Sternengeschichten

Florian Freistetter

Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie.

  • 10 minutes 5 seconds
    Sternengeschichten Folge 609: Der Perseushaufen
    Macht die Röntgenaugen auf!

    Sternengeschichten Folge 609: Der Perseushaufen

    Könnten wir mit unseren Augen Röntgenstrahlung sehen, dann würden wir eine Überraschung erleben, wenn wir in der Nacht zum Himmel schauen. Ok, wenn wir Röntgenaugen hätten, gäbe es vermutlich jede Menge Überraschungen, aber beim Blick zum Nachthimmel, dorthin wo sich das Sternbild Perseus befindet, würden wir auf einmal eine enorm große Lichtquelle sehen. Viele Male größer als der Vollmond würde dort ein Objekt hell leuchten, das wir ansonsten ohne Teleskop gar nicht sehen könnten. Diese helle Quelle an Röntgenlicht ist der Perseushaufen, 240 Millionen Lichtjahre weit weg und eines der spektakulärsten und spannendesten Objekte am Himmel.

    Wir können aber ja leider keine Röntgenstrahlung sehen, also müssen wir uns der Sache erst einmal anders nähern. Das Sternbild Perseus können wir im Herbst und Winter gut bei uns in Mitteleuropa am Himmel sehen, zwischen Auriga, dem Fuhrmann und Andromeda. Es ist die Gegend am Himmel, aus der die Sternschnuppen der Perseiden zu kommen scheinen, aber das ist erstens eine andere Geschichte und zweitens sind die Perseiden nur im August zu sehen. Uns interessiert aber auch nicht das Sternbild, zumindest heute nicht. Wir schauen auf die Galaxien, die sich dort befinden. Ich habe ja schon oft erzählt, dass Galaxien wie unsere Milchstraße nicht einfach wahllos im Universum verteilt sind. Sie bilden Gruppen, in denen die Galaxien durch ihre wechselseitige Gravitationskraft zusammen gehalten werden. Es gibt jede Menge solcher Galaxienhaufen und der Perseushaufen ist ein wirkliches Prachtexemplar.

    Er besteht aus ein paar tausend einzelnen Galaxien; vor allem alten elliptischen Galaxien; also Galaxien, die sich bilden, wenn zum Beispiel zwei Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße miteinander verschmelzen. Die Gesamtmasse des Haufens liegt bei 650 Billionen Sonnenmassen. Das ist ungefähr 600 Mal so viel wie die Masse unserer Milchstraße. Es ist enorm viel und der Perseushaufen ist eines der massereichsten Objekte in unserer kosmischen Nachbarschaft.

    Im Zentrum des Haufens finden wir die Galaxie mit der Bezeichnung NGC 1275. Die hat schon der britische Astronom Wilhelm Herschel entdeckt, im Jahr 1786 - aber damals war natürlich noch nicht klar, dass es sich um eine ferne Galaxie handelt oder obe irgendein anderes nebeliges Objekt ist, das uns viel näher ist. Damals wusste man noch nicht ob unsere eigene Galaxie alles ist, was im Universum existiert oder nur eine von vielen. Man konnte die Abstände zu den Objekten nicht messen und die Teleskope waren nicht gut genug, um zu zeigen, dass die Nebel tatsächlich aus Sternen bestehen. NGC 1275 ist auf jeden Fall eine Galaxie und keine kleine! Sie hat einen Durchmesser von 160.000 Lichtjahren, ist also ungefähr so groß wie die Milchstraße. Sonst gibt es aber nicht allzu viele Gemeinsamkeiten. Während die Milchstraße eine Spiralgalaxie ist, handelt es sich bei NGC 1275 um eine sogenannte "cD-Galaxie". Das hat nichts mit CDs zu tun, auf denen Musik gespeichert ist. Das "D" steht für "diffus" und das "c" ist ein Zusatz, der - aus historischen Gründen - bedeutet, dass es sich um eine sehr große Galaxie handelt. Eine große, diffuse Galaxie also; oder genauer gesagt: Eine sehr große elliptische Galaxie, ohne Strukturen wie Spiralarme oder etwas in der Art. Obwohl man bei NGC 1275 schon "etwas in der Art" findet, nämlich sehr starke Radiostrahlung. Die kommt vom supermassereichen schwarzen Loch im Zentrum der Galaxie und so wie die Galaxie selbst ist auch das ein ordentlicher Brocken. Es hat zwei Milliarden mal so viel Masse wie die Sonne - zum Vergleich: Das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße hat "nur" 4 Millionen mal so viel Masse wie die Sonne. Und im Gegensatz zu unserem eigenen schwarzen Loch ist das bei NGC 1275 auch noch aktiv. Das heißt, dass dort jede Menge Masse in der Umgebung des Lochs existiert, die dort herumwirbelt und durch die starken Gravitationskräfte und Magnetfelder zum Teil auch in langen Bündeln und mit enormer Geschwindigkeit ins All hinaus geschleudert wird. Solche Jets kennen wir auch von anderen aktiven Galaxien, aber bei NGC 1275 konnten wir sogar zusehen, wie er entstanden ist.

    Diese Jets sind auch ein Grund dafür, dass der Perseushaufen mit unseren Röntgenaugen so beeindruckend aussehen würde. Denn in so einem Galaxienhaufen sind ja nicht nur Galaxien. Zwischen den Galaxien eines Haufen ist nicht Nichts. Ok, es ist auch nicht viel dort, aber eben nicht nichts. Dort befindet sich das Intraclustermedium, von dem ich in Folge 579 schon ausführlich gesprochen habe. Also, vereinfacht gesagt, ein sehr dünnes Gas. Das ist Material, das von den Sternen der Galaxien und den Jets in der Umgebung der supermassereichen zentralen schwarzen Löcher hinaus geschleudert worden ist. Und die Strahlung der Jets ist es auch, die dieses Material enorm aufheizt; also wirklich enorm. Man schätzt, dass das Gas eine Temperatur von bis zu 100 Millionen Grad hat. Das ist so viel, dass es Röntgenstrahlung abgibt und auch wenn nur wenig Gas zwischen den Galaxien ist, ist es doch genug und vor allem genug Röntgenstrahlung, dass der ganze Perseushaufen enorm stark leuchtet.

    In Wahrheit sind die Vorgänge dort noch viel komplizierter. Wenn man sich die Gegend im Zentrum des Perseushaufens genau anschaut und genau heißt in dem Fall: Wenn man ein Röntgenweltraumteleskop nimmt und 53 Stunden lang damit beobachtet, dann sieht man einen Haufen Ringe im Gas. Beziehungsweise man sieht, dass das Gas mal dichter und mal weniger dicht ist und die dichteren Regionen lauter unterschiedlich große Ringe um das Zentrum des Haufens bilden. Die Ringe sind jeweils circa 35.000 Lichtjahre voneinander entfernt; es sind also wirklich große Ringe. Was da passiert ist, kann man sich, vereinfacht gesagt, so vorstellen: Das schwarze Loch im Zentrum der Zentralgalaxie NGC 1275 erzeugt Jets und die heizen das Gas zwischen den Galaxien auf. Das heiße Gas bewegt sich jetzt schnell, und fällt nicht mehr in Richtung der Galaxie zurück, wie es das normalerweise im Laufe der Zeit tun würde. Dadurch hat das schwarze Loch aber auch weniger Material, dass es mit seinen Jets wieder nach außen schleudern kann. Die Jets kollabieren also, das Gas kühlt ab, fällt jetzt doch wieder nach innen in den Haufen und aufs zentrale schwarze Loch. Es entstehen neue Jets und das ganze geht von vorne los. Das wiederholt sich alle circa 10 Millionen Jahre und so entstehen die Dichteschwankungen im Intraclustermedium des Perseushaufens.

    Die Galaxien des Haufens wechselwirken natürlich auch noch miteinander und auch dafür hat man Hinweise gefunden. Weitere Beobachtungen mit dem Röntgenweltraumteleskop Chandra haben eine Art von Welle aus heißem Gas zwischen den Galaxien entdeckt. Eine Welle allerdings, die doppelt so groß ist wie die Milchstraße. Man geht davon aus, dass die Ursache dafür eine kleinere Galaxie ist, die vor ein paar Milliarden Jahre zu dicht am Perseushaufen vorbei geflogen ist und dabei das ganze Gas ein wenig durcheinander gewirbelt hat.

    Im Perseushaufen geht es also ordentlich ab und es ist schade, das wir nichts davon mit unseren Augen sehen können. Mit unseren nicht vorhandenen Röntgenaugen sowieso aber auch nicht mit den normalen. Selbst mit einem Fernglas wird es schwer, den Haufen oder auch nur die zentrale Galaxie NGC 1275 zu sehen. Man braucht schon ein kleines Teleskop dafür und selbst damit wird der Haufen eher unscheinbar aussehen. Aber zum Glück gibt es ja die geballte Macht der Wissenschaft, die uns das zeigen kann, was wir nicht sehen können.

    26 July 2024, 5:00 am
  • 9 minutes 36 seconds
    Sternengeschichten Folge 608: Das Sternbild Taube und der Antapex der Sonne
    Nur weg von dort!

    Sternengeschichten Folge 608: Das Sternbild Taube und der Antapex der Sonne

    Wem das Sternbild der Taube bisher noch nicht aufgefallen ist, ist erstens nicht alleine und hat zweitens nicht viel verpasst. Es ist ein Sternbild des Südhimmels, dass heißt, im Sommer sieht man es von Mitteleuropa sowieso nicht. Im Winter kann man es sehen, aber nur wenn man von Süddeutschland oder von noch weiter südlich aus zum Himmel schaut. Und wenn man das tut, wird man trotzdem nicht viel sehen. Der hellste Stern des Sternbilds ist Alpha Columbae beziehungsweise Phakt, wie sein alter arabischer Name ist. Dieser Stern ist zwar 1000 mal heller als die Sonne, aber auch 260 Lichtjahre weit weg und an unserem Himmel zwar ohne technische Hilfsmittel zu sehen, aber nicht weiter auffällig. Die restlichen Sterne in der Taube sind noch unscheinbarer und die meisten davon an unserem lichtverschmutzen Himmel gar nicht sichtbar. Wer es trotzdem probieren will: Sucht euch zuerst das Sternbild Orion, das ist ja zum Glück wirklich gut zu finden. Südlich unter den Füßen des Orion findet ihr dann das Sternbild Hase und noch ein Stück südlich darunter ist dann die Taube. Aber auch der Hase ist eher unscheinbar; in dieser Ecke des Himmels ist auf den ersten Blick nicht wahnsinnig viel los. Vielleicht ist das auch der Grund, warum wir von dort weg wollen. Denn im Sternbild Taube finden wir auch den Antapex der Sonne. Und um zu verstehen, was das sein und bedeuten soll, müssen wir uns zuerst einmal anschauen, was der Apex der Sonne ist.

    Die Sache ist eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen. Die Sonne bewegt sich. So wie jeder andere Sterne (und alles andere im Universum) steht auch die Sonne und mit ihre das gesamte Sonnensystem nicht still. Sie bewegt sich durchs All und sie tut das in eine bestimmte Richtung. Sie bewegt sich also auf einen bestimmten Punkt zu und von einem anderen Punkt weg. Dieser erste Punkt heißt Apex und der zweite ist der Antapex.

    Die Sache braucht aber natürlich noch ein bisschen mehr Erklärung. Zuerst einmal sage ich sicherheitshalber dazu, dass es jetzt um die tatsächliche Bewegung der Sonne geht. Nicht um die scheinbare Bewegung, die durch die Bewegung der Erde um die Sonne entsteht. Wir sehen die Sonne ja im Laufe eines Jahres vor unterschiedlichen Bereichen des Himmels stehen. Oder würden sie stehen sehen, wenn sie nicht so hell wäre und wir gleichzeitig die Sterne sehen könnten. Aber wenn wir zum Beispiel jeden Tag um 12 Uhr mittags nachschauen, vor welchen Sternen die Sonne gerade steht, dann wären das immer andere Sterne und im Laufe eines Jahres wäre die Sonne - scheinbar! - einmal um den Himmel herum gewandert. Aber das liegt eben daran, dass sich im Laufe eines Jahres die Erde um die Sonne herum bewegt und hat nichts mit der Sonne selbst zu tun.

    Es geht, wie gesagt, um die echte Bewegung der Sonne. Nur: In Bezug auf was? Das ist ja eine Frage, die man sich im Weltall immer stellen muss. Da gibt es keinen absoluten Bezugspunkt; es gibt nichts, was definitiv immer und für alle Zeiten still und am selben Ort steht. Alles bewegt sich und man kann die Bewegung eines Objekts immer nur in Bezug auf irgendwelche anderen Objekte definieren. Und da hat man mehrere Möglichkeiten. Bei der Sonne kann man zum Beispiel das Zentrum der Milchstraße als Bezugspunkt nehmen und dann stellen wir fest, dass sie sich in circa 220 Millionen Jahren einmal um dieses Zentrum herum bewegt. In Wahrheit ist die Angelegenheit ein wenig komplizierter; die Sterne in der Milchstraße bewegen sich nicht wie Planeten um die Sonne herum. Das ist alles ein wenig chaotischer; da ist viel mehr Gewackel, Hin und Her und Auf und Ab dabei. Aber genau das ist der Punkt! Stellen wir uns vor, wir würden die Masse in unserer Milchstraße ein bisschen sortieren. Wir ignorieren so unnötig komplizierte Phänomene wie Spiralarme, die Verdickung im galaktischen Zentralbereich, die Satellitengalaxien wie die Magellanschen Wolken, und so weiter. Wir packen einfach alles in eine schöne, symmetrische, zylindrische Scheibe. Und überlegen uns dann: Wie schnell würde sich ein Stern bewegen, dessen Abstand vom Zentrum der Scheibe genau dem Abstand der Sonne vom Zentrum der realen Milchstraße entspricht? In unserer aufgeräumten Galaxie würde dieser Stern natürlich einer perfekte Kreisbahn folgen, immer mit der selben Geschwindigkeit. In echt ist das natürlich alles nicht so, aber das ignorieren wir, wie gesagt, fürs Erste. Denn wir haben jetzt ein "Lokales Ruhesystem" definiert beziehungsweise den "Local Standard of Rest", wie der englische Fachbegriff lautet. Wir stellen uns also vor, dass unsere fiktive, sich schön gleichmäßig in der aufgeräumten Galaxie bewegenden Sonne der Nullpunkt unseres Koordinatensystems ist. Und können dann alle Bewegungen auf diesen Nullpunkt beziehen.

    Wenn wir das tun, dann sehen wir - vereinfacht gesagt - wie sich die Sonne in Bezug auf die Sterne in ihrer Umgebung bewegt, ob wir uns also schneller oder langsamer oder in eine andere Richtung bewegen, als die anderen Sterne in unserer Nachbarschaft. Das ist aus vielen Gründen recht praktisch; weniger praktisch ist es, das Lokale Ruhesystem in der Praxis zu definieren. Denn dazu muss man erst mal die Position und Geschwindigkeit von sehr vielen Sternen in unserer Umgebung möglichst genau messen und dann jede Menge komplizierte Mathematik anstellen. Aber man kann es machen und wenn man es macht, dann sieht man, dass sich die Sonne relativ zum Lokalen Ruhesystem, also relativ zu der fiktiven Sonne in der aufgeräumten Galaxie in Richtung eines Punkts am Himmel bewegt, der ein Stück südlich und westlich des hellen Sterns Wega liegt, aber nicht mehr im Sternbild Leier, zu dem die Wega gehört sondern schon im benachbarten Sternbild Herkules.

    Dieser Punkt wird Apex genannt und der erste, der seine Position ausgerechnet hat, war Wilhelm Herschel im Jahr 1783. Damals noch nicht ganz so genau, aber immerhin hat die grobe Gegend gestimmt. Später haben dann andere die Berechnungen wiederholt und sind auf unterschiedliche Punkte in der Gegend der Sternbilder Herkules, Leier oder Schwan gekommen. Die Sache ist aber auch tatsächlich nicht einfach. Man muss die Eigenbewegung der anderen Sterne bestimmen; die bewegen sich aber eben alle leicht unterschiedlich schnell. Und wie sich die Sterne bewegen, hängt auch von ihrem Alter ab und von jeder Menge anderer Parameter, von denen Herschel und Co nichts wissen konnte, und die wir heute auch noch nicht komplett verstehen. Aber immerhin wissen wir, warum es schwierig ist, das Lokale Ruhesystem zu definieren.

    Was noch übrig bleibt, ist der Antapex. Wie ich vorhin schon gesagt habe: Wenn der Apex, der Punkt im Sternbild Herkules, der Punkt ist, auf den sich die Sonne relativ zum Lokalen Ruhesystem zu bewegt, dann muss es natürlich auch einen Punkt am Himmel geben, von dem sich die Sonne weg bewegt. Das ist der Antapex und der liegt im Sternbild Taube; knapp an der Grenze zum benachtbarten Sternbild des Kleinen Hund. In Bezug auf die Sterne unserer Umgebung entfernen wir uns von diesem Punkt, mit circa 20 Kilometer pro Sekunde.

    Das liegt nicht daran, dass da irgendetwas ist, was uns abstößt oder flüchten lässt; genau so wenig wie im Apex etwas ist, was uns anzieht. Wenn wir mit dem Schiff am Meer fahren, ist der Punkt am Horizont, auf den wir zu segeln ja auch nur fiktiv. Aber trotzdem ist das mit dem Lokalen Ruhesystem, mit Apex und Antapex keine unnötige Spielerei. Wenn wir die Dynamik unserer Milchstraße verstehen wollen; wenn wir wissen wollen, wie sich die Sterne nicht nur scheinbar sondern WIRKLICH durchs All bewegen, dann brauchen wir irgendein Bezugssystem, damit uns nicht immer unsere eigene Bewegung den Blick verstellt. Wir können ja nichts daran ändern, dass unser Beobachtungsposten sich ständig um die Sonne bewegt und die Sonne mit uns allen nie still steht. Also müssen wir uns einen fiktiven Nullpunkt schaffen, damit wir die Sache halbwegs nachvollziehbar erforschen und verstehen können.

    Es ist reiner Zufall, dass der Punkt, von dem wir uns weg bewegen, gerade im Sternbild der Taube liegt. Aber da dort wirklich nicht viel los ist, passt es auch irgendwie.

    19 July 2024, 5:00 am
  • 9 minutes 29 seconds
    Sternengeschichten Folge 607: Die mysteriösen Miyake-Ereignisse
    Kosmische Spurensuche im Zedernbaum

    Sternengeschichten Folge 607: Die mysteriösen Miyake-Ereignisse

    Im Jahr 775 stirbt der byzantinische Kaiser Konstantin V. Die Stadt Gotha in Thüringen wird in diesem Jahr das erste Mal in einer Urkunde erwähnt. Karl der Große beschließt einen Feldzug gegen die Sachsen. In der Schlacht von Bagrevand kämpft Armenien gegen das Abbasiden-Kalifat und verliert. Und vermutlich war im Jahr 775 noch jeden Menge mehr los auf der Welt. Was damals vermutlich die wenigsten mitbekommen haben dürften, war ein Ereignis, dem die japanische Doktorandin Fusa Miyake erst im Jahr 2012 auf die Spur gekommen ist. Die Physikerin hat sich damals mit kosmischer Strahlung beschäftigt. Darüber habe ich ja schon ausführlich in den Folgen 317 und 318 der Sternengeschichten gesprochen, aber ich fasse es noch mal kurz zusammen. Aus dem Weltall trifft nicht nur das Licht der Sonne und der anderen Sterne auf die Erde. Sondern auch eine Teilchenstrahlung. Oder anders gesagt: Die Erde wird von Protonen und Elektronen bombardiert (und ein paar andere Teilchen sind ab und zu auch noch dabei). Die meisten dieser Teilchen stammen von der Sonne. In den äußeren Schichten ihrer Atmosphäre ist es so heiß, dass die Atome quasi auseinander fallen, die Elektronen der Atomhülle lösen sich von den Protonen des Atomkerns und die einzelnen Teilchen können durch diverse Prozesse so schnell werden, dass sie von der Sonne weg in Richtung All und unter Umständen auch in Richtung Erde sausen. Die anderen Sterne im Weltraum machen das auch, und auch von ihnen kriegen wir ein bisschen was ab. Und dann gibt es noch diverse andere Prozesse, die Teilchen durch die Gegend schleudern, zum Beispiel Supernova-Explosionen oder schwarze Löcher, die Material in ihrer Umgebung extram stark beschleunigen. Kurz gesagt: Überall im Weltall sausen hochenergetische Teilchen durch die Gegend und das nennt man die "kosmische Strahlung".

    Hier unten auf der Erde kriegen wir davon - zum Glück - wenig mit. Es wäre unangenehm und ungesund für uns Menschen - und auch die restlichen Lebewesen - wenn wir dieser Strahlung ungeschützt ausgesetzt wären. Sind wir aber nicht; das Magnetfeld der Erde und auch unsere Atmosphäre schützen uns davor. Was natürlich sehr gut ist, aber eher schlecht, wenn man diese Art der Strahlung erforschen will. Das muss man vom Weltall aus machen. Oder man probiert es indirekt und das hat Fusa Miyake damals gemacht. Wenn die kosmische Strahlung auf die Erdatmosphäre trifft, dann passiert natürlich etwas. Ich lasse die Details jetzt aus, auch die habe ich früher schon in anderen Folgen erklärt, aber im Wesentlichen passiert dann das gleiche, was wir in unseren Teilchenbeschleunigern mit großer Mühe künstlich herbei führen. Teilchen prallen mit enormer Energie aufeinander - in dem Fall eben die Teilchen der kosmischen Strahlung auf die Atome und Moleküle der Luft - und lösen Kernreaktionen aus. Ein Resultat dieser Vorgänge ist C14. Oder, etwas genauer gesagt, ein spezielles Isotop des Kohlenstoffs. Normaler Kohlenstoff hat im Atomkern sechs Protonen und sechs Neutronen. Es gibt aber auch Kohlenstoffatomkerne, die aus sechs Protonen und acht Neutronen bestehen, also insgesamt 14 Kernbauteilchen und deswegen nennt man ihn Kohlenstoff-14 oder kurz: C14. Im Gegensatz zum normalen Kohlenstoff ist C14 aber nicht stabil; dieser Atomkern ist radioaktiv und zerfällt im Laufe der Zeit. Aber glücklicherweise nicht wahnsinnig schnell, was bedeutet, dass wir C14 nachweisen können.

    Fusa Miyake hat sich nun zwei japanische Zedern angesehen. Diese Bäume können erstens sehr alt werden und bestehen zweitens, wie alle anderen Bäume und alle anderen Lebewesen generell, zu einem relevanten Teil aus Kohlenstoff. Außerdem haben Bäume Jahresringe. Man kann, und Miyake hat genau das getan, nun - vereinfacht gesagt - aus jedem Jahresring ein bisschen Kohlenstoff rausholen, messen wie viel davon C14 ist und bekommt dann für jedes Jahr einen entsprechenden Wert. Wenn diese Menge auf einmal sehr viel höher ist also sonst, dann bedeutet das: Es muss mehr kosmische Strahlung auf die Erde getroffen sein, dadurch muss mehr C14 produziert worden sein und dieser Kohlenstoff ist dann von den Lebewesen aufgenommen und im Falle der Zedern in das Holz eingebaut worden. Anders gesagt: Auf diese Weise kann man die Stärke der kosmische Strahlung für jedes Jahr bestimmen, auch ohne ins All zu reisen und dort zu messen und man kann die Stärke der kosmischen Strahlung auch für die Vergangenheit bestimmen, so weit zurück, wie man eben noch passendes Holz findet.

    Fusa Miyake war natürlich nicht die Erste, die das gemacht hat. C14-Messungen wurden auch davor schon durchgeführt. Aber Miyake hat sich mit den zwei japanischen Zedern den Zeitraum zwischen den Jahren 750 und 820 sehr genau ansehen können. Und konnte nachweisen, dass die Menge an C14 zwischen den Jahren 774 und 775 um circa 1,2 Prozent angestiegen ist. Das klingt nach wenig, ist aber 20 Mal mehr als die übliche Variation. Irgendwas hat also um das Jahr 775 herum dafür gesorgt, dass sehr viel mehr kosmische Strahlung auf die Erde getroffen ist als das überlicherweise passiert. Aber was?

    Die allermeiste kosmische Strahlung kommt von der Sonne; es liegt also nahe, erst mal dort nach einer Ursache zu suchen. Ich habe ja erst in Folge 602 von den Sonnenstürmen erzählt, die immer wieder mal sehr viel Zeug durch die Gegend schleudern können. Aber selbst ein Sonnensturm würde keinen so starken Anstieg über diesen Zeitraum verursachen. Auch eine Supernova-Explosion in unserer Ecke der Milchstraße kann man eigentlich ausschließen, denn dann sollte man eigentlich noch Spuren davon irgendwo beobachten können. Um die Stärke des Anstiegs erklären zu können, müsste da relativ nahe bei uns ein Stern explodiert sein und die Überreste dieses Sterns sollten wir auch heute noch gut beobachten können, wenn sie denn da wären.

    Die Messungen aus den Zedern konnten Miyake und andere Forscherinnen und Forscher auch mit ähnlichen Messungen in Eisbohrkernen bestätigen. Auch dort können sich diverse radioaktive Atome ansammeln, die durch die komische Strahlung in der Atmosphäre produziert werden und auch Eisschichten lassen sich, wenn auch ein bisschen komplizierter als Bäume, entsprechend datieren.

    Später fand man dann auch ähnliche Anstiege von C14 in anderen Jahren, die mittlerweile "Miyake-Ereignisse" genannt werden. Mit Sicherheit gab es ein Miyake-Ereignis in den Jahren 7176, 5259 und 660 vor Christus. Und neben dem im Jahr 775 auch eines im Jahr 993. Es gibt noch ein paar andere, wo die Datenlage nicht ganz so klar ist, aber klar ist auf jeden Fall: Miyake-Ereignisse kommen öfters vor. Und die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass sie typischerweise ein paar Jahre lang dauern, was wieder gegen die Sonne als Verursacherin spricht. Denn ein Sonnensturm dauert höchstens ein paar Tage und sollte - wie schon gesagt - auch nicht so heftig sein, wie es die Daten der Miyake-Ereignisse nahe legen. Auch eine statistische Analyse aus dem Jahr 2022, bei dem man den Verlauf der Sonnenaktivität mit den Miyake-Ereignissen abgeglichen hat, hat keinen Zusammenhang gefunden.

    Vielleicht hat das ganze mit Vorgängen außerhalb des Sonnensystems zu tun; vielleicht sind extreme Gammablitze dafür verantwortlich; also gewaltige Explosionen die beim Tod sehr großer Sterne auftreten oder bei der Kollision von Neutronensternen. Oder es sind doch sehr seltene, starke Sonnenstürme. Oder etwas ganz anderes. Oder eine Mischung von allem. Wir brauchen mehr Daten, wir wissen aber auf jeden Fall auch, dass wir uns eher nicht wünschen sollten, recht bald wieder ein Miyake-Ereigniss zu erleben. So viel kosmische Strahlung; so ein enormer Sonnensturm - oder was auch immer die Ursache sein mag - wäre für uns Menschen zwar nicht lebensgefährlich; immerhin schützt uns ja die Atmosphäre vor der direkten Strahlung. Aber wenn so viel Strahlung auf unsere Magnetfeld trifft, dann könnte das kurzfristig so stark gestört werden, dass unsere moderne Technik durchaus in Mitleidenschaft gezogen wird. Ein Miyake-Ereignis wird die Welt nicht untergehen lassen, aber großflächige Stromausfälle oder ähnliches wären nicht unwahrscheinlich. Da wäre es besser, wir kommen vorher noch drauf, was da genau passiert. Dann können wir es immer noch nicht verhindern - aber uns vielleicht besser darauf vorbereiten.

    12 July 2024, 5:00 am
  • 12 minutes 17 seconds
    Sternengeschichten Folge 606: Der Meteorit von Orgeuil und das außerirdische Leben
    Aliens auf Besuch in Frankreich?

    Sternengeschichten Folge 606: Der Meteorit von Orgeuil und das außerirdische Leben

    Am Abend des 14. Mai 1864 war wenig los in dem kleinen französischen Ort Orgueil. Was soll auch groß los sein, in einem Ort mit ein paar hundert Einwohnern, mitten am Land im Südwesten von Frankreich. Aber dann war auf einmal sehr viel los. Am Himmel tauchte eine leuchtende Spur auf, zuerst grünlich leuchtend, dann immer rötlicher. Das Licht wurde heller, bis es so groß wie der Vollmond war und dann war eine gewaltige Explosion zu hören. Aus dem Licht wurden eine große, weiße Wolke, die minutenlang am Himmel stand und Steine fielen vom Himmel. Es waren schwarze Steine und irgendwie komisch.

    Im 19. Jahrhundert war die Wissenschaft zwar noch nicht so weit wie heute, aber auch damals war klar, was da in Orgeuil passiert ist: Ein Stück Gestein aus dem Weltall ist auf die Erde gefallen. In den Jahren und Jahrzehnten davor hat sich die Erforschung solcher Meteoriten gerade als eigene Wissenschaft entwickelt. Früher gab es ja jede Menge Diskussionen darüber, wo solche Steine herkommen; ob sie von Vulkanen in die Luft geschleudert werden; ob es Material ist, das sich irgendwie in der Luft aus der Luft selbst bildet, und so weiter. Aber 1864 hatte man akzeptiert, dass es tatsächlich Objekte aus dem Weltall sind, da da regelmäßig auf die Erde fallen. Und deswegen konnte man den frischen Meteorit von Orgeuil jetzt auch gleich entsprechend untersuchen.

    Die Forschung an diesem - ehemaligen - Himmelskörper dauert bis heute an und er hat sich als einer der spannendsten Meteorite herausgestellt, die wir bisher gefunden haben. Er hat unseren Blick auf die Entstehung des Lebens verändert und auf die Geschichte unseres Sonnensystems. Aber bleiben wir vorerst noch im 19. Jahrhundert. Der erste, der die Meteoriten wissenschaftlich untersucht hat, war Gabriel Auguste Daubrée, Professor für Geologie in Paris. Nur ein paar Wochen nach dem Fall selbst konnte er seine Ergebnisse präsentieren. Die Steine waren schwarz, wie Kohle. Darin fanden sich mineralische Einschlüsse und insgesamt betrachtet, sah der Meteorit ganz anders aus als die Steine aus dem All, die man davor untersucht hatte. Vor allem enthielt er sehr viel mehr Kohlenstoff, der auch für die schwarze Farbe verantwortlich war. Außerdem war der Meteorit sehr porös, sobald er in Kontakt mit Wasser kam, löste er sich quasi in dunklen Staub auf, wie es Daubrée beschrieben hat.

    Der französische Chemiker François Stanislas Cloëz untersuchte den Meteoriten ebenfalls und führte die erste chemische Analyse durch. Er bestimmte die Dichte des Steins zu 2,6 Gramm pro Kubikzentimeter und einen Kohlenstoffgehalt von fast 6 Prozent. Der Anteil an Wasser, das im Gestein gebunden war, betrug knapp 9 Prozent. Cloëz extrahierte einen Teil des kohlenstoffhaltigen Materials aus dem Meteoriten und schrieb, dass es irgendwie wie Hummus aussah, erdig, ein bisschen wie Torf oder Schieferkohle. Cloëz, Daubrée und andere forschten weiter und 3 Jahre später schrieb Daubrée die erste große Zusammenfassung des Wissensstands. Darin hielt er fest, dass nichts darauf hindeutet, dass das Material vulkanischen Ursprungs sei, und deswegen nicht vom Mond stammen könne. Dass es auf dem Mond Vulkane gibt, die Meteoriten zur Erde schleudern, ist zwar aus heutiger Sicht Unsinn, war damals aber eine verbreitete Hypothese. Daubrée wies außerdem noch einmal auf die große Menge an Kohlenstoffverbindungen im Meteoriten hin. Er schrieb, dass es so aussehen würde, als wären die Mineralien im Meteorite im Laufe irgendeiner Art von geologischer Evolution aus einer "einfacheren, primitiven Materie" entstanden und er war fasziniert von der Menge an kohlenstoffhaltigen Kombinationen die von einem Himmelskörper stammen, die bisher nicht mit irgendeiner Art von Leben in Verbindung gebracht worden sind.

    Das hat sich dann aber schnell geändert, denn kurz danach schrieb der damals sehr populäre Astronom Camille Flammarion in einem seiner Bücher, dass der Meteorit zeigen würde, dass auf dem Himmelskörper von dem er stammt, irgendeine Art von Leben existieren muss. Belege dafür hat er aber nicht geliefert und das war auch nicht möglich, denn in keiner der damaligen wissenschaftlichen Arbeiten war behauptet worden, dass der Orgueil-Meteorit Spuren von Leben in sich trägt.

    Damit war die Erforschung des Meteoriten erst mal vorbei und Stücke wurden seitdem in diversen Museen der Welt aufbewahrt. Das größte davon in Paris, mit einem Gewicht von fast 9 Kilogramm. Aber auch in Prag, Edinburgh, Washington, Berlin, Wien, Moskau, New York und diversen anderen Forschungseinrichtungen hatte man zumindest kleine Brocken des Orgueil-Meteoriten. Spannend wurde die Angelegenheit dann wieder 1961. Die amerikanischen Chemiker Bartholomew Nagy, Georg Claus und Douglas Hennessy veröffentlichten eine neue, mikroskopische Analyse eines Meteoriten-Stückes und erklärten, darin "organisierte Elemente" entdeckt zu haben. Damit sind keine chemischen Elemente gemeint, die eine Gewerkschaft gegründet haben - die drei Forscher haben den Begriff wohl benutzt, um nicht gleich "außerirdisches Leben" sagen zu müssen. Denn das haben sie eigentlich gemeint. Eingeschlossen in die diversen Mineralien fanden sie Objekte, die wie fossile Algen ausehen würden. Oder wie Mikroorganismen. Das wäre natürlich eine dramatische Entdeckung gewesen. Es wurde darüber spekuliert, ob der Meteorit von einem Himmelskörper stammt, auf dem es Leben gibt; es wurde über den Ursprung des Lebens auf der Erde diskutiert und die Frage, ob vielleicht außerirdische Mikroorganismen wie die, die man im Orgueil-Meteorite entdeckt hat, dafür verantwortlich sind. Andere Forscherinnen und Forscher haben natürlich probiert, die Entdeckung zu prüfen und zu bestätigen. Harold Urey, der Physik-Nobelpreisträger und zweite Namensgeber des Miller-Urey-Experiments, das besser unter dem Begriff "Ursuppe" bekannt ist, und bei Urey und sein Kollege Stanley Miller gezeigt haben, dass aus der Ur-Atmosphäre der Erde durch die Energie von Blitzen komplexe organische Moleküle entstehen können, die der Ursprung des Lebens sind - dieser Harold Urey war zum Beispiel der Meinung, dass der Meteorit vom Mond kommen würde und der Mond vor langer Zeit mit frühem Leben der Erde quasi verseucht wurde. Andere kamen zu anderen Ergebnissen - und zu Ergebnissen, die nicht ganz so spektakulär waren. Die "organisierten Elemente" wurden in Sulfat-Einschlüssen entdeckt. Die aber, wie man dann herausgefunden hat, gar keinen außerirdischen Ursprung gehabt haben. Man konnte zeigen, dass die Sulfate im Laufe der Zeit Wasser aus der Luft aufgenommen haben. Dadurch sind Risse entstanden und durch sie können irdische Verunreinigungen in den Meteorit eingedrungen sind. Eine genaue Untersuchung der ursprünglichen Beobachtungsdaten hat auch gezeigt, dass die ersten Beschreibungen des Meteorits nichts von Sulfat-Einschlüssen sagen; sie müssen also tatsächlich erst nachträglich auf der Erde entstanden sein. Und dann ist es auch keine Überraschung, wenn man darin Spuren von irdischen Mikroorganismen findet.

    Berühmt geworden ist auch ein Fund, der im Zuge dieser ganze Forschung gemacht wurde: In einem Bruchstück, dass im Museum von Montauban aufbewahrt wurde, in einer Kleinstadt gleich neben Orgueil fand man Pollen und eine Samenkapsel. Aber, und das entdeckte man ebenso schnell: Da war Klebstoff im Spiel. Wer da probiert hat, Lebensspuren im Meteorit vorzutäuschen, ist unbekannt, das Stück in Montauban war seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr angerührt worden, aber irgendwer muss damals diese Fälschung gemacht haben. Vielleicht, so die Vermutung, um ein Argument bei der damaligen Diskussion um die spontane Entstehung des Lebens zu haben, also die Hypothese, das Leben quasi aus dem Nichts aus nichtlebendiger Materie entstehen kann. Am Ende jedenfalls war man sich einig: Der Orgueil-Meteorit enthält keine Spuren außerirdischen Lebens. Nur Harold Urey war immer noch überzeugt, das das Ding vom Mond stammt - weswegen die NASA bei ihren Apollo-Missionen dann auch tatsächlich eine Quarantäne für ihre vom Mond zurückkehrenden Astronauten angeordnet hat.

    Heute wissen wir, dass der Orgueil-Meteorit zur seltenen Klasse der C1-Chondrite gehört, die manchmal auch CI-Chondrite genannt werden. So oder so: Wir haben nur ganz wenig davon, nur eine Handvoll und das liegt daran, dass sie so extrem porös sind. Sie werden normalerweise entweder beim Flug durch die Erdatmosphäre zerstört oder später auf der Erde. Sie haben einen hohen Kohlenstoffgehalt und enthalten viel Wasser. Die chemische Zusammensetzung dieser Meteorite ist fast so wie die Zusammensetzung der Wolke, aus der die Sonne und die Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden sind. Es handelt sich also um sehr ursprüngliches Material und der hohe Wassergehalt zeigt, dass sich die Objekte weit von der Sonne entfernt gebildet haben, irgendwo in der Gegend, wo sich heute Jupiter und Saturn rumtreiben. Nur dort war es kühl genug, damit sich Eis bilden konnte. Wir wissen - aus einer Untersuchung der ursprünglichen Beobachtungen des Falls - auch, dass der Orgueil-Meteorit vermutlich aus der Jupiter-Familie stammt, eine Gruppe von ein paar hundert Kometen, die sich auf Umlaufbahnen in der Nähe der Jupiterbahn bewegen. Und 2010 hat man dann in Material des Orgueil-Meteoriten auch Partikel entdeckt, die älter als unser ganzes Sonnensystem sind. Winzigste Teilchen, in denen jede Menge des chemischen Elements Chrom-54 enthalten war. In solchen Mengen ist das normalerweise nicht im Sonnensystem zu finden, aber es wird bei den nuklearen Reaktionen in Supernova-Explosionen produziert. Oder anders gesagt: Als das Sonnensystem noch kein Sonnensystem sondern eine große Wolke aus Gas und Staub war, ist irgendwo in der Nähe ein großer Stern explodiert und hat unter anderem Chrom-54 in die Wolke geschleudert. Und im Orgueil-Meteorit ist ein bisschen davon bis heute übrig geblieben. Vielleicht war es sogar die Supernova, die die Wolke erst zum Kollabieren gebracht und damit die Entstehung des Sonnensystems ausgelöst hat?

    Der Orgueil-Meteorit ist ein ganz besonderes Stück Gestein. Er ist gerade zum richtigen Zeitpunkt vom Himmel gefallen, als wir in der Lage waren, ihn auch wissenschaftlich zu untersuchen. Er hat uns auf einige falsche Fährten geschickt, aber auch jede Menge Hinweise auf echte Antworten gegeben. Und die Forschung daran ist noch lange nicht abgeschlossen.

    5 July 2024, 5:00 am
  • 10 minutes 4 seconds
    Sternengeschichten Folge 605: Astronomie im Loch - Beobachtungen am Taghimmel
    Wer hoch schauen will, muss tief graben

    Sternengeschichten Folge 605: Astronomie im Loch - Beobachtungen am Taghimmel

    Astronomie findet in der Nacht statt. Immerhin geht es dabei ja um die Beobachtung von Sternen und die sieht man nicht am Tag. Das ist prinzipiell zwar richtig. Aber auch ein klein wenig falsch. Denn natürlich ist auch die Sonne ein Stern, der von der Astronomie erforscht wird und die Sonne sieht man per Definition nicht in der Nacht sondern nur am Tag. Es gibt auch jede Menge Weltraumteleskope, für die Tag und Nacht nicht existieren. Oder Disziplinen wie die Radioastronomie, die Beobachtungen auch problemlos tagsüber ausüben kann. Und natürlich sind Astronominnen und Astronomen zwar öfter mal in der Nacht unterwegs und müssen Teleskope bedienen, verbringen den Rest der Zeit aber ganz normal in ihren Büros und arbeiten zu halbwegs normalen Arbeitszeiten. Trotzdem möchte ich heute über die Frage sprechen, was für Astronomie man am Taghimmel durchführen kann und zwar abseits von Radioastronomie oder der Sonnenbeobachtung. Kann man nicht vielleicht doch irgendwie die Sterne auch beobachten, wenn es nicht dunkel ist? Das wäre zumindest für alle die recht praktisch, die ungern die ganze Nacht wachbleiben wollen um astronomische Daten zu sammeln.

    Wenn es um die Planeten geht, dann kann man da durchaus auch am Tag erfolgreich sein. Die Venus ist nach Sonne und Mond das hellste Objekt am Himmel und wenn man weiß, wo sie sich befindet, kann man sie auch am Tag erkennen. Zumindest dann, wenn sie nicht gerade zu sehr in der Nähe der Sonne steht. Mit einem Fernglas oder gar Teleskop lassen sich auch Mars, Jupiter und Saturn erkennen und tatsächlich auch ein paar der sehr hellen Sterne. Wer jetzt aber untertags auf die Suche nach Himmelskörpern gehen will, sollte allerdings sehr vorsichtig sein und Fernglas oder Teleskop nicht wild über den Himmel schwenken. Ein unabsichtlicher Blick auf die Sonne durch ein solches optisches Instrument kann schwere Augenschäden verursachen. Aus wissenschaftlicher Sicht kommt man aber bei der Beobachtung am Tag auf diese Weise nicht sehr weit. Aber vielleicht geht es ja anders?

    Man hört immer wieder die Geschichte, dass man die Sterne sehr gut auch untertags sehen kann und zwar, wenn man sich am Grund eines tiefen Brunnes befindet. Oder durch einen hohen Schornstein oder Kamin zum Himmel blickt. Das hat schon Aristoteles behauptet, als er erklärt hat, warum manche Tiere gut sehen und andere schlecht. Und wenn Aristoteles was behauptet, dann muss das ja stimmen. Das war zumindest lange Zeit die Meinung der gelehrten Menschen in der Antike, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Und über die Jahrhunderte kann man immer wieder Berichte finden, die Aristoteles Behauptung bestätigen. Mal haben Leute das Licht der Sterne im Wasser eines tiefen Brunnes reflektiert gesehen; mal waren es Bergleute, die beim Blick aus Minenschächten hinaus die Sterne auch am Taghimmel gesehen haben wollen. Autoren wie Rudyard Kipling oder Charles Dickens haben dieses Phänomen in ihren Büchern verarbeitet. Und selbst der Astronomie-Professor an der Uni Cambridge, Robert Ball, hat noch 1908 geschrieben, dass man Sterne auch am Tag sehen kann, wenn man sie nur durch einen hohen Kamin beobachtet. Denn der lange Schacht würde das direkte Licht der Sonne abschirmen und das Auge würde dadurch viel sensitiver und könne so das schwache Sternenlicht wahrnehmen.

    Also: Warum stellt man nicht einfach ein paar Teleskope in tiefe Löcher? Dann kann man auch tagsüber Astronomie betreiben und spart sich das lange Wachbleiben in der Nacht und die Müdigkeit am Tag? Tatsächlich gibt es Teleskope in Löchern. An der Königlichen Sternwarte in Greenwich wurde so etwas im 17. Jahrhundert gebaut aber auch später, zum Beispiel an der Sternwarte in Jena. Mit ihnen wurde aber in der Nacht gearbeitet und es gab spezielle Gründe, warum man sie in Löchern untergebracht hat. In Greenwich hat man versucht, die Position des Stern Gamma Draconis zu messen. Es ging damals darum, herauszufinden, wie weit die Sterne entfernt sind. Dazu muss man die scheinbare Position eines Sterns zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr messen - ich hab das in Folge 19 ausführlich erklärt. Im 17. Jahrhundert war es noch nicht so einfach, große Teleskope zu bauen, also hat man sich gedacht, man nimmt einfach einen Brunnenschacht, baut am oberen Ende eine Linse ein und schaut dann vom Grund des Brunnes mit einem Okular darauf. Oder anders gesagt: Man den gesamten Brunnen zu einer Art Teleskop umgebaut, das sich zwar nicht bewegen lässt, aber Sterne sehen kann, die sich genau darüber hinwegbewegen. Gute Idee, aber die Sache war enorm unangenehm. Immer muss man in einem tiefen, feuchten Loch am Rücken liegen um die Beobachtungen anzustellen und das auch noch Nachts. Auch in Jena wollte man zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr genau Positionsmessungen an Sternen anstellen. Das Ziel war es, die Schwankung der Erdachse zu bestimmen und damit das mit der nötigen Genauigkeit klappt, darf das Teleskop selbst natürlich absolut gar nicht wackeln. Man kann es nicht einfach so hinstellen; da würde schon die Erschütterungen ausreichen, die auftreten, wenn Autos oder damals auch noch Kutschen vorbeifahren. Aber nur ein paar Meter unter der Erdoberfläche war eine hunderte Quadratkilometer große und ein paar hundert Meter dicke Gesteinsschicht, die sogenannte Saale-Ilm-Platte, die sich unter halb Thüringen erstreckt. Ein noch stabileres Fundament kann man sich kaum wünschen, also hat man ein 10 Meter tiefes Loch gegraben, bis zu dieser Schicht und dort die Teleskope aufgestellt. Aber weder in Jena noch in Greenwich hat dann auch mehr als ein paar Beobachtungen angestellt. Es war einfach zu aufwendig und unangenehm, die ganze Nacht über in einem kalten, feuchten Loch zu sitzen.

    Aber wie ist das jetzt mit der Beobachtung am Tag? Wieso hat das niemand ausprobiert? Weil es - Spoiler! - nicht funktioniert! Denn natürlich hat man das ausprobiert. Der große Naturforscher Alexander von Humboldt, der sich beruflich auch viel in Bergwerken rumgetrieben hat, hat das getestet und festgestellt: Man sieht nichts. Später haben dann diverse Leute noch ausführlichere Tests und Messungen angestellt, mit dem Ergebnis, das man mit freiem Auge untertags keine Sterne sehen kann, auch wenn man in einem tiefen Loch sitzt. Diejenigen, die meinen, in einem Kamin oder Schacht dennoch Sterne gesehen zu haben, haben wahrscheinlich irgendwelche Blätter, Staubteilchen oder anderes Zeug gesehen, das durch die Zugluft nach oben gewirbelt und dann von der Sonne angeleuchtet worden ist. Aber Sterne sind nicht zu sehen, ausgenommen vielleicht Sirius, dem hellsten Stern. Oder, wie es der Astronom David Hughes 1983 in einer sehr ausführlichen wissenschaftlichen Analyse des Phänomens gesagt hat: "Durch einen Kamin zu schauen ist das letzte, was man tun sollte, wenn man Sterne sehen will."

    Gut, halten wir fest. Am Tag sieht man auf jeden Fall einen Stern, nämlich die Sonne. Man kann die Venus sehen und natürlich auch den Mond. Und es bringt nichts, sich in irgendwelche Löcher zu setzen. Da ist es kalt, unangenehm und man schränkt auch das Sichtfeld extrem stark ein. Das heißt aber nicht, dass man nicht doch sinnvolle Sternbeobachtung auch untertags erledigen kann. Aber eben nur in sehr speziellen Fällen. Ein so ein Spezialfall ist der Stern Beteigeuze. Von dem habe ich schon in Folge 204 erzählt; es ist ein heller Stern und ein prominenter Stern im Sternbild Orion. Vor allem aber ist es ein interessanter Stern, denn er befindet sich schon am Ende seines Lebens und könnte bald zu einer Supernova werden. Ok, das kann noch ein paar Jahrhunderte oder Jahrtausende dauern, aber auch jetzt passiert dort schon jede Menge spannendes Zeug aus dem wir lernen können, wie sich solche Sterne gegen Ende ihres Lebens verhalten. Dazu müssen wir aber auch so viele Beobachtungen wie möglich machen um nichts zu verpassen. Bei Beteigeuze geht das aber nicht. Denn der Stern ist nicht nur am Tag nicht zu sehen, er ist auch vier Monate in jedem Jahr in der Nacht nicht zu beobachten. Denn in diesem Zeitraum sehen wir ihn von der Erde aus zu nahe an der Sonne und die ist in der Nacht unterm Horizont. Um diese Lücke in den Beobachtungsdaten zu schließen, müssten wir ihn tagsüber sehen können. Und das geht, mit der richtigen Technik! Die australische Astronomin Sarah Caddy und ihr Team haben 10 sehr große aber handelsübliche Fotoobjektive zusammengebastelt. Ok, es war ein bisschen mehr als basteln; es war schon eine sehr komplexe Ingenieursleistung. Aber mit dem daraus entstandenen "Huntsman Telescope" lässt sich ein heller und vergleichsweise groß erscheinender Stern wie Beteigeuze auch am Tag in einer Genauigkeit beobachten, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.

    Die Astronomie wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft etwas bleiben, was in der Nacht stattfindet. Aber mit ausreichend guter und kreativer Technik wird man zumindest einen Teil der Arbeit auch am Taghimmel durchführen können. Und man wird dafür nicht in kalten, feuchten Löchern sitzen müssen.

    28 June 2024, 5:00 am
  • 7 minutes 10 seconds
    Sternengeschichten Folge 604: Noctcaelador - Die Psyche und der Nachthimmel
    Unsere emotionale Verbindung zu den Sternen

    Sternengeschichten Folge 604: Noctcaelador - Die Psyche und der Nachthimmel

    Der Nachthimmel ist schön. Zumindest dann, wenn man die vielen Sterne funkeln sehen kann und nicht alles voller Wolken ist. Obwohl auch Wolken ihren ganz eigenen ästhetischen Wert haben können, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Aber wir können uns vermutlich darauf einigen, dass die allermeisten Menschen, die nachts zum Sternenhimmel blicken, diesen Anblick ästhetisch schön finden und nicht mit "Ihh - was soll das denn!" reagieren.

    Dafür gibt es auch jede Menge Belege in der Geschichte der Menschheit. Egal welche Kultur zu welcher Zeit und an welchem Ort wir betrachten: Der Sternenhimmel hat immer eine wichtige Rolle gespielt. Jede Kultur hat ihre ganz eigenen Mythen über die Sternen entwickelt; ihre eigenen Helden, Götter und Monster in den Lichtern am Himmel gesehen und sich Geschichten darüber ausgedacht. Die Sterne haben die Kultur beeinflusst, die Religion und die Gesellschaft als Ganzes. Diese Verbindung zum Himmel haben wir erst in den letzten Jahrzehnten verloren; seit wir in einer Welt leben, in der die Nacht in vielen Gegenden nicht mehr richtig dunkel wird und wir den faszinierenden Anblick des Sternenhimmels gar nicht mehr sehen können.

    Das bedeutet aber nicht, dass es nicht immer noch genug Menschen gibt, die zu den Sternen schauen und auch in unserer lichtverschmutzten Welt der Gegenwart ist der reduzierte Sternenhimmel immer noch schön. Das alles ist keine große Neuigkeit und ich muss den Menschen, die diesen Podcast hören, vermutlich auch nicht extra erklären, dass der Sternenhimmel schön und spannend ist. Aber vielleicht steckt da noch mehr dahinter.

    Das dachte sich zumindest der amerikanische Psychologe William Kelly. 2003 führte er eine kleine Studie an 46 Studentinnen und Studenten seiner Universität durch. Er stellte ihnen Fragen wie "Schaust du oft zum Nachthimmel?", "Fühlst du dich besser oder ruhiger wenn du den Nachthimmel betrachtest?" oder "An was denkst du, wenn dir der Begriff 'Nachthimmel' begegnet?". Die Antworten waren vorerst mehr oder weniger erwartbar. Die Mehrheit der jungen Menschen schaute regelmäßig zum Nachthimmel; aber gut - es waren ja auch Studentinnen und Studenten und da treibt sich vermutlich öfter des Nachts herum als andere Leute. Aber Kelly fand in den Antworten auch starke Hinweise darauf, dass auf viele die Beobachtung des Nachthimmels beruhigend wirkt und Gedanken an Ruhe und Frieden wurden auch oft mit dem Nachthimmel assoziiert.

    Kelly vermutete als Ursache eine Art emotionale Verbindung zum nächtlichen Himmel, genau so wie es ja definitiv auch das psychologische Phänomen der emotionalen Verbindung zu einem Ort gibt. Das haben sicher die meisten schon erlebt; wir alle kennen bestimmte Orte, die in uns gefühlsmäßig irgendwas auslösen. Für viele ist es der Ort an dem sie aufgewachsen sind: Selbst wenn man jahrelang anderswo verbracht hat, fühlt man sich dort oft immer noch besonders wohl und sicher. Der Nachthimmel ist jetzt zwar kein physischer Ort, aber, so Kelly, vielleicht gibt es da ähnliche psychologische Effekte.

    Er hat dieser emotionalen Verbindung den Namen "Noctcaelador" gegeben; ein Kunstwort das aus dem lateinischen Worten "nocturnus" für Nacht, "caelum" für Himmel und "ador" für Bewunderung zusammengesetzt ist. Und Kelly hat dieses Phänomen weiter erforscht. Er stellte zum Beispiel eine Verbindung zwischen Alpträumen und der nächtlichen Himmelsbeobachtung fest. Was nicht bedeutet, dass das eine die Ursache des anderen ist. Aber vielleicht gibt es eine gemeinsame Grundlage; irgendwas, was mit dem Management unserer Gefühle zu tun hat. In einer weiteren Forschungsarbeit konnte Kelly eine Verbindung von Noctcaelador mit Versunkenheit beziehungsweise Vertieftheit zeigen und schlug vor, dass man sich Noctcaelador als eine Art von hypnotischer Verbindung zum Nachthimmel vorstellen kann. Die Forschung legt nahe, dass die Beobachtung des Nachthimmels als eine Art ästhetischer komplexer, hynotischer Anreiz wirkt. Und für Menschen mit einer flexiblen, durchlässigen Psyche könnte das ein sicheren Ankerpunkt sein. Die vertiefte Interaktion mit dem Nachthimmel ist ein Weg, um die Psyche zu regulieren, für bestimmte Menschen zumindest. Denn die Forschung zeigt auch, dass Beobachtung des Nachthimmels eine positive Stimmung fördert und den wahrgenommenen Stress verringert. Und bei Menschen, bei denen das so ist, ist es verständlich, dass sie eine intensive Verbindung zum Nachthimmel entwickeln die stabiler ist, als bei anderen psychologischen Anreizen.

    Nicht alle Menschen entwicklen Noctcaelador, die bisherige Forschung zeigt, dass das vor allem die betrifft, deren Psyche gewissermaßen dünnere Grenzen hat und die in der Lage sind, hypnotische Effekte intensiver erfahren zu können. Menschen, die Noctcaelador erleben haben auch eine größere Ambiguitätstoleranz; können also Unsicherheiten und Mehrdeutigkeit besser ertragen; sie sind tendenziell kreativer als andere und besser darin, Probleme zu lösen.

    Das bedeutet natürlich nicht, dass man auch völlig unabhängig dieses speziellen psychologischen Effekts den Nachthimmel mit Gewinn betrachten und schön finden kann. 2024 haben Christopher Barnes und Holli-Anne Passmore von den Unis in Derby und Edmonton den Night Sky Connectedness Index entwickelt, um die Verbindung der Menschen zum Nachthimmel unabhängig von psychologischen Einstellungen zu messen. Aber auch sie haben in ihren Daten gesehen, dass Menschen, die eine starke Verbindung zum Nachthimmel haben, eher mental stabiler und glücklicher sind. Und dass Menschen, die dort leben, wo der Nachthimmel wegen der Lichtverschmutzung schlecht zu sehen ist, eine geringere Verbindung zum nächtlichen Himmel haben.

    Psychologische Forschung ist schwierig; wir Menschen sind so viel komplizierter als ein Stern. Vielleicht ist das Phänomen des Noctcaelador auch nicht so relevant, wie William Kelly gedacht hat. Aber es ist auf jeden Fall klar, dass es vielen Menschen gut tut, den Sternenhimmel zu beobachten. Das sollte Grund genug sein, uns dafür einzusetzen, dass wir den faszinierenden Anblick des sternenübersäten Nachthimmels auch in Zukunft noch genießen können.

    21 June 2024, 5:00 am
  • 10 minutes 14 seconds
    Sternengeschichten Folge 603: Genesis und der Sternenstaub
    Erfolgreicher Fehlschlag mit gewaltigem Einschlag

    Sternengeschichten Folge 603: Genesis und der Sternenstaub

    Die Geschichte von Genesis beginnt am 8. August 2001. Und in Wahrheit beginnt sie natürlich schon viel früher. Nicht weil mit "Genesis" das erste Buch der Bibel gemeint ist, das tatsächlich mit der Schöpfung der Welt beginnt, sondern weil ich heute von der Raumsonde "Genesis" erzählen möchte, die zwar am 8. August 2001 vom Cape Canaveral mit einer Delta-II-Rakete ins All geflogen ist, aber natürlich nicht an diesem Zeitpunkt begonnen hat zu existieren.

    Genesis ist Teil des Discovery-Programms der NASA. Das wurde 1990 gestartet, um, wie es der damalige NASA-Chef Daniel Goldin gesagt hat, "schnellere, bessere und billigere" Missionen zur Erforschung des Sonnensystems zu realisieren. "Genesis" war die fünfte Mission des Discovery-Programms und ihr Ziel war die Erforschung des Sonnenwindes. Ich habe in den Sternengeschichten schon oft davon erzählt, dass die Sonne ja nicht nur Licht oder besser gesagt, elektromagnetische Strahlung ins All sendet, sondern auch einen stetigen Strom aus geladenen Teilchen. Und das sind gar nicht mal so wenig Teilchen: Die Sonne verliert durch diesen Sonnenwind circa eine Million Tonnen ihrer Masse und das in jeder Sekunde. In den äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre, der Korona, über die ich in Folge 134 ausführlich gesprochen habe, sind die Temperaturen enorm hoch und die Teilchen bewegen sich entsprechend schnell. Ein paar davon sind so schnell, dass sie die Anziehungskraft der Sonne überwinden können und sie sind es, die den Sonnenwind bilden. Da die Sonne im Wesentlichen aus Wasserstoff und Helium besteht, muss auch der Sonnenwind aus Wasserstoff und Helium bestehen. Der Wasserstoff ist aber ionisiert, das heißt das Elektron, das die Hülle eines Wasserstoffatoms bildet ist von dem Proton, das den Wasserstoffatomkern darstellt, getrennt. Und auch das Helium ist in Elektronen und Heliumatomkerne (die auch Alpha-Teilchen genannt werden) aufgespalten.

    Der Sonnenwind besteht also aus Elektronen, aus Protonen und aus Alpha-Teilchen. Und wenn das schon alles wäre, dann wäre die Sache nicht wahnsinnig interessiert. Aber die Sonne besteht eben nicht nur aus Wasserstoff und Helium. Sie enthält auch andere chemische Elemente, in sehr geringen Mengen zwar, aber auch sie tragen einen kleinen Teil zum Sonnenwind bei. Und das wollen wir dann schon ein bisschen genauer wissen. Wenn wir die Zusammensetzung des Sonnenwinds messen, dann verstehen wir auch besser, was im Inneren der Sonne passiert; wie sie entstanden ist, wie sie sich entwickelt, was da alles tief unter ihrer Oberfläche abläuft, und so weiter. Nur: Wie misst man den Sonnenwind?

    Es handelt sich ja um elektrisch geladene Teilchen und die werden vom Magnetfeld der Erde und auch von ihrer Atmosphäre abgehalten. Das ist gut so, weil das für uns unter Umständen ein wenig unangenehm werden könnte, wenn wir einem ständigen Bombardement dieser kosmischen Strahlung ausgesetzt wären. Aber es ist ein wenig doof für die Astronomie. Wenn wir den Sonnenwind direkt messen wollen, müssen wir ins Weltall. Und da sind wir ja auch hin. Diverse Raumsonde haben immer wieder den Sonnenwind erforscht; die Apollo-Missionen haben auf der Oberfläche des Mondes entsprechende Experimente aufgebaut. Aber im Weltall sind unsere Forschungsmöglichkeiten zwangsläufig immer eingeschränkt. Deswegen hat man sich gedacht: Wir holen uns einfach ein bisschen Sonnenwind auf die Erde, damit wir das dort in unseren Labors so ausführlich wie möglich erforschen können.

    Genau das war das Ziel der Genesis-Mission. Die Raumsonde hatte zuerst einmal die üblichen Instrumente an Bord, mit denen man Sonnenwind erforschen kann. Es gab Detektoren, die die Geschwindigkeit, Dichte, Temperatur und Energie der Sonnenwindpartikel messen konnten. Es gab aber nicht nur Detektoren sondern auch Kollektoren. In ihnen sollte der Sonnenwind nicht nur gemessen werden, sondern gesammelt. Teilchen des Sonnenwinds konnten auf die Kollektoren auftreffen und dort dann - vereinfacht gesagt - stecken bleiben. In einer speziellen Kapsel sollten sie zurück zur Erde gebracht und dort dann wieder rausgeholt und erforscht werden.

    So etwas ist natürlich nicht leicht zu bauen; die Kollektoren müssen extrem rein sein, damit man auch nur das findet, was man finden will und nichts, was man schon von der Erde mitgebracht hat. Aber so etwas konnte man bauen und so etwas hat man gebaut. Und am 8. August 2001 ins All geschickt. Genesis musste aber noch knapp 3 Monate lang fliegen, bis sie an ihrem Bestimmungsort angekommen war: Dem Lagrange-Punkt L1. Das ist ein Punkt auf der Verbindungslinie zwischen Erde und Sonne; vereinfacht gesagt der Punkt, an dem sich die Kräfte die von Sonne und Erde wirken gerade gegenseitig aufheben. Diesen Punkt begann Genesis am 16. November 2001 zu umkreisen. Am 3. Dezember öffnete die Sonde ihre Kollektoren und hat angefangen, Teilchen des Sonnenwinds zu sammeln. Das hat bis zum 1. April 2004 gedauert. In den Kollektoren waren jetzt - hoffentlich! - jede Menge Partikel des Sonnenwinds. Aber sie musste ja noch zurück zur Erde…

    Das war am 8. September 2004 geplant. Das hat auch am 8. September 2004 stattgefunden. Aber leider nicht so, wie es geplant gewesen wäre. Der Sammelbehälter mit den Proben wurde so auf den Weg gebracht, dass er über der Wüste bei Salt Lake City runter kommt. Dabei wollte man besonders sorgfältig sein. Eine simple Landung mit Fallschirm wäre vielleicht immer noch zu heftig gewesen. Deswegen sah der Plan so aus: 33 Kilometer über dem Boden sollte ein Bremsschirm entfaltet werden um die Kapsel abzubremsen. Wenn sie dann nur noch 6,7 Kilometer vom Boden entfernt ist, würde man einen großen Fallschirm einsetzen, um sie noch langsamer zu machen und ihre Flugbahn zu stabilisieren. Und dann würde man einen Helikopter schicken, der die Kapsel mit einem langen Haken einfängt, noch bevor sie den Boden berühren kann.

    Ein guter Plan. Das Problem: Die Fallschirme wurden nicht ausgelöst. Die Sonde raste, nur gebremst durch den Luftwiderstand, auf den Wüstenboden zu, wo sie mit einer Geschwindigkeit von circa 310 Kilometer pro Stunde definitiv eingeschlagen und nicht gelandet ist. Sieht man sich Bilder der halb im Boden eingegrabenen Kapsel an, kann man die Wucht nachvollziehen. Die Kapsel ist dabei auch aufgebrochen und auch Teile der Probenbehälter sind beschädigt worden.

    Definitiv nicht das, was man sich erhofft hatte. Und noch dazu verursacht durch einen sehr vermeidbaren Fehler. Der Beschleunigsmesser, der den Fallschirm auslösen sollte, war verkehrt herum eingebaut worden… Und ein Fun Fact am Rande: Das berühmte "Murphys Law", das besagt "Alles, was schief gehen kann, wird auch schiefgehen", geht auf den Ingenieur Edward Murphy zurück, der es 1949 aufgestellt hatte, als man bei einem Test der US Air Force sämtliche - jawoll! - Beschleunigungsmesser falsch herum eingebaut hatte.

    Aber so schlimm die zertrümmerte Sonde am Wüstenboden von Utah auch ausgesehen hat: Es war nicht alles verloren. Ein paar der Kollektoren war überraschenderweise ganz geblieben. Und konnten in den Labors untersucht werden. Es war nur eine sehr geringe Menge an Sonnenwindpartikeln gesammelt worden, nur drei bis vier Mikrogramm. Aber die haben uns einiges verraten. Wir haben zum Beispiel Neon und Argon gefunden, in ziemlich der gleichen Menge wie wir sie auch in Proben aus Mondgestein nachgewiesen haben. Die Steine vom Mond waren 100 Millionen Jahre alt und das heißt: Zumindest in den letzten 100 Millionen Jahren hat sich die Zusammensetzung des Sonnenwinds kaum geändert.

    Ein besonderes Ziel war es von Anfang an, im Sonnenwind auch Sauerstoff-Atomkerne nachweisen zu können. Sauerstoff haben wir nämlich auch im Gestein der Erde, des Mondes, des Mars und in Meteoriten gefunden. Im Sonnenwind war aber mehr Sauerstoff als bei Erde, Mond, Mars und Meteoriten. Das ist überraschend, denn die Sonne und die anderen Himmelskörper sind ja aus der selben Wolke an kosmischen Gas und Staub entstanden. Zuerst die Sonne, die dann von einer Scheibe aus Material umgeben war, aus der sich die Planeten gebildet haben. Aber die relativen Mengen der Elemente sollten trotzdem gleich sein. Dass es nicht so ist bedeutet, dass zwischen der Entstehung der Sonne und der der Planeten irgendwas passiert ist, was dazu geführt hat, dass sich die Menge an Sauerstoff verringert hat.

    Auch wenn Genesis nicht so gelaufen ist, wie es geplant war: Am Ende haben wir trotzdem noch etwas gelernt, was wir vorher nicht gewusst haben. Und darauf kommt es an. Trotz der alles anderen als sanften Landung hat Genesis am Ende so gut wie alle vorab gesetzten wissenschaftlichen Ziele erfüllt.

    14 June 2024, 5:00 am
  • 12 minutes 28 seconds
    Sternengeschichten Folge 602: Flackersterne und außerirdisches Leben
    Kleine und gemeine Sterne!

    Sternengeschichten Folge 602: Flackersterne und außerirdisches Leben

    Sterne flackern. Wenn wir nachts zum Himmel schauen, dann sehen wir die hellen Punkte der Sterne so gut wie nie konstant leuchten, sondern immer ein bisschen flackern. Das liegt aber an der Bewegung der Luft in der Erdatmosphäre, die das Sternenlicht ganz leicht ablenkt, weswegen die Sterne ein kleines bisschen hin und her zu springen scheinen. Wenn wir flackernde Sterne sehen, hat das nichts mit den Sternen selbst zu tun. Es sei denn, es handelt sich um "Flackersterne". Das ist deutsche Übersetzung des Fachbegriffs "flare star", wie diese Gruppe von Sternen normalerweise genannt werden. Oder auch "UV-Ceti-Sterne" und deswegen werfen wir zu Beginn einen kurzen Blick auf den Namensgeber, den Stern UV Ceti selbst.

    UV Ceti befindet sich im Sternbild Walfisch und ist ohne optische Hilfsmittel nicht zu sehen. Er treibt sich dort auch nicht alleine im Weltall herum, sondern ist Teil eines Doppelsternsystems. Das trägt den offiziellen Namen Gliese 65 oder Luyten 726-8. Und damit wir die ganze Sache mit den Namen gleich vom Tisch haben, erwähne ich auch noch, dass dieser Stern das erste Mal im Jahr 1948 in einem Katalog aufgetaucht ist, den der niederländische Astronom Wilhelm Luyten erstellt hat, als er auf der Suche nach Sternen war, die sich vergleichsweise schnell bewegen. Er wies seine Kollegen auf einen der Sterne hin - den mit der Katalognummer 726-8 - damit die den ein wenig genauer ansehen. Das haben Alfred Harrison Joy und Milton Humason mit dem großen Teleskop an der Mount-Wilson-Sternwarte ebenfalls noch 1948 erledigt und gleich einmal festgestellt, dass es sich dabei nicht um einen sondern um zwei Sterne handelt. Heute wissen wir, dass es sich bei beiden Komponenten dieses Doppelsternsystems um rote Zwergsterne handelt, mit jeweils einem Zehntel der Sonnenmasse und beide leuchten circa hunderttausend Mal schwächer als die Sonne. Das wir sie dennoch halbwegs gut mit dem Teleskop beobachten können liegt daran, dass sie uns mit einer Distanz von knapp 9 Lichtjahren recht nahe sind. Joy und Humason stellten bei ihren Beobachtungen auch fest, dass sich die Helligkeit dieser Sterne ändert, und deswegen haben sie die typische Bezeichnung für solche variablen Sterne bekommen, die aus einer Buchstabenkombination und dem Namen des Sternbilds besteht: UV Ceti und BL Ceti.

    So, und jetzt wo wir mit den Namen durch sind, schauen wir uns an, was an ihnen und ganz besonders an UV Ceti so bedeutend ist, dass man gleich eine ganze Gruppe von Sternen so benannt hat. Sterne, die ihre Helligkeit ändern gibt es jede Menge; ich habe darüber schon in früheren Folgen der Sternengeschichten berichtet und es gibt jede Menge Gründe, warum Sterne das tun. Die Flaresterne beziehungsweise die UV-Ceti-Sterne sind aber eine ganz besondere Gruppe. Oder eigentlich auch nicht. Das, was dort passiert, passiert auch bei unserer Sonne. Wir wissen ja, dass es dort immer wieder Sonneneruptionen gibt. Die Sonne schleudert Material aus ihrer Atmosphäre hinaus ins All und so etwas nennt man "Flare". Und bei Flaresternen passiert genau das, nur sehr viel heftiger.

    Wir müssen uns also die Flares ein wenig genauer ansehen und wir tun das vorerst mal bei der Sonne. Die äußeren Schichten der Sonne sind durchsetzt von Magnetfeldern, die von der Bewegung der ganzen elektrisch geladenen Teilchen stammen, die sich dort befinden. Die Sonne ist so heiß, dass die elektrisch negativ geladenen Elektronen aus den Hüllen der Atome nicht mehr an den elektrisch positiv geladenen Atomkern gebunden sind. Dieses heiße Plasma bewegt sich und erzeugt Magnetfelder, die wiederum die Bewegung des Plasmas beeinflussen. Es geht also wild zu und ab und zu können sich die Magnetfelder neu arrangieren und dabei Energie abgeben. Ander gesagt: Es gibt immer wieder so etwas wie gewaltige Kurzschlüsse bei denen jede Menge Energie frei wird, die dann das Plasma noch mal extra aufheizt. Das führt einerseits dazu, dass Material aus der Sonnenatmosphäre ins All geschleudert wird. Und andererseits aber auch dazu, dass das extrem aufgeheizte Plasma hell leuchtet.

    Während eines Flares wird ein Stern also ein wenig heller. Die Sonne ist allerdings ein vergleichsweise großer Stern und ihre Gesamthelligkeit wird durch die Flares die ab und zu stattfinden, nicht dramatisch verändert. Bei den Flaresternen ist es anders. Dabei handelt es sich üblicherweise um rote Zwerge, also Sterne, die sehr viel weniger Masse haben als die Sonne und auch kleiner sind. Jetzt könnte man meinen, dass kleinere Sterne auch nicht so große Flares produzieren können. Tatsächlich ist es aber genau andersherum. Die Stärke der Flares wird von der Stärke des Magnetfeldes bestimmt und rote Zwerge können enorm starke Magnetfelder haben, gerade weil sie so klein sind.

    In Sternen wie der Sonne gibt es, sehr grob eingeteilt, zwei unterschiedliche Zonen. Ganz im Inneren findet die Kernfusion statt und die dabei freiwerdende Energie wird in Form von Strahlung nach außen transportiert. Die Strahlung wird aber durch die Wechselwirkung mit der dichten Materie im Sonneninneren immer wieder abgelenkt, sie verliert Energie und irgendwann kommt sie - vereinfacht gesagt - nicht mehr vorwärts. Das ist dann der Punkt, an dem die Energie durch Konvektion weiter transportiert wird. Die Energie heizt das Plasma der Sonne auf, das heiße Plasma steigt an die Oberfläche, kühlt dort ab und sinkt wieder nach unten. Das ist der gleiche Prozess, der auch in einem Topf voll kochendem Wasser stattfindet und der Grund, warum das Wasser brodelt. In der Sonne gibt es also eine Strahlungszone innen und weiter außen eine Konvektionszone. Und die Bewegung des Plasmas durch die Konvektion ist es auch, die zu einem großen Teil für die Stärke des Magnetfeldes verantwortlich ist.

    Bei Roten Zwergsternen ist das anders. Sie sind kühler und es gibt in ihrem Inneren quasi keine Strahlungszone. Die Energie wird direkt aus dem Kern per Konvektion transportiert oder anders gesagt: Der ganze Stern ist eine Konvektionszone; seine gesamte Masse wird quasi ständig durchgerührt. Durch diese großflächigen Bewegungen kann das Magnetfeld verstärkt werden, das ist wie beim Fahrraddynamo. Na ja, fast wie beim Fahrraddynamo. Eigentlich gar nicht wie beim Fahrraddynamo. Aber das Phänomen nennt sich trotzdem "Dynamo-Effekt", und beschreibt die Entstehung von Magnetfeldern, wenn man elektrisch leitfähiges Plasma hat und einen Stern, der schnell rotiert. Die Details sind nicht unkompliziert, drum lasse ich sie jetzt auch aus. Aber kurz gesagt: Je großflächiger die Bewegung des Plasmas durch die Konvektion ist und je schneller ein Stern rotiert, desto stärker das Magnetfeld.

    Wir wissen, dass rote Zwerge eine starke Konvektion haben. Und wenn es sich um junge rote Zwerge handelt, dann ist auch die Chance groß, dass sie schnell rotieren. Denn junge Sterne rotieren im Allgemeinen schneller als alte. Im Laufe der Zeit verliert ein Stern ein wenig seiner Rotationsenergie, zum Beispiel durch die ganze Materie, die er bei Flares ins All schleudert. Oder durch die Wechselwirkung mit seinem eigenen Magnetfeld, was man sich wie eine magnetische Bremse vorstellen kann.

    Also: Rote Zwerge die jung sind, haben besonders starke Magnetfelder und dadurch auch besonders starke Flares. Und "stark" heißt hier auch wirklich stark. Das, was Alfred Harrison Joy und Milton Humason 1948 bei UV Ceti beobachtet haben, war wirklich gewaltig. Daten, die innerhalb weniger Tage aufgenommen wurde, haben einen Anstiegt der Temperatur des Sterns um 10.000 Grad gezeigt und seine Helligkeit ist um vier Größenklassen gestiegen, also um fast das 40fache.

    Wir können froh sein, dass unsere Sonne halbwegs ruhig ist. Ok, ab und zu gibt es größere Ausbrüche, aber im großen und ganzen verhält sie sich friedlich. Auf Flaresternen geht es dagegen richtig rund. Es gibt ständig Ausbrüche, die viel gewaltiger sind als bei uns. Und das hat Konsequenzen. Wenn das Material, das bei den Flares ins All geschleudert wird, auf einen Planeten trifft, kann es dort geomagnetische Stürme geben. Was vorerst nur dann ein Problem ist, wenn es auf dem Planeten auch eine elektrische Infrastruktur gibt, die dadurch geschädigt werden kann. Aber wenn das geladene Zeug eines Sterns auf das Magnetfeld eines Planeten trifft, kann das dadurch verändert und abgeschwächt werden. Und dann kann viel mehr Strahlung auf die Oberfläche treffen, was an sich schon nicht gut ist und noch blöder bei einem Stern, der dazu neigt, unvorhersagbar seine Helligkeit und damit auch das Ausmaß der gefährlicheren Strahlungsarten, wie UV- oder Röntgenstrahlung, zu erhöhen. Im schlimmsten Fall kann die Strahlung die Atmosphäre eines Planeten komplett wegpusten. Oder anders gesagt: Planeten in der Nähe von Flaresternen sind keine guten Orte für Leben.

    Ein weiteres Problem: Flaresterne sind, wie ich vorhin erzählt habe, vor allem klein und kühl. Das heißt, ein Planet, der ausreichend viel Wärme abkriegen will, damit dort Leben existieren könnte, müsste so einem Stern auch sehr nahe sein und damit voll in der Gefahrenzone. Rote Zwergsterne sind außerdem noch bei weitem die häufigste Klasse von Sternen im Universum. Ungefähr drei Viertel aller Sterne sind rote Zwergsterne; Sterne wie unsere Sonne machen nur circa 6 Prozent aus.

    Wir leben also in einem Universum, wo gerade die häufigsten Sterne die Art von Sternen sind, die dazu neigen, Planeten in ihrer Nähe durch Flares quasi zu grillen und Leben unmöglich zu machen. Aber vielleicht ist die Lage doch nicht so düster. 2020 haben Forscherinnen und Forscher sich - in Computermodellen - die Atmosphären von Planeten in der Nähe von Flaresternen angesehen und mit denen von Planeten bei normalen Sternen verglichen. Der Einfluss der Flares hat natürlich auch die chemische Zusammensetzung der Atmosphären verändert. Die Arbeit hat nichts an der Erkenntnis geändert, das Leben auf Planeten bei Flaresternen einen schweren Stand hat. Aber dort, wo es vielleicht gelernt hat, mit den harten Bedingungen klar zu kommen, können Flares die Chemie der Atmosphäre so verändern, dass wir es von der Erde aus mit unseren Instrumenten leichter nachweisen können.

    Das macht zumindest noch ein klein wenig Hoffnung. Immerhin ist der uns nächstgelegene Planet eines anderen Sterns ein Planet, der Proxima Centauri umkreist. Dieser 4 Lichtjahre entfernte Stern hat mindestens 2 und vielleicht sogar drei Planeten und einer davon wäre sogar im richtigen Abstand für lebensfreundliche Bedingungen. Proxima Centauri ist allerdings ein roter Zwerg und Flarestern. Ob es dort tatsächlich Leben geben kann und vielleicht sogar Leben gibt, werden wir aber wohl erst wissen, wenn wir Flaresterne besser verstanden - und eine Raumsonde zu unserem Nachbarn im All geschickt haben.

    7 June 2024, 5:00 am
  • 10 minutes 34 seconds
    Sternengeschichten Folge 601: Wasser im Universum
    Wie feucht ist der Kosmos?

    Sternengeschichten Folge 601: Wasser im Universum

    Wasser! Ohne Wasser würde es auf der Erde kein Leben geben. Wasser ist absolut notwendig für uns. Die Wissenschaft diskutiert seit Jahrzehnten, ob auf dem Mars Wasser nachgewiesen werden konnte, oder nicht oder ob es heute noch dort zu finden ist. Oder ob es Wasser auf dem Mond gibt. Wasser ist wichtig. Und man könnte auf die Idee kommen, Wasser wäre selten. Wieso würden wir sonst so ein Theater darum machen? Tatsächlich ist Wasser im Universum enorm häufig. Und deswegen schauen wir uns heute mal an, wo man das Wasser überall finden kann.

    Fangen wir mit den Grundlagen an. Wasser gehört zu den wenigen Stoffen, bei dem so gut wie alle Menschen auch die zugehörige chemische Formel kennen: H2O. Und dieses "H2O" sagt uns auch gleich, warum Wasser alles andere als selten ist. "H2O", das bedeutet, dass ein Wassermolekül aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff besteht. Und wenn es etwas im Universum in wirklich großen Mengen gibt, dann Wasserstoff! Wasserstoff ist das häufigste Element; ungefährt zwei Drittel aller Atome im Universum sind Wasserstoffatome. Wasserstoff ist direkt nach dem Urknall entstanden; es ist das einfachste Atom das es gibt. Aber wir brauchen ja auch noch Sauerstoff. Den gab es nach dem Urknall noch nicht. Damals hat es nur für Wasserstoff und Helium gereicht. Alle anderen Elemente, all die vielen anderen Arten von Atomen, die gab es noch nicht. Die wurden erst später, durch Kernfusion im Inneren der ersten Sterne produziert. Und Sauerstoff ist durch Kernfusion relativ einfach zu bekommen. Dazu muss man nur Helium-Atome miteinander fusionieren. Ok, das "nur" ist auch ein wenig übertrieben. Normalerweise fusionieren Sterne in ihrem Inneren Wasserstoff zu Helium. Erst in den letzten Phasen ihres Leben finden auch andere Kernreaktionen in nennenswerter Menge statt. Aber die Produktion von Sauerstoff ist da einer der wichtigsten Prozesse und deswegen ist Sauerstoff auch das dritthäufigste Elemente im Universum.

    Jetzt müssen nur noch zwei Wasserstoffatome ein Sauerstoffatom finden, sich miteinander verbinden und fertig ist das Wasser. Netterweise verbinden sich Wasserstoff und Sauerstoff aber sehr gerne und leicht miteinander und im Weltall haben sie oft genug Gelegenheit dazu, das zu tun. Zum Beispiel in den großen Molekülwolken, die sich überall zwischen den Sternen finden. Die bestehen natürlich hauptsächlich aus Wasserstoff, aber sterbende Sterne in der Umgebung haben durch ihren Sternwind und ihre Supernova-Explosionen jede Menge andere Atome und natürlich auch Sauerstoff durch die Gegend verteilt. In diesen Wolken können sich also Wassermoleküle bilden und wenn da auch noch ein paar Staubteilchen rumfliegen, geht es noch einfacher. Dann können sich verschiedenste Atome an der Oberfläche des Staubs anlagern und dort miteinander reagieren.

    Wir halten also fest: Wasser gibt es im Universum jede Menge. Aber bei diesem "Wasser" ist eben erstmal nur das Molekül selbst gemeint. Damit ist noch nichts über den Aggregatzustand des Wassers gesagt, also ob das Wasser fest, flüssig oder gasförmig ist. Als ich zu Beginn über die Bedeutung des Wassers für das Leben gesprochen habe, ging es natürlich um flüssiges Wasser. Mit Eis oder Wasserdampf können wir Lebewesen nicht viel anfangen; wir brauchen es als Flüssigkeit. Aber lassen wir diese Unterscheidung vorerst mal beiseite und schauen wir uns an, wo wir überall Wasser finden können. Und es ist klar, dass das nur ein grober Überblick sein kann, immerhin ist das Universum ziemlich groß.

    Fangen wir mit dem Sonnensystem an. Hier gibt es jede Menge Wasser und zwar fast ausschließlich in fester Form. Wassereis ist häufig, zum Beispiel in Asteroiden und Kometen. All die Himmelskörper, die sich ausreichend weit von der Sonne entfernt gebildet haben, enthalten jede Menge Eis. "Ausreichend weit" ist so circa 2 bis 3 Mal weiter von der Sonne weg als die Erde. Dort sind aber noch jede Menge Asteroiden. Dort sind die Billionen von Kometen. Dort sind Planeten wie Uranus und Neptun, die nicht umsonst "Eisriesen" genannt werden. Dort sind ihre Monde und die Monde von Jupiter und Saturn. Wir wissen, das die Jupitermonde Europa, Ganymed und Kallisto von dicken Eispanzern umgeben sind, ebenso der Saturnmond Enceladus, der Neptunmond Triton, und viele andere Monde. Die Ringe des Saturns bestehen aus Wassereisbrocken; die Kometen auch zu einem großen Teil. Wir finden Wassereis an den Polkappen des Mars und vermutlich auch unter seiner Oberfläche. Auf dem Mond der Erde dürfte es auch Eis geben und selbst auf dem sonnennahen Merkur hat man Eis in einigen tiefen Kratern gefunden, in deren Inneres das Sonnenlicht nie fällt.

    Auf der Erde gibt es natürlich auch Eis, aber auch jede Menge flüssiges Wasser. Wir wissen, das es auf dem Mars früher jede Menge flüssiges Wasser gegeben hat. Ob heute noch etwas davon übrig ist, ist nicht ganz klar. Wenn, dann ist es irgendwo unter der Oberfläche gefroren und kann nur unter speziellen Umständen kurzfristig an der Oberfläche austreten. Flüssiges Wasser befindet sich mit Sicherheit unter der dicken Eiskruste des Jupitermonds Europa und auch beim Saturnmond Enceladus. Wahrscheinlich auch bei anderen Monden wie Ganymed, Titan, Kallisto, Dione, Titania oder Triton.

    Wo kommt das Wasser des Sonnensystems her? Es stammt aus den großen Wolken, aus denen Sterne und Planetensysteme entstehen; den Wolken, von denen ich vorhin gesprochen habe, als ich erklärt habe, wo und wie sich Wassermoleküle bilden. Und diese Wolken gibt es heute natürlich auch noch. Überall in der Milchstraße finden wir solche Regionen und wir finden auch protoplanetare Scheiben. Das ist das, was sich um einen frisch entstandenen Stern herum bildet und aus dem später Planeten entstehen. Weit genug vom Stern entfernt können sich dort Wassereispartikel bilden und mit dem ganzen Staub herumwirbeln. Und genau deswegen entstehen in den äußeren Regionen von Planetensystemen auch Himmelskörper, die viel Eis enthalten. Aus den Eispartikeln kann das Wasser auch in Form von Wasserdampf aussublimieren. Schmelzen kann Eis im Vakuum des Weltalls natürlich nicht, dazu braucht es einen ausreichend hohen Luftdruck. Aber das Eis kann direkt gasförmig werden und genau das tut es. Deswegen gibt es dort überall Wasserdampf und den können wir nachweisen, wenn wir das Licht untersuchen, das von diesen Scheiben und Wolken zu uns reflektiert wird. Mit der selben Technik haben wir Wasserdampf auch schon in der Atmosphäre von Planeten anderer Sterne nachgewiesen; allerdings in Planeten die eher dem Jupiter oder dem Saturn ähnlich sind. Auch dort verteilen sich überall Wassermoleküle.

    Aber all das Wasser der gesamten Milchstraße ist nichts gegen das, was wir noch weiter entfernt gefunden haben. Im Jahr 2008 haben Forscherinnen und Forscher den Quasar mit der Bezeichnung APM 08279+5255 beobachtet, den ich im Folgenden nur noch APM nennen werde. Ein Quasar ist das helle Zentrum einer fernen Galaxie und es ist deswegen hell, weil dort ein supermassereiches schwarzes Loch sitzt. Seine Gravitationskraft lässt die ganze Materie in seiner Umgebung wild umherwirbeln, dabei heizt es sich auf und gibt Strahlung ab. Dieses Licht kann man analysieren und je nachdem, aus welchen Atomen oder Molekülen diese Materie besteht, wird man mehr oder weniger Licht bei ganz charakteristischen Wellenlängen sehen. Auch H2O hat so einen Fingerabdruck und den hat man im Jahr 2008 im Licht gesehen, das von APM bis zu uns gekommen ist. Dieses Licht war übrigens über 12 Milliarden Jahre unterwegs. Das bedeutet: Wir sehen den Quasar so, wie er knapp 2 Milliarden Jahre nach dem Urknall ausgesehen hat; wir schauen also tief in die Vergangenheit. Im Jahr 2011 konnte man dann auch die Menge an Wasserdampf messen, die dort existiert. 100.000 Sonnenmassen, ein paar Billionen Mal mehr Wasser als auf der Erde; circa 4000 mal mehr als in der gesamten Milchstraße. Dort befindet sich die größte Ansammlung an Wasser, die man bis dahin beobachtet hat.

    Die Strahlung aus der Umgebung des schwarzen Lochs heizt das Wasser auf, seine Temperatur beträgt circa -50 Grad Celsius. Immer noch viel zu wenig natürlich für flüssiges Wasser. Aber doch deutlich mehr, als man üblicherweise in solchen Wolken findet. Diese viele hunderte Lichtjahre große Wolke besteht natürlich auch nicht rein aus Wasserdampf. Aber aus dem Nachweis von Wassermolekülen kann man - mit noch ein bisschen mehr komplexer Wissenschaft - auch auf das Vorhandensein anderer Moleküle schließen und damit auf die gesamte Masse, die da um das schwarze Loch wabert. Abgesehen davon hat der Nachweis von Wasser beim Quasar APM auch gezeigt, dass Wasser schon wirklich früh im Universum vorhanden war. Wenn schon zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall so gewaltige Menge existiert haben, dann bestätigt das nur, dass Wasser leicht zu erzeugen und schwer kaputt zu kriegen ist.

    Aber eben nicht flüssiges Wasser. Außerhalb des Sonnensystems haben wir noch nirgendwo flüssiges Wasser gefunden und unsere Erde ist der einzige Ort, den wir kennen, auf dem es einen Wasserkreislauf gibt und wo Wasser sowohl fest, flüssig als auch gasförmig auftreten kann. Wasser ist im Universum völlig normal. Aber die Orte, wo dank Wasser auch Leben entstehen kann, sind es vermutlich nicht.

    31 May 2024, 5:00 am
  • 14 minutes 43 seconds
    Sternengeschichten Folge 600: Prä-Astronautik - Waren die Aliens schon zu Besuch auf der Erde?
    Wer hat die Pyramiden wirklich gebaut?!

    Sternengeschichten Folge 600: Prä-Astronautik - Waren die Aliens schon zu Besuch auf der Erde?

    "Es ist nicht auszuschließen, dass Artefakte dieser Besuche [von Aliens] heute noch existieren oder dass im Sonnensystem eine Art von Basis unterhalten wird, um weitere Forschung durchführen zu können."

    Die Person, die diesen Satz geschrieben hat, und die davon spricht, dass die Erde in der Vergangenheit Besuch von Außerirdischen bekommen haben könnte und wir die Spuren dieses Besuchs auch heute noch finden könnten, war kein komischer Spinner. Der Satz stammt aus einem wissenschaftlichen Aufsatz, der 1963 in der Fachzeitschrift "Planetary and Space Science" veröffentlicht worden ist und der Autor ist Carl Sagan, einer der bekanntesten und bedeutendsten Astronomen des 20. Jahrhunderts. Bevor wir aber nachsehen, was Sagan da noch alles geschrieben hat, ob er das ernst gemeint hat und was davon zu halten ist, gehen wir noch ein bisschen weiter in die Vergangenheit. In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die Prä-Astronautik, die auch gerne "Paläo-Seti" genannt wird. In dieser Disziplin beschäftigt man sich mit der Frage, ob in der fernen Vergangenheit der Erde vielleicht schon mal intelligente Außerirdische zu Besuch gekommen sind und ob sie dabei Spuren hinterlassen haben.

    Den ersten Teil der Frage kann man innerhalb gewisser Grenzen durchaus wissenschaftlich untersuchen. Man kann sich fragen, ob es intelligente Außerirdische geben kann, ob sie in der Lage wären, die Erde zu erreichen, wie wahrscheinlich das ist, und so weiter. Der zweite Teil der Frage führt uns dann aber aus der echten Wissenschaft hinaus und hinein in die Para- oder Pseudowissenschaft. Wenn wir irgendwelche antiken Bauwerke wie zum Beispiel die Pyramiden vermessen um daraus ableiten zu können, dass sie in Wahrheit von Aliens erbaut worden sind, dann setzen wir einen Forschungsgegenstand voraus, den wir durch die Forschung erst belegen wollen. Das ist im besten Fall Parawissenschaft, also eine Art von Suche nach Erkenntnis, die prinzipiell mit wissenschaftlichen Methoden arbeitet, aber außerhalb der Wissenschaft steht. Im schlechtesten und bei diesem Thema auch im häufigsten Fall, haben wir es aber mit Pseudowissenschaft zu tun, die nur so tut, als wäre sie Wissenschaft, es aber definitiv nicht ist.

    Wir lassen jetzt die Wissenschaftsphilosophie mal beiseite und schauen uns an, wer überhaupt auf die Idee gekommen ist, dass irgendwelche Aliens uns schon längst besucht haben könnten. Das ist eine Frage, die natürlich nicht so leicht zu beantworten ist, weil wir da schon mitten in der Prä-Astronautik selbst gelandet sind. Wenn man den eher kreativeren und unwissenschaftlicheren Vertretern dieser Disziplin folgt, dann sind quasi alle alten und antiken Texte voll mit Beschreibungen solcher Besuche. Wenn wir das vorerst mal ignorieren, dann kann man den Beginn der Prä-Astronautik im 19. und frühen 20. Jahrhundert ansetzen. Das war auch die Zeit, in der die ersten Science-Fiction-Geschichten im modernen Sinn veröffentlicht worden sind; in der Leute wie Jules Verne über Reisen ins All spekuliert haben und wenn man mal da angelangt ist, liegt die Idee auch nicht fern, dass irgendwelche Wesen von anderswo durchs All zu uns gelangt sind.

    Einer der ersten, der sich sehr konkret und nicht im Rahmen der Science Fiction darüber Gedanken gemacht hat, war der russische Mathematiker Mates Mendelevich Agrest. Er hat 1961 einen Artikel mit dem Titel "Kosmonauten der Antike" verfasst und darin schon viele der Themen vorweg genommen, die später in der Prä-Astronautik sehr populär werden sollten. Zum Beispiel die Idee, dass die Geschichte der Zerstörung von Sodom und Gomorrah aus der Bibel in Wahrheit eine Atombombenexplosion beschreibt, die von Aliens ausgelöst worden ist. Oder das die prähistorischen Ruinen von Baalbek, im heutigen Libanon, in Wahrheit Lande- und Startplätze für außerirdische Raumschiffe waren.

    Agrest ist heute eher unbekannt, deutlich bekannter ist dagegen Konstantin Ziolkowski. Er war einer der Begründer der modernen Raumfahrt und seine mathematischen Gleichungen zum Raketenflug werden auch heute noch verwendet. Etwas weniger bekannt ist, dass Ziolokowski auch sehr spezielle Vorstellungen davon hatte, was im Weltall alles so abgeht. Eine komplette Darstellung seiner "kosmischen Philosophie" würde zu weit führen, aber für Ziolkowski war das Universum so eine Art von lebendiges Wesen, voll mit lebendigen Himmelskörpern und lebendigen Atomen, und so weiter. Und auch voll mit übermenschlichen, übersinnlichen Aliens, mit Weltraum-Engeln, die die Gedanken der Menschen lesen und sie beeinflussen können, um ihnen so Botschaften zu schicken. Und natürlich war Ziolkowski selbst auch Empfänger der Alien-Engelsbotschaften und einer der Gründe, warum er die Menschheit so dringend ins All aufbrechen sehen wollte, war seine Überzeugung, dass wir uns dort dann selbst zu solchen Überwesen entwickeln können.

    Aber gut, lassen wir die Weltraumengel beiseite und schauen wieder auf die etwas handfesteren Behauptungen der Prä-Astronautik. Denn prinzipiell ist das, was Leute wie Mates Agrest behaupten, ja nicht unmöglich. Auch in den 1960er Jahren wussten wir schon, dass man Raketen ins All schießen kann und das es möglich ist, damit Menschen zu transportieren. Und wenn das geht, warum sollen dann weitere Reisen unmöglich sein? In den 1960er Jahren war es auch aus wissenschaftlicher Sicht nicht unplausibel, davon auszugehen, dass es andere Planeten bei anderen Sternen gibt und das dort ebenfalls Leben entstehen kann. Es ist also auch nicht unmöglich, dass irgendwelche Aliens auf die Idee kommen, Raumschiffe zu bauen und durch die Gegend zu fliegen. Und wenn sie dabei auf der Erde gelandet sind, haben sie vielleicht Spuren hinterlassen.

    Eine sehr originelle Idee dieser Art hatte 1960 der amerikanische Astronom Thomas Gold. Ihn kennt man heute vor allem für seine Zusammenarbeit mit dem englischen Astrophysiker Fred Hoyle und die daraus entstandene Steady-State-Kosmologie, eine Alternative zum Urknall-Modell, von der ich in Folge 491 mehr erzählt habe. In einem kurzen Aufsatz mit dem Titel "Kosmischer Müll" spekuliert Gold darüber, dass wir Menschen ja bald in der Lage sein werden, andere Himmelskörper im Sonnensystem zu besuchen. Und wenn wir das tun, dann könnten wir dabei auch Mikroorganismen von der Erde dorthin mitbringen. Also könnte es ja auch sein, dass vor ein paar Milliarden Jahren vielleicht Aliens die damals noch unbelebte Erde besucht haben. Und dabei ihre Mikroorganismen zurück gelassen haben. Ob das jetzt passiert ist, weil sie ihr Alien-Butterbrotpapier einfach weggeworfen haben, ob der Besuch bei der Erde vielleicht nur eine Pinkelpause mit entsprechenden Verunreinigungen war oder ob die Alien-Mikroorganismen anderweitig geliefert worden sind: Darüber sagt Gold nichts. Aber auch hier ist die These zumindest nicht unmöglich. Und aus diesen Mikroorganismen die die Aliens hier gelassen haben, ist dann das Leben auf der Erde und schließlich auch die Menschheit entstanden.

    Womit wir jetzt wieder bei Carl Sagan und dem Zitat vom Anfang sind. Carl Sagan verdient definitiv irgendwann mal eine eigene Folge der Sternengeschichten. Er war einer der führenden Planetologen seiner Zeit, ein Pionier der Astrobiologie; er hat bei fast allen wichtigen Raummissionen im 20. Jahrhundert mitgearbeitet, bei denen Mars, Venus und die anderen Planeten erforscht worden sind. Sagan war es, der die Idee hatte, die Pioneer- und Voyager-Sonden mit Botschaften auszustatten, die von etwaigen Aliens entschlüsselt werden können, wenn sie in ferner Zukunft gefunden werden sollten. Und Sagan hat sich offensichtlich auch viele Gedanken darüber gemacht, ob Aliens auch uns kontaktiert können oder schon kontaktiert haben. Der erste Fall ist das, was wir heute als SETI kennen, also Projekte, bei denen wir versuchen, Botschaften von Außerirdischen aus dem All zu empfangen und natürlich war es auch da wieder Sagan, der den Weg dafür bereitet hat. Der zweite Fall ist der, der die Prä-Astronautik interessiert und auch Carl Sagan interessiert hat, in dem zu Beginn erwähnten Fachartikel mit dem Titel "Direkter Kontakt zwischen galaktischen Zivilisationen durch relativistischen interstellaren Raumflug". Darin geht er davon aus, dass sich auch anderswo in der Milchstraße intelligentes Leben entwickelt hat. Und dass dieses intelligente Leben in der Lage war, interstellaren Raumflug zu betreiben. Dass das nicht unmöglich ist, belegt Sagan durch Hinweise auf entsprechende Antriebssysteme, die damals - und heute übrigens immer noch - nur in Theorie existiert haben, aber zumindest wissenschaftlich belegt zeigen, dass sich die großen Distanzen zwischen den Sternen zurücklegen lassen, in Zeiräumen, die kurz genug ist, um es auch Lebewesen zu erlauben, die Reise zu überleben. Ich lasse die Details jetzt weg; es geht um Raumschiffe, die den Treibstoff für die Reise unterwegs aus der interstellare Materie einsammeln und natürlich um die Effekte der Relativitätstheorie, durch die zwar aus der Sicht von außen sehr, sehr viel Zeit vergeht, für die Crew im sich sehr schnell bewegenden Raumschiff aber sehr viel weniger. Am Ende kommt Sagan jedenfalls zu dem Schluß, dass es zumindest nicht unmöglich ist.

    Danach schätzt er ab, wie viele solcher Zivilisationen es geben könnte, wie lange sie überleben, wie oft sie durch die Milchstraße fliegen, und so weiter, und kommt zu dem Ergebnis, dass - rein statistisch gesehen - die Erde im Laufe ihrer Existenz ein paar zehntausend Mal besucht werden hätte können. Die meisten dieser Besuche hätten natürlich stattgefunden, als noch kein Leben und schon gar keine Menschen existiert haben. Aber auch in der Frühgeschichte der Menschheit wären Alien-Besuche möglich gewesen und vielleicht gibt es da ja noch Spuren? Schriftliche Aufzeichnungen oder Überlieferungen sind laut Sagan aber keine gute Quellen; sie ändern sich zu schnell; werden mit mythologischen Elementen angereichert und am Ende weiß niemand, was da wirklich beschrieben wird oder ob es überhaupt einen realen Hintergrund gibt. Aber, und darauf bezieht sich das Zitat vom Anfang: Vielleicht haben sie Dinge hinterlassen, irgendwelche Alien-Geräte oder gar eine Basis, die automatisiert weitere Beobachtungen anstellt oder für zukünftige Besuche bereit steht. Auf der Erde selbst sollte man aber eher nicht danach suchen, die geologischen Vorgänge und die Verwitterung würden sowas im Laufe der Zeit zerstören beziehungsweise würden Menschen damit rumspielen, die das nicht sollen. Aber, so Sagan, der Mond und vor allem die von der Erde aus nicht sichtbare Rückseite des Mondes wäre ein guter Ort, um so etwas zu verstecken. Die - aus Sagans damaliger Sicht - bald stattfindenden Erforschung des Mondes wird uns zeigen, ob da was dran ist, oder nicht.

    Nun ja. Bis jetzt haben wir keine Alien-Basis auf dem Mond gefunden. Und auch keine Alien-Artefakte auf der Erde. Ich will mich auch gar nicht weiter mit Leuten wie Zecharia Sitchin oder Erich von Däniken beschäftigen, die die Prä-Astronautik ab den späten 1960er Jahren wirklich populär gemacht haben. Das, was da behauptet wird, hat mit Wissenschaft nicht einmal annähernd was zu tun. Es wäre müßig, jetzt der Reihe nach den ganzen Unsinn mit dem kolumbianischen Goldflugzeugen, den ägyptischen Glühbirnen, der Grabplatte von Palenque und all den anderen angeblichen "Beweisen" für die Existenz von antiken Alienastronauten durchzudiskutieren. Die echte Wissenschaft ist durchaus in der Lage diese Dinge ohne den Rückgriff auf Aliens zu erklären und die Fans der Prä-Astronautik werden so oder so nicht davon abrücken, überall Hinweise auf alte UFOs und Außerirdische zu sehen.

    Es ist durchaus verständlich, davon fasziniert zu sein. Und es IST nicht unmöglich, dass intelligente Aliens existieren, dass sie uns besuchen oder das sie uns in der Vergangenheit besucht haben. Aber man darf sich von der Faszination nicht den Blick auf die Realität verstellen lassen. Nur weil man sich wünscht, dass etwas wahr ist, wird es dadurch nicht wahr. Das, was Erich von Däniken und Co treiben, hat mit Wissenschaft oder auch nur mit dem seriösen Versuch der Erkenntnis nichts zu tun. Wenn man sich auf wissenschaftlicher Basis mit dem Thema beschäftigt, dann so, wie Carl Sagan es getan hat. Wir wissen sehr viel nicht, wir können bei vielen Dingen - wie etwa der Wahrscheinlichkeit, dass intelligentes Leben anderswo existiert oder wie lange so eine Zivilisation existiert - im Wesentlichen nur raten. Wir können heute ein kleines bisschen besser raten als es Sagan in den 1960er Jahren konnte, aber mehr als raten ist es eigentlich immer noch nicht. Und je nachdem wie optimistisch oder pessimistisch wir sein wollen, kommen wir dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Und dem muss man sich bewusst sein. Selbst der sehr optimistische Carl Sagan spricht immer nur von der rein statistischen Wahrscheinlichkeit, dass so ein Besuch nicht unmöglich ist. Aber beendet seinen Aufsatz dann wieder mit einem positiven Blick in die Zukunft. Wir werden, so Sagan, in den kommenden Jahrzehnten Botschaften ins All schicken können, die hunderte Lichtjahre weit reichen. Wenn so eine Botschaft von Aliens empfangen wird, dann könnte das für sie der Ausgangspunkt für eine gezielte interstellare Reise zur Erde sein. Das würde dann zwar noch ein paar hundert Jahre dauern, aber, so Sagan, "hoffentlich wird es dann immer noch eine florierende irdische Zivilisation geben, die die Besucher von den fernen Sternen begrüßen kann".

    24 May 2024, 5:00 am
  • 9 minutes 56 seconds
    Sternengeschichten Folge 599: Der lange kosmische Nachmittag
    Steht das Universum gerne früh auf?

    Sternengeschichten Folge 599: Der lange kosmische Nachmittag

    Es gibt Menschen, die ohne Probleme früh am Morgen aufstehen und am Vormittag richtig viel Spaß haben und produktiv sind. Und es gibt Menschen, die erst am Nachmittag so richtig munter werden. Aus kosmischer Sicht sind wir allerdings alle keine Morgenmenschen, denn den Vormittag des Universums haben wir schon lange verpasst und den Mittag genau so. Wir leben im langen kosmischen Nachmittag und dürfen leider auch nicht mit einer spannenden Party am Abend oder einem aufregenden Nachtleben rechnen.

    Aber bevor wir uns mit Abend und Nacht beschäftigen, schauen wir lieber mal, was es überhaupt bedeutet, wenn wir vom "kosmischen Nachmittag" oder dem "kosmischen Mittag" reden. Es geht dabei um die Entstehung von Sternen. Wir wissen, das Sterne nicht ewig existieren. Sie entstehen, sie existieren eine Zeit lang und dann verschwinden sie wieder. Die Details so eines Sternenlebens habe ich in verschiedenen Folgen der Sternengeschichten schon ausführlicher besprochen. Heute geht es um das große Gesamtbild. Wir schauen uns an, wie viele Sterne im Durchschnitt zu bestimmten Zeitpunkten im Universum entstanden sind.

    Der Anfang ist da noch vergleichsweise einfach. Vor 13,8 Milliarden Jahren, als das Universum entstanden ist, gab es noch überhaupt keine Sterne. Es gab jede Menge Wasserstoff und Helium, in gigantischen Wolken überall im Kosmos. Die Details lasse ich jetzt auch hier aus, aber aus diesen Wolken sind irgendwann die allerersten Sterne entstanden die sich in den allerersten Galaxien zusammengefunden haben. Die Frage ist jetzt: Wie geht es weiter?

    Zuerst aber ist die eigentliche Frage: Wie will man überhaupt herausfinden, wie viele Sterne entstanden sind, in der Vergangenheit? Das ist nicht einfach, aber es geht. Wir wissen ja, dass wir umso weiter in die Vergangenheit schauen, je länger das Licht, das wir beobachten, bis zu uns unterwegs ist. Wenn wir also Licht von Galaxien untersuchen, dass ein paar Milliarden Jahre durchs All geflogen ist, bis es auf unsere Teleskope trifft, dann sehen wir eine Galaxie, die ein paar Milliarden Jahre alt ist. Oder anders gesagt: Je weiter weg eine Galaxie ist, desto älter ist sie beziehungsweise desto kürzer nach dem Urknall ist sie entstanden. Die Entfernung lässt sich gut messen oder besser gesagt: Die Rotverschiebung des Lichts lässt sich gut messen. Wenn es um Distanzen von Milliarden Lichtjahren geht, ist es nicht mehr einfach oder eigentlich sogar unmöglich, eine eindeutige Entfernung anzugeben. Das Universum hat sich in der ganzen Zeit, in der sich das Licht durchs All bewegt hat, ja ausgedehnt, und das macht alles ein bisschen komplizierter. Aber eben weil sich das Universum ausgedehnt hat, hat sich auch die Frequenz des Lichts verändert. Durch die Expansion des Alls entfernen sich die Galaxien von uns und das streckt die Lichtwellen quasi, wodurch sie röter erscheinen, als sie es ursprünglich waren. Das Ausmaß dieser Rotverschiebung kann man messen und sie ist ein gutes Maß dafür, wie alt die Galaxie ist.

    Das ist alles noch vergleichsweise einfach; ein bisschen komplizierter wird es, wenn wir wissen wollen, wie viele Sterne in diesen Galaxien entstehen, deren rotverschobenes Licht wird beobachten. Wir müssen die Sternentstehungsrate bestimmen und dafür kann man zum Beispiel den Anteil des Ultravioletten-Lichts bestimmen. Junge Sterne sind heißer als alte Sterne, vor allem ihre Oberflächentemperatur ist hoch und deswegen leuchten sie hell-bläulich beziehungsweise im ultravioletten Licht. Erst wenn die Sterne älter werden, kühlt ihre Oberfläche ab und ihr Licht wird rötlicher. Wenn in einer Galaxie also gerade sehr viele Sterne entstehen, dann sollten wir auch sehr viel ultraviolettes Licht von ihr bekommen. Jetzt kann man natürlich einfach ein Ultraviolett-Teleskop nehmen und damit die Galaxien im Universum beobachten. Das ist auch genau das, was man tut - aber es ist ein wenig schwieriger, als man denken würde. Zuerst einmal wird das UV-Licht von der Atmosphäre der Erde zum größten Teil blockiert. Was super für uns ist, denn UV-Licht ist schädlich für unseren Körper. Das merken wir, wenn wir uns ungeschützt der Sonne aussetzen, denn dann sorgt der UV-Anteil des Sonnenlichts, der es doch durch die Atmosphäre geschafft hat dafür, dass wir einen Sonnenbrand bekommen. Aber wenn wir UV-Astronomie betreiben wollen, dann ist das mit der Erdatmosphäre blöd. Deswegen müssen wir die Teleskope ins Weltall schaffen. Was auch blöd ist, ist das, woraus die Sterne entstehen, wenn sie entstehen: Nämlich aus großen Wolken voll Gas und Staub. Denn die blockieren das UV-Licht, so wie es die Erdatmosphäre auch tut.

    Wir haben also folgende Situation: In einer Galaxie, in der viele neue Sterne entstehen, muss es viel Gas und Staub geben, aus denen Sterne entstehen können. Die jungen, neuen Sterne leuchten hell im UV-Licht, das wir messen wollen. Aber der Staub blockiert einen Teil des UV-Lichts, weswegen wir nicht genau messen können, wie viel da wirklich ist. Aber auch dafür gibt es eine Lösung. Denn wenn der Staub vom UV-Licht angeleuchtet wird, dann heizt er sich auf. Diese Wärme gibt er in Form von Infrarotstrahlung wieder ab. Wir müssen also die Galaxie zusätzlich noch im Infrarotlicht beobachten und können schauen, ob da mehr Infrarotlicht da ist, als man erwarten würde. Das kann man mit den UV-Beobachtungen kombinieren und mit jeder Menge Mathematik berechnen, wie viel UV-Licht da eigentlich wirklich kommen würde von der Galaxie. Es gibt noch ein paar andere Indikatoren für die Sternentstehungsrate in Galaxien, zum Beispiel die Strahlung, die Wasserstoff erzeugt, wenn er durch hochenergetische UV-Strahlung angeleuchtet wird. Wenn das Licht junger Sterne auf Wasserstoffwolken im interstellaren Raum trifft, können wir das mit dieser Technik also auch beobachten und nutzen, um auf die Sternentstehungsrate zu schließen.

    Das alles ist nicht wenig Arbeit, aber wenn man die ganzen Daten zusammenträgt, dann hat man jede Menge Galaxien überall im Universum für die man einerseits die Rotverschiebung kennt und andererseits ihre Sternentstehungsrate. Wenn man das jetzt in ein Diagramm einzeichnet, dann sieht man, wie sich die Sternentstehungsrate in Abhängigkeit von der Rotverschiebung verändert. Oder anders gesagt: Man sieht, wie sich die Sternentstehungsrate im Laufe der Zeit verändert hat.

    Die ersten, die so ein Diagramm erstellt haben, waren die Astronomen Piero Madau und Simon Lilly, plus jede Menge Kolleginnen und Kollegen, und zwar im Jahr 1996. Seitdem ist dieses Madau-Lilly-Diagramm, wie es mittlerweile genannt wird, immer wieder mit neuen Daten aktualisiert worden und wir haben ein recht gutes Bild bekommen. Wenig überraschend fängt die Kurve im Diagramm zuerst unten an und steigt dann nach oben. Was bedeutet: Wenn wir weit in die Vergangenheit des Universums blicken, waren da zuerst wenig neue Sterne in den Galaxien und dann sind es immer mehr geworden. Dieser erste Anstieg hat sich in den ersten zwei bis drei Milliarden Jahren nach dem Urknall abgespielt. Da war noch jede Menge Gas vorhanden - nach dem Urknall gab es ja nix anderes. Das Universum war auch noch kleiner als heute und die Galaxien sind öfter miteinander kollidiert und verschmolzen, was die ganzen Gaswolken durcheinander gewirbelt hat, was dazu geführt hat, dass die Wolken kollabiert und daraus neue Sterne entstanden sind. Diese erste Phase wird der "kosmische Vormittag" genannt oder die "kosmische Morgendämmerung", wenn man es etwas poetischer haben will. Auf jeden Fall scheint das Universum kein Problem mit viel Aktivität in der Frühzeit gehabt zu haben. Der Höhepunkt der Sternentstehung ist dann natürlich der "kosmische Mittag" und danach ist die Sternentstehungsrate wieder gesunken. Es war weniger Gas verfügbar als noch am kosmischen Morgen. Die Supernova-Explosionen der sterbenden Sterne haben viel Gas aus den Galaxien rausgepustet, genau so wie es die aktiven Galaxienkerne getan haben. Mittlerweile haben sich in den Galaxien ja die supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren gebildet; und das ganze Gas in den jungen Galaxien ist da rumgewirbelt und reingefallen. Bei diesem Rumwirbeln ist jede Menge hochenergetische Strahlung entstanden und die hat ebenfalls verhindert, dass sich große Gaswolken zu Sternen zusammenballen.

    Es sind immer noch neue Sterne entstanden, aber bei weitem nicht mehr so viele wie noch am kosmischen Vormittag. Die bis zum Mittag steil ansteigende Kurve nimmt am Nachmittag weniger steil ab. Der kosmische Nachmittag dauert deutlich länger als der Vormittag und es ist genau dieser Nachmittag, der unsere Gegenwart ist. Wir leben in einer Zeit, in der das Universum schon den Höhepunkt seiner Sternentstehung hinter sich hat. Oder anders gesagt: So hell wie es jetzt im Universum ist, wird es nicht mehr werden. Ab jetzt wird es immer dunkler, bis irgendwann alle Sterne entstanden sind, die entstehen können und die kosmische Nacht anbricht. Auf die dann leider kein neuer kosmischer Morgen mit einem neuen Anstieg der Sternentstehungsrate folgen wird. Der Nachmittag ist alles, was wir haben - also machen wir das beste daraus!

    17 May 2024, 5:00 am
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