Sternengeschichten

Florian Freistetter

Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie.

  • 9 minutes 58 seconds
    Sternengeschichten Folge 681: MESSENGER und die erste Umrundung des Merkur
    Hitzehölle und ewige Dunkelheit

    Sternengeschichten Folge 681: MESSENGER und die erste Umrundung des Merkur

    Der Merkur ist der sonnennächste Planet unseres Sonnensystems. Man kann ihn mit freiem Auge sehen, aber es ist nicht immer leicht, ihn zu beobachten, eben weil er der sonnennächste Planet ist. Das bedeutet - wenig überraschend - dass er am Himmel immer irgendwo in der Nähe der Sonne sein muss. In der Nacht ist er also nicht da, man kann ihn nur in der kurzen Zeit sehen, in der die Sonne schon untergegangen ist, der Merkur aber noch über dem Horizont steht. Oder andersherum, kurz bevor die Sonne aufgeht, in der Morgendämmerung.

    Mit ein bisschen Glück ist es aber gar nicht so schwer, den Merkur zu sehen. Deutlich schwerer ist es, ihn vor Ort zu erforschen. Gut, es ist immer schwer, irgendeinen Planeten zu erforschen. Es ist nicht einfach, zum Mars zu fliegen und dort Raumsonden zu landen; genau so schwierig ist es bei der Venus, und so weiter. Aber beim Merkur ist es noch einmal extra schwierig. Einerseits ist jede Raumsonde, die zu ihm fliegt, zwangsläufig sehr nahe an der Sonne. Dort ist die Temperatur sehr hoch; dort ist auch die Teilchenstrahlung die von der Sonne kommt sehr stark. Die Chance auf technische Probleme ist groß, wenn man zum Merkur fliegt und jede Raumsonde muss besonders robust und aufwendig gebaut werden. Andererseits ist so nahe an der Sonne natürlich auch ihre Gravitationskraft besonders stark. Je näher eine Raumsonde der Sonne kommt, desto stärker ist die Anziehungskraft und desto schneller wird sie. Und desto stärker muss man sie abbremsen, wenn man nicht einfach nur vorbeirauschen, sondern in eine Umlaufbahn einschwenken will. Bremsen braucht Treibstoff und je mehr Treibstoff man mitnehmen muss, desto komplexer und teurer wird eine Mission.

    Es ist also kein Wunder, dass der Merkur das erste und für lange Zeit das letzte Mal am 29. März 1974 erreicht worden ist. Damals ist die amerikanische Raumsonde Mariner 10 in einem Abstand von 705 Kilometer an ihm vorbeigeflogen. Bremsen konnte man aber - wie ich gerade gesagt habe - nicht. Mariner 10 ist dann am 21. September 1974 und am 16. März 1975 nochmal vorbeigeflogen. Einmal sehr weit entfernt, in 50.000 Kilometer Abstand und einmal mit nur 375 Kilometern Distanz. Diese Vorbeiflüge haben immerhin gereicht, um 45 Prozent seiner Oberfläche zu kartografieren. Aber eigentlich ist das ja kein Zustand. Das war nicht mal die Hälfte der Oberfläche! Ein Planet wie Merkur hat es verdient, dass wir ihn uns ausführlich ansehen. Wenn es nur nicht so schwierig wäre…

    Erst in den 1990er Jahren hat man sich wieder daran gemacht, einen Besuch bei Merkur zu planen. Ein entsprechender Entwurf wurde 1997 noch von der NASA abgelehnt, aber 1999 dann doch noch bewilligt. MESSENGER sollte das erledigen, was Mariner 10 nicht erledigen konnte: Nicht nur zum Merkur fliegen, sonder ihn auch umkreisen und im Detail studieren. Und MESSENGER ist nicht nur das englische Wort für "Botschafter", sondern natürlich auch ein Akronym für "MErcury Surface, Space ENvironment, GEochemistry and Ranging" was auf deutsch so viel heißt wie „Merkur-Oberflächen-, Umwelt-, Geochemie- und Entfernungsmessung“. Die Sonde war klein, nur 1,3 mal 1,4 mal 1,9 Meter groß. Aber sie hatte auch einen 2,5 mal 2 Meter breiten Schutzschild, um sie vor den Gefahren der nahen Sonne zu schützen. Beim Start hatte die Sonde ein Gewicht von 1093 Kilogramm. Davon waren aber nur 485 Kilogramm die Masse der Sonde selbst; der Rest war Treibstoff und der hätte nicht mal ausgreicht, um sie ausreichend zu bremsen.

    Um die nötige Geschwindigkeit zu verlieren, um in eine Merkur-Umlaufbahn zu gelangen, musste man außerdem auch noch die Gravitation von Venus und Erde zum Bremsen nutzen. Der Start war eigentlich für März 2004 geplant, musste dann aber auf Mai 2004 verschoben werden. Da hat es auch nicht geklappt und am 2. August 2004 war das Wetter zu schlecht. Aber am 3. August 2004 hat es dann geklappt. MESSENGER hob mit einer Delta-II-Rakete von Cape Canaveral ab. Ein Jahr später gab es ein Swing-By an der Erde, noch ein Jahr später, im Oktober 2006 ein Swing-By-Manöver bei der Venus. 2007 kam Swing-By Nummer 2 bei der Venus und zwischen 2008 und 2009 ganze drei Swing-By-Manöver am Merkur selbst. Am 18. März 2011 war es dann soweit: Die Sonde hat 15 Minuten lang gebremst, was wirklich lang ist, und ist dabei um fast 3100 km/h langsamer geworden. Zusammen mit dem Geschwindigkeitsverlust durch die ganzen Swing-Bys davor hat das gereicht, um in eine Umlaufbahn um den Merkur zu gelangen. Dort ist MESSENGER dann bis 2015 geblieben um so viel wie möglich über den Planeten herauszufinden.

    Und MESSENGER HAT viel herausgefunden. Zuerst einmal haben wir jetzt endlich eine vollständige Karte von Merkur. Man hat aber auch das bestätigt, was man vorher schon stark vermutet hat: Merkur hat einen absurd großen Kern aus Metall. Gut, so einen metallischen Kern haben auch die Erde und Venus, aber Merkur ist viel kleiner; Merkur ist sogar noch kleiner als der Mars. Merkur hat nur einen Durchmesser von circa 4880 Kilometern. Der metallische Kern der in ihm steckt hat einen Durchmesser von 4100 Kilometern, was etwas größer als der Mond und vergleichbar mit dem Kern der Erde ist. Wir wissen bis heute noch nicht genau, wie der Merkur zu so einem gewaltigen Kern aus Metall kommt. Vielleicht hat es mit seiner Nähe zur Sonne zu tun; vielleicht ist auch eine Kollision in der fernen Vergangenheit verantwortlich, bei der ein gewaltiger Einschlag fast die gesamte Kruste und Mantel des Merkur entfernt hat, der dann früher sehr viel größer gewesen sein muss.

    Extrem spannend war die Entdeckung, die man im Jahr 2012 gemacht hat. Es gab Hinweise auf Wasser auf der Oberfläche des Merkur. Kein flüssiges Wasser natürlich, denn Merkur hat keine Atmosphäre und ohne entsprechenden Druck kann es kein flüssiges Wasser geben. Aber der sonnennahe Planet hat eben auch eine Durchschnittstemperatur von circa 167 Grad und die Maximalwerte bei voller Sonneneinstrahlung liegen bei circa 430 Grad. Auf so einer durcherhitzten Welt ist eigentlich kein Wasser zu erwarten. Aber, und das haben die Messungen von MESSENGER gezeigt: In der Nähe der Pole von Merkur gibt es Krater, in die niemals Sonnenlicht gelangt. Die Rotationsachse des Merkur ist quasi gar nicht geneigt; sie steht fast exakt senkrecht auf die Bahnebene. Und in Kratern am Nord- oder Südpol kann, sofern ihre Wände hoch genug sind, tatsächlich ewige Dunkelheit herrschen. Damit wird es dort natürlich auch nie heiß und es bleibt kalt genug, dass gefrorenes Wasser existieren kann. Das war schon überraschend genug, aber noch überraschender waren die Spuren von organischen Molekülen, die man in diesen Kratern entdeckt hat. Kein Leben natürlich, aber simple Stickstoff- und Kohlenstoffverbindungen, die eigentlich auch nicht auf seiner heißen Welt existieren sollten, die ständig der harten Strahlung der nahen Sonne ausgesetzt ist.

    Man geht heute davon aus, dass Wasser und organische Moleküle durch Asteroiden und Kometen auf den Merkur gebracht worden sind, die dort in der Vergangenheit eingeschlagen haben. Aber um solche Details zu klären, war MESSENGER dann doch nicht lange genug und vor allem nicht nahe genug vor Ort. Die Raumsonde hat noch jede Menge mehr entdeckt; Spuren von Vulkanismus zum Beispiel, die darauf hindeuten, dass der Planet noch vor ein paar hundert Millionen Jahren aktiv gewesen sein könnte, womit man ebenfalls nicht gerechnet hat. Das Magnetfeld des Merkur hat sich als überraschend komplex herausgestellt, weil es direkt mit den magnetischen Phänomenen der Sonne in Wechselwirkung steht. Und so weiter: MESSENGER hat mehr als deutlich gezeigt, dass eine Mission zum sonnennächsten Planeten wichtig war. Nach Mariner 10 hat man zwar 30 Jahre warten müssen, aber besser spät als nie. Und zum Glück war MESSENGER auch nicht die letzte Mission. 2018 ist ihr BepiColombo ins All gefolgt, eine Raumsonde der Europäischen Weltraumagentur gefolgt. Aber trotzdem war MESSENGER die erste, die den sonnennächsten Planeten umkreist hat. Und deswegen passt es auch gut, dass sie ihre Mission dort beendet hat. Nach dem die Mission zweimal verlängert wurde, war dann irgendwer der Treibstoff endgültig zu Ende. Mit den letzten paar Tropfen hat man MESSENGER in Richtung Merkur gesteuert, wo sie am 30. April 2015 abgestürzt ist. Dort liegt sie jetzt, als erstes von Menschen gemachte Objekt, das die Oberfläche dieser seltsamen fernen und heißen Welt erreicht hat.

    12 December 2025, 6:00 am
  • 10 minutes 26 seconds
    Sternengeschichten Folge 680: Die Astronomie der Rauhnächte
    Zwischen den Jahren gibt es auch Wissenschaft

    Sternengeschichten Folge 680: Die Astronomie der Rauhnächte

    Wenn man sich in der Vorweihnachtszeit in den Buchläden umsieht, dann findet man dort nicht nur die übliche Literatur über Weihnachten und den Advent sondern meistens auch einen Schwung Bücher, die mit den "Rauhnächten" zu tun haben. Wenn man eines dieser Werke liest, dann hat man Glück, wenn es darin nur um die gesellschaftlichen und historischen Aspekte diverser Volksbräuche und -mythen geht oder um halbwegs sinnvoll formulierte Vorschläge, die Zeit rund um den Jahreswechsel zur Introspektion und Ruhe zu nutzen. Sehr viel öfter aber hat man Pech, und kriegt ein Buch, dass voll mit esoterischem Quatsch ist. Denn in der "magischen Zeit" der Rauhnächte kann man - so wird da oft versprochen - die Zukunft vorhersagen, böse Geister vertreiben, Wünsche wahr machen, Träume deuten, und so weiter.

    Darum soll es in dieser Folge der Sternengeschichten natürlich nicht gehen. Sondern um das, was in kaum einem dieser Bücher erwähnt wird: Die astronomischen Hintergründe der Rauhnächte. Und um die zu verstehen, fangen wir am besten mal damit an zu klären, was eine Rauhnacht eigentlich ist.

    Üblicherweise werden damit die zwölf Nächte zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar bezeichnet. Regional kann es aber auch unterschiedlich sein, und dann sind die Rauhnächte der Zeitraum zwischen dem 20. Dezember und Neujahr. Wir kommen darauf später noch zurück, aber es reicht vorerst zu wissen, dass die Rauhnächte grob den Zeitraum bezeichnen, den wir allgemein als "Zwischen den Jahren" bezeichnen. Und das ist auch schon der erste Hinweis auf die Astronomie. Denn eigentlich gibt es ja kein "Zwischen den Jahren". Das Jahr endet am 31. Dezember um Mitternacht und unmittelbar danach beginnt das nächste Jahr. So ist unser Kalender definiert - aber wir haben ja nicht immer den Kalender verwendet, den wir heute verwenden.

    Natürlich basiert auch unser moderner Kalender auf dem Umlauf der Erde um die Sonne beziehungsweise auf der Drehung der Erde um ihre Achse. Wie man diese Einheiten von Jahr und Tag in einen sinnvollen Einklang bringt, habe ich ja schon in vielen Folgen der Sternengeschichten erzählt und ganz ausführlich in Folge 101. Da habe ich auch erklärt, dass das gar nicht so einfach ist, weil sich das nie ganz genau ausgeht und immer ein bisschen was übrig bleibt. Das ist der Grund, warum wir Schalttage und Schaltjahre haben - ansonsten würde der Kalender irgendwann nicht mehr mit den Jahreszeiten im Einklang sein und wir hätten den Nordhalbkugelwinter irgendwann, wenn der Kalender Juli anzeigt.

    Wir haben den Kalender also ein wenig angepasst, aber früher war das noch deutlich anders. Da hat man sich beim Erstellen des Kalenders natürlich auch nach der Bewegung der Himmelskörper gerichtet. Aber in den meisten Fällen hat man sich dabei entweder an der Sonne oder dem Mond orientiert. Beim Mondkalender misst man die Zeit zwischen Vollmond und Vollmond und das ist ein Monat. Zwölf dieser Monate ergeben ein Jahr und das ist dann 354 Tage lang. Beim Sonnenkalender wartet man, bis die Erde einmal um die Sonne herum gelaufen ist. Beziehungsweise man betrachtet die scheinbare Bewegung der Sonne am Himmel; das läuft aufs gleiche hinaus. Auf jeden Fall war es auch schon für die frühen Zivilisationen durch genaue Beobachtungen der Abläufe am Himmel möglich, zu bestimmen, dass es gut 365 Tage dauert, bis sich in der Hinsicht alles wiederholt.

    Sowohl Sonne als auch Mond sind wichtige Taktgeber für Landwirtschaft, für das religiöse Leben, und so weiter. Man will also gerne Monate und das Jahr berücksichtigen. Vor allem auch, weil ein reiner Mondkalender nicht funktioniert, zumindest dann nicht, wenn man will, dass bestimmte Daten immer zur ungefähr selben Zeit im Jahr stattfinden. Der islamische Kalender ist so ein reiner Mondkalender und deswegen bewegen sich dort Feiertage wie Ramadan durch das ganze Jahr.

    Die meisten Kulturen haben deswegen Lunisolar-Kalender entwickelt, die beide Perioden irgendwie zusammenführen. Man hat dann also ein Jahr, dessen Dauer vom Lauf der Sonne (was in Wahrheit die Bewegung der Erde um die Sonne ist) bestimmt wird und das unterteilt ist in Monate, deren Dauer vom Mond bestimmt wird. So ein Lunisolarkalender kann "interkalierend" sein oder nicht. Und dieses komplizierte Wort bedeutet eigentlich nur "Einschub". Ein interkalierender Kalender ist zum Beispiel der alte römische Kalender. Weil ein Jahr aus zwölf Mondmonaten deutlich kürzer als ein Sonnenjahr ist, hat man - vereinfacht gesagt - gewartet, bis sich die fehlenden Tage wieder zu einem ganzen Monat aufsummiert haben und dann einen ganzen zusätzlichen Schaltmonat eingeführt. In unserem modernen Kalender haben wir das anders gelöst; wir haben zwar immer noch 12 Monate, aber die dauern nicht so lange, wie der Zeitraum zwischen zwei Vollmonden - was ca 29 Tage sind. Wir haben ihnen mehr oder weniger willkürlich Längen zwischen 28 und 31 Tagen zugeordnet, und weil sich das am Ende immer noch nicht ganz ausgeht, brauchen wir alle paar Jahre noch einen Schalttag, damit der Kalender nicht aus dem Ruder läuft.

    Man kann das mit den Einschaltungen aber auch einfach ignorieren. Dann lässt man das Jahr 12 Mondmonate lang laufen, also 354 Tage lang. Das neue Jahr beginnt dann aber erst 11 Tage später, wenn ein Sonnenjahr mit 365 Tagen um ist. Diese elf Tage beziehungsweise 12 Nächte liegen dann quasi außerhalb der Zeit; sie zählen nicht wirklich - es sind "Tage zwischen den Jahren".

    Natürlich sind auch das einfach ganz normale Tage, auch wenn sie in den jeweiligen Kalendern keine Bezeichung haben. Aber in den mythologischen Vorstellungen der Menschen waren das eben auch Tage, an denen die üblichen Gesetze nicht mehr gelten. In diesen Tagen außerhalb der Zeit ist alles möglich; es fallen die Grenzen zwischen der Welt der Lebenden und der Toten; zwischen den Welten von Göttern und Menschen und so weiter. Es haben sich diverse Bräuche entwickelt, um die bösen Geister und Dämonen, die in diesen Tagen angeblich umgehen, in Schach zu halten. Oder aber um mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Man hat Rituale entwickelt, Feste, und so weiter. Heute haben wir einen Kalender, dem zwischen den Jahren nichts mehr fehlt. Jeder Tag, sogar jede Sekunde ist genau erfasst; es gibt keine Lücken mehr. Aber die 12 Nächte, die das Ende des einen Mondjahres vom Anfang des nächsten trennen, haben in Form der Rauhnächte und ihrem Brauchtum bis heute überlebt.

    Dass diese Tage gerade um Weihnachten herum liegen, ist auch keine Überraschung. Ich habe darüber in den Folge 369 und 474 ausführlich gesprochen. Am 21. oder 22. Dezember ist die Wintersonnenwende, also der Tag, an dem die Sonne auf der Nordhalbkugel ihre geringste Höhe über dem Horizont erreicht. Der Tag ist der kürzeste des Jahres und die Nacht die längste. Oder anders gesagt: Ab der Wintersonnenwende werden die Tage wieder länger und das ist etwas, dass man definitiv feiern kann. Das haben die Menschen auch immer schon gefeiert und das Christentum hat den Feiertag zur Geburt von Jesus einfach auf den Tag der Wintersonnenwende gelegt. Wenn die Menschen eh schon gewohnt sind, zu feiern, dann fällt es ihnen einfacher, den neuen Gott zu feiern und ihre alten Religionen abzulegen, hat man sich gedacht. Und damals war der Tag der Wintersonnenwende noch der 25. Dezember. Dass die heute ein paar Tage früher im Kalender stattfindet, liegt an den diversen Kalenderreformen, die in den letzten zweitausend Jahren stattgefunden haben.

    Die Wintersonnenwende war auch ein guter Punkt, um ein Jahr enden zu lassen und ein neues zu beginnen - und damit müssen auch die Tage zwischen den Jahren hier zu finden sein. Die Rauhnächte mögen heute mit christlichem Brauchtum umgeben sein; mit der Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag oder mit der Zeit von der Thomasnacht (zum 21. Dezember, ein Gedenktag des Apostel Thomas) bis zu Silvester - darunter liegen aber die vorchristlichen Feste und die alten Kalender der Menschen, die sich nach dem Mond gerichtet und auf komplexe Schaltregeln verzichtet haben.

    Die Rauhnächte sind ein letzter Rest dieser lang verschwundenen Vergangenheit und gleichzeitig eine Verbindung zwischen dem astronomischen Wissen aus früheren Zeiten und der Gegenwart. Damals war es von fundamentaler Bedeutung, über den Lauf der Zeit informiert zu sein, denn nur so hat man einerseits die Landwirtschaft und damit das Überleben gesichert und andererseits die religiöse und gesellschaftliche Verbindung zwischen den Menschen aufrecht erhalten können. Nur mit dem Überblick über die Zeit kann man die Feste zum richtigen Zeitpunkt feiern oder aber eben wissen, wann die omniöse Zeit "zwischen den Jahren" gekommen ist, in der man besonders auf das Walten und den Willen der Götter und Geister achten muss. Und den Überblick über die Zeit konnte man damals nur durch astronomische Beobachtungen bekommen - es war also wichtig, über den Lauf der Himmelskörper informiert zu sein. Heute ist das den meisten Menschen egal; wir ignorieren die astronomischen Verbindungen zwischen den Rauhnächten und dem Leben der Menschen in der Vergangenheit. Und haben die "Zeit zwischen den Jahren" dafür mit esoterischem Quatsch gefüllt.

    Es gäbe noch viel mehr zu erzählen über die Astronomie und die Zeit der Rauhnnächte. Über die "Wilde Jagd", die in diesen Nächten ihr Unwesen treibt und Sternbilder wie den Orion; über die Perchten und das Frühlingsäquinoktium und so weiter. Aber das hebe ich mir für eine andere Folge der Sternengeschichten auf. Und bis es so weit ist, könnt ihr ja gerne in den Rauhnächten in den klaren Winterhimmel hinauf blicken und ein wenig an die Zeit denken, als die Nacht für die Menschen nicht einfach nur Dunkelheit war.

    5 December 2025, 6:00 am
  • 5 minutes 11 seconds
    Sternengeschichten LIVE Tour, das Ende der Live-Show und Veränderungen im Podcast
    Update zu Live-Shows und Podcast

    Sternengeschichten LIVE Tour, das Ende der Live-Show und Veränderungen im Podcast

    STERNENGESCHICHTEN LIVE TOUR in D und Ö: Tickets unter https://sternengeschichten.live

    Hallo liebe Hörerinnen und Hörer der Sternengeschichten,

    Kurz bevor das Jahr zu Ende geht, melde ich mich noch einmal außerhalb der normalen Folgen bei euch, denn es gibt ein paar wichtige Dinge, die ich euch sagen möchte. Das wichtigste gleich zu Beginn: Die Veränderungen im Podcast, die ich im Titel angesprochen habe, bedeuten nicht, dass die Sternengeschichten nicht mehr so sein werden wie jetzt. Das wird alles so bleiben wie immer. Ich möchte nur eventuell etwas zusätzliches, neues machen. Aber dazu kommen wir später.

    Zuerst möchte ich auf die Live-Shows zu meinem Podcast hinweisen. Es gibt noch ein paar Termine für 2025 und einige für 2026, aber das werden die letzten Termine sein. Ich werde die Live-Shows danach bis auf weiteres beenden; nicht weil sie keinen Spaß gemacht haben und nicht, weil niemand sie sehen wollte. Ganz im Gegenteil. Aber aus Gründen, die zu komplex sind um sie hier zu erläutern und aus Gründen, für die ich selbst auch nichts kann, hat sich die ganze Organisation der Tour als äußerst unerfreulich erwiesen, sowohl aus persönlicher als auch aus finanzieller Sicht. Aber der Punkt um den es geht ist: Wenn ihr meine Live-Show noch besuchen wollt, dann geht das bis auf weiters nur an den Terminen, die derzeit im Verkauf sind.

    Wenn ihr mich im Ruhrgebiet sehen wollt, also in Essen, Düsseldorf und Dortmund, dann müsst ihr zu den Shows kommen, die demnächst stattfinden. Nämlich am 10. Dezember in Essen, am 11. Dezember in Dortmund und am 13. Dezember in Düsseldorf. Am 14. Dezember bin ich mit der Show das letzte Mal in Berlin, da ist zwar schon quasi ausverkauft, aber es kann sein, dass kurzfristig noch Tickets in den Verkauf kommen.

    2026 kann man die Show auch in Österreich sehen; am 29. Januar in Wien, am 30. Januar in Salzburg, am 20. Februar in Wörgl, am 26. Februar in Oberwaltersdorf und am 28. Februar in Linz.

    Danach geht es Ende 2026 im Norden von Deutschland weiter, am 3. Oktober bin ich in Lübeck und am 4. Oktober in Hamburg. Der einzige Auftritt in Bayern wird 2026 am 23.10 in Fürth stattfinden. Im Osten bin ich am 9.November in Erfurt, am 10.November in Leipzig und am 11. November in Dresden. Am 24. November geht es ein letztes Mal nach Bremen und die allerletzte Live-Show wird am 26. November in Osnabrück stattfinden.

    Wenn ihr mich live mit den Sternengeschichten sehen wollt, gibt es dafür leider nur noch diese Möglichkeiten. Tickets und die weiteren Infos dazu findet ihr unter sternengeschichten.live

    Ich würde mich freuen, euch zu sehen - denn trotz allem macht es immer wieder großen Spaß, nicht nur ins Mikrofon zu sprechen, sondern live zu euch.

    Ach ja - und bevor ich es vergesse: Die ganz Kurzentschlossenen können mich am 3. Dezember in Schwandorf besuchen, da halte ich meinen Vortrag "Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen" und am 4. Dezember bin in Freistadt mit einem Vortrag zu "Wie viel Astronomie steckt in einem Glas Bier?".

    Soweit zur Live-Show. Der zweite wichtige Punkt betrifft den Podcast selbst. Wie gesagt: Es wird sich nichts ändern; es wird weiterhin jeden Freitag eine neue Folge der Sternengeschichten geben, so wie ihr es seit 13 Jahren gewohnt sein. Ich überlege aber, zum Beispiel einmal im Monat noch eine extra Folge zu veröffentlichen; in einem etwas anderen Format. Eine Spezialfolge, wo ich vielleicht auch auf die eine oder andere Neuigkeit aus der Wissenschaft eingehen kann, was ich ja in den regulären Folgen nicht mache; wo ich vielleicht auch auf Feedback aus der Hörerschaft eingehen kann und wo ich Dinge besprechen kann, wie ich sie jetzt gerade in dieser Spezialfolge bespreche.

    Ich würde gerne wissen was ihr davon haltet; wenn ihr das jetzt in großer Anzahl extrem doof findet, dann werde ich es nicht machen - aber ich glaube, es wäre nach so langer Zeit eine nette Erweiterung für diesen Podcast.

    In so einer Spezialfolge könnte ich dann zum Beispiel auch ausführlich von meinem neuen Buch erzählen, das nächstes Jahr im Februar erscheinen wird. Es heißt "Die Farben des Universums" und ihr könnt es gerne jetzt schon vorbestellen. Nicht vorbestellen, aber überall dort kaufen, wo es Hörbücher gibt, könnt ihr natürlich immer noch das "Sternengeschichten"-Hörbuch, auch als mp3-CD mit Booklet und Bildern. Vielleicht braucht ihr ja noch was für Weihnachten.

    Ich wünsche euch auf jeden Fall noch eine möglichst ruhige Zeit bis zum Ende des Jahres und einen ebenso ruhigen Anfang des neuen Jahres!

    Bis Bald mit der nächsten Folge der Sternengeschichten!

    Wer den Podcast finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter)), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten)) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten))

    Sternengeschichten-Hörbuch: https://www.penguin.de/buecher/florian-freistetter-sternengeschichten/hoerbuch-mp3-cd/9783844553062

    30 November 2025, 3:46 pm
  • 11 minutes 51 seconds
    Sternengeschichten Folge 679: Angeline Stickney und ihr Krater
    Ein Einschlag und die Ungerechtigkeit

    Sternengeschichten Folge 679: Angeline Stickney und ihr Krater

    Der Stickney-Einschlagskrater hat einen Durchmesser von 9 Kilometern. Und man könnte sich jetzt die Frage stellen, ob so ein Krater eine eigene Folge der Sternengeschichten verdient hat. Immerhin kennen wir allein auf der Erde mehr als hundert Krater, die einen Durchmesser von mehr als 5 Kilometer haben. Die größten davon sind sogar mehrere hundert Kilometer groß. Aber Stickney befindet sich eben nicht auf der Erde, sondern auf Phobos, einem der beiden Monde des Mars. Und Phobos selbst ist nur um die 20 Kilometer groß - und verglichen damit ist ein 9 Kilometer großer Krater gewaltig. Man kann Stickney kaum übersehen; quasi eine ganze Hälfte von Phobos ist regelrecht eingedellt.

    Eine so beeindruckende Struktur wie Stickney verdient definitiv eine eigene Folge der Sternengeschichten. Außerdem ist Stickney nicht nur als Krater interessant; mindestens ebenso spannend ist die Geschichte der Person, nach der er benannt worden ist. Aber dazu kommen wir später noch; zuerst klären wir die Frage: Wie kommt ein so kleiner Mond wie Phobos zu so einem vergleichsweise gewaltigen Krater?

    Von der Existenz des Marsmond Phobos wissen wir seit er am 18. August 1877 vom amerikanischen Astronom Asaph Hall entdeckt wurde. Mit ihm werden wir uns später noch beschäftigen, aber es ist klar, dass man damals noch nichts über die Oberflächenstruktur von Phobos wissen hat können. Bei einem so ein kleiner Mond lässt sich von der Erde aus nichts erkennen. Es hat bis 1972 gedauert und dem Besuch der amerikanischen Raumsonde Mariner 9. Sie hat hochauflösende Bilder von Phobos gemacht und dabei auch den gewaltigen Krater gezeigt.

    Das, was da in der Vergangenheit auf Phobos eingeschlagen hat, hat den kleinen Mond fast zerstört. Und es war lange Zeit ein Rätsel, wieso der Mond tatsächlich noch existiert. Denn normalerweise müsste ein Objekt, dass so einen großen Krater verursachen kann, dabei zwangsläufig auch den Mond selbst zerstören. Aber ein etwas genauerer Blick auf die Situation in einer Studie aus dem Jahr 2016 hat die Angelegenheit klarer gemacht. Wir wissen mittlerweile, dass Phobos zwar aussieht, wie ein typischer Felsbrocken im All. Tatsächlich hat er aber eine sehr geringe mittlere Dichte und ist ein ziemlich poröses Objekt. Phobos ist das, was man einen "rubble pile" nennt, also einen Trümmerhaufen. Das ist typisch für viele Asteroiden im Sonnensystem: Sie sind keine großen Brocken, sondern bestehen aus einer Menge lose zusammengeballter kleinerer Felsen, mit jeder Menge Hohlräumen dazwischen und einem Haufen Staub darüber. Solche rubble piles haben ihre Existenz der chaotischen Vergangenheit des Sonnensystems zu verdanken, in der es immer wieder zu jeder Menge großer und kleiner Kollisionen gekommen ist. Die Trümmer solcher Zusammenstöße haben sich dann oft nur locker zusammengeballt und die geringe Gravitation der Asteroiden reicht gerade aus, das alles zusammenzuhalten. Im Fall von Phobos kann es sein, dass irgendwann früher etwas mit dem Mars kollidiert ist und die Trümmer dann den Mond gebildet haben. Oder aber Phobos war früher ein Asteroid, der vom Mars eingefangen wurde.

    So oder so ist der kleine Mond kein fester Brocken, sondern hat eine poröse, schwammartige Struktur. Und die kann wie eine Art von "Stoßdämpfer" wirken und verhindern, dass ein großer Einschlag den ganzen Mond zerstört. Berücksichtigt man diese Tatsache, dann reicht auch schon ein ungefähr 200 bis 250 Meter großes Objekt, das mit circa 6 Kilometer pro Sekunde auf Phobos trifft, um einen Krater mit der Größe und Form wie Stickney zu schlagen.

    Wann das alles passiert sein muss, ist noch umstritten. Das hängt davon ab, wie genau der Mond entstanden ist. Ist er schon länger in seiner Umlauf um den Mars und aus den Trümmern eines Einschlags auf dem Mars entstanden, dann muss dass vor circa 4,3 Milliarden Jahren passiert sein und Stickney muss sich kurz danach gebildet haben. Wenn er eingefangen wurde, dann ist das vor etwa 3,5 Milliarden Jahren passiert und Stickney hat sich ungefähr eine Milliarde Jahre später gebildet. Aber wieso sind die Zeitangaben hier so extrem unterschiedlich? Das liegt daran, dass wir das Alter von Phobos nicht direkt bestimmen können. Das geht nur indirekt, in dem wir die Krater dort zählen. Vereinfacht gesagt gilt: Je mehr Krater, desto älter ist die Oberfläche und damit Phobos, denn desto mehr Zeit hatte der Mond, um Krater zu sammeln. Das ist aber natürlich keine sonderlich exakte Methode und das Ergebnis hängt unter anderem davon ab, wie lange sich Phobos schon beim Mars befindet. Wir haben - aus diversen anderen Gründen auf die ich jetzt nicht im Detail eingehen möchte - halbwegs brauchbare Vorstellungen darüber, wo und wann im früheren Sonnensystem Asteroiden unterwegs waren und wie viele Kollisionen es gegeben hat. Daraus können wir ableiten, dass Phobos auf jeden Fall schon einige Zeit im Mars-Orbit sein muss. Phobos hat außerdem eine gebundene Rotation, dass heißt, er braucht für eine Runde um den Mars genau so lange wie für eine Drehung um seine eigene Achse. Das ist so wie beim Mond der Erde und so wie bei uns die Gezeitenkraft der Erde auf den Mond dafür verantwortlich ist, ist es bei Phobos die Gezeitenkraft des Mars, die die Rotation des kleinen Mondes im Laufe der Zeit abgebremst hat. Das braucht aber Zeit und auch deswegen wissen wir, dass Phobos schon ein paar Milliarden Jahre beim Mars sein muss. Je nachdem, welches Szenario der Entstehung von Phobos man nun annimmmt, kommt man auf ein Alter, dass irgendwo zwischen 4,3 und grob 3 Milliarden Jahren liegt. Und je nach Alter und Entstehungsort von Phobos - beim Mars oder im Asteroidengürtel - muss man die Verteilung der Krater auf Phobos unterschiedlich interpretieren und kommt auf ein unterschiedliches Alter von Stickney.

    So oder so ist Stickney ein beeindruckender Beleg für die dynamischen Vorgänge im Sonnenystem. Und für die Vielfalt an Himmelskörpern, die aus all den Kollisionen der Vergangenheit hervor gegangen ist. Aber warum heißt der Krater "Stickney"?

    Dazu müssen wir zurück zu Asaph Hall, über den ich auch schon in Folge 191 ausführlich gesprochen habe. Darin habe ich von der Entdeckung der beiden Marsmonde Phobos und Deimos erzählt und in einem kurzen Satz erwähnt, dass der Krater Stickney nach der Ehefrau von Asaph Hall benannt worden ist. Aber in dieser Folge möchte ich gerne ein wenig genauer von dieser Ehefrau erzählen.

    Angeline Stickney wurde am 1. November 1830 geboren. Sie war das sechste Kind ihrer Eltern und kam aus einer einfachen Familie, war aber immer schon sehr wissensdurstig. Vorerst hatte sie sich aber vor allem um die Hausarbeit zu kümmern. 1847 konnte sie dann aber, dank finanzieller Zuwendungen ihrer Cousine, eine Schule in ihrer Heimatstadt besuchen. Nach einem Jahr konnte sich schon ein bisschen eigenes Geld verdienen, in dem sie selbst Unterricht in einer Schule gab. Angeline Stickney wollte aber nicht einfach nur weiter unterrichten, sie wollte vor allem mehr Bildung und selbst eine höhere Schule besuchen. 1852 ging sie an das New York Central College, eine damals sehr progressive Einrichtung. Dort konnte man auch studieren, wenn man wenig Geld hatte, so wie Angeline und vor allem auch, wenn man - wie Angeline - eine Frau war. Sie studierte dort Deutsch, Griechisch, aber auch höhere Mathematik, Astronomie und Vermessungswesen. Und auch hier war sie schnell so weit, dass sie selbst Unterricht geben könnte. Einer ihrer Studenten war ein gewisser Asaph Hall, den sie in Deutsch und und Geometrie unterrichtete. Hall und seine Freunde machten sich damals einen Spaß daraus, sich Fragen auszudenken, von denen sie dachten, Angeline Stickney könne sie nicht beantworten - was aber nie geklappt hat.

    Während ihrer Zeit am College hat sich Stickney auch für Frauenrechte engagiert, an diversen Konferenzen teilgenommen, feministische Texte verfasst um Gleichberechtigung der Frauen in und durch Bildung zu fordern und sich für eine grundlegende Reform der amerikanischen Gesellschaft einzusetzen. In ihrem Privatleben hat das aber leider nicht so gut geklappt. Ihr Student, Asaph Hall, wurde 1856 ihr Ehemann. Und, wie es die - noch nicht reformierte Gesellschaft damals gefordert hat - Angeline Stickney musste ihre akademische Karriere beenden und sich mit einem Leben als Ehe- und Hausfrau begnügen. Asaph Hall dagegen bekam eine Stelle an der Harvard College Sternwarte und wurde 1862 Astronom am US Naval Observatory. Mit seiner Karriere ging es dort aber nicht wirklich weiter, so lange jedenfalls, bis Angeline einen Brief an Captain Gillis, den Leiter der Sternwarte schrieb und sich dort für ihren Mann eingesetzt hat. Das Resultat: Asaph Hall wurde Professor. Angeline blieb weiter Hausfrau. Sie kümmerte sich darum, dass das Essen auf dem Tisch stand, sie schickte ihrem Mann Lunchpakete auf die Sternwarte, damit der während der langen Beobachtungsnächte nicht hungrig sein musste und wartete zuhause gespannt auf die wissenschaftliche Ergebnisse, die Asaph Hall mit nach Hause brachte. Sie half ihm außerdem bei den Berechnungen die nötig waren, um die Beobachtungen auszuwerten.

    Unter anderem war Hall damit beschäftigt den Mars zu beobachten und nach Monden des Planeten zu suchen. Danach hatte man schon lange gesucht, immer erfolglos und auch Hall war kurz davor den Mut zu verlieren. Er wollte die Suche aufgeben, aber Angeline überredete ihn, weiter zu machen. 1877 war Mars besonders nah an der Erde und wenn man Monde finden könnte, dann jetzt. Von Angeline angespornt, versuchte Hall es nochmal und im August 1877 war er erfolgreich. Zwei Monde des Mars wurden gefunden: Phobos und Deimos. Hall hat später selbst geschrieben, dass er diese Entdeckung nicht gemacht hätte, hätte seine Frau ihn nicht bestärkt, weiterzuschen. Als Angeline aber dann auch mal gefragt hat, ob sie nicht für ihre Arbeit und Berechnungen ein Gehalt bekommen könnte, so wie ein Mann auch, war Asaph nicht so begeistert und hat das abgelehnt - woraufhin Angeline dann auch ihre Mitarbeit eingestellt hat.

    Angeline Stickney Hall ist am 3. Juli 1892 gestorben. Wir wissen nicht, welche Entdeckungen sie machen hätte können, wenn sie ihre wissenschaftliche Karriere nicht abbrechen hätte müssen. Das Potential dafür hätte sie auf jeden Fall gehabt. Aber immerhin hat sie es am Ende noch zu Phobos geschafft. Nachdem Mariner 9 die beeindruckenden Bilder von Phobos zur Erde geschickt hat, hat man dort überlegt, wie man all die Strukturen und Krater benennen soll. Und vor allem: Welchen Namen man dem gigantischen Krater geben soll. Ein Komittee, unter dem Vorsitz des bekannten Astronom Carl Sagan, schlug vor, dass er den Namen der Frau bekommen soll, die mit dafür verantwortlich war, dass der Mond überhaupt entdeckt wurde: Stickney.

    28 November 2025, 6:00 am
  • 11 minutes 40 seconds
    Sternengeschichten Folge 678: Die Quark-Ära im frühen Universum und die Entstehung der Materie
    Ein Sekundenbruchteil mit enormen Konsequenzen

    Sternengeschichten Folge 678: Die Quark-Ära im frühen Universum und die Entstehung der Materie

    Die heutige Folge der Sternengeschichten wird kurz. Odr besser gesagt: Das Thema ist kurz. Das Phänomen, um das es geht, hat nur gut eine hunderttausendstel Sekunde gedauert. Und trotz dieser absurd kurzen Dauer hat das, was da passiert ist, das gesamte Universum geprägt. Es geht um etwas, das unmittelbar nach dem Urknall passiert ist und das wir verstehen müssen, wenn wir wissen wollen, wo die Materie im Universum her kommt. Es geht um die sogenannte "Quark-Ära".

    Und damit wir verstehen, was damit gemeint ist, müssen wir zuerst ein paar Grundlagen klären. Quarks sind, soweit wir wissen, die grundlegenden Bausteine der Materie. Jedes Atom hat einen Kern aus Protonen und Neutronen und eine Hülle aus Elektronen. Die Protonen und Neutronen werden selbst aber wieder aus jeweils drei Quarks gebildet. Die Quarks sind Elementarteilchen und - soweit wir bis jetzt wissen, wie gesagt - selbst nicht mehr weiter unterteilbar.

    Quarks sind seltsame Teilchen. Ganz besonders seltsam ist eine Eigenschaft, die man "Confinement" nennt. Quarks haben einerseits eine elektrische Ladung, andererseits aber auch etwas, das man "Farbladung" nennt. Mit dem, was wir im Alltag als "Farbe" bezeichnen hat das natürlich nichts zu tun; die Farbladung beschreibt, wie sich ein Teilchen unter dem Einfluss der starken Kernkraft verhält. Man kann sich das alles leider nicht anschaulich vorstellen, weil diese Phänomene sich auf Größenordnungen abspielen, die in unserem Alltag keine Rolle spielen. Aber wir können es vielleicht mit der elektromagnetischen Kraft vergleichen. Da wissen wir, dass Dinge elektrisch positiv oder negativ geladen sein können oder auch ungeladen. Und je nachdem, ob und wie sie geladen sind, verhalten sie sich unterschiedliche, wenn sie einer elektrischen oder magnetischen Kraft ausgesetzt sind. Es gibt aber eben auch noch andere grundlegende Kräfte im Universum und die starke Kernkraft ist eine davon. Und so wie die elektromagnetische Kraft nur auf Teilchen wirkt, die eine elektrische Ladung haben, wirkt die starke Kernkraft nur auf Teilchen, die eine andere Art von "Ladung" haben und diese andere Art der Ladung hat man in der Physik eben "Farbladung" genannt. Ein Teilchen kann "rot" geladen sein oder "grün" oder "blau" und wenn ein rotes, ein grünes und ein blaues Quark zusammen zum Beispiel ein Proton bilden, heben sich die drei unterschiedlichen Farbladungen auf und das Proton ist "farblos", spürt also dann die starke Kernkraft nicht mehr, genau so wie ein elektrisch ungeladenes Teilchen die elektromagnetische Kraft nicht mehr spürt.

    In Wahrheit ist das natürlich, wie immer, sehr viel komplexer und vielleicht fragt sich der eine oder die andere, was das mit der Entstehung der Materie und der Quark-Ära im frühen Universum zu tun hat? Dazu kommen wir gleich, aber wir müssen zuerst ja noch klären, was es mit diesem "Confinement" auf sich hat. Vereinfacht gesagt bedeutet Confinement, dass in der Natur nur farblose Objekte vorkommen können. Es kann also nur Teilchen geben, die aus drei Quarks mit drei unterschiedlichen Farbladungen zusammengesetzt sind (oder Teilchen, die aus einem Quark und einem anderen Quark mit der passenden Anti-Farbe gebildet werden, aber das würde jetzt zu weit führen). Denn die starke Kernkraft, die auf die farbgeladenen Quarks wirkt und sie zusammenhält, verhält sich ein wenig seltsam. Würde man probieren, eines der drei Quarks von den anderen beiden zu lösen, dann wird die starke Kernkraft umso stärker, je weiter man es entfernt. Oder anders gesagt: Man braucht absurd viel Energie, um ein Quark zu isolieren und das ist noch nicht einmal alles. Wir wissen dank Albert Einstein, dass Energie gleich Materie mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat ist - E=mc². Materie kann also in Energie umgewandelt werden und Energie in Materie. Und die Energie, die man bräuchte, um ein Quark zu isolieren ist so groß, dass daraus sofort neue Quarks entstehen würden, die sich mit den restlichen verbinden, so dass neue farblose Teilchen entstehen.

    Noch einmal anders gesagt bedeutet das alles, dass wir in der Natur niemals irgendwo ein einzelnes Quark sehen werden. Es sei denn, es herrschen irgendwo wirklich, wirklich extreme Bedingungen. Und damit sind wir jetzt bei dem zu Beginn angesprochenen extrem kurzen Zeitraum am Anfang des Universums. Wir sind jetzt bei der Quark-Ära, die ungefähr eine Billionstel Sekunde nach dem Urknall begonnen und eine hunderttausendstel Sekunde lang gedauert hat. Aber was soll schon groß passieren in so kurzer Zeit? Jede Menge und vor allem mit jeder Menge Konsequenzen für das heutige Universum.

    Der Urknall hat vor 13,8 Milliarden Jahren stattgefunden. Damals war das Universum absurd winzig und absurd heiß. Über das, was ganz am Anfang passiert ist, wissen wir noch nicht so wirklich viel und auch nicht über das, was in den unvorstellbar kurzen Sekundenbruchteilen danach abgelaufen ist. Aber wir wissen, dass ein paar hundert Quintilliardstel Sekunden nach dem Urknall die kosmische Inflation stattgefunden hat. Damals ist das Universum plötzlich in einem unvorstellbar kurzen Zeitraum unvorstellbar viel größer geworden. Ich habe darüber in den Folgen 69 und 70 der Sternengeschichten ausführlicher gesprochen, aber auch mit einer längeren Erklärung kann man sich diese absurd kurzen Zeiträume immer noch nicht vorstellen. Das Universum ist auf jeden Fall quasi instantan ein paar Quadrillionen mal größer geworden als zuvor - aber da es davor unvorstellbar winzig war, ist es nach der Inflation immer noch winzig; vielleicht so groß wie ein Fussball; vielleicht auch ein wenig größer, aber definitiv noch nicht so unvorstellbar groß wie jetzt. Aber im Vergleich zum Zustand davor hat es sich natürlich extrem stark ausgedehnt und dabei auch extrem stark abgekühlt. Das heißt, nach dem Urknall war das Universum enorm heiß und dicht und voller Strahlung. Nach der Inflation war enorm kalt und gar nicht mehr dicht. Was jetzt passiert, nennt man "Reheating", also "Wiedererhitzung". Die Details sind einerseits enorm komplex und andererseits noch immer nicht vollständig verstanden. Aber sehr vereinfacht gesagt: Das Universum nach dem Urknall war von einem sogenannten "Inflatonfeld" durchdrungen, in dem sehr viel Energie gesteckt hat und dieses Feld mit seiner Energie hat die Inflation verursacht. Nach dem abrupten Ende der Inflation (und wir wissen nicht genau, warum sie geendet hat), hat dieses Feld seine Energie quasi losgelassen und aus der plötzlich freigewordenen Energie sind jede Menge Teilchen entstanden. Diese Teilchen sind miteinander kollidiert, haben sich gegenseitig ausgelöscht, Energie und Strahlung freigesetzt aus denen wieder neue Teilchen entstanden sind, und so weiter. Kurz gesagt: Der Kollaps des Inflatonfeldes hat dafür gesorgt, dass das Universum plötzlich von einer dichten, heißen Mischung aus Strahlung und Teilchen gefüllt ist.

    Ab jetzt ist, wieder vereinfacht gesagt, aber wenn es um diese Themen geht ist ja alles nur vereinfacht gesagt - ab jetzt also ist das Universum voll mit Teilchen. Es ist voller Quarks, es ist voll mit Gluonen - das sind die Teilchen, die die starke Kernkraft vermitteln, so wie die Elektronen die elektromagnetische Kraft übertragen - und es ist auch noch voll mit ein paar anderen Elementarteilchen, die wir jetzt aber ignorieren, damit es nicht noch verwirrender wird. Vor allem ist dieses junge Universum noch so heiß, dass Quarks tatsächlich nicht in der Lage sind, sich durch die starke Kernkraft aneinander zu binden. Die Temperatur und damit die überall zur Verfügung stehende Energie ist so groß, dass die Quarks sich frei bewegen können. Es herrscht eine Art Gleichgewichtszustand. Quarks und Antiquarks vernichten sich gegenseitig, aus der Energie entstehen aber ständig neue Quarks und Antiquarks. Dazwischen sausen die Gluonen durch die Gegend und mischen auch mit. Dieser Zustand nennt sich "Quark-Gluonen-Plasma"; die Teilchen, die heute immer nur im Inneren der Atomkerne aneinander gebunden existieren können, waren damals frei und haben das ganze Universum angefüllt. Dieser Zustand hat, wie gesagt, ungefähr eine hunderttausendstel Sekunde gedauert. Dann war das Universum soweit abgekühlt, dass die Quarks nicht mehr genug Energie hatten, um sich frei zu bewegen. Sie haben sich aneinander gebunden, dabei unter anderem die Protonen und Neutronen gebildet und seitdem nicht mehr voneinander gelassen. Ab diesem Zeitpunkt existieren also die Bausteine der Atomkerne im Universum und die Grundlage für die Materie, so wie wir sie kennen, ist geschaffen.

    Einen wichtigen Punkt haben wir aber noch nicht angesprochen. Ich habe vorhin erzählt, dass alles im Gleichgewicht war. Quarks und Antiquarks haben sich gegenseitig ausgelöscht; aus der Energie sind neu Quark und Antiquark-Paare entstanden. Und ich habe auch gesagt, dass beim Zerfall des Inflatonfeldes aus der Energie ebenfalls Quarks und Antiquarks entstanden sind. Aber wenn das wirklich so war; wenn da wirklich ein perfektes Gleichgewicht war, dann hätte nach dem Ende der Quark-Ära eigentlich nichts übrig bleiben dürfen. Wenn da wirklich genau so viele Quarks wie Antiquarks waren, dann hätten sich daraus auch gleich viele Protonen und Antiprotonen bilden müssen, usw. Materie und Antimaterie hätten sich nach Ende der Quark-Ära gegenseitig auslöschen müssen und das Universum wäre von da an nur mit Strahlung gefüllt. Es hätten sich nie irgendwelche Sterne gebildet; keine Galaxien, keine Planeten und auch keine Menschen, die in Podcasts über die Quark-Ära erzählen. Das Gleichgewicht kann also nicht perfekt gewesen sein und wir wissen bis heute nicht genau, was dafür gesorgt hat, dass das so war. Aber was immer da auch passiert ist; es muss irgendwann vor der Quark-Ära passiert sein. Irgendwann, nach der Inflation und dem Reheating, in den unvorstellbar kurzen Sekundenbruchteilen bis zum Beginn der Quark-Ära und derem Ende muss etwas dafür gesorgt haben, dass es zu einer Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie kommt. Ansonsten würde das Universum heute nicht so aussehen, wie es aussieht.

    Wir haben natürlich keine Chance, direkt zu beobachten, was damals passiert ist. Aber wir können die Zustände der Quark-Ära zumindest näherungsweise nachstellen. In den großen Teilchenbeschleunigern können wir, für kurze Zeit und auf kleinem Raum, so viel Energie konzentrieren, dass ein Quark-Gluonen-Plasma entsteht. Damit haben wir eine Chance, zu erforschen, was damals vielleicht wirklich passiert ist. Und können verstehen, wie diese Sekundenbruchteile am Anfang des Universums dafür gesorgt haben, dass wir heute existieren können.

    21 November 2025, 6:00 am
  • 12 minutes 56 seconds
    Sternengeschichten Folge 677: Der Asteroid Massalia und der Ursprung der Meteoriten
    Wer schmeisst da Felsbrocken auf die Erde?

    Sternengeschichten Folge 677: Der Asteroid Massalia und der Ursprung der Meteoriten

    Am 19. September 1852 war der italienische Astronom Annibale de Gasparis bei seiner Arbeit an der Sternwarte Capodimonte in Neapel. De Gasparis war einerseits Experte für die Bewegung der Himmelskörper; er berechnete die Umlaufbahnen von Asteroiden und war der erste, der die Bahn des großen Asteroiden Vesta mathematisch beschreiben konnte. De Gaspari war aber gleichzeitig auch ein Beobachter, der mit dem Teleskop auf die Suche nach neuen Asteroiden gegangen ist. Diese Objekte waren in der Mitte des 19. Jahrhunderts ja noch vergleichsweise neu. Der erste - Ceres - wurde erst 1801 entdeckt und im September 1852 kannte man insgesamt nur 19 von ihnen und 5 von diese 19 hatte Annibale de Gasparis selbst gefunden. Und in der Nacht des 19. September 1852 fand er auch Nummer 20. Er hatte damit also sechs der 20 bekannten Asteroiden entdeckt, also fast ein Drittel. Und in den Jahren danach sollte de Gasparis noch drei weitere Asteroiden finden. In dieser Folge geht es aber um die Nummer 20, um den Asteroid, der den Namen "Massalia" bekommen hat.

    Massalia ist der lateinische Name für die französische Stadt Marseille, was ein wenig seltsam erscheint, da der Asteroid ja von einem Italiener in Neapel entdeckt wurde. De Gasparis war aber nicht der einzige, der dieses Objekt im September 1852 beobachtet hat. Nur einen Tag nach ihm hat ihn auch der französische Astronom Jean Chacornac ganz unabhängig entdeckt und er hat es von der Sternwarte in Marseille aus getan. Die Beobachtung von Chacornac wurde von seinem Kollegen Jean Elias Benjamin Valz ein paar Tage später in einer Fachzeitschrift bekannt gegeben und dort schlug er auch gleich vor, den Asteroid "Massalia" zu nennen. Valz schlug außerdem noch ein Symbol für den neuen Himmelskörper vor. Denn damals war das alles noch ein wenig kompliziert mit den Asteroiden. Ich habe das in Folge 342 der Sternengeschichten ausführlich erzählt: Man diese Himmelskörper damals noch für Planeten gehalten und auch die Entdeckungsnotiz von Valz zu Massalia trägt den Titel "Entdeckung eines neuen Planeten". Und die Planeten - also Merkur, Venus, Mars, und so weiter - hatten alle eigene Symbole. Damals und in den Jahrhunderten davor hat man die noch regelmäßig verwendet. Heute tun wir das kaum noch, auch wenn man ab und zu noch zum Beispiel die Symbole für Venus (den Kreis mit dem kleinen Kreuz darunter) oder für Mars (ein Kreis mit einem Pfeil, der schrägt nach oben zeigt) sieht. Aber im 19. Jahrhundert war man noch bemüht, all den neuen "Planeten" auch passende Symbole zu geben, aber je mehr man davon gefunden hat, desto schwieriger war es, da etwas passendes zu finden. Valz hat das auf eine simple Weise gelöst: Massalia war der 20. bekannte Asteroid - also war sein Symbol einfach die Zahl "20", in einem Kreis. Und dabei ist man bis heute geblieben. Alle Asteroiden haben nicht nur einen Namen, sondern auch eine fortlaufende Zahl, je nach Zeitpunkt an dem sie entdeckt worden sind.

    Aber lassen wir die Benennung mal beiseite und schauen uns an, was de Gasparis da entdeckt hat. Massalia ist ein typischer Asteroid des Hauptgürtels; befindet sich also zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Er ist im Mittel 2,4 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, die Form seiner Bahn weicht nicht allzu weit von einer Kreisbahn ab und ist auch kaum gegenüber der Hauptebene des Sonnensystems geneigt. Für eine Runde um die Sonne braucht Massalia 3 Jahre und 8 Monate und er hat einen Durchmesser von 135 Kilometern. Es ist also ein ordentlicher Brocken. Und mit Brocken geht diese Geschichte auch weiter. Massalia ist auf den ersten Blick ein ganz normaler Asteroid, wie es sie im Asteroidengürtel zu hundertausenden gibt. Auf den zweiten Blick ist er aber ein höchst außergewöhnliches Objekt und warum das so ist, können wir uns hier auf der Erde ansehen.

    Es ist schwierig, die Asteroiden im Detail zu erforschen. Sie sind so klein, dass unsere Teleskope von der Erde aus so gut wie keine Möglichkeit haben, mehr als nur einen Lichtpunkt zu beobachten. Wenn wir mehr sehen wollen, müssen wir mit Raumsonden hinfliegen und das haben wir auch schon gemacht. Aber auf diesem Weg haben wir bis jetzt nur eine Handvoll der Millionen Asteroiden aus der Nähe gesehen. Wir wissen aber, dass es immer wieder zu Kollisionen zwischen Asteroiden und der Erde kommt. Wenn bei diesen Zusammenstößen etwas vom Einschlagskörper übrig bleibt, können wir diese Steine einsammeln und erforschen. Wir nennen diese Steine "Meteoriten" und wir haben bis heute über 70.000 davon gefunden und ausführlich erforscht.

    Was dabei lange Zeit unklar war, war der Ursprung der Meteoriten. Ja, klar - sie stammen von Asteroiden, das habe ich ja gerade selbst erklärt. Die Frage aber war: Von welchen Asteroiden genau? Denn die meisten Meteorite sind Bruchstücke. Es kommt - zum Glück! - eher selten vor, dass ein ganzer großer Asteroid wie zum Beispiel Massalia auf Kollisionskurs mit der Erde gerät und mit uns zusammenstößt. Viel wahrscheinlicher ist es, dass zwei Asteroiden im All kollidieren. Dabei entstehen natürlich jede Menge Trümmer und ein paar davon könnten dann der Erde in die Quere kommen. Ich habe in vergangenen Folgen ja schon von Meteoriten gesprochen, die vom Mars stammen oder vom Mond. Da war es genau so: Ein Asteroid kollidiert mit dem Mars, der Einschlag schleudert Trümmer aus Marsgestein ins All und die landen dann auf der Erde. Wir wissen, wie das Marsgestein zusammengesetzt ist, weil wir mit unseren Raumsonden vor Ort schon Untersuchungen angestellt haben. Beim Mond gilt das auch und deswegen können wir ein paar der zehntausenden bekannten Meteoriten eindeutig diesen Himmelskörpern zuordnen. Ein paar der größten Asteroiden - zum Beispiel Vesta, mit einem Durchmesser von über 500 Kilometern - haben wir mit Teleskopen von der Erde ausreichend gut beobachten können, um ein paar Meteoriten eindeutig als seine Trümmer identifizieren können. Aber diese Objekte, von denen wir wissen, woher sie kommen, machen nur gut 6 Prozent aller Meteoriten aus. Was ist mit den restlichen 94 Prozent.

    Das hat ein internationales Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Jahr 2024 herausgefunden. Die Details sind komplex, aber man hat einerseits die Zusammensetzung der Meteoriten in den Labors der Erde untersucht. Andererseits hat man die realen Asteroiden mit Teleskopen so genau wie möglich beobachtet um aus dem Licht auf ihre Zusammensetung schließen zu können. Je nachdem welches Gestein dort existiert, wird das Licht ein wenig anders reflektiert wird, und in Wahrheit ist das natürlich nicht so einfach, wie ich es gerade dargestellt habe, aber man kann zumindest einen halbwegs guten Eindruck davon bekommen, aus was so ein Asteroid besteht.

    Mit diesen Daten kann man dann nach passenden Asteroidenfamilien suchen. Darüber habe ich ausführlich in Folge 111 der Sternengeschichten gesprochen. Kurz gesagt: Wenn zwei Asteroiden miteinander kollidieren, dann fliegen die Bruchstücke der Kollision nicht völlig kreuz und quer und beliebig durch die Gegend. Es müssen ja auch nicht beide ursprüngliche Asteroiden komplett zerstört werden. Oft stößt ein kleineres Objekt mit einem größeren zusammen, schlägt dann ein paar Trümmer raus, aber der große Asteroid bleibt halbwegs unversehrt. Und so weiter - die Trümmer jedenfalls bleiben dann für einige Zeit - und das können durchaus ein paar hundert Millionen Jahre oder mehr sein - auf annähernd ähnlichen Umlaufbahnen wie die Ursprungskörper. Sie bilden "Familien", die man mit den richtigen mathematischen Methoden deutlich voneinander unterscheiden kann.

    Und diese Familien sind wichtig, wenn es um den Ursprung der Meteoriten geht. Ich habe vorhin ja erklärt, dass ein Asteroid nicht einfach so auf die Idee kommt, plötzlich mit der Erde zu kollidieren. Seine Umlaufbahn muss irgendwie gestört werden, damit sie sich so ändert, dass sie die Erdbahn kreuzen kann. Dazu muss irgendetwas passieren und eine Kollision mit einem anderen Asteroid ist genau so ein etwas. Der Asteroid oder die Bruchstücke können nach dem Zusammenstoß entweder direkt in Richtung Erde gelenkt werden. Oder aber, und das ist der wahrscheinlichere Prozess, sie gelangen in eine Region des Sonnensystems, in denen sie besonders leicht durch die Gravitationskraft anderer Planeten gestört werden können. Über diese "Resonanzen" habe ich ja auch früher schon gesprochen - und wenn die Bruchstücke einer Asteroidenkollision durch solche Resonanzen gestört werden, können sie im Laufe der Zeit ebenfalls Umlaufbahnen erreichen, die sie in die Nähe der Erde bringen.

    Man hat also nach Asteroidenfamilien gesucht, die einerseits Asteroiden enthalten, deren Zusammensetzung zu den Meteoriten auf der Erde passen. Und die sich andererseits aber auch dort bewegen, wo es die passenden Resonanzen gibt, die sie in Richtung Erde bringen können. Und bei der Familie des Asteroiden Massalia passt alles perfekt.

    Wir wissen, dass es circa 6000 kleinere Objekte gibt, die alle aus einer Kollision stammen, die vor ein paar hundert Millionen Jahren stattgefunden hat. Massalia ist das größte Überbleibsel von damals und die Zusammensetzung von Massalia & Co passt super zu der, der sogenannten L-Chondrite. So nennt man die größte Gruppe der Meteoriten. Chondrite sind die typischen Steinmeteoriten, mit kleinen Silikateinschlüssen. Das "L" bedeutet, dass es sich um Chondrite handelt, deren Eisengehalt gering ist - also auf englisch "low". Die L-Chondrite bilden eine der größten Gruppen bei den Meteoriten und wir können durch verschiedene chemische und geologische Analysen auch ungefähr abschätzen, wann sie auf die Erde gefallen sind. Jetzt kann man ausführliche Computersimulationen durchführen und berechnen, wie lange es dauert, bis nach der Kollision bei der die Massalia-Familie entstanden ist, die Bruchstücke durch die diversen Störungen in Richtung Erde gelangen. Und diese Simulationen zeigen: Es passt wunderbar zusammen! Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich ziemlich sicher, dass die Massalia-Familie für 37 Prozent der bekannten Meteoriten auf der Erde verantwortlich ist. In der selben Arbeit haben sie übrigens auch noch die Karin-Familie und die Koronis-Familie als Ursprung zweier anderer wichtiger Meteoriten-Gruppen identifiziert und so insgesamt 90 Prozent aller Meteoriten abgedeckt. Es bleiben also nur noch 10 Prozent, bei denen wir nicht wissen, woher sie kommen.

    Die Massalia-Familie ist also nicht der Ursprung aller Meteorite, aber der Ort, von dem die größte Gruppe der derzeit bekannten Meteoriten stammt. Das heißt natürlich nicht, dass es keine anderen Quellen gibt. Aber Asteroiden-Familien lösen sich im Laufe der Jahrmillionen auf und auch auf der Erde verschwinden viele Meteorite, die vor langer Zeit gefallen sind, irgendwann, wenn wir sie nicht zufällig und rechtzeitig finden. Geologie, Verwitterung, Vulkanismus, Plattentektonik und so weiter lassen jede Menge Meteoriten verschwinden, die vor Jahrmillionen auf die Erde gefallen sind. Wir können nur die vergleichsweise jungen Asteroiden-Familien erforschen - aber was das angeht, spielt die Massalia-Familie eine enorm wichtige Rolle.

    Meteoriten kannte man natürlich auch schon damals, als Annibale de Gasparis im September 1852 den Asteroid Massalia entdeckt hat. Aber man hat damals gerade erst begonnen zu verstehen, dass es sich dabei um Objekte handelt, die aus dem All auf die Erde fallen. Und de Gasparis wäre vermutlich sehr überrascht gewesen, wenn man ihm gesagt hätte, dass er da nicht einfach nur einen neuen Himmelskörper gefunden hat. Sondern auch das Objekt, dass dafür verantwortlich ist, dass ein Großteil dieser Steine aus dem All am Ende auf der Erde gelandet ist.

    14 November 2025, 6:00 am
  • 11 minutes 15 seconds
    Sternengeschichten Folge 676: Kollisionen zwischen Sternen
    Sternkollisionen sind besser als ihr Ruf

    Sternengeschichten Folge 676: Kollisionen zwischen Sternen

    Im Universum kracht es ständig irgendwo. Asteroiden kollidieren mit Planeten; Asteroiden kollidieren miteinander und Planeten stoßen mit Planeten zusammen. Ganze Galaxien treffen aufeinander, durchdringen sich und verschmelzen und selbst Galaxienhaufen können kollidieren. Aber was ist mit den Sternen? Davon gibt es ja bekanntlich sehr, sehr viele im Universum und man sollte meinen, dass auch die andauernd ineinander krachen. Dabei vergisst man allerdings, dass es im Universum zwar tatsächlich viele Sterne gibt, aber was noch häufiger ist als die Sterne, ist Nichts. Das Universum ist einfach verdammt leer und die Sterne, verglichen mit dieser Leere, verdammt weit voneinander entfernt. Bei Galaxien ist das zum Beispiel anders; bezogen auf ihre Größe ist die Distanz zwischen ihnen deutlich kleiner. Und Asteroiden und Planeten sind zwar auch durch jede Menge leeren Raum getrennt. Aber sie befinden sich auch alle in den vergleichsweise kleinen Räumen der Planetensysteme und da kommt es früher oder später zu Kollisionen. Sterne verteilen sich dagegen über den ganzen großen gigantischen Raum einer Galaxie und die Distanzen zwischen ihnen sind groß.

    Man kann den durchschnittlichen Abstand zwischen Sternen abschätzen und ihre typische Bewegung und dann kommt man zu dem Ergebnis, dass man im Durchschnitt ungefähr 10.000 Milliarden Jahre warten muss, bis zwei Sterne miteinander zusammenstoßen. Das ist ein Zeitraum, der mehr als 700 Mal länger ist als das Universum bis jetzt existiert. Das bedeutet erstens, dass es absurd unwahrscheinlich ist, dass Sterne tatsächlich kollidieren. Bedeutet das zweitens aber auch, dass es keinen Grund gibt, eine eigene Folge zu diesem Thema zu machen? Natürlich nicht, denn sonst hätte ich das ja nicht getan. Es gibt Kollisionen zwischen Sternen, aber nur unter sehr speziellen Umständen.

    Die meiste Zeit über hat sich die Astronomie nicht sonderlich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Früher wusste man ja auch gar nicht, was Sterne eigentlich sind. Man kannte die Sonne, man kannte die Lichtpunkte am Nachthimmel, aber dass es da irgendwelche Verbindungen gibt, war unklar. Und der Himmel war die Welt der Götter beziehungsweise das Werk des einen christlichen Gottes und dort muss alles seine Ordnung haben - mit Sicherheit gibt es da keinen Kollisionen. Später hat man erkannt, dass Sterne im Prinzip die gleichen Objekte wie unsere Sonne sind, nur sehr viel weiter weg. Man hat im 19. Jahrhundert herausgefunden, dass diese Distanzen wirklich groß sind und im frühen 20. Jahrhundert die gewaltigen Ausmaße der Milchstraße und des Universums erkannt. Kurz gesagt: Man war sich darüber im Klaren, dass Sternkollisionen extrem unwahrscheinlich sind und es sich deswegen nicht lohnt, sich mit diesem Phänomen zu beschäftigen.

    Geändert hat sich das, als man in den 1950er Jahren Kugelsternhaufen untersucht hat. Ich habe die Geschichte schon in Folge 432 ausführlich erzählt und erwähne sie jetzt nur kurz. Damals hat der amerikanische Astronom Allan Sandage probiert, das Alter des Kugelsternhaufens M3 zu bestimmen. Und ein Kugelsternhaufen ist - wenig überraschend - eine circa kugelförmige Ansammlung von ein paar hunderttausend bis Millionen Sterne. Man geht davon aus, dass die Sterne eines solchen Haufens alle mehr oder weniger zum selben Zeitpunkt entstanden sind. Und man hat auch damals schon gewusst, dass ein Stern um so kürzer lebt, je mehr Masse er hat. Massereiche Sterne sind größer, haben höhere Temperaturen und die Kernfusion in ihrem Inneren läuft schneller. Das heißt, sie haben den Wasserstoff für ihre Fusion schnell verbraucht und hören auf, als normale Sterne zu existieren. Schaut man sich die Sterne eines Sternhaufens an, muss man - sehr vereinfacht gesagt - nur schauen, welche die aktuell massenreichste Sterne sind, die dort noch existieren. Da man weiß, wie lange Sterne mit bestimmter Masse leben, kann man daraus schließen, wie alt so ein Haufen sein muss. Allan Sandage hatte allerdings ein Problem: Er konnte zwar ziemlich gut sehen, dass fast alle Sterne deren Masse über einer gewissen Grenze liegt, aus M3 verschwunden sind. Aber eben nicht alle Sterne. Ein paar massereiche Sterne waren übrig; Sterne, die eigentlich ihr Leben schon beendet haben sollten. Die Erklärung dafür: Diese speziellen Sterne sind gar nicht gemeinsam mit den anderen Sternen des Haufens entstanden. Sie sind entstanden, als zwei kleinere Sterne miteinander kollidiert und verschmolzen sind und eine neuen, großen und hell und blau leuchtenden Stern gebildet haben. Man hat diese Sterne "blaue Nachzügler" genannt und sie waren ein deutlicher Beleg dafür, dass Sterne sehr wohl kollidieren können, wenn sie nicht durch Lichtjahre voneinander getrennt, sondern als Teil eines Kugelsternhaufens vergleichsweise eng gedrängt im Weltall existieren.

    Sterne sind einander aber unter Umständen auch sehr nahe, wenn sie Teil eines Doppel- oder Mehrfachsternsystems sind. Das trifft insbesondere auf die Gruppe zu, die man "contact binary" nennt beziehungsweise "Kontaktdoppelstern". Und das "Kontakt" im Namen deutet an, was dort passiert: Zwei Sterne sind einander so nahe, dass sie sich quasi berühren. Ein Beispiel dafür ist die Gruppe der W-Ursae-Majoris-Sterne, benannt nach W Ursae Majoris, dem ersten bekannten Stern dieser Art. Es handelt sich dabei um ein Paar von Sternen, die einander vergleichsweise nahe sind. Was dann passiert, ist ein wenig komplex, aber kann etwas vereinfacht so erklärt werden: Die Sterne umkreisen einander, aber weil sie sich so nahe sind, nehmen sie auch Einfluss auf ihre eigene Rotation. Es ist ein bisschen so wie bei Erde und Mond: Die Gezeitenkraft zwischen den beiden Himmelskörpern hat dazu geführt, dass der Mond für eine Runde um die Erde genau so lange braucht wie für eine Drehung um seine eigene Achse. Auch die beiden nahen Sterne synchronisieren sich; ihre Rotationsperiode nähert sich der Umlaufperiode umeinander an. Beide Sterne haben natürlich auch ihre Magnetfelder und beide Sterne schleudern Materie aus ihren äußeren Schichten hinaus ins All. Das ist eigentlich ganz normaler Sternwind, wie ihn alle Sterne haben, in dem Fall trifft das Zeug aber auf den jeweils anderen Stern. Die Materie des Sternwinds ist elektrisch geladen und wird deswegen durch die Magnetfelder beeinflusst. Sie wird also quasi vom Magnetfeld mitgeschleppt, das selbst der Rotation des Sterns folgt. Weil jetzt aber die Rotationsperioden der beiden Sterne synchronisiert sind, kommen sich die Schleppen aus Sternwind in die Quere und am Ende führt dass dazu, dass sie einander bremsen. Wenn sie bei ihrer Bewegung abgebremst werden, führt das dazu, dass sei einander immer näher kommen und irgendwann berühren sie sich und verschmelzen miteinander.

    Das was dann passiert, ist eine "Leuchtkräftige rote Nova". Nach der Verschmelzung gibt es einen Lichtblitz oder besser gesagt: Einen vergleichsweise schnellen und starken Anstieg der Helligkeit über ein paar Tage hinweg. Das Ereignis ist nicht so extrem hell wie bei einer Supernova, also dem explosiven Tod eines Sterns. Aber die Helligkeit kann ein paar hundert Mal heller werden und, das ist das besondere, die Nova leuchtet vor allem im roten Bereich des Lichts. Das liegt daran, dass vor und bei der Verschmelzung jede Menge Material von beiden Sternen hinaus ins All geschleudert wird. Dabei kühlt es sich stark ab und diese kühle Hülle leuchtet im roten Licht. Das erste Mal, dass man zweifelsfrei beobachten konnte, wie so ein contact binary bei einer leuchtkräftigen rote Nova verschmilzt, war im September 2008, als das Objekt mit der Bezeichnung V1309 Scorpii plötzlich aufleuchtete. Oder besser gesagt: Man hat plötzlich etwas aufleuchten sehen, was vorher nicht zu sehen war. Zuerst dachte man, es wäre eine normale Nova, also ein Helligkeitsausbruch eines Sterns, der zum Beispiel entstehen kann, wenn Material von einem Stern in einem Doppelsternsystem zum anderen gelangt und dort kurzfristig die Temperatur und damit die Helligkeit erhöht. So etwas kann auch vorkommen, wenn die Sterne noch vergleichsweise weit voneinander entfernt sind und es passiert recht häufig. In diesem Fall hat sich die Nova aber nicht so verhalten, wie man es erwartet hätte. Man hat in den astronomischen Archiven nach alten Aufnahmen der fraglichen Himmelsregion gesucht und tatsächlich an passender Stelle einen W-Ursae-Majoris-Stern gefunden. Ein großer Stern mit circa der 1,5fachen Sonnenmasse und ein kleiner mit nur einem Sechstel der Sonnenmasse haben einander alle 1,4 Tage umkreist; müssen einander also schon wirklich nahe gewesen sein, um das so schnell zu schaffen. Und 2008 war es dann offensichtlich so weit: Die beiden Sterne sind kollidiert.

    Sternkollisionen kann es also durchaus geben. Und natürlich können auch die Überreste von Sternen kollidieren. Wir wissen, das schwarze Löcher miteinander verschmelzen oder Neutronensterne. Aber es kann auch ganz normalen Sternen passieren. Unsere Sonnen muss dieses Schicksal aber nicht fürchten. Sie ist nicht Teil eines Kugelsternhaufens oder Doppelsternsystems. Sie befindet sich in den dünn besiedelten Außenbezirken der Milchstraße. Rein statistisch gesehen müsste man ein paar Dutzend Quadrillionen Jahre warten, bis es da zu einem Zusammenstoß kommt. Das wird also eher nicht passieren. Aber so schlimm sind die Kollisionen ja auch gar nicht, wie wir gesehen haben. Wenn zwei Sterne verschmelzen, ist das nur der Anfang eines neuen, jungen und heißen Sterns.

    7 November 2025, 6:00 am
  • 11 minutes 41 seconds
    Sternengeschichten Folge 675: Achernar
    Platt und blau und heiß und groß

    Sternengeschichten Folge 675: Achernar

    In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um einen ganz besonderen Stern. Er ist so groß und heiß, dass er sich dadurch selbst verdunkelt und hüllt sich ab und zu in Ringe ein, die er selbst produziert. Der Stern, um den es heute geht, heißt Alpha Eridani oder auch Achernar. Er gehört zu den zehn hellsten Sternen des Himmels, von Europa aus können wir ihn aber nicht sehen. Achernar ist Teil des antiken Sternbilds Eridanus. Eridanus ist ein Fluss, der in der griechischen Mythologie eine Rolle spielt und wie man am Himmel sehen kann, besteht auch das Sternbild aus einer Reihe von Sternen, die sich wie ein Fluss in einer langen Linie über den Nachthimmel windet. Der Himmelsfluss beginnt am Fuss des Orion, mit einem Stern, der "Cursa" heißt, was so viel wie "Sessel des Orion" bedeutet. Richtung Süden folgen immer weitere Sterne und irgendwann auch einer, dessen Name übersetzt so viel heißt wie "Ende des Flusses". Das ist allerdings Theta Eridani beziehungsweise Acamar. Achernar kann man aber auch mit "Ende des Flusses" übersetzen und das braucht ein wenig Erklärung. Vor gut 3500 Jahren, als man in der griechischen Antike Sternbilder festgelegt hat, die zum Teil auch heute noch existieren, war Acamar von Südeuropa aus gerade noch über dem Horizont sichtbar. Von Achernar wusste man dagegen nichts - beziehungsweise wusste man in Griechenland davon nichts; erst in der Spätantike, als Menschen von dort auch weiter nach Süden gereist sind, ist ihnen der helle Stern aufgefallen, mit sich der himmlische Fluss gut verlängern lässt. Das erste Mal in den entsprechenden Himmelskarten ist er aber erst in der frühen Neuzeit, zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufgetaucht. Heute jedenfalls ist Achernar das offizielle "Ende des Flusses" und bildet das südliche Ende des Sternbilds Eridanus.

    Wir wollen uns aber gar nicht so sehr mit der durchaus faszinierenden Geschichte des Sterns beschäftigen, sondern mit dem Stern selbst. Er ist, wie schon gesagt, sehr hell; der neunt-hellste Stern an unserem Nachthimmel. Wir wissen, dass er auch vergleichsweise nahe ist, nur circa 140 Lichtjahre weit weg. Ein heller Stern, in vergleichsweiser Nähe: Das muss also auch ein richtig großes Ding sein. Und so ist es auch: Achernar hat ungefähr sechs mal so viel Masse wie die Sonne und ist 6 bis 10 mal größer. Er leuchtet aber gut 3500 mal heller als unser Stern und wo die Temperatur in den äußeren Schichten der Sonne nur gut 5000 Grad beträgt, sind es bei Achernar um die 15.000 Grad. Er ist also ein großer, heißer Stern; ein Stern der Spektralklasse B und wie das bei so großen und heißen Sternen halt so ist, hat er nicht mehr viel Zeit vor sich. Achernar ist zwar erst knapp 60 Millionen Jahre alt, also deutlich jünger als die Sonne mit ihren 5 Milliarden Jahren. Aber bei heißen Sternen läuft die Kernfusion viel schneller ab; man geht davon aus, dass Achernar schon seinen ganzen Wasserstoff im Zentrum verbraucht hat und gerade dabei ist, das dort noch übrige Helium zu fusionieren. Das wird aber nicht mehr lange reichen und in naher - zumindest aus astronomischer Sicht - Zukunft, wird er aufhören zu fusionieren und ein weißer Zwergstern werden.

    Bis es soweit ist, können wir uns aber noch anschauen, was Achernar sonst noch zu bieten hat. 2007 hat man entdeckt, dass Achernar Teil eines Doppelsternsystems ist. Sein Begleitstern ist ein wenig kleiner, aber mit ungefähr der doppelten Sonnenmasse immer noch ein ordentlicher Brocken. Die beiden sind einander auch sehr nahe. Die durschnittliche Distanz zwischen Achernar A und B ist nur wenig größer als der Abstand zwischen Sonne und Mars. Die beiden umkreisen einander alle 14 Jahre. Was aber an Achernar wirklich beeindruckend ist, ist seine Rotationsgeschwindigkeit. Der Stern rotiert mit um die 250 Kilometer pro Sekunde um seine Achse und das ist wirklich schnell. Die Sonne braucht für eine Drehung um ihre Achse ungefähr 25 Tage; Achernar schafft eine Rotation in 1,4 Tagen. Diese enorme Geschwindigkeit hat Folgen. Einerseits wird Achernar dadurch stark abgeplattet. Das heißt: Im Gegensatz zu Sternen wie unserer Sonne ist er nicht mehr näherungsweise kugelförmig, sondern stark zusammengedrückt. Misst man den Durchmesser entlang des Äquators von Achernar, dann ist der ungefähr 1,5 Mal länger als wenn man den Durchmesser von Pol zu Pol misst. Achernar gehört zu den am wenigsten runden Sternen die wir kennen und das ist noch nicht alles. Die extreme Abflachung führt zu etwas, das man "Gravitationsverdunkelung" nennt. Und das funktioniert so:

    Stellen wir uns vor, wir würden direkt an einem Pol von Achernar stehen. Dort würden wir uns zwar auch schnell um unsere Achse drehen, aber wir würden keine Fliehkraft spüren, weil wir ja direkt auf der Drehachse sind. Was wir spüren, ist natürlich die Gravitationskraft des Sterns. Die spüren wir natürlich auch, wenn wir direkt am Äquator von Achernar stehen würden. Aber da wirkt wegen der schnellen Rotation eine starke Fliehkraft, und sie wirkt nach außen, der Schwerkraft entgegen. Oder anders gesagt: Dort ist die effektive Schwerkraft geringer. Das alles hat Auswirkungen auf das, was im Stern passiert. Denn im Inneren eines Sterns muss die Schwerkraft immer mit dem durch das Gas des Sterns ausgeübten Druck im Gleichgewicht stehen. Vereinfacht gesagt: Die Schwerkraft zieht nach innen und presst das Gas zusammen. Und der Druck wirkt dem entgegen. Je stärker die Schwerkraft, desto stärker ist auch der Druck. Und je höher der Druck ist, desto höher ist natürlich auch die Temperatur des Gases. Das alles bedeutet: An den Polen, wo die effektive Schwerkraft groß ist, ist auch die Temperatur hoch. Am Äquator ist die effektive Schwerkraft niedrig und dadurch ist es kühler. Dieser Temperaturunterschied ist auch nicht gerade gering: An seinen Polen ist Achernar ungefähr 17.000 Grad heiß, am Äquator sind es dagegen nur um die 12.000 Grad. Deswegen erscheint der Stern um den Äquator auch dunkler und genau das ist es, was man als "Gravitationsverdunkelung" bezeichnet.

    Die hohe Rotationsgeschwindigkeit von Achernar wirkt sich aber auch anderweitig aus. Eben weil es an den Polen so heiß ist, bewegen sich die Atome aus denen der Stern besteht dort auch besonders schnell. So schnell, dass sie sich vom Stern lösen können - Achernar erzeugt also einen Strom aus Teilchen, der von seinen Polen hinaus ins All fließt. Das ganze Material bildet eine Scheibe, die den Stern wie einen Ring umgibt. Der Ring ist allerdings variabel; je nachdem wie viel Material gerade konkret an den Polen abgegeben wird. Beobachtungen aus dem Jahr 2011 haben zum Beispiel keine Scheibe gezeigt, im Jahr 2014 dagegen schon.

    Große, heiße Sterne, die schnell rotieren und sich dadurch in ihr eigenes Material hüllen, nennt man "Be-Sterne", und Achernar ist ein wunderbares Beispiel dafür. Aber eine Frage bleibt noch offen: Warum rotiert er so schnell? Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten und eine davon hat mit einem Begleitstern zu tun. Sind sich zwei Sterne sehr nahe, dann kann Material von einem zum anderen gelangen. Der Stern, der die zusätzliche Masse aufnimmt, rotiert dadurch auch schneller. Das scheint auf den ersten Blick zu Achernar zu passen, denn er hat ja einen Begleitstern. Nur ist der zwar nahe, aber nicht so nahe, dass es einen Materialaustausch zwischen ihnen geben kann. Aber vielleicht ist da irgendwo noch ein dritter Stern? Sterne, die einander so nahe sind, kann man nur schwer getrennt voneinander beobachten; man muss ihre Existenz indirekt nachweisen und es wäre durchaus möglich, so etwas zu übersehen. Aber bei Achernar können wir das ausschließen. Denn dafür wiederum sind sich Achernar und sein bekannter Partnerstern zu nahe. Da passt kein weitere Stern mehr dazwischen; der könnte nicht mehr auf einer stabilen Umlaufbahn existieren. Bleibt also nur noch die Möglichkeit, dass Achernar von selbst so schnell geworden ist. So wie alle Sterne ist auch Achernar aus einer großen interstellaren Gaswolke entstanden. Diese Wolke hat auch rotiert, und als sie unter ihrer eigenen Gravitationskraft in sich zusammengefallen ist, hat sich die Rotationsgeschwindigkeit dabei erhöht. Soweit ist das noch nicht besonders; das passiert bei allen Sternen so. Bei Achernar dürfte diese "Geburtsrotationsgeschwindigkeit" aber vermutlich ein bisschen höher gewesen sein als üblich; vielleicht weil schon die Wolke aus irgendwelchen Gründen ein klein wenig schneller rotiert hat, als der Durchschnitt. Dann hat der Stern das gemacht, was ein Stern eben so macht: Nämlich Wasserstoff zu Helium fusioniert. Im Laufe der Zeit sammelt sich immer mehr Helium im Kern an, der dadurch immer dichter wird; gleichzeitig dehnen sich die äußeren Schichten des Sterns ein wenig aus, weil er im Lauf der Zeit auch heißer wird. Kurz gesagt: Die Masse in seinem Inneren verteilt sich ein wenig um und dadurch erhöht sich die Rotationsgeschwindigkeit.

    Wie das im Detail passiert und warum es bei bestimmten heißen und großen Sternen besser funktioniert, wissen wir noch nicht. So viele Sterne dieser Art gibt es nicht, aber Achernar ist ein wunderbares Forschungsobjekt, an dem wir genau dieses Mechanismus der "Selbst-Beschleunigung" erforschen können. Und wer sich Achernar jetzt mit eigenen Augen am Himmel ansehen will, muss in den Süden reisen. Nicht ganz auf die Südhalbkugel, aber zumindest bis Mexiko, Nordafrika oder Indien. Oder aber, man wartet in ein wenig. In circa 5000 Jahren wird die Drehung der Erdachse dafür gesorgt haben, dass man Achernar auch von Österreich, der Schweiz und von Süddeutschland am Himmel sehen kann.

    31 October 2025, 6:00 am
  • 13 minutes 19 seconds
    Sternengeschichten Folge 674: Weltraumspiegel
    Gute Idee, aber lieber doch nicht machen

    Sternengeschichten Folge 674: Weltraumspiegel

    In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um Weltraumspiegel. Das sind, wenig überraschend, Spiegel im Weltraum. Und die Frage um die es geht lautet: Wozu braucht man so etwas? Klar, die Astronautinnen und Astronauten auf einer Raumstation werden Spiegel aus den selben Gründen verwenden, aus denen wir sie auch hier auf der Erde benutzen. Aber darum geht es nicht, sondern um riesige Spiegel, die durchs All fliegen. Der erste, der sich darüber Gedanken gemacht hat, war Hermann Oberth. Je nachdem, wie man möchte, kann man Oberth als Österreicher, Ungar, Deutschen oder Rumänen bezeichnen. Geboren wurde er auf jeden Fall im Jahr 1894 in Sibiu, einer Stadt die heute in Rumänien liegt und auch Hermannstadt genannt wird, weil dort auch immer viele deutschsprachige Menschen gelebt haben. Sibiu war damals Teil des Königreichs Ungarn, Teil der Österreich-Ungarischen Monarchie und nach dem zweiten Weltkrieg wurde Oberth Deutscher und starb 1989 in Feucht in der Nähe von Nürnberg. Es soll in dieser Folge aber nicht um das Leben von Hermann Oberth gehen, obwohl das durchaus äußerst interessant war. Er war einer der Pioniere der Raumfahrt; hat die Raketentechnik mitbegründet und 1923 sein berühmtes Buch "Die Rakete zu den Planetenräumen" geschrieben. Darin erklärt er, wie eine Rakete mit Rückstoßantrieb über die Atmosphäre hinaus fliegen kann, wie man sowas bauen könnte und wie man so etwas vor allem so bauen könnte, dass Menschen damit ins Weltall fliegen können. Und Oberth hat sich auch jede Menge Gedanken darüber gemacht, was man denn dann so alles im All anstellen kann. Raumstationen, Landungen auf anderen Planeten, wissenschaftliche Forschung - all das hat er schon beschrieben. Und er hat beschrieben, wie man einen großen Spiegel im All platzieren könnte.

    Wozu? Um Licht und Energie der Sonne auf die Erde zu lenken und dort in bestimmten Bereichen zu konzentrieren. Oberth schreibt: "Es könnte z.B. der Weg nach Spitzbergen oder nach den nordsibirischen Häfen durch solche konzentrierte Sonnenstrahlen eisfrei gehalten werden. Hätte z.B. der Spiegel auch nur 100 km Durchmesser, so könnte er weiter durch zerstreutes Licht weite Länderstrecken im Norden bewohnbar machen, in unseren Breiten könnte er im Frühjahr die gefürchteten Wetterstürze (Eismänner) und im Herbst und im Frühjahr die Nachtfröste verhindern und damit die Obst- und Gemüseernten ganzer Länder retten. Besonders bedeutungsvoll ist, daß der Spiegel nicht über einem Punkte der Erde feststeht, und daher alle diese Aufgaben gleichzeitig leisten kann."

    Oberth stellt sich also quasi eine kleine, zusätzliche Sonne vor, die man nach Bedarf aktiviert und dorthin leuchten lässt, wo es kalt und/oder dunkel ist und man kurzfristig mehr Licht und Wärme braucht. Klingt ja erstmal ganz gut, aber wie kriegt man so einen Spiegel gebaut? Oberth stellt sich ein dünnes Blech vor, aus Natrium, das ja ein sehr leichtes Metall ist. Daraus kann man Stück für Stück einen riesigen Spiegel zusammenbauen. Er rechnet aus, dass ein Spiegel mit 100 Kilometer Durchmesser für circa 3 Milliarde Mark gebaut werden kann und dass das ungefähr 15 Jahre dauern wird. Das ist viel Geld und war damals noch viel mehr Geld, aber das wird schon irgendwie aufgetrieben werden, wie Oberth ausführt: "Da nun ein solcher Spiegel leider auch hohen strategischen Wert haben könnte (man kann damit Munitionsfabriken sprengen, Wirbelstürme und Gewitter erzeugen, marschierende Truppen und ihre Nachschübe vernichten, ganze Städte verbrennen und überhaupt den größten Schaden anrichten), wäre es sogar nicht einmal ausgeschlossen, daß einer der Kulturstaaten bereits in absehbarer Zeit an die Ausführung dieser Erfindung geht, zumal sich auch im Frieden ein großer Teil des angelegten Kapitals verzinsen dürfte."

    Gut, aus Sicht der 1920er Jahren haben die "Kulturstaaten" sich durchaus und leider an die militärische Aufrüstung gemacht, aber Weltraumtechnik hat da eher keine Rolle gespielt und mit Raketen ist man erst nach dem zweiten Weltkrieg ins All geflogen. Oberth jedenfalls führt in seinem Buch weiter im Detail aus, wie man so einen Spiegel konstruiert, dass er rotieren sollte, damit die Fliehkräfte ihn stabil halten, wie man seine Umlaufbahn ausrichten muss und den Spiegel selbst in Bezug auf die Erde. Und so weiter: Seine Erklärungen sind allesamt durchaus wissenschaftlich seriös, nur war er vielleicht ein wenig zu optimistisch, was die Umsetzung angeht. Ihm war klar, dass so ein Projekt enorm viel Geld kostet und was man nicht vergessen darf: Als Oberth das alles geschrieben hat, ist noch keine einzige Rakete ins All geflogen; kein Mensch war dort und die Raumfahrt an sich mehr Utopie als Realität. Aber Oberth findet trotzdem, dass sich der ganze Aufwand lohnen würde und beendet das entsprechende Kapitel in seinem Buch mit den Worten: "Die Völker Europas verrauchen und vertrinken in einem Jahre mehr, als der ganze Natriumspiegel kosten würde. Krieg und Rauschgifte sind nun freilich ziemlich unnötige Dinge und für solche hat man bekanntlich mehr Geld übrig, als für etwas Nützliches. Aber sollte die Menschheit nicht ausnahmsweise einmal auch für aufbauende Arbeit etwas erübrigen können?"

    Schön wäre es, aber wie wir alle wissen, ist es anders gekommen. Es gibt immer noch keinen Weltraumspiegel und wir geben immer noch enorm viel Geld für unnötige Dinge aus. Die Idee des Spiegels im All ist aber nicht verschwunden. Oberth selbst hat in seinen weiteren Büchern immer weiter am Konzept gearbeitet und 1978 sogar ein komplettes Buch mit dem Titel "Der Weltraumspiegel" veröffentlicht. Und auch heute denken Forscherinnen und Forscher darüber nach. Allerdings nicht, um Häfen in der Arktis eisfrei zu halten oder Nachtfrost im Frühjahr zu verhindern. Das erledigt die Klimakrise mittlerweile für uns, die die Erde immer wärmer macht. Der Weltraumspiegel wird heute als Instrument vorgeschlagen, um genau dem entgegen zu wirken. Es geht nicht mehr, wie bei Oberth, darum, zusätzliches Sonnenlicht auf die Erde zu lenken. Sondern darum, die Menge an Licht abzuschwächen, die uns von der Sonne erreicht.

    Dazu könnte man einen Spiegel an einem Punkt platzieren, der sich immer zwischen Sonne und Erde befindet (und wer sich an Folge 476 über die Parkplätze im All erinnert, wird wissen, dass der sogenannte Lagrangepunkt L1 dafür gut geeignet ist). Dort kann ein kleiner Teil der Sonnenstrahlung quasi blockiert werden und auf der Erde wird es kühler. Man würde das allerdings heute etwas anders umsetzen, als Oberth sich das damals gedacht hat. Wir haben gelernt, dass gigantische Strukturen im All eher unpraktisch sind, vor allem, wenn man sie bauen muss. Besser ist es, wenn man jede Menge kleine Objekte zu großen kombiniert. Statt eines einzigen riesigen Spiegels könnte man also eine "Wolke" aus Milliarden kleiner Raumsonden zwischen Sonne und Erde platzieren. Sie alle sind mit dünnen Folien ausgestattet, die das Sonnenlicht leicht ablenken. Ein konkretes Konzept hat durchgerechnet, dass man um die 100 Billionen dieser Mini-Satelliten benötigt, die zusammen 20 Millionen Tonnen wiegen. Die muss man natürlich alle auch ins All bringen und mit Raketen ist das eher unpraktisch. Man könnte sie stattdessen mit einer Art von elektrischen Kanonen ins Weltall schießen, das geht auch viel schneller, als jedes Mal eine neue Rakete zu bauen, zu betanken, und so weiter. Diese Elektrokanonen könnten quasi rund um die Uhr feuern und die 100 Billionen Satelliten in einen knappen Jahrzehnt ins All schicken. Aber natürlich kostet das was. Wir haben weder diese Kanonen, noch die Billionen Satelliten. Und wenn wir sie hätten, bräuchten wir jede Menge Energie, um die Kanonen zu betreiben - was im schlimmsten Fall neue Treibhausgasemissionen erzeugt. Und dann gehen die Satelliten im Laufe der Zeit auch kaputt und müssen ersetzt werden.

    Aber stellen wir uns mal vor, wir würden das machen wollen (und keine Sorge, ich erkläre dann später noch, warum wir das nicht wollen sollten): Wie lange würde es wirklich dauern, bis wir so einen Sonnenschirm für die Erde gebaut hätte. Auch das haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angesehen. Würden wir jetzt anfangen, intensiv dazu zu forschen, könnten wir die nötigen Technologien bis zum Jahr 2035 fertig haben. Bis 2040 müsste wir dann Produktionsanlagen auf dem Mond aufgebaut haben. Denn dort gibt es einerseits genug Material und andererseits ist die Schwerkraft dort schwächer und man kann Zeug leichter ins All schießen. Zu diesem Zeitpunkt müssten wir auch die ersten Test-Sonnenschirme bauen und an ihren Einsatzort bringen. Ab 2050 wird dass dann alles hochskaliert, wir bauen die elektromagnetischen Kanonen auf dem Mond auf und ab 2060 steht unser Sonnenschirm. Kosten wird das alles ein paar Billionen Euro und es wäre zumindest theoretisch machbar. Wir müssen dafür keine Technologie erfinden, die völlig absurd ist; alles was wir brauchen, beherrschen wir mehr oder weniger schon. Wir müssen das alles nur in einem enorm komplexen Großprojekt zusammenführen.

    Dass man mit Spiegeln Sonnenlicht zur Erde lenken kann wissen wir übrigens, weil die russische Raumfahrtagentur das im Jahr 1993 ausprobiert hat. Damals hat man Znamya 2 ins All gebracht, einen circa 20 Meter großen Spiegel. Nachdem er entfaltet wurde, hat er einen circa 5 Kilometer durchmessenden Bereich auf der Erde beleuchtet. Dieser künstliche helle Punkt auf der Erdoberfläche ist von Südfrankreich bis ins westliche Russland gewandert, mit einer Geschwindigkeit von circa 8 Kilometer pro Sekunde. Damals, am 4. Februar 1993, war es zwar größtenteils bewölkt, aber ein paar Menschen haben einen hellen Lichtblitz beobachtet, ungefähr so hell wie der Vollmond.

    Also: Theoretisch wären wir in der Lage, Sonnenlicht gezielt auf bestimmte Punkte der Erde zu lenken, oder aber auch Sonnenlicht von der Erde abzuhalten um die Auswirkungen der Klimakrise abzuschwächen. Die Frage ist: Sollten wir das auch tun? Die Antwort darauf ist ein klares "Nein!". Schon Hermann Oberth hat Anfang des letzten Jahrhunderts zu Recht festgestellt, dass sich so ein Weltraumspiegel auch als Waffe einsetzen lässt und das letzte was wir brauchen, sind gewaltige Weltraumwaffen. Aber auch gegen die Klimakrise ist der Einsatz von Weltraumspiegeln eher kontraproduktiv. Sieht man mal von dem absurden Aufwand ab, der nötig wäre, um so ein System zu installieren, würde es ja auch nichts an den Ursachen ändern. Die Ursache der Klimakrise sind die Treibhausgase, die wir freisetzen. Daran ändert ein Weltraumspiegel nichts; er würde nur die Symptome abschwächen. Und was, wenn das System irgendwann mal ausfällt, kaputt geht oder wir feststellen, dass wir jetzt doch kein Geld mehr dafür ausgegen wollen, den globalen Sonnenschirm zu betreiben? Dann fällt die Kühlwirkung auf einmal weg und es passiert das, was man "Termination Shock" nennt: Die Temperatur erhöht sich und schneller als zuvor, weil wir ja in der Zwischenzeit nicht aufgehört haben werden, die Atmosphäre mit CO2 anzureichern. Und dazu kommt: Wir wissen nicht im Detail, was auf der Erde passiert, wenn wir auf einmal einen Teil des Sonnenlichts blockieren. Mit Sicherheit wird das Auswirkungen haben auf die Wettermuster, die Luft- und Meeresströmungen, und so weiter. Es könnte dort regnen, wo es sonst nicht regnet und umgekehrt. Pflanzen könnten nicht mehr wachsen; Dürren, Überschwemmungen, Hungersnöte, und so weiter könnten passieren. Wir können das nicht im Detail vorhersagen und so etwas ist auch nichts, was man einfach so mal ausprobieren möchte. Deswegen und aus jeder Menge weiteren Gründe sprechen sich so gut wie alle Klimaexpertinnen und -experten gegen den Einsatz solcher Geoengineering-Methoden aus. Vor allem, weil wir ja auch eigentlich gar keine gigantischen Weltraumspiegel bräuchten, um der Klimakrise zu begegnen. Wir wissen schon lange, was zu tun ist und wir haben auch schon lange die dafür nötige Technik. Wir müssen nicht auf irgendwelche Science-Fiction-Technologien warten, die uns retten. Vor allem wenn es Technologien sind wie der Weltraumspiegel, die zwar aus vielen anderen Gründen interessant und spannend sind - uns aber mit Sicherheit nicht retten werden.

    24 October 2025, 5:00 am
  • 12 minutes 19 seconds
    Sternengeschichten Folge 673: Das Problem der Roten Überriesen
    Staub und Explosionen

    Sternengeschichten Folge 673: Das Problem der Roten Überriesen

    Es gibt ein Problem mit den Roten Überriesen. Beziehungsweise: Wir haben ein Problem mit ihnen; die Sterne tun das, was sie eh immer tun. Aber am besten ist es, wenn wir ganz am Anfang anfangen. Was sind Rote Überriesen und warum gibt es da ein Problem? Die erste Frage ist einfach zu beantworten; und ich habe darüber ja schon oft hier im Podcast erzählt. Rote Überriesen sind ein spezielles Stadium in der Entwicklung massereicher Sterne. Sterne fusionieren in ihrem Inneren Wasserstoff zu Helium. Wenn der Wasserstoff im Kern des Sterns verbraucht ist, kann auch das Helium als Brennmaterial dienen. Dabei wird mehr Energie frei als vorher; der Stern wird heißer und bläht sich auf. Seine äußere Schichten kühlen dadurch aus und das Resultat ist ein Stern, der sehr viel größer ist als vorher und von außen betrachtet nicht mehr heiß und weiß-blau oder gelblich leuchtet, sondern kühl und rot ist. Also ein großer, roter Stern, den man deswegen auch als roten Riesen bezeichnet. Wenn der Stern aber wirklich sehr, sehr viel Masse hat, kann er dann sogar noch weiter wachsen und ein roter Überriese werden. Denn, und auch das hab ich schon oft erzählt: Die Masse eines Sterns bestimmt, wie hoch der Druck in seinem Zentrum ist und damit auch, wie hoch die Temperatur dort ist. Je höher die Temperatur, desto mehr unterschiedliche Kernfusionsreaktionen können ablaufen. Unsere Sonne schafft es gerade noch, Helium zu fusionieren, aber dann ist Schluss. Sie bläht sich auf, aber nur zu einem Roten Riesen. Erst Sterne, die mehr als circa die 10fache Sonnenmasse haben, können größer werden und am Ende zu einem Roten Überriesen.

    In Wahrheit ist der Prozess natürlich sehr, sehr komplexer und wir haben die Entwicklung eines Sterns hin zum roten Überriesen noch nicht vollständig verstanden. Was wir aber auf jeden Fall wissen, ist das, was mit dem Roten Überriesen im weiteren Verlauf seiner Existenz passiert. Kurz gesagt: Er explodiert und es findet das statt, was man "Supernova" nennt. Und damit nähern wir uns dem Problem, um das es in dieser Folge geht.

    Wir sehen überall in der Milchstraße die Überreste von solchen Explosionen. Was wir in unserer Milchstraße eher selten sehen, ist eine Supernova selbst. Die letzte haben wir im Jahr 1604 beobachtet, und da gab es noch keine Teleskope. Seit damals haben wir Supernova-Explosionen in anderen Galaxien gesehen, zum Beispiel die berühmte Supernova 1987A, die 1987 in der Großen Magellanschen Wolke, einer unsere Nachbargalaxien, stattgefunden hat. Aber auch wenn es die Nachbargalaxie ist, ist es trotzdem sehr, sehr weit weg und schwer zu beobachten. Es wäre sehr hilfreich für die Astronomie, wenn wir so ein Ereignis etwas näher und mit all den modernen Instrumenten beobachten können.

    Aber das ist noch nicht das Problem, um das es geht. Das kommt gleich, keine Sorge. Eine Supernova ist kaum zu übersehen. Die Explosion ist so hell, dass wir sie selbst dann sehen können, wenn sie in einer weit entfernten Galaxie stattfindet. Wir wissen dann also, dass dort ein Stern explodiert sein muss. Was wir nicht wissen: Welcher Stern das war. Denn davor war dieser Stern ja deutlich weniger hell und mit großer Wahrscheinlichkeit so wenig hell, dass wir ihn nicht oder nur schwer von der Erde aus sehen können.

    Das ist ein wenig unbefriedigend, denn eigentlich wollen wir ja nicht nur die Supernova beobachten, sondern auch wissen, wie der Stern davor ausgesehen und sich verhalten hat. Wir wollen den ganzen Prozess sehen; wir wollen wissen, welche Sterne auf welche Weise explodieren, und so weiter. Wir haben zwar gute Theorien darüber, wie sich Sterne entwickeln und wie dann die Explosion abläuft, mit der sie ihre Existenz beenden. Aber jede Theorie muss sich am Ende an den realen Beobachtungen messen lassen.

    Es geht also um das, was in der Astronomie als "Vorläuferstern einer Supernova" genannt wird und insbesondere geht es um die Vorläufersterne der Supernova-Explosionen, die von roten Überriesen verursacht werden. Und immerhin haben wir da im Laufe der Zeit ein paar Fortschritte gemacht. Die Astronomie hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr Daten gesammelt. Immer mehr Durchmusterungen haben immer größere Teile des Himmels fotografiert und die Daten in umfangreichen Katalogen organisiert. Oder anders gesagt: Wenn wir irgendwo in einer anderen Galaxie eine Supernova auftauchen sehen, dann können wir in unsere Archive schauen. Wir können nachsehen, ob die fragliche Galaxie schon früher einmal fotografiert worden ist und ob wir an der Stelle, an der die Supernova stattgefunden hat, ein Stern zu sehen ist. Wenn wir Glück haben, ist das der Fall und dann haben wir Daten über den Stern, der zur Supernova wurde und können damit unsere Theorien prüfen.

    So etwas ist in der Vergangenheit immer wieder gelungen und genau hier liegt das Problem mit den Roten Überriesen. Als wir das erste Mal im Jahr 2005 einen Roten Überriesen als Vorläufer einer Supernova identifizieren konnten, hat das genau zu den Vorhersagen der Theorie gepasst. Im Laufe der Zeit haben wir immer mehr Rote Überriesen in den Archiven finden können, die zu beobachteten Supernova gepasst haben. Die waren aber alle eher auf der leuchtschwächeren, leichteren Seite der Roten Überriesen. Bei den Supernova-Explosionen die wir beobachtet haben, war so gut wie nie einer der wirklich großen Roten Überriesen der Vorläuferstern. Oder anders gesagt: Aus irgendeinem Grund scheinen diese großen Roten Überriesen keine Supernova-Explosionen zu erzeugen. Das ist das "Problem der Roten Überriesen" und die Astronomie wäre wirklich sehr an einer Lösung des Problems interessiert.

    Wir wissen, dass die ganz, ganz großen Überriesen tatsächlich eher keine dramatischen Supernovas erzeugen. Die ganz großen Sterne haben eine so enorme Leuchtkraft; aus ihrem Inneren dringt so enorm viel Strahlung nach außen, dass sie sich - vereinfacht gesagt - regelrecht selbst auseinandernehmen. Jeder Stern erzeugt einen sogenannten "Sternwind", also einen Strom von Teilchen aus seinen Atmosphärenschichten, die ins All entkommen. Je heißer ein Stern ist, desto stärker ist auch dieser Sternwind. Die Giganten unter diesen Sternen, die extrem heiß sind, verlieren dadurch so viel Masse, dass sie am Ende nicht mehr genug haben, um die beeindruckenden Supernova-Explosionen zustande zu bringen. Die kleineren Sterne, mit weniger Masse und Temperatur natürlich auch nicht. Aber dazwischen gibt es eine Gruppe von Roten Überriesen, die eigentlich genau richtig wären, um ordentlich zu explodieren. Wir wissen, dass es diese Sterne gibt, weil wir sie da draußen beobachten können. Aber wir sehen diese Sterne so gut wie nie als Vorläuferstern einer Supernova.

    Warum ist das so? Irgendwas haben wir offensichtlich noch nicht ganz verstanden, was die Entwicklung dieser Sterne angeht und wir würden es gerne richtig verstehen. Denn immerhin ist das, was in den roten Riesen passiert, nicht ganz unwichtig für den Rest des Universums. In dieser Endphase seines Lebens bläst ein Stern jede Menge Material hinaus ins All. Die ganzen Atome und Elemente, darunter auch viele, die nur die roten Riesen hervorbringen können, landen dann in den kosmischen Wolken, aus denen neuen Sterne und auch Planeten entstehen können. Das Material aus dem Planeten wie die Erde bestehen; das Material aus dem auch wir Menschen bestehen: All das ist unter anderem auch durch rote Riesen und Überriesen produziert worden. Wenn wir wissen wollen, wie all das im Detail funktioniert, müssen wir diese Himmelskörper verstehen und das Problem der Roten Überriesen lösen.

    Es gibt mehrere Ideen dafür. Eine ist simpel: Rote Überriesen sind nicht häufig im Universum. Nur die allergrößten Sterne schlagen diesen Entwicklungsweg ein und große Sterne sind selten. Wir haben also wenig Daten und vielleicht ist es einfach nur Zufall, dass wir bis jetzt keine passenden Vorläufersterne unter den Roten Überriesen gefunden haben. Es kann theoretisch auch passieren, dass ein Stern am Ende seines Lebens nicht in Form einer beeindruckenden, hellen Supernova explodiert, sondern einfach unter seiner eigenen Gravitionskraft in sich zusammenfällt; immer weiter, bis er direkt zu einem schwarzen Loch wird. Der Stern verschwindet dann einfach vom Himmel und wir kriegen nichts davon mit. So etwas ist möglich, aber wir haben so einen Vorgang noch nicht zweifelsfrei beobachtet. Es kann aber auch sein, dass die roten Überriesen eh genau das machen, was sie sollen. Aber wir sehen es nicht, weil sie sich dabei verstecken. Darauf deuten zumindest Beobachtungen aus dem Jahr 2025 hin.

    Am 29. Juni 2025 hat man eine Supernova in der Galaxie NGC1637 beobachtet. Und man hat sich auf die Suche nach dem Vorläuferstern gemacht. Fündig geworden ist man in den Daten des James-Webb-Weltraumteleskops und das Hubble-Weltraumteleskop hat an passender Stelle ebenfalls in früheren Aufnahmen einen Stern fotografiert. Man hat beide Datensätze kombiniert und die des Webb-Teleskops waren von besonderer Bedeutung. Denn das Webb-Teleskop beobachtet im Infrarotlicht und das ist besonders gut, wenn man Staub sehen will. Der Staub in der Umgebung der Sterne wird durch ihr Licht aufgeheizt und gibt diese Energie in Form von Wärme, als Infrarotlicht wieder ab. Ein Teleskop wie Webb kann das sehen und was man in diesem Fall gesehen hat, war bemerkenswert. Staub kann auf viele Weise im Universum gebildet werden, aber eine wichtige Quelle sind die roten Riesensterne. Die ganzen Atome aus ihrem Sternwind können sich miteinander verbinden und immer größere Strukturen bilden. Dieser Staub wird dann hinaus ins All geblasen, kann aber auch für einige Zeit eine Art Hülle um den Stern bilden. Das haben wir schon früher gewusst und bei Sternen wie zum Beispiel Beteigeuze beobachtet. Der Rote Überriese, der am 29. Juni 2025 zur Supernova wurde, war aber so staubig wie kein anderer, den wir zuvor beobachtet haben. Die dicke Staubhülle blockiert natürlich einen Teil seines Lichts und erscheint uns daher weniger hell als er eigentlich ist.

    Das könnte bedeuten: Vielleicht haben wir nur deswegen geglaubt, dass die roten Überriesen so selten Vorläufersterne von Supernova-Explosionen sind, weil wir sie nicht ordentlich gesehen haben. Sie produzieren mehr Staub als gedacht und deswegen erscheinen sie uns dunkler als sie sind. Wenn das stimmt, dann ist das Problem der Roten Überriesen gar keines, dann passt alles. Wir müssen nur besser lernen, die wahre Helligkeit der Sterne hinter ihrer Staubschicht zu erkennen. Wenn das stimmt, dann heißt das aber auch, dass wir in Zukunft besser lernen können, wie diese riesigen Sterne ihre Leben beenden. Sie tun das offensichtlich auf eine Art, bei der viel mehr Staub ins All gepustet wird, als wir bisher dachten. Also genau das Material, das anderswo im Universum die Grundlage für Planeten - oder auch Menschen ist. Die Lösung des Problems der Roten Überriesen könnte gleichzeitig der Anfang einer Antwort auf die Frage nach unserem Ursprung sein.

    17 October 2025, 5:00 am
  • 11 minutes 52 seconds
    Sternengeschichten Folge 672: Der Zweck und die Geschichte des Countdowns
    Lift-Off!

    Sternengeschichten Folge 672: Der Zweck und die Geschichte des Countdowns

    Einspieler Start Apollo 11 Das war der Start von Apollo 11, im Jahr 1969, auf dem Weg zur ersten Landung von Menschen auf dem Mond. Und abgesehen davon, dass das ein historisches und enorm bedeutendes Ereignis war, ist dieser Ausschnitt eigentlich sehr normal. Genau das passiert eben, wenn eine Rakete ins All startet: Es gibt einen Countdown und bei "Null" hebt die Raketen ab. Aber: Warum gibt es den Countdown?

    Denn eigentlich braucht es sowas ja nicht. Die Rakete fliegt los, egal ob man vorher rückwärts bis Null zählt oder nicht. Man sollte sich halt schon irgendwann mal überlegt haben, wann man das Ding starten will, aber wenn man das getan hat, dann kann man die Rakete ja auch einfach zum entsprechenden Zeitpunkt fliegen lassen. Wieso gibt es einen Countdown? Die Antwort: Wenn man sich wirklich genau überlegt, wann und wie man eine Rakete ins Weltall fliegen lassen kann, dann muss man unterwegs zwangsläufig auf so etwas wie einen Countdown kommen. Die Dramatik des Rückwärtszählens hat aber einen ganz anderen Usprung.

    Fangen wir mal mit der Technik an und widmen uns der Dramatik später. Wenn wir im Alltag einen Countdown in der Raumfahrt miterleben, dann meistens nur den dramatischen Teil, das Runterzählen in den letzten 10 Sekunden, bis zum Start. Aber natürlich muss die Arbeit für einen erfolgreichen Start schon sehr viel früher beginnen. Und der Countdown kann bis zu 96 Stunden vor dem Start beginnen. Denn da muss wirklich viel passieren, alles muss in der richtigen Reihenfolge und auf die richtige Weise passieren und wenn etwas nicht zum richtigen Zeitpunkt passiert, muss der Rest sofort und entsprechend angepasst werden. Es braucht hunderte oder tausende Schritte und Entscheidungen, bis so eine Rakete abheben kann und es ist klar, dass man das nur dann hinkriegt, wenn man sich bei all dem nicht verzettelt. Vor allem, weil man eine Rakete normalerweise nicht irgendwann starten kann. Je nachdem, was der Zweck der Mission ist, gibt es immer nur ein bestimmtes Startfenster, also einen konkreten Zeitraum, innerhalb dessen die Rakete abheben muss. Wird dieses Fenster verpasst, dann muss der ganze Start abgebrochen und zu einem späteren Zeitpunkt - hoffentlich - nachgeholt werden.

    Schauen wir uns das ein wenig genauer an. Wer schon mal Raketenstarts verfolgt hat, wird dabei oft etwas in der Art von "T minus 20 Minuten" gehört haben. Dieses "T" ist wichtig, denn es bezieht sich auf den "T-Countdown". Gleichzeitig läuft aber immer noch ein anderer Countdown mit, nämlich der "L-Countdown". Das "T" steht für "time" also für "Zeit" und das "L" für "launch", also "Start". Oder anders gesagt: Der L-Countdown ist quasi der echte Countdown. Wenn eine Rakete zum Beispiel am 16. Juli 1969 um exakt 14:32 abheben soll, dann zählt der L-Countdown die Zeit bis genau dahin. Der T-Countdown zählt im Prinzip auch bis zum Start. Aber hier geht es um die genaue Abfolge der Dinge. Und, das ist der wichtige Punkt, der T-Countdown kann angehalten werden. Damit ist sichergestellt, dass man genug Zeit hat, um sich um Probleme oder ähnliches zu kümmern. Zum Beispiel kann der T-Countdown bei "T minus 20 Minuten" stehen, was theoretisch bedeutet, dass der Start in 20 Minuten stattfinden soll. Aber vielleicht ist in dem Moment gerade schlechtes Wetter. Also stoppt man den T-Countdown und wartet ab. Der L-Countdown läuft währenddessen natürlich weiter.

    Oft wird der T-Countdown auch absichtlich zu vorab definierten Zeitpunkten angehalten. Das nennt man dann "Built-in hold", also quasi "eingebautes Halten". Schauen wir uns das am Beispiel eines typischen Space-Shuttle-Starts an. Die waren technisch besonders aufwendig und nachdem die grundlegenden Vorbereitungen - also die Montage der Raketen, usw - abgeschlossen sind, wird der Countdown gestartet. Die T-Uhr beginnt dabei mit mit T-43 Stunden. Es waren aber bei jedem Schuttle Start schon vorab sieben Built-in holds eingeplant, bei T-27, T-19, T-16 und T-3 Stunden und bei T-20 und T-9 Minuten. Diese vorgeplanten Stopps können unterschiedlich lang dauern. Bei T-27 wird die Uhr üblicherweise für vier Stunden angehalten. In der Zeit müssen dann alle Leute, die nicht wirklich nötig sind die Startrampe verlassen und die Vorbereitungen für die Betankung des Shuttles beginnen. Egal ob das jetzt schnell geht oder nicht: Die T-Uhr läuft erst nach 4 Stunden wieder weiter. Denn vielleicht kommt es ja doch zu Verzögerungen. Vielleicht ist bei den geplanten Schritten die vor dem Zeitpunkt T-27 passieren müssen, etwas nicht ganz nach Plan gelaufen - dann hat man diese 4 Stunden noch als Puffer, bevor es weitergeht. Bei T-19 wurde auch für 4 Stunden gestoppt, Bei T-11 kann der Stopp bis zu 14 Stunden dauern, usw. Je nach geplanten Ablauf der Dinge sind unterschiedlich lange Zeitpuffer eingebaut, damit auch sicher gestellt ist, dass man alles in Ruhe und in der richtigen Reihenfolge erledigen kann.

    Ingesamt wird die T-Uhr 26 Stunden lang angehalten. Der echte, der L-Countdown beginnt daher auch nicht so wie der T-Countdown bei T Minus 43 Stunden, sondern bei L Minus 69 Stunden. Erst wenn alles geklappt hat, kurz vor dem Start, werden beim letzten Stopp der T-Uhr die beiden Countdowns synchronisiert und wenn dann alles so läuft, wie es soll, dann kommen T- und L-Uhr zur gleichen Zeit bei der Null an und die Rakete hebt pünktlich ab.

    Man könnte noch viel mehr über die Details des Countdowns reden - aber es ist klar, dass es irgendein Prozedere braucht, um den Überlick über die einzelnen Schritte und die Zeit nicht zu verlieren. Es macht ebenfalls Sinn, wenn man dafür den Zeitpunkt des Starts als Nullpunkt nimmt. Die Zeit davor wird rückwärts gezählt und nach dem Start zählt man dann vorwärts weiter. Aber das ist alles eher eine interne, technische Angelegenheit. Eine Uhr im Kontrollzentrum, die anzeigt, wie die Zeit vergeht, ist das eine. Das dramatische rückwärtszählen von "10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, Lift-Off!" etwas ganz anderes. Das ist eigentlich nicht zwingend nötig, um die Rakete ins All zu kriegen. Warum machen wir das trotzdem?

    Dafür ist vermutlich der deutsche Schauspieler und Regisseur Fritz Lang verantwortlich. Er hat zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein paar sehr berühmte Stummfilme gedreht, unter anderem "Metropolis" aus dem Jahr 1927. Kurz danach, im Jahr 1929 hat er den Film "Frau im Mond" veröffentlicht. Es ist ein Science-Fiction-Film, der von einem Wissenschaftler handelt, der zum Mond fliegen will, weil es dort seiner Meinung nach Wasser, Sauerstoff und Gold gibt. Gemeinsam mit einem Ingenieur baut er einen Rakete und macht sich auf den Weg. Der technische Berater in Sachen Raumfahrt war Hermann Oberth, einer der absoluten Pioniere in der Raketentechnik. Schon 1923 hat Oberth in seinem Buch "Die Rakete zu den Weltenräumen" genau erklärt, wie das mit der Raumfahrt funktionieren kann, lange bevor es dann tatsächlich so weit war. Es ist daher auch kein Wunder, dass die Darstellung der Rakete in Fritz Langs Film durchaus realistisch war. Das Problem das Lang hatte, war ein anderes: Er wollte im Film die Dramatik des Starts vermitteln. Aber es war eben ein Stummfilm, also waren keine lange Erklärungen oder ähnliches möglich. Also musste man mit den üblichen Text-Einblendungen klar machen, dass der Moment des Abhebens immer näher rückt. Wenn der Moment zum Beispiel noch zwei Minuten entfernt ist, könnte man die entsprechenden 120 Sekunden abzählen, also: 1, 2, 3, usw. Aber woher soll das Publikum wissen, dass es bei 120 dann losgeht? Das muss man dann wieder vorher erklären. Aber, so Lang, wenn man rückwärts zählt, muss man gar nichts erklären. Wenn man "10, 9, 8, …" und so weiter zählt, ist allen klar, dass bei "Null" etwas passiert. Also hat Lang entsprechende Texte eingeblendet und alles mit "Noch 3 Sekunden!", "2", "1" und "JETZT" beendet. So konnte er, auch ohne Geräusche, ausreichend Dramatik erzeugen.

    Als dann später in den USA die Raumfahrt ernsthaft betrieben wurde, hat der alte Film den Leuten dort natürlich immer noch gefallen. Die NASA hat Fritz Lang sogar 1964 zu einer Veranstaltung eingeladen und - viel relevanter für diese Folge - sie hat das Konzept seines Countdowns übernommen, um der Öffentlichkeit die Dramatik eines Raketenstarts zu vermitteln.

    Kurzer Einschub: Es gibt noch einen älteren Countdown als den von Lang in der Kunstgeschichte. Nämlich in dem 1897 erschienen Buch "The Great Crellin Comet" von George Griffith. Darin wird die Erde von einem Kometeneinschlag bedroht und man will das Ding ablenken, indem man eine riesige Kanone darauf abfeuert. Der entsprechende Moment liest sich dann so: "Dann begann er zu zählen: „Neun – acht – sieben – sechs – fünf – vier – drei – zwei – jetzt!“ Im selben Augenblick senkten sich beide Finger und schlossen die Stromkreise. Im nächsten Moment schien es, als hätten sich die innersten Feuer der Erde losgelöst."

    Ein einwandfreier Countdown, aber einer, der nichts mit Raketen zu tun hat. Vielleicht hat Lang sich davon inspirieren lassen; vielleicht auch nicht. So oder so: Wir haben den dramatischen Countdown auf jeden Fall der Kunst zu verdanken und nicht der Wissenschaft. Und auch in der Wissenschaft gibt es übrigens Variationen. Bei der NASA endet man ja meistens mit "Go" oder mit "Lift-off", weil L-0 der Zeitpunkt ist, an dem die Rakete abhebt. Wenn die europäische Raumfahrtagentur ihre Raketen starten lässt, dann klingt das anders. Es klingt zuerst einmal französisch, weil die ESA von Kourou in französisch Guayana startet. Und wenn dort mit "trois - deux- un - top" geendet wird, dann heißt das, dass in dem Moment die Triebwerke starten, das Abheben dauert dann noch. In Russland war man früher überhaupt undramatisch und ist einfach gestartet, ohne dramatisch zu zählen.

    Heute können wir uns einen Raketenstart ohne Countdown nicht mehr vorstellen. Wir zelebrieren die letzen Sekunden mit all dem Drama, das wir aufbringen können. Und irgendwie ist das ja auch ganz ok. Wenn eine Rakete ins Weltall fliegt, in der vielleicht sogar noch Menschen sitzen, dann ist das definitiv ein dramatischer Moment. Wir verlassen unseren Planeten, wir machen uns auf in das dunkle Weltall, hinaus in den Kosmos, hinaus zu den Planeten. Da kann man ruhig ein bisschen dramatisch sein; es wäre schade, wenn uns so etwas nicht mehr begeistern würde.

    10 October 2025, 5:00 am
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