen ihr Vater Krieg führte. Wir kennen ihre Namen aus den Nachrichten: Isjum, Charkiw, Mykolajiwka. Für seinen Einsatz in Mykolajiwka erhielt Franco Melandri einen Tapferkeitsorden in Silber. Die Tochter, so lesen sich ihre hochemotionalen Ausführungen zum Krieg dort heute, ist entschlossen, vielleicht auch stellvertretend für den Vater, dieses Mal auf der richtigen Seite zu stehen. Die Russlandfreunde unter den Linken sind ihr suspekt geworden. Was bringt es, uns als stolze Antifaschisten zu fühlen und Bella Ciao zu singen, aber dann einen lupenreinen Faschisten wie Putin nicht zu erkennen, wenn er direkt vor uns steht?Quelle: Francesca Melandri – Kalte Füße
Quelle: Francesca Melandri – Kalte Füße
Quelle: Jonas Grethlein – Hoffnung
Es geht offenbar um eine beidseitige Beeinflussung: „Hoffnung“ ist von der jeweiligen Kultur geprägt – Grethlein zitiert den römischen Historiker Sallust, der in der Hoffnung einen Ausdruck eines Sittenverfalls sieht, spiegele sie doch die Gier römischer Hegemonialpolitiker; aber umgekehrt prägt sie auch das Denken der Menschen und führt zu einem kulturellen Paradigmenwechsel: Nur drei Generationen nach Sallust steht der positiv konnotierte Hoffnungsbegriff im Zentrum der Lehre des Apostels Paulus und wird zur folgenreichen Begründung einer Religion, welche die Hoffnung zur Tugend erhebt. Ist es vermessen, von einem Anzeichen des Endes der Antike durch diese paulinische relecture des lateinischen Begriffs „spes“ bzw. des griechischen Begriffs „elpis“ zu sprechen, die beide mit Hoffnung übersetzt werden? Paulus ist in der Geschichte der Hoffnungen eine wichtige Zäsur; war Hoffnung davor in der Antike etwas eher Ambivalentes, so wird Hoffnung jetzt als die Hoffnung auf das Ewige Leben ganz stark und positiv aufgeladen.Quelle: Jonas Grethlein – Hoffnung
Quelle: Thomas Knüwer – Das Haus in dem Gudelia stirbt
Gudelia – das wird in Thomas Knüwers Kriminalroman von Anfang an deutlich – hat etwas zu verbergen. Was genau? Das erzählt Knüwer auf drei Zeitebenen: Im Jahr 1984 stirbt Gudelias 15-jähriger Sohn Nico, nachdem er mit Schulfreunden auf einer Party war. Im Straßengraben findet sie ihn. „Schwuchtel“ steht auf seinem Unterarm mit Edding geschrieben. Vierzehn Jahre später – also 1998 – zerbricht ihre Ehe. Ihr Ehemann hat schon immer viel getrunken. Aber seit dem Tod seines Sohnes hat er kaum etwas anderes gemacht. In der Erzählgegenwart 2024 setzt das Hochwasser ein. Gudelia bewacht ihr Haus und sieht in der Nacht die Leichen zweier Menschen, deren Hände mit Kabelbindern gefesselt sind.Quelle: Thomas Knüwer – Das Haus in dem Gudelia stirbt
Quelle: Thomas Knüwer – Das Haus in dem Gudelia stirbt
Das Szenario, das Thomas Knüwer entwirft, ist erschreckend nah an der Realität, nicht nur eines Lebens in einem Dorf. Erst im Sommer gab es Hochwasser in Süddeutschland. Die Bilder von Wassermassen, überfluteten Häusern und zerstörten Gebäuden übermitteln aber nicht den bestialischen Gestank, der sich durch überflutete Gebiete zieht. In Unterlingen entstanden durch Schweinekadaver, Dreck und übergelaufene Kanalisation. Für Gudelia ist dieser Gestank eine Waffe. Er hält unerwünschte Eindringlinge fern. Doch gegen das Wasser gibt es kein Mittel. Unerbittlich dringt es in jede Ritze des Hauses ein. Und spült in diesem packenden Kriminalroman die ganzen dreckigen Geheimnisse nach oben.Your feedback is valuable to us. Should you encounter any bugs, glitches, lack of functionality or other problems, please email us on [email protected] or join Moon.FM Telegram Group where you can talk directly to the dev team who are happy to answer any queries.