Sternengeschichten

Florian Freistetter

Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie.

  • 10 minutes 39 seconds
    Sternengeschichten Folge 630: Das Lichtecho und die Supernova von Tycho Brahe
    Ein Bild aus der Vergangenheit

    Sternengeschichten Folge 630: Das Lichtecho und die Supernova von Tycho Brahe

    Im November 1572 ist im Sternbild Cassiopeia ein neuer Stern aufgetaucht. Er war so hell, dass er überall auf der Welt beobachtet werden konnte; heller als die anderen Sterne am Himmel. Der dänische Astronom Tycho Brahe, von dem ich in Folge 167 mehr erzählt habe, hat ihn auch gesehen und alle möglichen Beobachtungsdaten zusammengetragen. Er konnte zwar nicht herausfinden, um was es sich bei diesem Stern wirklich handelt, aber seine Arbeit hat auf jeden Fall gereicht, um den Sturz eines Weltbildes einzuleiten. Bis dahin dachte man, dass sich am Himmel nichts ändern kann, nur auf der Erde und in ihrer unmittelbaren Umgebung ist Veränderung möglich. Der Himmel ist ja immerhin der Ort der göttlichen Perfektion, da muss sich nichts ändern - im Gegensatz zur unperfekten, menschlichen Erde. Die Beobachtungen haben aber deutlich gezeigt, dass dieser neue Stern am Himmel weiter entfernt sein muss als der Mond, also tatsächlich zum Reich der Sterne gehört und nicht nur eine komische Leuchterscheinung in der Atmosphäre ist. Der neue Stern ist dann aber auch rasch dunkler geworden und ein Jahr später war er nicht mehr zu sehen.

    Hätte Tycho Brahe damals schon Teleskope gehabt, hätte er vielleicht mehr rausfinden können. Aber diese Geräte sind erst ein paar Jahrzehnte später erfunden worden. Heute wissen wir sehr viel besser, was Tycho gesehen hat und wir wissen es unter anderem deswegen, weil wir unsere modernen Teleskope genutzt haben, um den neuen Stern zu beobachten. Ja, genau: Wir haben den 1572 aufgetauchten Stern beobachtet, mehr als 400 Jahre nachdem er vom Himmel verschwunden ist. Das klingt als wäre es Quatsch. Aber Astronomie ist erstens kreativ. Und es gibt tatsächlich einen Weg, wie man Ereignisse sehen kann, die in der Vergangenheit an unserem Himmel stattgefunden haben.

    Aber bevor ich erkläre, wie das geht, bleiben wir noch ein bisschen bei Tycho Brahes Stern. Heute nennen wir das, was er damals gesehen hat, Tychos Supernova beziehungsweise offiziell SN 1572. Und eine Supernova, auch das habe ich schon oft hier erklärt, ist kein neuer Stern, sondern das, was wir sehen können, wenn ein sehr großer Stern sein Leben beendet. Dann gibt es eine gewaltige Explosion die ein paar Wochen oder Monate lang extrem hell sein kann, heller als das Licht aller Sterne einer Galaxie zusammen. Wir haben mittlerweile jede Menge Supernovae in anderen Galaxien beobachtet, aber seit der Erfindung des Teleskops konnten wir keine mehr beobachten, die in unserer eigenen Galaxie stattgefunden hat. Dabei wäre das äußerst spannend für die Astronomie. Wir wissen zwar mehr oder weniger, was bei so einer Explosion passiert, aber ein Blick aus der ersten Reihe auf so ein Ereignis, mit all unseren modernen Instrumenten: Das wäre ziemlich cool.

    Es ist aber auch ganz cool sich anzusehen, was von Tychos Supernova übrig geblieben ist. Wenn wir unsere Teleskope heute auf die entsprechende Stelle am Himmel richten, dann sehen wir dort einen wilden Nebel aus Gas und Staub. Es sind die Überreste des Sterns, das ganze Material aus dem er bestanden ist und das bei der Explosion mit enormer Geschwindigkeit ins All geschleudert wurde. Der Supernovaüberrest ist ungefähr 9000 Lichtjahre weit weg und das Gas saust dort immer noch mit ein paar tausend Kilometer pro Sekunde ins All. Anhand der historischen Beobachtungen des 16. Jahrhunderts und aus den modernen Daten kann man vermuten, dass es sich um eine Supernova vom Typ Ia gehandelt hat. Oder um eine "thermonukleare Supernova", wie sie auch oft genannt wird. Diese Explosion findet statt, wenn man ein Doppelsternsystem hat, in dem ein Stern sein Leben schon beendet hat und zu einem weißen Zwerg geworden ist. Der Übergang von einem Stern zu einem weißen Zwerg ist nicht explosiv; ein Stern wie unsere Sonne dehnt sich am Ende seines Lebens immer weiter aus, schiebt seine äußeren Schichten hinaus ins All, bis nur noch der innere, dichte Kern übrig bleibt in dem keine Kernfusion mehr stattfindet. Das ist ein weißer Zwerg und normalerweise passiert damit nicht mehr viel. Wenn dort aber noch ein zweiter Stern existiert und beide sich sehr nahe sind, dann kann Material von diesem zweiten Stern zum weißen Zwerg gelangen. Und wenn genug neues Gas dort angelangt ist, genug neuer Brennstoff quasi, dann hat der weiße Zwerg wieder genug Masse, um erneut mit der Kernfusion anzufangen. Dieses Mal aber nicht so gemütlich wie es ein normaler Stern tut, sondern extrem explosiv. Anders gesagt: Der gesamte weiße Zwerg explodiert und wir haben eine Supernova.

    Wie gesagt: Man hat vermutet, dass es sich bei Tychos Supernova um genau so einen Vorgang gehandelt hat. Aber man hat es nicht genau gewusst, dafür waren die historischen Daten nicht gut genug. Man kann den Typ einer Supernova am Verlauf der Helligkeit erkennen, denn die Explosion eines weißen Zwergs läuft immer mehr oder weniger identisch ab und das Licht wird auf charakteristische Weise heller und dunkler. Man kann es auch mit Spektroskopie probieren, also das Licht der Supernova analysieren und bestimmen, welche chemischen Elemente da entstehen. Bei der explosiven Kernfusion eines weißen Zwergs entsteht zum Beispiel kein Wasserstoff, wie bei der normalen Kernfusion, dafür aber Elemente wie Silicium. Aber wenn Brahe kein Teleskop gehabt hat, dann hat er definitiv auch kein Spektroskop besessen. Und wie soll man Licht, das seit über 450 Jahre aufgehört hat zu leuchten, heute noch analysieren?

    Damit sind wir jetzt beim Lichtecho. Das ist ein faszinierendes Phänomen und es funktioniert fast genau so wie ein normales Echo. Da werden ja Schallwellen an bestimmten Oberflächen reflektiert und zurückgeworfen so dass ein Geräusch mehrmals hintereinander zu hören ist. Bei Licht geht das im Prinzip auch. Licht breitet sich im Weltall ja in alle Richtungen aus. Auf der Erde sehen wir nur das, was halt gerade in unsere Richtung abgestrahlt worden ist. Es gibt aber Ausnahmen: Licht kann auch an den diversen interstellaren Gas- und Staubwolken gestreut werden, die sich überall im Raum zwischen den Sternen befinden. Und ein Teil dieses dort abgelenkten Lichts kann mit etwas Glück genau in Richtung Erde abgelenkt werden. Dieses Licht hat dann logischerweise einen längeren Weg zurückgelegt als das, das uns direkt erreicht hat. Und braucht deswegen auch länger, bis es bei uns ankommt. Oder anders gesagt: Wir können Phänomene wie eine Supernova-Explosion tatsächlich mehrmals hintereinander sehen. Das ist aber natürlich nicht so einfach wie es klingt, aber bei Tychos Supernova ist es tatsächlich gelungen. Im Jahr 2008 haben Forscherinnen und Forscher ihr Licht ein zweites Mal gesehen.

    Das war kein einfacher Prozess; es war nicht so, dass da plötzlich ein zweites Mal eine Supernova am Himmel im Sternbild Cassiopeia erschienen ist. So wie das Echo eines Geräusches immer schwächer wird, ist das auch beim Lichtecho der Fall. Wenn man ein Lichtecho sehen will, muss man ganz genau wissen, wohin man schauen muss. Deswegen hat man sich zuerst mal überlegt, welche hellen Supernova-Explosionen es in der Vergangenheit an unseren Himmel gegeben hat und wo passende Staub- und Gaswolken zu finden sind, die prinzipiell in der Lage sind, dieses Licht zu uns zu reflektieren. Die müssen natürlich auch in der passenden Entfernung sein, damit wir das Lichtecho auch jetzt sehen können. Zum Glück ist eine Supernova ja auch keine Explosion wie bei einem Feuerwerk, dass in ein paar Sekunden vorbei ist. Eine Supernova leuchtet über Monate und Jahre hinweg, nur eben immer schwächer und schwächer. Da ist also ein wenig Spielraum und es haben sich einige vielversprechende Wolken gefunden. Die muss man dann alle mit ausreichend guten Instrumenten beobachten und wird in den meisten Fällen trotzdem keinen Erfolg haben. Aber bei Tychos Supernova hat es tatsächlich geklappt. Im September 2008 wurden Aufnahmen einer passenden Region gemacht und sie haben eindeutig eine Lichtquelle gezeigt, die so aussieht, wie das Lichtecho einer Supernova-Explosion. Und weil wir 2008, im Gegensatz zu 1572, auch Spektroskope besitzen, konnte das Licht damit analysiert werden und nachgewiesen werden, dass es sich dabei tatsächlich um eine Supernova vom Typ Ia handelt.

    Das Universum ist ein erstaunlicher Ort. Und vor allem ist ein erstaunlich großer Ort. Wir vergessen gerne, wie groß es ist und wie lange selbst das Licht braucht, um sich von einem Ort zum anderen zu bewegen. All die Bilder, all das, was es da draußen zu sehen gibt und vor allem zu sehen gegeben hat, ist dort immer noch zu sehen. Die Bilder der Sternexplosionen der Vergangenheit und von all dem, was da sonst noch so passiert ist, sind nicht verschwunden. Das Licht ist immer noch dort draußen und mit etwas Glück finden wir einen kosmischen Spiegel, der diese Bilder aus der Vergangenheit wieder zu uns zurück wirft.

    20 December 2024, 6:00 am
  • 10 minutes 55 seconds
    Sternengeschichten Folge 629: Die Strömgren-Sphäre und die ersten Sterne
    Die Wasserstoffblasen der Sterne

    Sternengeschichten Folge 629: Die Strömgren-Sphäre und die ersten Sterne

    In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die "Strömgren-Sphäre" und man kann sich auf jeden Fall schon mal denken, dass es um irgendwas kugelförmiges gehen wird. Was auch stimmt, aber die Geschichte der Strömgren-Sphäre handelt vor allem davon, wie Sterne entstehen und ihre Umgebung beeinflussen. Sie handelt von der Entstehung und Entwicklung von Galaxien und von den ersten Sternen im Universum.

    Fangen wir aber am besten mal damit an zu klären, was ein Strömgren ist. In diesem Fall ist es kein was, sondern ein wer, nämlich der dänische Astronom Bengt Strömgren. Über ihn gäbe es viel zu erzählen, aber ich beschränke mich auf das, was er 1939 in einer Arbeit mit dem Titel "The Physical State of Interstellar Hydrogen" geschrieben hat, was auf deutsch so viel heißt wie "Der physikalische Zustand des interstellaren Wasserstoffs". Darin bezieht sich Strömgren auf eine Arbeit aus dem Jahr zuvor. Da hatten die amerikanischen Astronomen Otto Struve und Chris Elvey diverse kosmische Nebel beobachtet, in denen sehr viel ionisierter Wasserstoff zu finden war. Und um zu verstehen, warum das interessant ist, müssen wir uns nochmal erinnern, was es bedeutet, wenn Wasserstoff - oder sonst irgendwas - "ionisiert" ist. Aber keine Sorge, das ist schnell erledigt: Wasserstoff ist ein Atom, mit einem Kern aus einem Proton. Und in der Atomhülle hat der Wasserstoff ein Elektron. Fertig - Wasserstoff ist simpel; andere Atome haben mehr Protonen im Kern und mehr Elektronen in der Hülle, aber der Punkt ist: Die Elektronen aus der Hülle eines Atoms können entfernt werden und wenn das der Fall ist, dann ist das Atom ionisiert. Ionisierter Wasserstoff ist also ein Wasserstoffatom, bei dem das Elektron aus der Hülle entfernt wurde und nur noch der Atomkern übrig ist. Oder anders gesagt: Das einzelne Proton.

    Ok, was heißt das jetzt alles. Wir wissen, dass Wasserstoff das häufigste Element des Universums ist. Es ist ja auch das einfachste und es braucht nicht viel, damit es entsteht. Drum war es auch schon kurz nach dem Urknall da; fast drei Viertel der damals entstandenen Materie waren Wasserstoff und auch heute noch macht Wasserstoff die überwiegende Mehrheit der Atome im Universum aus. Warum also beschäftigen sich ein paar Astronomen in den späten 1930er Jahren mit Wasserstoff, selbst wenn er ionisiert ist? Weil es Energie braucht, um Wasserstoff zu ionisieren. Energie gibt es im Weltall natürlich auch, die kommt unter anderem von der Strahlung der Sterne. Was Strömgren in seiner Arbeit getan hat, war folgendes: Er hat sich überlegt, wie dieser ionisierte Wasserstoff tatsächlich im Raum verteilt sein müsste, wenn man davon ausgeht, dass es die Strahlung der Sterne ist, die ihn ionisiert. Das geht nicht mit jeder beliebigen Strahlung, es braucht die richtige Energie und die steckt vor allem in der ultravioletten Strahlung der sehr heißen und großen Sterne; die mit den Spektralklassen O und B, wenn es jemand genau wissen will.

    Wir haben also diese heißen Sterne, die vom üblichen interstellaren Medium umgeben sind, also dem Zeug, dass sich zwischen den Sternen befindet. Das ist natürlich auch weitestgehend Wasserstoff, aber in dem Fall neutraler Wasserstoff, oder halt einfach nur Wasserstoff, nicht ionisiert. Die energiereiche ultraviolette Strahlung der heißen Sterne kann diesen Wasserstoff jetzt ionisieren. Das heißt aber auch, dass da jetzt freie Elektronen durch die Gegend fliegen, die nicht mehr an ihre Atomkerne gebunden sind. Die können jetzt wieder von Wasserstoffatomkernen eingefangen werden - das nennt man "Rekombination" - und dabei wird Energie abgestrahlt, in Form von Lichtteilchen, die jetzt aber weniger Energie haben und nicht in der Lage sind, Atome zu ionisieren. Strömgren hat sich das alles genau durchgerechnet: Wie weit entfernt von einem Stern gibt es noch genug energiereiche UV-Strahlung, um Atome zu ionisieren; wo fängt die Zone an, wo der Wasserstoff sich wieder ein Elektron einfängt, und so weiter. Und er ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass das erstens logischerweise eine mehr oder weniger kreisförmige Region um den Stern herum sein muss, weil Sterne ihre Strahlung ja in alle Richtungen abgeben. Er ist aber auch zweitens darauf gekommen, dass die Grenze zwischen ionisierten und neutralen Wasserstoff relativ scharf sein muss. Der ionisierte Wasserstoff wird nicht irgendwie langsam immer weniger und weniger und es ist auch nicht so, dass da Bereiche mit ionisierten Wasserstoff sind, die sich mit neutralen Wasserstoff abwechseln. In der Nähe des Sterns wird Wasserstoff durch die starke Strahlung ständig ionisiert. Weiter draußen gibt es dann aber nicht mehr genug UV-Strahlung, weil die zum Teil schon von den Atomen weiter innen absorbiert worden sind. Dort werden die Atome dann entweder nicht mehr ionisiert oder schnappen sich dann gleich wieder eines der freien Elektronen. Noch weiter draußen wird dann gar nichts mehr ionisiert und, so die Rechnung von Strömgren, im Vergleich zur Ausdehnung der ionisierten Region ist diese Übergangszone sehr schmal. Man kann also durchaus von einer Blase beziehungsweise Sphäre aus ionisierten Wasserstoff sprechen, der diese Sterne umgibt und Strömgren hat auch eine Formel entwickelt, die die Größe dieser Sphäre in Abhängig der Strahlungsstärke des Sterns bestimmt. Die Strömgren-Sphären sind dabei durchaus groß; sehr viel größer als ein Stern. Bei den ganz heißen Sternen können sie einen Durchmesser von ungefähr 650 Lichtjahren haben; bei den kühlsten Sterne, die noch Strömgren-Sphären produzieren können, sind es immer noch um die 50 Lichtjahre.

    Man kann sich solche Strömgren-Sphären auch anschauen. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Rosettennebel. In seinem Zentrum befinden sich gleich ein ganzer Sternhaufen mit jungen und heißen Sterne und rundherum erkennt man deutlich die sphärischen Bereiche mit den ionisierten bzw. neutralen Wasserstoffatomen. Und man erkennt sie deswegen, weil das Licht, das bei der Rekombination der freien Elektronen von den dann wieder neutralen Wasserstoffatomen ausgestrahlt wird, eine ganz charakteristische Wellenlänge hat. Strömgren-Sphären können wir im Orion-Nebel sehen, im Adler-Nebel, und so weiter. Aber die Strömgren-Sphäre ist nicht einfach nur die theoretische Erklärung für ein paar schöne Bilder, die wir gemacht haben.

    Wenn das interstellare Medium durch die Strahlung eines heißen Sterns beeinflusst wird und sich eine Strömgren-Sphäre bildet, dann hat das natürlich auch Auswirkungen auf die weitere Umgebung. Ioniziation und Rekombination und die ganze Strahlung die dabei aufgenommen und abgegeben wird, beeinflussen das interstellare Medium und können dafür sorgen, dass die Entstehung neuer Sterne leichter oder schwerer wird. Ist das Gas zum Beispiel zu heiß, dann bewegen sich die Teilchen zu schnell, als dass die Wolke die aus dem Gas besteht, in sich zusammenfallen und so einen neuen Stern bilden kann. Wenn eine Strömgren-Sphäre sich bildet und ausdehnt, kann sie das umgebende Material andererseits aber auch erst Recht quasi zusammenschieben und so neue Sternbildung auslösen.

    Auf noch größeren Skalen betrachtet, können Strömgren-Sphären auch die Entwicklung ganzer Galaxien beeinflussen, je nachdem wie sie dort verteilt sind und damit zum Beispiel ganze Sternentstehungsregionen bilden. Die heißen Regionen aus ionisierten Wasserstoff lassen sich außerdem auch gut beobachtet, selbst aus der Ferne in anderen Galaxien. Damit können wir auch über enorme Distanzen hinweg die Sternentstehungsraten dieser Galaxien bestimmen und schauen, wo sich die Quellen der Ionisation, also die heißen Sterne befinden.

    Die Strömgren-Sphären spielen auch eine wichtige Rolle, wenn man die Reionisierungsepoche des Universums verstehen will. Das ist eigentlich wieder eine ganz andere Geschichte und eine lange noch dazu, aber ganz kurz geht sie so: Zuerst gab es im Universum nur ionisierte Atome. Es war alles zu heiß, so dass die Elektronen sich nicht an die Atomkerne binden haben können. Erst knapp 400.000 Jahre nach dem Urknall hat das geklappt. Und erst da ist das Universum "durchsichtig" geworden, soll heißen: Davor konnte sich das Licht nicht vernünftig ausbreiten, weil alles voll mit freien Elektronen war, die es dauernd abgelenkt haben und noch dazu war das Universum damals ja auch viel kleiner. Nachdem sich aber die Elektronen an die Atomkerne gebunden haben, war genug Platz für das Licht, aber es war immer noch dunkel, weil es ja keine Sterne gegeben hat. Die haben sich dann in den nächsten paar Dutzend bis Hundert Millionen Jahren gebildet und die ersten Sterne waren sehr große und sehr heiße Sterne. Sie haben also auch Strömgren-Sphären gebildet und den Wasserstoff um sich herum wieder ionisiert. Alle jungen Sternen im jungen Universum haben das getan; die Strömgren-Sphären haben sich quasi überlappt und - zusammen mit ein paar anderen Phänomenen auf die ich jetzt nicht eingehe - hat das dazu geführt, dass ein großer Teil des Wasserstoffs im Universum wieder reionisiert worden ist, so wie damals, als der junge Kosmos noch nicht durchsichtig war. Zum Glück hat sich das All aber in der Zwischenzeit weit genug ausgedehnt, es ist genug Platz für das Licht und wir können schauen, was es da alles zu sehen gibt.

    13 December 2024, 6:00 am
  • 4 minutes 29 seconds
    Sternengeschichten LIVE TOUR 2025 und ein Hörbuch
    Kommt zu den Sternengeschichten Liveshows!

    Sternengeschichten LIVE 2025 und ein Hörbuch

    Hallo liebe Hörerinnen und Hörer,

    Kurz bevor das Jahr zu Ende geht, melde ich mich noch einmal außerhalb der üblichen Folgen und direkt bei euch. Denn es gibt ein paar coole Neuigkeiten. Gleich zu Beginn das Wichtigste: Der Sternengeschichten-Podcast geht auf Tour! Nachdem ich im Frühjahr ausprobiert habe, ob sich das mit der Podcast-Liveshow auch umsetzen lässt, wird es die Show jetzt auch öfter geben. Nächstes Jahr, also 2025, wird die erste Tour starten und ich bin sicher, es wird großartig! Die Liveshow wird natürlich anders sein als der Podcast selbst; es macht ja keinen Sinn, wenn ich da auf einer Bühne 10 Minuten lang was erzähle und dann ist Ende. Nein, es wird eine komplette Show werden, ein ganzer Abend, voll mit allen möglichen Sternengeschichten, die ich in dieser Form im Podcast noch nicht erzählt habe und es wird dazu natürlich auch schöne Bilder geben, das eine oder andere Experiment, ein bisschen Action, jede Menge Spaß und endlich auch die Möglichkeit für mich, meine Hörerinnen und Hörer nach der Show auch mal persönlich zu treffen.

    Tickets für die Show sind ab heute, also ab dem 9. Dezember 2024 erhältlich und zwar unter sternengeschichten.live - die Links gibt es natürlich auch noch in den Shownotes. Die Tour selbst wird dann am 16. Februar 2025 in Frankfurt losgehen. Dann gibt es noch weitere Shows am 23. März in Bremen, am 26. Mai in Eschweiler, am 4. Juni in München, am 28. September in Leverkusen und dann in Essen, Dortmund, Düsseldorf und Berlin und zwar am 10., 11., 13. und 14. Dezember.

    Ich weiß, da fehlen noch ein paar Gegenden in Deutschland, da fehlt auch noch Österreich und die Schweiz. Aber die Shows 2025 sind hoffentlich nur der erste Schritt. Wenn das gut funktioniert und wenn genug Leute Interesse daran haben, dann wird es 2026 mehr Shows und auch an anderen Orten geben.

    Ich würde mich sehr freuen, euch bei den Auftritten zu sehen!

    Und eine zweite Ankündigung habe ich auch noch! Den Sternengeschichten-Podcast gibt es jetzt ja schon seit 12 Jahren und gut 630 Folgen. Da kann man ein wenig den Überblick verlieren, besonders wenn man neu dazu kommt. Deswegen habe ich mir gedacht, es wäre schön, wenn man einen etwas weniger umfangreichen Einstieg hätte. Und darum wird es nächstes Jahr ein Hörbuch "Sternengeschichten" geben. Ich habe dafür natürlich nicht einfach nur einen Schwung Podcastfolgen auf ne CD kopiert. Sondern ich habe 50 Geschichten aus dem Podcast ausgewählt, zu einem Hörbuch zusammengestellt, das einen halbwegs guten roten Faden hat und die Geschichten auch entsprechend modifiziert, gekürzt, erweitert, etc und alles neu aufgenommen. Außerdem habe ich sechs Geschichten komplett neu geschrieben und aufgenommen. Das ganze gibt es als Hörbuch überall dort zu hören, wo man Hörbücher hören will; das ganze wird es aber auch als echtes, physisches Objekt geben, d.h. es wird eine mp3-CD geben, mit einem schönen Booklet, Bildern, usw, das man unabhängig vom Internet hören kann.

    Erscheinen wird das Hörbuch zwar erst im März 2025, aber man kann es jetzt schon vorbestellen - die Links dazu findet ihr in den Shownotes.

    Und das war es auch schon für diesmal. Ich freu mich, wenn wir uns nächstes Jahr irgendwo bei einer meiner Liveshows sehen werden. Ich freu mich vor allem, wenn ihr weiterhin den Podcast hört und ihn so gerne hört, wie ihr ihn bisher gehört habt. Ich wünsche euch viel Spaß mit den kommenden Folgen, ich wünsche euch frohe Feiertage, und hoffentlich viel Ruhe und Erholung.

    Bis bald, im Podcast oder Live!

    Tickets für die Sternengeschichten-Liveshow: https://sternengeschichten.live/ Hörbuch "Sternengeschichten": https://www.penguin.de/buecher/florian-freistetter-sternengeschichten/hoerbuch-mp3-cd/9783844553062

    Wer die Sternengeschichten finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten)

    9 December 2024, 11:00 am
  • 10 minutes 34 seconds
    Sternengeschichten Folge 628: Der Tod des Kometen Elenin
    Der verschwundene Weltuntergangskomet

    Sternengeschichten Folge 628: Der Tod des Kometen Elenin

    Der russische Amateur-Astronom Leonid Elenin hat am 10. Dezember 2010 das gemacht, was er zuvor schon sehr oft gemacht hat. Nämlich Bilder des Nachthimmels mit den Teleskopen des International Scientific Optical Network oder kurz ISON. ISON hat überall auf der Welt Teleskope und mit einem, das in New Mexico steht, wurden an diesem Tag vier Bilder gemacht. Das was ISON und Leonid Elenin gesucht haben, sind Asteroiden und Kometen im Sonnensystem. Um sie zu entdecken braucht man nicht unbedingt große Teleskope, aber man braucht möglichst viele Bilder des selben Bereichs am Himmel zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Die meisten der Lichtpunkte auf diesen Bildern sind Sterne und die bewegen sich im Laufe einer Nacht oder auch mehrerer Nächte nicht. Asteroiden und Kometen tun das aber sehr wohl und wenn man auf einer Bilderserie einen Lichtpunkt findet, der seine Position von Aufnahme zu Aufnahme ändert, stehen die Chancen gut, dass man einen Asteroid oder Komet entdeckt hat. Elenin war zuvor schon oft erfolgreich; bis zu diesem Tag hatte er schon ein paar Dutzend Asteroiden entdeckt. Das, was er auf den Bildern vom 10. Dezember 2010 gefunden hat, war aber kein Asteroid, sondern ein Komet. Und weil Kometen immer nach den Personen oder Einrichtungen benannt werden, die sie entdeckt haben, hat dieser Komet auch seinen Namen bekommen: C/2010 X1 Elenin. Das "C" in der Bezeichnung bedeutet, dass es sich um einen langperiodischen Kometen handelt, der also mehr als 200 Jahre für eine Runde um die Sonne braucht. Und "2010 X1" ist die für Asteroiden- und Kometennamen typische Kombination aus Zahlen und Buchstaben, aus der sich der Entdeckungszeitraum ableiten lässt; in diesem Fall sagt uns das "2010 X1", dass es sich um den ersten entdeckten Kometen in der ersten Hälfte des Dezembers 2010 handelt.

    Aber wir bleiben am besten bei "Komet Elenin", denn ich will in der Folge über das astronomische Objekt sprechen und nicht den russischen Astronomen. Eigentlich ist Elenin kein besonders außergewöhnlicher Himmelskörper. Mit zwei Ausnahmen: Erstens ist dieser Komet aus ziemlich absurden Gründen enorm prominent geworden, weil viele Menschen behauptet haben, er würde den Weltuntergang verursachen. Und zweitens hat Elenin das nicht nur nicht getan - natürlich nicht - sondern ist quasi selbst untergegangen. Es gibt ihn heute nicht mehr; der Komet Elenin ist weg; er ist zerstört und existiert nicht mehr.

    Ende 2010 war er aber noch frisch und munter, aber eher unscheinbar. Der Komet befand sich noch weit von der Erde entfernt, er war uns nur wenig näher als der Jupiter und hätte ungefähr 150.000 mal heller leuchten müssen, um mit freiem Auge gesehen zu werden. Für die Teleskope hat es aber noch gereicht und nach seiner Entdeckung wurden weitere Beobachtungsdaten gesammelt, mit denen man seine Umlaufbahn genauer bestimmen konnte. Und die zeigte, dass Elenin am 10. September 2011 den sonnennächsten Punkt erreichen würde. Ein bisschen später, am 16. Oktober 2011 würde er dann seine größte Annäherung an die Erde erreichen. Aber selbst da wäre immer noch gut 35 Millionen Kilometer weit weg gewesen, es bestand also nie auch nur der Hauch einer Gefahr, dass Elenin mit der Erde kollidiert.

    Trotzdem hat es nicht lange gedauert, bis das ganze Internet voll war mit besorgniserregenden Nachrichten. Zum Beispiel, dass sich der Nordpol des Kometen auf den Südpol der Erde ausrichten würde, was zu jeder Menge Zerstörung auf der Erde führt. Oder das die Erde den Schweif des Kometen durchqueren würde, mit ebenso jeder Menge Zerstörung. Oder dass Elenin gar kein Komet ist, sondern in Wahrheit ein brauner Zwerg, also ein Objekt so groß wie der Jupiter und mindestens ein Dutzend Mal massereicher als der Planet. Und der braune Zwerg würde natürlich auch mit der Erde kollidieren und alles zerstören. Oder die Sonne tagelang verdunkeln. Und so weiter - und den Entdeckter, Leonid Elenin, würde es auch nicht geben. Elenin sei nur eine Abkürzung für "Extinction Level Event - Nibiru is Near", also "Auslöschungsereignis - Nibiru ist nah" und "Nibiru" ist der Name eines fiktiven Himmelskörpers, den sich Verschwörungsleute schon noch viel früher ausgedacht haben und jetzt mit Elenin fusioniert haben.

    Es ist aus heutiger Sicht nicht mehr genau zu rekonstruieren, warum gerade dieser eine, unscheinbare Komet plötzlich zum Instrument des Weltuntergangs geworden ist. Wir entdecken ja ständig Kometen; ein paar hundert pro Jahr. Und auch wenn Kometen immer schon Panik bei Menschen ausgelöst haben - davon habe ich in früheren Folgen ja schon erzählt, gibt es eigentlich keinen Grund, warum gerade dieser eine auf einmal so viel Drama verursacht. Vermutlich war es einfach nur der damalige Zeitgeist; wer sich noch daran erinnert, erinnert sich ja vielleicht an den ganzen Unsinn, der über den angeblich von den Maya vorhergesagten Weltuntergang am 21. Dezember 2012 erzählt worden ist. Die ganze Sache war Quatsch von vorne bis hinten und ich will gar nicht weiter darauf eingehen. Aber diese Weltuntergangstheorien haben Anfang 2011 gerade so richtig Fahrt aufgenommen und ein böser Komet passt da natürlich gut hinein.

    So oder so: Wir wissen, dass Elenin nicht mit der Erde kollidiert ist. Er hat uns nichts getan; er hat gar nichts gemacht sondern ist einfach verschwunden. Und das ist etwas, was ihn durchaus ein wenig besonders macht. Im Sommer 2011 war Elenin schon weiter ins innere Sonnensystem geflogen und hat das gemacht, was Kometen tun wenn sie näher an die Sonne kommen: Nämlich eine eine Koma und einen Schweif entwickelt. Auch das habe ich schon oft erklärt: Kometen enthalten sehr viel gefrorenes Material und all dieses Eis taut auf und wird gasförmig. Wenn es dann ins All strömt, reißt es Staub von der Kometenoberfläche mit sich und es bildet sich eine große Hülle aus Staub um den Kometenkern herum. Der Sonnenwind sorgt dann dafür, dass sich aus der Koma der Kometenschweif entwickelt und beides war bei Elenin im Sommer 2011 der Fall. Die Koma war über 100.000 Kilometer groß und auch der Schweif war schön ausgeprägt - aber der Komet insgesamt immer noch zu schwach leuchtend, um mit freiem Auge gesehen zu werden. Dann aber haben die Beobachtungen gezeigt, dass die Koma immer diffuser wird und sich immer weiter in die Länge zieht. Das ist ein Zeichen dafür, dass da nicht einfach nur ein bisschen Staub von der Oberfläche ins All strömt, sondern dass der ganze Komet selbst langsam zerbröselt. Ein Prozess, der natürlich immer weiter fortschreitet, je näher das Objekt der Sonne kommt.

    Es war also nicht klar, ob Elenin den sonnennächsten Punkt seiner Bahn überhaupt erreichen wird. Der Komet hat sich immer mehr aufgelöst, hat immer schwächer geleuchtet und im Oktober 2011, also nachdem er den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreicht haben sollte, konnte man ihn gar nicht mehr beobachten. Dafür hat man eine Trümmerwolke gesehen, dort wo sich der Komet befinden sollte. Oder anders gesagt: Elenin hat die Runde um die Sonne nicht überlebt; er ist in so viele, kleine Stücke zerfallen, dass quasi nichts übrig geblieben ist. Die Wolke hat sich im Laufe der Zeit immer weiter verteilt und jetzt ist es so, als habe es ihn nie gegeben.

    Der Tod des Kometen Elenin war nicht einzigartig; wir haben auch davor schon Kometen beobachtet, bei denen so etwas passiert ist. Aber es kommt auch nicht so oft vor, dass es nicht dennoch interessant wäre, sich das genau anzusehen. Spätere Analysen der Daten haben gezeigt, dass Elenin ein sehr kleines Objekt war. Der Durchmesser des Kometenkerns war kleiner als 1 Kilometer. Und wenn so ein kleines Objekt bei der Annäherung an die Sonne auftaut und jede Menge Gas ins All strömt, dann kann das dazu führen, dass der Kometenkern seine Rotationsgeschwindigkeit erhöht. Das auströmende Gas wirkt wie jede Menge kleine Triebwerke, die den Kern des Kometen immer schneller um seine Achse drehen. Die schnelle Rotation beschleunigt den Auflösungsprozess, denn so ein Komet ist ja kein massiver Felsbrocken, sondern quasi ein Geröllhaufen, der durch Eis zusammengehalten wird. Die Annäherung an die Sonne, das Austreten des Gases, die erhöhte Rotation: All das hat Elenin den Rest gegeben.

    Das ist ein bisschen schade, denn wir wissen heute auch, dass Elenin ein dynamisch neuer Komet war. Das heißt, dass er direkt aus den fernsten Regionen des Sonnensystems gekommen ist, aus der Oortschen Wolke, wo sich - ein paar zehn- bis hunderttausend Mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde - Billionen von Kometen befinden. Normalerweise bleiben sie auch dort, aber ab und zu können gravitative Störungen oder Kollisionen dafür sorgen, dass einer davon auf eine Umlaufbahn gerät, die ihn ins innere Sonnenystem bringt. Manche werden dann quasi eingefangen und bleiben auf Bahnen, die sie alle paar Jahrzehnte in die Nähe der Sonne bringt; manche fliegen aber auch wieder zurück in die Oortsche Wolke und kommen erst in ein paar Jahrhunderttausenden wieder. Und ab und zu passiert auch das, was Elenin passiert ist: Der erste Besuch in der Nähe der Sonne ist auch der letzte. Es wäre interessant gewesen, wenn wir Elenin, einen Kometen, frisch aus der so fernen und unerforschbaren Oortschen Wolke, noch länger beobachten hätten können. Dann hätten zwar die Weltuntergangsspinner weiter ihren Quatsch von Tod, Zerstörung und Unheil erzählt, aber die Astronomie hätte zumindest spannende Daten gehabt. Am Ende war die einzige Zerstörung, die Elenin gebracht hat, aber nur sein eigene…

    6 December 2024, 6:00 am
  • 11 minutes
    Sternengeschichten Folge 627: Ursa Major III - die kleinste Galaxie (fast) ohne Sterne
    Die dunkle Galaxie und die Entstehung der Milchstraße

    Sternengeschichten Folge 627: Ursa Major III - die kleinste Galaxie (fast) ohne Sterne

    Verglichen mit uns Menschen ist alles groß im Universum. Aber wir Menschen sind nicht unbedingt ein universaler Maßstab und es gibt durchaus Unterschiede bei den großen Dingen. Es gibt Dinge, die sind wirklich groß, verglichen mit anderen, die kleiner sind. Und bei den kleinen großen Dingen gibt es welche, die sehr viel kleiner sind, als man es sich denken würde und manche, die so klein sind, dass sie uns vor ein Rätsel stellen. Das klingt jetzt natürlich ein wenig verwirrend, also wird es Zeit, dass wir ein wenig konkreter werden.

    Wir fangen an mit einem ganz besonderen großen Ding: Unsere Milchstraße. Die Milchstraße ist eine Galaxie, eine Ansammlung von ein paar hundert Milliarden Sternen und einer dieser Sterne ist unsere Sonne. Die Milchstraße ist eine durchaus große Galaxie, aber natürlich nicht die größte die es gibt. Aber eben auch nicht die kleinste! Ein wenig so, wie Sterne von Planeten umkreist werden und Planeten von Monden umkreist werden können, haben auch Galaxien ihre eigenen Satelliten. Man kann dabei grob zwei Arten unterscheiden: Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien. Kugelsternhaufen sind, wie der Name schon sagt, kugelförmige Ansammlungen von Sternen und Zwerggalaxien - ebenso klar am Namen erkennbar - kleine Galaxien. Beide Arten von Sternsystemen befinden sich im Halo von Galaxien wie der Milchstraße. Das ist ein kugelförmiger Bereich der die galaktische Scheibe umgibt. In der Milchstraße sind die Sterne ja in Spiralarmen angeordnet, die sich mehr oder weniger alle in einer scheibenförmigen Region befinden, die gut hunderttausend Lichtjahre im Durchmesser hat und ein paar tausend Lichtjahre dick ist. Darüber und darunter befinden sich jede Menge Kugelsternhaufen und auch Zwerggalaxien.

    Wenn wir verstehen wollen, was der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Sternsystemen ist, müssen wir uns zuerst anschauen, was sie gemeinsam haben. In beiden Fällen handelt es sich um Ansammlungen von Sternen, die durch die Gravitationskraft zusammengehalten werden. Die Sterne dort können nicht jeder für sich ihrer Wege ziehen, die Gravitationskraft die sie aufeinander ausüben hält sie als Gruppe zusammen. In so einem Kugelsternhaufen können ein paar tausend bis zu ein paar Millionen Sterne versammelt sein. Bei Zwerggalaxien können es ein paar tausend bis zu ein paar Milliarden Sterne sein.

    Und da wird jetzt der eine oder die andere vielleicht schon verwirrt sein. Wenn es Kugelsternhaufen mit ein paar tausend Sternen gibt und Zwerggalaxien mit ein paar tausend Sternen und beides Systeme sind, wo diese Sterne durch die Gravitationskraft zusammengehalten werden: Was ist dann der Unterschied?

    Das ist eine sehr gute Frage und eine, die die Wissenschaft durchaus auch beschäftigt. Für eine Antwort müssen wir uns das ansehen, was wir nicht sehen können. Es geht um die dunkle Materie, die ich ja schon oft hier im Podcast besprochen habe. Nochmal ganz kurz zur Wiederholung: Wir sehen an der Bewegung der Sterne in Galaxien, an der Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen und bei diversen anderen astronomischen Phänomenen, dass sich die Himmelsobjekte nicht so bewegen, wie sie es tun müssten, wenn die sichtbare, leuchtende Materie alles ist, was existiert. Die Himmelsobjekte bewegen sich so, als wäre da sehr viel mehr Gravitationskraft vorhanden, als sich durch die sichtbare Materie erklären lässt. Die Konsequenz: Es muss auch Materie geben, die nicht sichtbar ist und die diese zusätzliche Gravitationskraft ausübt. In Wahrheit ist alles natürlich komplizierter, aber genau darauf läuft alles hinaus, was wir in den letzten gut 100 Jahren über die Bewegung der Himmelskörper gelernt haben.

    Alle Galaxien müssen in noch viel größere Wolken aus dunkler Materie eingebettet sein; die leuchtende Materie - also die ganzen Sterne - haben sich im Zentrum der dunklen Materiewolken angesammelt; angezogen durch ihre Gravitationskraft. Die Wolken aus dunkler Materie sind quasi der Ursprung der Galaxien, ohne sie hätten sich die Galaxien gar nicht erst bilden können. Und was für die großen Galaxien wie die Milchstraße gilt, gilt auch für kleinere Zwerggalaxien: Es sind Ansammlungen von Sternen, die sich im Zentrum von Wolken aus dunkler Materie befinden.

    Kugelsternhaufen dagegen sind tatsächlich nur Haufen aus Sternen. Wie sie entstehen ist immer noch nicht vollständig verstanden, aber vermutlich liegt ihr Ursprung ebenfalls in großen Wolken, aber diesmal sind es Wolken aus normaler Materie, aus kosmischen Staub und interstellarem Gas und wenn diese Wolken gestört werden und kollabieren, können jede Menge Sterne auf einmal entstehen, die dann als Haufen zusammenbleiben.

    Oder anders gesagt: Der Unterschied zwischen Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien liegt nicht unbedingt in der Anzahl der Sterne, aus denen sie bestehen. Sondern in der Frage, ob diese Sterne in eine Wolke aus dunkler Materie eingebettet sind, oder nicht.

    Und das ist alles sehr spannend und interessant, wenn man die Entwicklung der großen Dinge im Universum verstehen will. Aber wenn wir dunkle Materie nicht sehen können, wie können wir dann Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien unterscheiden? Das ist nicht leicht, aber es geht und es kann sehr überraschende Ergebnisse liefern. Womit wir jetzt bei Ursa Majoris III angelangt sind, dem Ding, das auch im Titel dieser Folge vorkommt und das wir deswegen irgendwann besprechen müssen.

    Ursa Majoris III oder kurz UMa3 befindet sich gut 30.000 Lichtjahre von uns entfernt. Es befindet sich außerhalb der Scheibe der Milchstraße, in ihrem Halo, also genau dort, wo sich die Satelliten der Milchstraße aufhalten. Entdeckt hat man es im Jahr 2024 und bevor ich jetzt noch einmal "es" oder "das Ding" sage, sollte ich vielleicht sagen, ob es sich um einen Kugelsternhaufen oder eine Zwerggalaxie handelt. Womit wir genau bei dem Punkt sind, um den es geht. Beobachtungen, die man mit dem Keck-Teleskop der Maunakea-Sternwarte auf Hawaii angestellt hat, haben gezeigt, dass UMa3 eine Masse von knapp 16 Sonnenmassen hat. Und nein, ich habe mich nicht versprochen. Es sind keine 16.000 oder 16 Millionen Sonnenmassen. Sondern tatsächlich 16 Sonnenmassen. Und das ist wenig. Es gibt einzelne Sterne, die sehr viel mehr als die 16fache Masse der Sonne haben! Die Sterne in UMa3 sind kleiner, aber es sind nur circa 60 Stück. Wir haben da also ein System mit ein paar Dutzend Sternen die insgesamt nicht mehr Masse haben, als 16 Sterne wie die Sonne. Wie kommt man da überhaupt auf die Idee, dass es etwas anderes sein könnte, als ein kleiner Sternhaufen. Eine Galaxie, selbst eine Zwerggalaxie, kann doch nicht so enorm winzig sein?

    Die Beobachtungen am Keck-Teleskop haben aber zuerst einmal eindeutig gezeigt, dass es nicht einfach nur eine zufällige Anordnung von Sternen ist, sondern tatsächlich eine echte Gruppe; alle in mehr oder weniger derselben Entfernung - sie gehören zusammen. Die Beobachtungen haben darüber hinaus aber auch gezeigt, dass diese Sterne sich schnell bewegen. So schnell, dass sie eigentlich gar keine zusammenhängende Gruppe bilden könnten, wenn es nur die Gravitationskraft der Sterne selbst wäre, die sie zusammenhält. Damit sie zusammenhalten können, muss es sehr, sehr viel mehr Masse dort geben, als die Handvoll an Sternen. Oder anders gesagt: Die Handvoll Sterne muss in eine sehr große Wolke aus dunkler Materie eingebettet sein. Oder noch einmal anders gesagt: UMa3 muss eine Galaxie sein, die fast nur aus dunkler Materie besteht.

    Natürlich kann es auch anders sein. Theoretisch wäre es möglich, dass es wirklich nur ein Sternhaufen ist, den wir zufällig gerade kurz vor dem Moment beobachten, an dem er tatsächlich auseinander fliegt. Aber das wäre sehr unwahrscheinlich. Und wenn es sich bei UMa3 wirklich um eine dunkle Zwerggalaxie handelt, wäre das natürlich auch viel spannender. Das würde uns viel über die Entstehung der Milchstraße verraten, also die Phase, in der sich die Sterne in den Zentren der Wolken aus dunkler Materie bilden und dann die vielen Satelliten anziehen, die sie später umkreisen. Dass bei UMa3 so gut wie keine Sterne mehr vorhanden sind, muss etwas mit ihrer Entwicklung zu tun haben und mit den dynamischen Prozessen, die bei der Entstehung der Milchstraße und ihren Satellitensystemen abgelaufen sind. Was genau, das wissen wir noch nicht. Aber wenn wir besser verstehen, wie UMa3 und ähnliche Sternensysteme, die wir kennen, funktionieren, dann werden wir auch die Entstehung der Milchstraße besser verstehen. Deswegen müssen wir auch weiter ganz genau hinschauen. Wir müssen die Sterne, die wir sehen können, noch besser und genauer beobachten, ihre Geschwindigkeiten noch besser und genauer messen. Denn nur dann können wir uns sicher sein, dass es sich wirklich um eine Zwerggalaxie mit dunkler Materie handelt und nicht vielleicht doch um einen Sternhaufen, bei der ein oder zwei Sterne vielleicht eine überdurchschnittlich hohe Geschwindigkeit haben - oder wo die Geschwindigkeitsmessung vielleicht einfach nur fehlerhaft war.

    Am Ende ist es wie immer in der Wissenschaft: Wir haben ein paar faszinierende Ideen und ein paar äußerst spannende Beobachtungen. Aber wir müssen noch mehr Daten sammeln, um verlässliche Antworten zu bekommen. Die dann mit Sicherheit zu noch mehr Fragen führen werden. Aber vielleicht bringt uns gerade diese Galaxie, die nur aus einer Handvoll an Sternen besteht, ein paar dieser Antworten näher…

    29 November 2024, 6:00 am
  • 10 minutes 26 seconds
    Sternengeschichten Folge 626: Flammarions Holzschnitt und der Rand der Welt
    Ein Blick hinter die Kulisse des Universums

    **Sternengeschichten Folge 626: Flammarions Holzschnitt und der Rand der Welt ** In der heutigen Folge der Sternengeschichten möchte ich über ein Bild sprechen. Und ich weiß, dass es immer ein wenig schwierig ist, wenn ein Bild das Thema in einem Podcast ist, weil ihr könnt hier ja nichts sehen, sondern nur mich hören. Aber dieses Bild, von dem ich heute sprechen möchte, habt ihr ziemlich sicher alle schon mal gesehen. In der ursprünglichen Version ist es schwarz-weiss, es sieht ein wenig nach Mittelalter aus. Man sieht auf der rechten Seite eine Landschaft, mit Wiesen und Wäldern und ein paar kleinen Dörfern. Dahinter geht eine große Sonne unter und am Himmel darüber stehen Sterne. Dieser Himmel zieht sich aber von rechts oben nach links unten hinunter; der Himmel ist quasi eine Art Halbkugel, die sich über dem flachen Boden wölbt. Links unten, im Vordergrund, stößt der Himmel an den Boden und genau dort sieht man einen Mann mit langem Umhang und Wanderstock knien, der seinen Kopf durch das Gewölbe des Himmels steckt und auf der anderen Seite ein mysteriöses mechanisch wirkendes Wirrwarr aus Rädern, Bögen, Wolken und strahlenden Objekten sieht. Seine Hand ist in Richtung dieses Himmels hinter dem Himmel ausgestreckt und obwohl man sein Gesicht nicht erkennt, wirkt der Mann so, als sei er höchst überrascht und ergriffen von dem, was er hinter dem Rand der Welt entdeckt hat.

    Falls jemand das Bild immer noch nicht vor Augen hat, könnt ihr den Podcast gerne unterbrechen und kurz im Internet nachsehen. Es ist meistens unter dem Titel "Flammarions Holzstich" bekannt, aber auch als "Wanderer am Weltenrand". Wer Flammarion ist und was dieses Bild bedeuten soll, werden wir später noch klären. Aber es ist interessant, zuvor einen Blick auf die Art und Weise zu werfen, wie dieses Bild im Laufe der Zeit verstanden wurde. Lange Zeit hat man nämlich nicht gewusst, wer dieses Bild erstellt hat, wie alt das Bild ist und zu welchem Zweck es verwendet wurde. Der deutsche Astronom Ernst Zinner hat es in den 1950er Jahren zeitlich der deutschen Renaissance zugeordnet, also dem 15. und 16 Jahrhundert. Und das würde ja auch inhaltlich irgendwie passen. Denn im Mittelalter hat ja noch niemand gewusst, wie die Welt wirklich beschaffen ist; man hat gedacht dass die Erde eine Scheibe ist und erst später hat die in der Renaissance entstandene Naturwissenschaft ab dem 17. Jahrhundert langsam verstanden, wie die Welt wirklich funktioniert. Nur ist das natürlich Unsinn. Dass die Erde eine Scheibe ist, hat auch im Mittelalter niemand gedacht; die Leute, die sich ernsthaft mit diesen Fragen auseinander gesetzt haben, wussten sehr klar, dass wir auf einem kugelförmigen Planeten leben. Die moderne Naturwissenschaft hat zwar tatsächlich ihre Wurzeln in der Arbeit von Newton, Kepler, Galilei und sich seit dem 17. Jahrhundert immer weiter entwickelt - aber auch im Mittelalter gab es schlaue Menschen die die Welt erforscht haben. Ich habe darüber in vergangenen Folgen der Sternengeschichten ja schon gesprochen - aber Flammarions Holzstich ist eben ein wirklich faszinierendes Bild und wenn man es sich ansieht, kann man sehr gut glauben, dass man hier eine Darstellung des mittelalterlichen Weltbildes vor sich hat beziehungsweise eine Darstellung des Umbruchs, als die Weltbilder kolldidierten und wir gerade angefangen haben zu verstehen, wie alles wirklich funktioniert.

    Aber so ist es nicht. Man hat die Quelle des Bildes nie weiter zurück als ins 19. Jahrhundert verfolgen können und wir wissen heute, dass es auch nicht älter ist. Das erste Mal taucht es im Jahr 1888 auf und zwar als Illustration im Buch "L’atmosphère. Météorologie populaire" des französischen Astronomen Camille Flammarion. Und den schauen wir uns jetzt ein wenig genauer an. Er wurde 1842 geboren, hat sich schon als Kind für Astronomie interessiert und unter anderem als Assistent von Urbain LeVerrier - dem Entdecker des Planeten Neptun - an der Pariser Sternwarte gearbeitet. Er war aber auch und vor allem jemand, der die Astronomie unter die Menschen bringen wollte und hat viele populärwissenschaftliche Bücher geschrieben. Eines davon war das sechsbändige Werk über die Meteorologie von dem ich vorhin gesprochen habe. Im Kapitel "La forme du ciel", also "Die Form des Himmels" findet man die Illustration (die übrigens kein Holzstich ist, auch wenn sie immer so genannt wird, aber das würde jetzt zu weit führen) mit folgender Bildunterschrift: "Un missionnaire du moyen âge raconte qu’il avait trouvé le point où le ciel et la Terre se touchent … " oder auf deutsch: "Ein Missionar aus dem Mittelalter erzählt, dass er den Punkt gefunden hat, an dem sich Himmel und Erde berühren".

    Wenn man sich den Rest des Kapitels ansieht, dann wird auch schnell klar, warum Flammarion die Abbildung eingefügt hat. Es geht, wie ja auch schon der Titel des Kapitels sagt, um die Form des Himmels. Flammarion erklärt, dass wir immer das Gefühl haben, der Himmel würde sich über uns wölben und dass die Wölbung nicht wie eine Halbkugel erscheint, sondern ein bisschen eingedrückt, dass also die Distanz zum Horizont weiter erscheint als die Strecke bis dorthin, wo die Himmelskuppel direkt über unserem Kopf steht. Er erklärt weiter, dass die Leute ganz früher dachten, dass diese Himmelskuppel real wäre, dass man in der Antike dachte, dass sich hinter beziehungsweise auf der Kuppel die Götter befinden und dass dort die Sterne und Planeten fixiert wären. Und Flammarion schreibt von einem Missionar aus dem Mittelalter, der erzählt, dass er den Punkt gesehen hätte, wo Himmel und Erde sich treffen. Genau diese Szene ist in der Abbildung zu sehen.

    Man hat probiert herauszufinden, wo diese Geschichte mit dem Missionar herkommt und es gibt diverse Quellen in der Literatur, zum Beispiel die Legende des Heiligen Makarios von Ägypten, der im vierten Jahrhundert als Einsiedler in der Wüste gelebt haben und dabei auch den Rand der Welt entdeckt haben soll. Und es gibt diverse andere Geschichte, die Flammarion durchaus gekannt hat. Auch heute noch verwendet man in populärwissenschaftlichen Büchern gerne solche Anekdoten, wenn man ein wissenschaftliches Thema einführen will und es ist absolut nachvollziehbar, dass jemand wie Flammarion damit sein Kapitel über den Himmel in einem Buch über Meteorologie einleitet - und die Gelegenheit nutzt, ein schönes Bild dafür zu benutzen. Flammarion selbst war ja auch ein begeisterter Ballonfahrer und wollte zeigen, dass er selbst schon über die Grenzen des Himmels geflogen ist, die andere in der Antike dort vorhanden gelaubt haben. Es geht dann im Rest des Kapitels um durchaus komplizierte Themen wie zum Beispiel die Frage, wie sich die Perspektive auf den Horizont und Objekte am Erdboden ändert, wenn man aus unterschiedlichen Höhen über dem Horizont beobachtet, und so weiter. Ein paar schöne Bilder machen die Lektüre leichter und Flammarion schreibt auch immer wieder explizit, dass man sich die Bilder ansehen soll.

    Interessanterweise sehen wir diese Abbildung erst in der dritten Ausgabe des Buchs; Flammarion hat auch schon ein paar Jahre früher einen ähnlichen Text über die Atmosphäre geschrieben in der man den entsprechenden Abschnitt des Textes exakt wieder findet - aber ohne das Bild. Deswegen liegt es nahe, dass er selbst es war, der es für das Buch in Auftrag gegeben hat. Ob er es selbst gemacht oder einen anderen Künstler beauftragt hat, wissen wir nicht, aber man geht heute mit großer Sicherheit davon aus, dass der Holzstich extra für Flammarions Buch gemacht wurde, dass dieses Bild davor nicht existiert hat und absichtlich in einem mittelalterlich anmutenden Stil geschaffen wurde, um die Geschichte besser zu illustrieren.

    Über Flammarions Arbeit könnte man noch jede Menge Geschichten erzählen und das werde ich irgendwann auch machen. Er hat sich mit klassischer Astronomie beschäftigt, aber auch mit Themen wie der Frage nach außerirdischem Leben. Oder den angeblichen Kanälen auf dem Mars, von denen ich in Folge 404 der Sternengeschichten gesprochen habe. Er hat sich auch für spiritistische Phänomene interessiert und probiert, Sachen wie Telepathie oder Geistererscheinungen wissenschaftlich zu erforschen.

    Aber von all dem, was Camille Flammarion gemacht hat, ist sein Bild "Wanderer am Weltenrand" heute vermutlich das bekannteste. Man findet es in allen möglichen Zusammenhängen als Illustration, von astrologischen Büchern bis zu Dokumentationen über Astronomie; es taucht auf Plattencovern auf und in Spielen und überall sonst und anderswo.

    Und es ist ja - ganz unabhängig von der realen Geschichte die dahinter steht - ein wunderbares Bild. Es fasst so gut zusammen, wie wir Menschen sind. Wir sind nie zufrieden damit, die Welt so zu sehen, wie sie uns erscheint. Wir wollen immer wissen, wo die Grenzen sind und wenn wir diese Grenzen gefunden haben, dann müssen wir auch einen Weg finden, sie zu überschreiten und zu entdecken, was dahinter ist. Wir haben probiert, die Grenzen der Erde zu finden und festgestellt, dass es sie nicht gibt. Die Welt hat keinen Rand und der Himmel schließt uns nicht ein. Und genau deswegen haben wir uns auf den Weg in dieses Weltall gemacht, sind wir bis zum Mond gekommen und werden in Zukunft hoffentlich noch viel weiter hinaus gelangen. Als Wanderer im Weltall haben wir den Rand der Welt noch nicht entdeckt - aber wir werden weiterhin danach suchen und wenn wir ihn doch irgendwann mal gefunden haben, werden wir einen Weg finden, über diesen Rand hinaus zu sehen um zu schauen, was dahinter ist.

    22 November 2024, 6:00 am
  • 11 minutes 44 seconds
    Sternengeschichten Folge 625: Przybylskis Stern - Fabrik für exotische Elemente oder Alienmüllhalde?
    Ein Stern, voll mit komischen Zeug

    Sternengeschichten Folge 625: Przybylskis Stern - Fabrik für exotische Elemente oder Alienmüllhalde?

    Am 4. März 1961 hat der polnisch-australische Astronom Antoni Przybylski einen Fachartikel veröffentlicht, der den relativ harmlosen Titel "HD 101065-a GO Star with High Metal Content" trägt. Also übersetzt: "HD 101065- ein GO Stern mit hohem Metallgehalt". Das klingt nicht sonderlich aufregend, zumindest dann, wenn man weiß, dass in der Astronomie das Wort "Metall" etwas anderes bedeutet als im normalen Sprachgebrauch. Aber dazu kommen wir später noch. Aber tatsächlich ist der Stern, den Przybylski entdeckt und in seiner Arbeit beschrieben hat, definitiv enorm aufregend. So aufregend, dass die Forschung auch mehr als 60 Jahre später immer noch jede Menge offene Fragen hat, was dieses Ding angeht.

    Aber fangen wir mit dem an, was wir definitiv wissen. Der Stern wurde am 26. April 1960 von der Mount Stromlo Sternwarte in Australien aus beobachtet. Er ist knapp 360 Lichtjahre von der Erde entfernt und dort am Himmel, wo sich das Sternbild Zentaurus befindet. Er hat die 1,4fache Masse der Sonne, ist doppelt so groß und leuchtet circa 5,5mal heller. Przybylski hat damals nicht gezielt nach seltsamen Sternen gesucht, er wollte Sterne finden, die sich schnell bewegen und dafür hat er diverse Sterne aus dem Henry-Draper-Katalog im Detail beobachtet. Er hat ihr Spektrum bestimmt; hat also das Licht der Sterne das durch sein Teleskop gefallen ist, mit optischen Instrumenten in seine Bestandteile aufgespalten, um zu sehen, wie viel Energie das Licht bei bestimmten Wellenlängen hat. Das ist eine Standardtechnik in der Astronomie, die ich ja schon sehr oft im Podcast erklärt habe. Im Spektrum eines Sterns gibt es immer Bereiche, wo bei bestimmten Wellenlängen quasi gar nichts durchkommt. Das ist das, was man "Spektrallinien" nennt, weil dort in der visuellen bzw. grafischen Darstellung des Spektrums eine dunkle Linie zu sehen ist. Welche Spektrallinien zu sehen sind, hängt davon ab, aus welchen Elementen ein Stern besteht, denn jedes chemische Element blockt andere Wellenlängen des Lichts ab. Und wo genau man die Linie im Spektrum sehen kann, hängt davon ab, wie schnell sich die Lichtquelle, also der Stern, bewegt. Deswegen hat sich Przybylski die Spektren angesehen und deswegen hat er auch entdeckt, dass dieser eine Stern eine ganz besondere chemische Zusammensetzung hat.

    Der Stern hat vor allem sehr viele Metalle, womit in der Astronomie alles bezeichnet wird, was kein Wasserstoff und kein Helium ist. Wasserstoff und Helium sind mit sehr, sehr großem Abstand die häufigsten Elemente des Universums und damit auch die Elemente, aus denen Sterne fast komplett bestehen. Alles andere - also Zeug wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Gold, Silber, Eisen, usw, der ganze Rest des Periodensystems - wird in der Astronomie mit dem Begriff "Metalle" zusammengefasst, war zwar verwirrend und aus chemischer Sicht Quatsch ist, aber sich nun mal eben historisch so eingebürgert hat.

    Sterne, die viele Metalle enthalten, sind jetzt erst mal nicht außergewöhnlich. Die Sonne enthält auch Metalle, genau so wie alle anderen Sterne, die wir bis jetzt beobachtet haben. Nur die allerersten Sterne, die im Universum entstanden sind, können keine Metalle enthalten haben, denn damals gab es ja nur Wasserstoff und Helium, wie ich in Folge 454 der Sternengeschichten erzählt habe. Die ganzen anderen chemischen Elemente sind ja erst durch Kernfusion im Inneren der Sterne erzeugt worden. Je später ein Stern in der Geschichte des Universums entstanden ist, desto mehr Metalle kann er - theoretisch - enthalten. Es kommt aber nicht nur auf die Menge der Metalle an, sondern auch auf die Art. Und das ist genau das, was die Leuten bei Przybylskis Stern bis heute irritiert. Przybylski selbst konnte damals unter anderem Barium und Strontium nachweisen und das in ungewöhnlich großen Mengen. Außerdem viele der sogenannten "seltenen Erden". Mittlerweile weiß man, dass man es dort Caesium gibt, Holmium, Niob, Scandium, Yttrium, Neodym oder Praesodym. Von dem Zeug gibt es dort mehr als man eigenlich erwarten würde. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass Przybylskis Stern viele Actinoide enthält, also chemische Elemente die im Allgemeinen radioaktiv und darüber hinaus sehr kurzlebig sind. Thorium und Uran hat man definitiv gefunden, aber auch Indizen für Actinium, Protactinium, Neptunium, Plutonium, Americium, Curium, Berkelium, Californium und Einsteinium. Mit den meisten dieser Elemente hat man es im Alltag so gut wie nie zu tun, sie kommen eigentlich auch nicht natürlich vor. Elemente wie Neptunium, Plutonium, Americium, Curium, Berkelium, Californium und Einsteinum haben wir in kernphysikalischen Laboren oder bei der Explosion von Kernwaffen entdeckt; die liegen nicht einfach irgendwo rum. Und sie liegen deswegen nicht irgendwo rum, weil sie eben so stark radioaktiv sind und nach sehr kurzer Zeit wieder zerfallen. Einsteinium hat zum Beispiel im besten Fall eine Halbwertszeit von 472 Tagen. Das heißt, selbst wenn ein Stern aus irgendeinem Grund bei seiner Entstehung eine relevante Menge dieses Elements von irgendwoher mitbekommen hat, ist davon nach ein paar Millionen Jahren definitiv nichts mehr übrig.

    Przybylskis Stern ist auf jeden Fall über eine Milliarde Jahre alt; wenn wir heute dort solche Elemente wie Einsteinium finden, stimmt also irgendwas nicht. Es ist aber immer noch umstritten, ob man Einsteinium wirklich nachweisen konnte. Das liegt vor allem daran, dass wir hier auf der Erde nicht genug Einsteinium für die Forschung haben, um zu wissen, welche Art von Spektrallinien es im Detail produziert. Beim Element Promethium sieht es aber anders aus; das kennen wir hier auf der Erde und nutzen es zum Beispiel in der Raumfahrt als Energiequelle. Und man hat es auch relativ sicher in Przybylskis Sterns nachgewiesen. Promethium hat aber im besten Fall eine Halbwertszeit von knapp 18 Jahren; die Lage ist also nicht viel besser als beim Einsteinium.

    Also: Was ist da los? Wie kommt dieser Stern an so eine seltsame Sammlung chemischer Elemente und wieso sind dort Elemente, die eigentlich schon längst zerfallen sind. Die kurze Antwort ist: Keine Ahnung. Die längere Antwort lautet: Keine Ahnung, aber wir haben zumindest ein paar spannende Ideen. Es könnte zum Beispiel sein, dass Przybylskis Stern nicht alleine ist, sondern einen Begleiter hat. Dieser Begleiter könnte ein Neutronenstern sein, also der Überrest eines ehemaligen, großen Sterns. So ein Neutronenstern könnte Teilchen mit hoher Geschwindigkeit ins All schleudern, die dann, wenn sie auf Przybylskis Stern treffen, die entsprechenden radioaktiven Elemente erzeugen. Bis jetzt haben wir so einen Neutronenstern aber noch nicht nachgewiesen. Das heißt nicht, dass es ihn nicht gibt, aber wenn es ihn gibt, muss er sich in einer speziellen Umlaufbahn befinden, um sich so lange vor uns verstecken zu können.

    Trotzdem ist das fast noch die plausibelste Erklärung. Eine andere lautet nämlich so: Wir wissen zwar, dass die chemischen Elemente tendenziell immer instabiler werden, je mehr Kernteilchen sie enthalten. Also Atome wie Wasserstoff, mit nur einem Proton als Kernbaustein oder Sauerstoff mit 8 Protonen und 8 Neutronen sind stabil und zerfallen nicht und Elemente wie Einsteinium mit 99 Protonen und mindestens ebenso vielen Neutronen sind hoch radioaktiv und zerfallen schnell. Es gibt aber die Theorie einer "Insel der Stabilität", laut der, vereinfacht gesagt, Elemente existieren können, die ein bisschen stabiler sind, wenn die Zahl der Kernbausteine noch höher wird. Sie zerfallen zwar auch irgendwann, aber überleben deutlich länger. Wenn es diese Insel der Stabilität im Periodensystem gibt, dann könnte es entsprechende Elemente in Przybylskis Stern geben, die im Laufe der Zeit langsam zerfallen und als Zerfallsprodukte die beobachteten Elemente wie Einsteinium oder Promethium produzieren. Und weil dieser Zerfall der superstabilen Elemente kontinuierlich abläuft, wird eben auch dauernd neues Material als Zerfallsprodukt nachgeliefert. Das ist als Hypothese schon wild genug, aber man muss auch irgendwie erklären, wie ein Stern an solche Elemente kommt. Der Vorschlag: Vielleicht gibt es spezielle Arten von Supernova-Explosionen, die sie produzieren und dann durchs All schleudern.

    Oder vielleicht sind die superstabilen Elemente eh auch häufig in Sternen, aber wir kriegen sie nur in Ausnahmefällen zu sehen. Przybylskis Stern ist nämlich auch ein sogenannter roAp-Stern, ein Rapidly oscillating Ap star oder "schnell oszillierenden Ap Stern". Ich erkläre jetzt nicht im Detail, was das bedeutet, aber kurz gesagt: Der Stern ändert seine Helligkeit schnell und das deutet darauf hin, dass in seinem Inneren auch jede Menge an Dynamik abläuft, die es anderswo nicht gibt. Vielleicht werden die komischen Elemente nur bei solchen Sternen so weit aus dem Kern nach oben transportiert, dass wir sie mit spektroskopischen Methoden nachweisen können. Wie gesagt: Wir haben noch zu wenig Ahnung.

    Und wenn man keine Ahnung hat, kann man es natürlich auch immer mit einer anderen Antwort probieren: Aliens! Tatsächlich wurde auch schon vorgeschlagen, dass Außerirdische die ganzen obskuren Elemente absichtlich in Przybylskis Stern gekippt haben. Warum? Vielleicht weil sie so auf sich aufmerksam machen wollten - was ja dann auch recht gut funktioniert hätte. Oder vielleicht haben sie auf diesem Weg versucht, ihren radioaktiven Müll loszuwerden, aber dann müssten sie SEHR viel von diesem Müll haben. Gut, bei Aliens ist alles möglich, das ist ja das praktische und gleichzeitig das blöde, wenn man sie als Erklärung für irgendwas heranziehen will.

    Am Ende bleibt ein Stern, der ohne jeden Zweifel nicht so ist wie andere Stern. Ein Stern, der chemische Elemente enthält, die uns vor ein Rätsel stellen. Ein Stern, der uns die Entdeckung chemischer Elemente ermöglichen könnte und vielleicht einer ganz neuen Art von Chemie und Kernphysik. Es könnte ein Stern sein, der uns den Kontakt zu Aliens ermöglicht. Oder zumindest zu ihren Müllkippen…

    15 November 2024, 6:00 am
  • 14 minutes 53 seconds
    Sternengeschichten Folge 624: Was ist eine Singularität?
    Und: Kann eine Singularität auch nackt sein?

    Sternengeschichten Folge 624: Was ist eine Singularität?

    Das Wort "Singularität" klingt irgendwie aufregend. Und ursprünglich stammt es ja auch vom lateinischen Begriff "singularis", der "einzigartig" bedeutet. Etwas einzigartiges ist immer spannend. Und in der Wissenschaft werden mit "Singularität" jede Menge einzigartige, spannende und faszinierende Themen bezeichnet. Ich möchte aber heute nicht über die Singularität in der Meteorologie reden, womit ungewöhnliche Abweichungen vom üblichen Wetter bezeichnet werden, auch nicht von geographischen Singularitäten, also irgendwelchen auffälligen Bergen, die mitten in der flachen Landschaft stehen oder so. Ich möchte auch ganz explizit nicht über die technische Singularität sprechen, wo ja irgendwelche Leute mit mehr oder meistens weniger guten Argumenten behaupten, das irgendwann in Zukunft eine unvorstellbar mächtige Künstliche Intelligenz die Welt übernimmt. Das sind zwar auch alles interessante Themen, aber in diesem Podcast geht es um die Astronomie und das Weltall, also erzähle ich heute etwas über die astronomischen Singularitäten und die Frage, ob sie auch nackt sein können.

    Zuerst müssen wir aber einmal klären, was eine "Singularität" in der Astronomie überhaupt sein soll. Meistens hört man dieses Wort in Verbindung mit schwarzen Löchern, aber das ist nicht die ganze Geschichte. Ganz allgemein ist eine Singularität ein Ort, an dem die Gravitation so stark ist, dass die Krümmung der Raumzeit divergiert. Da kann man sich aber nicht sonderlich viel vorstellen, also braucht es ein bisschen mehr an Erklärung. Fangen wir mit ein paar sehr groben Vereinfachungen an und nähern uns dann Stück für Stück der Realität. Und der Ort, an dem wir anfangen, ist der Nordpol der Erde. Oder der Südpol, das ist egal, aber wir müssen uns für einen entscheiden, also nehmen wir den Nordpol. Und wenn wir dort angekommen sind, können wir uns fragen, wie unsere Position ist. "Am Nordpol, was sonst!" gilt nicht als Antwort, wir brauchen die geografische Länge und die geografische Breite. Letzteres ist einfach: Wir sind bei 90 Grad Nord, denn genau so ist es am Nordpol definiert. Aber auf welcher Länge sind wir? Also wie weit östlich oder westlich befinden wir uns von der Linie, die man vom Nordpol durch die Sternwarte von Greenwich zum Südpol ziehen kann (denn diese Linie ist der Nullmeridian der Längenmessung)? Die Antwort darauf ist nicht nur schwierig zu finden, es ist unmöglich. Berlin zum Beispiel hat eine geografische Länge von ein bisschen über 13 Grad Ost. Das bedeutet, die Linie, die ich vom Nordpol durch Berlin zum Südpol ziehen kann, liegt 13 Grad östlich des Nullmeridians. Aber auch diese Linie startet eben am Nordpol. ALLE Längengrade der Erde verlaufen durch den Nordpol und den Südpol und diese beiden Punkten haben schlicht keine geografische Länge. Es ist unmöglich, einen Längengrad des Nordpols anzugeben, weil alle Längengrade der Erde dort durchlaufen. Der Nordpol ist in dieser Hinsicht eine Singularität, aber es nicht die Art von Singularität, die in der Astronomie eine Rolle spielt. Der Nordpol ist eine sogenannte Koordinatensingularität, sie ist quasi nicht "echt". Und tatsächlich würden wir auch nichts besonders bemerken, wenn wir am Nordpol stehen - außer dass es sehr kalt ist. Aber dort hört die Erde nicht zu existieren auf; es ist ein Punkt wie jeder andere auf der Erdoberfläche. Die Probleme mit dem Längengrad können wir verschwinden lassen, wenn wir einfach andere Koordinaten als die geografische Länge und Breite verwenden. In der Astronomie haben wir es aber mit einer intrinsischen Singularität zu tun, die man nicht zum Verschwinden bringen kann. Dort IST tatsächlich irgendwas im Raum, dass einzigartig ist; es handelt sich um reale, physikalische Eigenschaften.

    Genauer gesagt: Es handelt sich vor allem um eine ganz bestimmte physikalische Eigenschaft, nämlich die Krümmung der Raumzeit. Wir wissen ja seit Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie, dass der Raum nicht nur auf besondere Weise mit der Zeit zusammenhängt, sondern auch gekrümmt ist und dass es die Anwesenheit von Masse ist, die dafür sorgt, dass sich die Raumzeit krümmt. Objekte, genau so wie Lichtstrahlen, folgen bei ihrer Bewegung dieser Krümmung und wenn da jetzt zum Beispiel ein Stern ist, wie die Sonne, der mit seiner Masse den Raum krümmt und ein Planet wie die Erde sich in der Nähe des Sterns bewegt, dann sorgt die Raumkrümmung dafür, dass der Planet um den Stern herum läuft. Das sieht so aus wie eine Kraft, nämlich die Gravitationskraft, die der Stern auf die Erde ausübt, in Wahrheit ist es aber ein Resultat der Krümmung des Raums. Soweit ist das alles weder neu, noch hat es etwas mit der Singularität zu tun. Interessant wird es, wenn - wie ich vorhin gesagt habe - die Krümmung der Raumzeit divergiert. Und "divergieren" beziehungsweise "Divergenz" ist ein Begriff aus der Mathematik, der so viel heißt wie "hat keine Grenze".

    Was das in unserem Fall bedeutet kann man mit einem nicht ganz so mathematisch exaktem Beispiel erklären. Wenn wir uns anschauen, wie ein Stern entsteht, dann passiert das, in dem eine große Wolke aus kosmischen Gas und Staub in sich zusammenfällt. Die Wolke wird also immer dichter und dichter und dichter - aber hier gibt es irgendwann eine Grenze. Dann nämlich, wenn die Temperatur in der Wolke hoch genug ist, dass Kernfusion einsetzen kann. Die Fusion erzeugt Strahlung, die dringt nach außen, drückt dabei - vereinfacht gesagt - gegen das kollabierende Gas und hält den Zusammenfall auf. Die Dichte erreicht einen von der Temperatur abhängigen Maximalwert und wird nicht größer. Dadurch kann auch die Krümmung der Raumzeit, die der Stern verursacht nicht beliebig groß werden. Wenn wir uns jetzt aber vorstellen, dass es keinen Mechanismus wie die Kernfusion gibt, der den Kollaps der Wolke aufhält und die Materie tatsächlich immer dichter und dichter und dichter wird: Was dann? Dann gibt es keine Grenze, die Dichte der Wolke wird irgendwann in einem Punkt unendlich groß und damit auch die Krümmung der Raumzeit. Das ist gemeint, wenn man sagt, dass die "Krümmung der Raumzeit" divergiert. Und der Ort, an dem so eine unendliche Krümmung auftritt, ist eine Singularität. Die aber, wenn man es mathematisch wieder ein bisschen exakter betrachtet, gar kein "Ort" im eigentlich Sinn ist. Denn auch die Metrik der Raumzeit divergiert dort. Über Metriken habe ich ja in Folge 617 schon gesprochen. Das ist, simpel gesagt, die Art und Weise, wie wir Abstände definieren beziehungsweise die Form des Raums selbst beschreiben. Wenn aber die Metrik selbst in einer Singularität divergiert und nicht definiert ist, dann kann man die Singularität auch nicht als Teil der Raumzeit betrachten. Es ist ein bisschen so wie vorhin beim Nordpol und der nicht definierten geografischen Länge. Nur dass man dieses Problem bei einer Singularität eben nicht einfach mit ein paar mathematischen Tricks verschwinden lassen kann. Im Gegensatz zum Nordpol ist eine Singularität tatsächlich ein Ort, der außergewöhnlich und anders als die anderen Orte im Raum ist.

    So weit, so gut. Aber jetzt kann man natürlich fragen, ob das auch wirklich relevant ist. Man kann ja leicht sagen: Die Dichte wird immer größer und größer und größer und die Krümmung der Raumzeit divergiert. Aber nur weil man das sagen und mathematisch formulieren kann, folgt daraus ja nicht, dass es so etwas auch in echt geben muss. Und tatsächlich hat man in der Astronomie die Singularität lange Zeit auch nur als mathematische Kuriosität betrachtet, die in der Realität keine Rolle spielt. Bis dann in den 1960er Jahren die britischen Physiker Roger Penrose und Stephen Hawking kamen. Sie entwickelten das sogenannte "Singularitäten-Theorem". Ohne jetzt auf die durchaus komplizierten Details einzugehen, haben sie gezeigt, dass man nicht einfach so tun kann, als hätte man es nur mit einer mathematischen Besonderheit ohne Auswirkung auf die Realität zu tun. Wenn man die Gültigkeit von ein paar sehr einfachen und fundamentalen Bedingungen voraussetzt, zum Beispiel dass Energie immer erhalten sein muss oder dass man nicht gleichzeitig in der Gegenwart und seiner eigenen Zukunft existieren kann, dann folgt die Existenz von Singularitäten direkt aus der Natur der Gravitation. Oder anders gesagt: Wenn wir davon ausgehen, dass die Gravitation so funktioniert wie Albert Einstein das mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben hat und wenn das bedeutet, dass die Gravitationskraft eine immer anziehende Kraft ist, dann kann das Singularitäten-Theorem beweisen, dass damit auch die Existenz einer Singularität folgen muss. Sie ist keine mathematische Absurdität sondern quasi fix in die Natur der Gravitation eingebaut. Unter bestimmten Bedingungen kann die Krümmung der Raumzeit nicht anders, als eine Singularität zu formen.

    Eine dieser Situationen ist der Kollaps eines großen Sternes, wie ich ja schon öfter hier im Podcast erklärt habe. Wenn der Stern ausreichend viel Masse hat, gibt es nichts, was verhindern kann, dass er immer weiter in sich zusammenfällt. Und das bedeutet, dass dort die Krümmung der Raumzeit divergiert: Es bildet sich eine Singularität. Das ist aber nicht die einzige Singularität, es gibt auch eine "Anfangssingularität", nämlich den Urknall. Auch unser Modell des gesamten Universums startet aus dem Zustand einer Singularität heraus, die sich ebenso wenig vermeiden lässt, wie die Singularität beim Kollaps eines großen Sterns.

    Ein Problem bleibt aber noch: Es kann keine Singularität geben. Im realen Universum kann nicht wirklich ein Punkt existieren, an dem die Massendichte unendlich groß ist. Oder die Krümmung der Raumzeit unendlich groß ist. Zum Zeitpunkt des Urknalls kann die Temperatur nicht unendlich groß gewesen sein. Und so weiter: Unendlichkeiten dieser Art können in der Realität nicht existieren. Lassen wir die Sache mit dem Urknall jetzt mal beiseite und bleiben beim schwarzen Loch. Wir wissen, dass es diese Objekte gibt, das haben wir mittlerweile ohne Zweifel nachgewiesen. Wir wisse aber NICHT, ob da irgendwo wirklich eine Singularität ist. Denn wenn sich ein schwarzes Loch bildet, kommt irgendwann der Punkt, an dem die Dichte und die Krümmung der Raumzeit so groß wird, dass Lichtstrahlen nicht mehr aus ihrer Umgebung entkommen können - und auch sonst nichts. Es bildet sich ein Ereignishorizont um den kollabierenden Stern. Und nur diesen Ereignishorizont können wir von außen beobachten. Da von dahinter kein Licht entkommen kann, sehen wir auch nicht, was dort passiert. Das was dahinter passiert kann den Rest des Universums auch nicht beeinflussen, denn nichts - kein Licht, keine Materie, keine Kraft, gar nichts - kann von innerhalb des Ereignishorizontes nach außen dringen. Es ist fast so, als wüsste das Universum, dass wir ein Problem mit Singularitäten haben und verhindert durch die Existenz eines Ereignishorizontes, dass wir irgendwas davon mitbekommen und nicht einmal wissen, ob da jetzt wirklich eine Singularität ist, oder nicht. Und tatsächlich hat Roger Penrose - der u.a für seine Arbeit am Singularitätentheorem den Physik-Nobelpreis bekommen hat - diese Idee unter dem Begriff "Kosmische Zensur" bekannt gemacht.

    Wir könnten uns jetzt also damit abfinden, dass die Frage nach den Singularitäten durch die Naturgesetze quasi zensiert wird und wir uns die Arbeit sparen können, darüber nachzudenken. Aber natürlich haben wir darüber nachgedacht, insbesondere über die Frage, ob es auch "nackte Singularitäten" geben kann. Damit ist eine Singularität gemeint, bei deren Entstehung sich KEIN Ereignishorizont ausbildet. Das klingt erstmal unmöglich, aber man hat schon in den 1970er Jahren zeigen können, dass es das nicht unbedingt ist. Hat man zum Beispiel einen unendlich langen Zylinder, der nicht rotiert und würde DER in sich zusammenfallen, dann würde man eine Singularität bekommen, aber keinen Ereignishorizont. Ok, es gibt keine unendlich langen Zylinder im Universum. Aber man kann auch zeigen, dass manche schwarze Löcher ihren Ereignishorizont verlieren oder gar nicht erst bekommen, zum Beispiel wenn sie sehr, sehr schnell rotieren. Warum das so ist, ist ohne viel Mathematik nicht so einfach zu erklären. Es kommt unter anderem darauf an, ob so ein Kollaps in alle drei Raumrichtungen gleichzeitig erfolgt oder ob die Materie in bestimmten Richtungen nicht oder langsamer kollabiert.

    Wenn es tatsächlich nackte Singularitäten gibt, wäre das natürlich super. Denn dann könnten wir - zumindest theoretisch - einfach nachschauen, was da denn jetzt wirklich los ist, wenn die Raumzeit sich scheinbar ohne Grenze immer weiter krümmt und krümmt. Und ich habe jetzt deswegen "scheinbar" gesagt, weil es am Ende ja sehr wahrscheinlich doch so sein muss, dass wir da irgendwas übersehen haben. Es ist offensichtlich, dass wir zwar sehr gut verstanden haben, wie die Gravitation funktioniert, aber wir sie noch ein bisschen besser verstehen müssen. Wenn es um Singularitäten geht, also um Phänomene, bei denen ja nicht nur bestimmte Parameter unendlich groß werden, sondern andere - wie die Ausdehnung - unendlich klein, dann braucht man auch die Quantenmechanik. Wir haben es aber immer noch nicht geschafft, die Beschreibung des Allerkleinsten mit der Beschreibung der Gravitation vernünftig zusammen zu bringen. Beide Theorien widersprechen einander in genau den Bereichen, die wir verstehen müssten, wenn wir verstehen wollen, wie das mit den Singularitäten wirklich ist. Erst wenn wir eine echte Quantentheorie der Gravitation haben, werden wir auch wissen, ob es wirklich Singularitäten im Universum gibt - und ob sie dabei nackt oder angezogen sind.

    8 November 2024, 6:00 am
  • 12 minutes 23 seconds
    Sternengeschichten Folge 623: Sample-Return Missionen
    Wir wollen ein Stück vom Universum!

    Sternengeschichten Folge 623: Sample-Return Missionen

    Astronomie ist eine Naturwissenschaft, die sich auf eine sehr grundlegende Art von allen anderen Naturwissenschaften unterscheidet. Die Objekte, die in der Astronomie erforscht werden, sind so gut wie immer extrem weit entfernt. In der Geologie kann man durch die Gegend wandern und unterschiedliche Gesteinsschichten direkt vor Ort erforschen. In der Biologie kann man ebenfalls direkt in der Natur arbeiten oder DNA, Mikroorganismen, und so weiter ebenso direkt im Labor untersuchen. Auch Physik und Chemie können das, was sie untersuchen, direkt untersuchen. Aber in der Astronomie geht das nicht. Sterne sind absurd weit entfernt; selbst der nächste Stern - die Sonne - ist 150 Millionen Kilometer von uns entfernt. Das gilt noch viel mehr für ferne Galaxien, und es gilt auch für die Planeten, von denen wir zwar ein paar in unserem eigenen Sonnensystem haben, von denen aber auch fast alle für uns unerreichbar sind. Deswegen ist die Astronomie auch eine Wissenschaft, in der die Optik eine so fundamentale Rolle spielt: Alles, was wir über das Universum wissen, wissen wir nur deswegen, weil wir gelernt haben, das Licht, das uns aus dieser unvorstellbaren Ferne erreicht hat, so genau zu untersuchen wie es sonst keine andere Wissenschaft kann.

    Natürlich gibt es Ausnahmen. Es gibt Meteoriten, die aus dem Weltall auf die Erde gefallen sind. Wir haben es geschafft, ein paar der Himmelskörper des Sonnensystems mit Raumsonden zu erreichen und Forschung direkt vor Ort anzustellen. Wir haben einen dieser Himmelskörper - den Mond - sogar selbst besucht. Aber die überwiegende Mehrheit unserer Information haben wir indirekt aus dem Licht gewonnen. Um so wichtiger ist es für uns, die paar Informationsquellen zu nutzen, die uns eine direkte Erforschung ermöglichen und genau deswegen, sind die "Sample Return Missionen" der Raumfahrt auch von so großer Bedeutung für die Astronomie.

    "Sample Return" heißt so viel wie: Proben-Rückführung. Und das sagt auch schon sehr gut, worum es geht: Wir holen uns eine Probe von irgendwo aus dem Weltraum auf die Erde, damit wir sie hier in alle Ruhe und mit allen wissenschaftlichen Möglichkeiten untersuchen können. Wobei "irgendwo aus dem Weltraum" natürlich übertrieben ist. Wir können nicht zu einem anderen Stern fliegen, dort ein Stück abknapsen und zur Erde bringen. Das können wir nicht mal bei der Sonne, weil ein Stern ein Objekt ist, von dem man keine Probe im eigentlich Sinn nehmen kann. Dazu müssten wir auf der Erde auch noch die Bedingungen nachstellen, die in einem Stern herrschen und das schaffen wir nicht. Aber wir könnten durchaus überlegen, ein Stück vom Mond zur Erde zu bringen. Genau das war auch eines der vorrangigen Ziele, als man in den 1960er Jahren die ersten Missionen zu unserem Nachbarn im All geplant hat. Der erste Versuch einer solchen Sample Return Mission hat am 14. Juni 1969 stattgefunden. Die sowjetische Raumsonde Luna E-8-5 No.402 (zugegeben ein etwas sperriger Name) stand am Raketenstartplatz in Baikonur bereit, um zu Mond zu fliegen, dort zu landen, Bodenproben zu sammeln und sie zurück zur Erde zu bringen. Wenn das funktioniert hätte, dann wären diese Proben vielleicht auf der Erde angekommen, bevor die Astronauten von Apollo 11 erfolgreich wären, die sich in den USA gerade bereit gemacht haben, auf ihren historischen Flug zum Mond zu starten. Aber ich habe nicht umsonst den Konjunktiv verwendet: Die Rakete hat nicht richtig funktioniert und die Sonde hat ihre Umlaufbahn nicht erreicht.

    In einem letzten Versuch, die USA vielleicht doch noch irgendwie zu schlagen, wurde ein paar Wochen später, am 13. Juli 1969 die Raumsonde Luna 15 gestartet. Auch ihr Ziel war es, Proben vom Mond zur Erde zu bringen. Diesmal hat der Start geklappt und am 17. Juli 1969 war Luna 15 in einer Mondumlaufbahn. Dort blieb man zwei Tage lang, um alle Systeme zu checken. Wer die historischen Daten im Kopf hat, wird wissen, dass zu diesem Zeitpunkt die drei Astronauten von Apollo 11 schon im Weltall waren. Ihre Rakete startete am 16. Juli 1969 und am 19. Juli waren Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins schon in einer Bahn um den Mond herum. Am 21. Juli 1969 fand der historische Moment statt: Armstrong und Aldrin haben als erste Menschen die Mondoberfläche betreten. Und am 21. Juli 1969 versuchte auch die Sowjetunion, Luna 15 zu landen. Leider ohne Erfolg: Statt einer sanften Landung gab es einen Einschlag und die Sonde wurde auf der Mondoberfläche zerstört. Übrigens über 500 Kilometer weit von der Landestelle von Apollo 11 entfernt.

    Wenn alles geklappt hätte, wäre Luna 15 nur kurz nach Apollo 11 zur Erde zurückgekehrt und vielleicht hätte man die ersten Proben eines anderen Himmelskörpers noch vor den USA der Welt präsentieren können. So waren es dann aber doch die drei amerikanischen Astronauten, die das erste Mal Gestein von einem anderen Ort im Weltraum auf die Erde gebracht haben. Insgesamt 22 Kilogram Mondgestein haben so am 24. Juli 1969 unsere Erde erreicht und geforscht wird daran noch heute. Ebenso wie an den gut 360 Kilogram Mondgestein, die bei den folgenden Mondlandungen mitgebracht wurden. Zwischenzeitlich war dann die Sowjetunion auch noch erfolgreich. Nach ein paar weiteren Fehlschlägen hat dann schließlich die Sonde Luna 16 das geschafft, was man von Anfang an wollte: Am 20. September 1970 fand eine sanfte Landung auf dem Mond statt; damals war das auch gleichzeitig die erste Landung, die in der Mondnacht stattgefunden hat. Ein automatischer Bohrer hat angefangen zu bohren, 35 Zentimeter tief. 100 Gramm Material aus dem Mondboden wurden in eine Kapsel verfrachtet und die Raumsonde hob wieder ab um die Kapsel am 24. September 1970 über Kasachstan abzuwerfen, wo sie dann auch sicher geborgen werden konnte. Das ist der Sowjetunion danach noch zwei weitere Male gelungen, mit den Sonden Luna 20 im Jahr 1972 und mit Luna 24 im Jahr 1976. Weitere 55 beziehungsweise 170 Gramm Mondmaterial haben so die Erde erreicht.

    Nach diesen Erfolgen am Mond hat man sich aber auch Gedanken gemacht, wie man an Proben von anderen Himmelskörpern gelangen könnte. Am 7. Februar 1999 flog die amerikanische Sonde Stardust ins All. Ihr Ziel: Der Komet Wild 2, aus dessen Staubhülle man Proben einsammeln wollte. Hier konnte man sich natürlich nicht so einfach irgendwo hinein bohren. Dazu hätte man dort landen müssen, was technisch aber noch außer Reichweite war. Aber ein Komet ist ja von einer Koma umgeben, einer Hülle aus Staub, der freigesetzt wird, wenn das Eis aus dem so ein Komet zu einem großen Teil besteht, bei Annäherung an die Sonne auftaut und gasförmig wird. Stardust hatte ein spezielles Sammelsystem aus Blöcken von Aerogel mit dabei. Vereinfacht gesagt, lauter kleine Kästchen, gefüllt mit einem sehr porösen Gel, das die Staubteilchen, die sich ja sehr schnell bewegen, abbremsen und einsammeln kann. Dieser Behälter wurde dann über der Erde abgeworfen und konnte am 15. Januar 2006 geborgen werden. Insgesamt hatte man kapp ein Gramm Material eingesammlt, was nach wenig klingt, aber dann doch sehr viel ist, wenn man bedenkt, dass man nur einzelne Staubteilchen gesammelt hat.

    Nach dem Kometen wollte man auch Material von Asteroiden haben. Das sind ja immerhin die Objekte, aus denen die Planeten entstanden sind; das ist das ursprüngliche Material des Sonnensystems und wenn wir verstehen wollen, wie alles angefangen hat, brauchen wir dieses Material in möglichst unverfälschter Form. Der erste Versuch, Proben von einem Asteroiden zu nehmen, fand im Rahmen der Hayabusa-Mission der japanischen Weltraumagentur statt, mit nur teilweisem Erfolg. Die Annäherung an den Asteroid Itokawa hat noch probemlos funktioniert, dann gab es aber diverse technische Probleme. Der Versuch einer Landung wurde abgebrochen, nur um nachher feststellen zu müssen, dass die Sonde dennoch gelandet ist. Ein zweiter Landeversuch schien erfolgreich verlaufen zu sein. Aber man war sich nicht sicher, ob man tatsächlich Proben genommen hatte. Als die Probenkapsel am 13. Juni 2010 wieder zurück auf der Erde war, enthielt sie weniger als ein Gramm Material. Deutlich weniger als erwartet, aber immerhin die ersten Proben von einem Asteroiden. Mit Hayabusa-2 konnte man die Probenentnahme dann aber erfolgreich durchführen: Im Dezember 2020 haben uns damit mehr als 5 Gramm Material des Asteroiden Ryugu erreicht. Noch mehr, nämlich 121 Gramm, hat die NASA Mission OSIRIS-REx im September 2023 vom Asteroid Bennu auf die Erde gebracht.

    Wir hätten eigentlich auch schon Material von anderen Objekten in unseren Labors haben sollen. Russland wollte im November 2011 zu Phobos starten, einem der beiden Monde des Mars. Aber die Mission Fobos-Grunt schlug fehl und erreichte keine Flugbahn die sie zum Mars gebracht hätte. Dafür ist China mittlerweile erfolgreich auf dem Mond gelandet und hat uns noch ein paar Kilogram Mondgestein mitgebracht.

    Natürlich wäre es auch super, eine Probe von einem anderen Planeten zu bekommen. In Frage kommt dafür vorerst eigentlich nur der Mars, die anderen Himmelskörper sind zu weit weg, haben keine feste Oberfläche oder, wie bei der Venus, zu feindliche Umweltbedingungen für eine Landung. Pläne für eine Sample Return Mission zum Mars hat es schon in den 1970er Jahren gegeben. Die Sowjetunion wollte das so machen, wie sie es auch beim Mond geplant hatten, nur mit entsprechend größeren Raketen. Die haben aber alle nie funktioniert und deswegen hat man das irgendwann bleiben lassen. Auch die NASA und die europäische Raumfahrtagentur ESA wollten ein Stück Mars zur Erde bringen. Und der Marsrover Perseverance der NASA hat im Februar 2021 auch tatsächlich Proben gesammelt und sicher in einem entsprechenden Behälter verpackt. Nur liegt der leider immer noch am Mars, der Teil der Mission, bei der eine weitere Sonde dort landen, die Proben aufnehmen und zurück zur Erde bringen hätte sollen, ist dann nicht mehr finanziert worden.

    Früher oder später wird es aber klappen. Wir werden Proben vom Mars haben; wir werden noch andere Asteroiden besuchen, und Teile von Kometen auf die Erde bringen. Die Daten, die wir aus diesen außerirdischen Materialien gewinnen können, sind einfach zu wichtig für die Forschung, als dass wir den Versuch aufgeben könnten.

    1 November 2024, 6:00 am
  • 11 minutes 17 seconds
    Sternengeschichten Folge 622: Gisela Weiss - Österreichs erste Astronomin
    Die unbekannte Erste

    Sternengeschichten Folge 622: Gisela Weiss - Österreichs erste Astronomin

    Es ist immer spannend, wenn man sich die ersten Menschen ansieht, die etwas geschafft haben, was vor ihnen keine andere Person geschafft hat. Sehr oft lernt man dabei eine faszinierende Persönlichkeit kennen. Und man erfährt auch immer etwas über die Zeit, in der die Geschichte stattgefunden hat, denn es hat ja meistens Gründe, warum etwas früher nicht möglich war und dann auf einmal schon. Aber leider gibt es viele dieser ersten Male, über die wir nichts wissen und viele, über die viel zu wenig wissen. Die Geschichte von Gisela Weiss ist so ein Fall.

    Was wir wissen ist: Gisela Weiss ist die erste Frau, die in Österreich eine Promotion im Fach Astronomie abgeschlossen hat. Sie hat also eine Doktorarbeit verfasst und dafür auch eigenständige wissenschaftliche Forschungsarbeit geleistet. Man kann sie also durchaus als die erste österreichische Astronomin bezeichnen. Aber natürlich muss man in diesem Fall auch berücksichtigen, dass es auch davor auch schon Frauen gegeben hat, die sich mit der Astronomie beschäftigt haben und die Geschichte der Astronomie deutlich älter ist, als ein Land wie Österreich. Über diese Probleme der historischen Einordnung habe ich ja schon in Folge 463 erzählt, als es um Waltraut Seitter ging, die erste Professorin für Astronomie in Deutschland.

    Aber lassen wir das mal beiseite und beschäftigen uns mit Gisela Weiss. Sie wurde am 14. Juli 1891 in Wien geboren. Ihr Vater war Leo Weiß, der ursprünglich aus Galizien stammte, also der Gegend, die heute den Süden von Polen und den Westen der Ukraine ausmacht und damals Teil des Kaisertums Österreich war. Leo Weiß hat westlich von Wien, in Klosterneuburg, mehrere Firmen gegründet, die Holz und Metall verarbeitet haben. Über die Kindheit seiner Tochter Gisela ist wenig bekannt. Sie hat ein Mädchenobergymnasium in Wien besucht, über das sich aber heute nichts mehr herausfinden lässt; vielleicht, weil es keine öffentliche Schule war. Eine allgemeine Schulpflicht auch für Mädchen bis zum 12. Lebensjahr hat es in Österreich schon gegeben, seit sie 1774 unter Kaiserin Maria Theresia eingeführt worden ist, eine höhere Bildung zu erlangen war aber immer noch nicht selbstverständlich. Immerhin: Ab dem Jahr 1878 durften auch Frauen die Matura ablegen, also das, was in Deutschland "Abitur" genannt wird und im Prinzip die Berechtigung für ein Studium an einer Universität darstellt. Und ich sage deswegen "im Prinzip" weil Frauen in Österreich zwar die Matura ablegen konnten, sie dann aber trotzdem nicht studieren durften. Das fanden aber immer mehr Menschen ungerecht und nicht nur die Frauen selbst. Ein Mitglied des damaligen Abgeordnetenhauses hat im Jahr 1895 festgestellt: "Von allen Staaten der Erde stehen heute nur noch Österreich und Deutschland auf dem Standpunkte, daß sie der weiblichen Jugend das Universitätsstudium verwehren wollen … Dort, wo es sich um einen humanitären und wissenschaftlichen Fortschritt handelt, kommen wir immer zuletzt." Trotzdem war der Kampf um Gleichberechtigung zäh. Ab 1896 wurde es zum Beispiel zwar erlaubt, dass Frauen, die im Ausland ein Doktorat in Medizin hatten, das auch in Österreich anerkennen lassen konnten. Aber sie mussten dafür trotzdem ihre Abschlussprüfung ein weiteres Mal ablegen und dazu nachweisen, dass sie ein "moralisch einwandfreies Vorleben" hatten - was Männer übrigens alles nicht tun mussten. 1897 durften dann aber endlich auch Österreicherinnen mit ihrer Matura ein Studium beginnen. Natürlich war damit noch immer nicht alles geschafft; manche Professoren haben sich geweigert, vor einem Publikum aus Männern und Frauen zu unterrichten; Frauen durften nicht alle Vorlesungen besuchen oder alle Disziplinen studieren. Aber obwohl dieses Thema sehr interessant und wichtig ist, schauen wir jetzt wieder zurück zu Gisela Weiss.

    Sie legte ihre Matura im Jahr 1912 am Gymnasium Rahlgasse in Wien ab; darüber gibt es noch Aufzeichnungen. Danach begann sie ein Studium an der Universität Wien in den Fächern Mathematik, Physik und Astronomie. Es wäre schön zu wissen, warum sie sich dafür entschieden hat. Aber diese Information existiert leider nicht. Wir wissen nur, dass sie dabei nicht unerfolgreich gewesen sein kann. Denn im Jahr 1917 konnte sie ihre Doktorarbeit in Astronomie abschließen. Wer sich ein bisschen mit der Geschichte der Wiener Universitätssternwarte beschäftigt hat, wird leicht erraten können, wovon sie handelt. Damaliger Direktor der Sternwarte war Josef von Hepperger, Vizedirektor war Johann Palisa und Palisa war einer der wichtigsten damaligen Forscher auf dem Gebiet der Kleinplaneten, also den Himmelskörpern, die wir heute "Asteroiden" nennen. Palisa hat 121 davon entdeckt; er hat sich mit der Bestimmung ihrer Bahnen beschäftigt und Kataloge erstellt, mit denen man Asteroiden leichter finden kann. Die Geschichte der Universitätssternwarte Wien wäre ebenfalls ein spannendes Thema für mehr als nur eine Podcastfolge. Aber für heute reicht es zu sagen, dass die Erforschung der Kleinplaneten das wichtigsten Arbeitsgebiet der damaligen Sternwarte in Wien war und fast das einzige Arbeitsgebiet. Es ist also absolut nicht überraschend, wenn die Doktorarbeit von Gisela Weiss sich ebenfalls mit Kleinplaneten beschäftigt. Sie hatte sich den Asteroid Ambrosia ausgesucht. Oder besser gesagt: Vermutlich hat Josef von Hepperger dieses Thema ausgewählt, der die Arbeit auch beurteilt hat, aber dazu später mehr.

    Der Asteroid Ambrosia wurde am 28. Februar 1879 entdeckt und zwar von Frankreich aus und dem französischen Astronom Jérôme-Eugène Coggia. Dann hat man es aber 35 Jahre lang nicht mehr beobachtet und erst 1915 konnte ihn der deutsche Astronom Max Wolf von Heidelberg aus wieder finden und ihn auch fotografieren. Johann Palisa, ein enger Kollege von Wolf, machte von Wien aus jede Menge Beobachtungen von Ambrosia, insgesamt 23 Stück. Damit war er im April 1916 fertig. Aber Beobachtungen sind noch keine Bahnbestimmung. Dazu braucht es jede Menge Mathematik und - ohne Computer oder gar Taschenrechner - sehr viel händisches Rechnen. Es liegt nahe, dass man diese Arbeit an eine Studentin ausgelagert hat, die ein Thema für ihre Dissertation gebraucht hat. Auf jeden Fall war die Bahnbestimmung von Ambrosia das Thema von Gisela Weiss' Doktorarbeit, die am 21. April 1917 beurteilt wurde; und am 28. Juni 1917 wurde ihr offiziell der Doktorgrad verliehen.

    Recht freundlich war die Beurteilung allerdings nicht: „Die vorliegende Abhandlung kann mit Rücksicht auf die bedeutende hierauf angewendete Arbeit und deren gute Durchführung noch als den gesetzlichen Anforderungen entsprechend bezeichnet werden“. Ob das wirklich stimmt beziehungsweise was tatsächlich in der Arbeit von Weiss' stand, wissen wir nicht. Ihre Dissertation ist in keiner Bibliothek mehr auffindbar und ihre Forschungsergebnisse sind auch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden. Letzteres ist aber nicht ungewöhnlich, damals hat man Doktorarbeiten nur sehr selten publiziert. Dass sie aber auch weder in der Uni- noch in der Nationalbibliothek zu finden ist, ist schade. Auf jeden Fall wissen wir, dass die Arbeit von Gisela Weiss gut genug für eine Promotion war. Dass sie kein genialer Geistesblitz war, der die Astronomie revolutioniert hat, ist auch nicht überraschend. Erstens ist das bei Dissertationen selten der Fall, die meisten davon sind zwar eigenständige Forschungsarbeiten, die sich aber dann doch eher mit Themen beschäftigen, wo man im voraus schon halbwegs abschätzen kann, was herauskommen wird und das man das Thema auch in der nötigen Zeit abschließen kann. Das gilt heute wie damals und so wie heute hat man auch damals wahrscheinlich nur bedingt selbst auswählen können, was für ein Thema man bearbeitet. So etwas wird üblicherweise von den Betreuern vorgeschlagen und wer weiß, ob Gisela wirklich Lust auf die Bahnbestimmung gehabt hat oder eigentlich lieber etwas anderes machen wollte? Wir wissen auch nicht, ob sie enttäuscht war, dass ihre Arbeit zwar für eine Promotion gereicht, den Betreuern aber anscheinend nicht so gut gefallen hat. Wir wissen nicht, ob es irgendwelche Unstimmigkeiten zwischen Gisela Weiss und den restlichen Mitarbeitern an der Uni-Sternwarte gab. Wir wissen nur, dass sie nach ihrer Promotion die Universität verlassen hat, um im Betrieb ihres Vaters zu arbeiten. Sie hat 1920 geheiratet, sich aber später wieder scheiden lassen. Leo Weiss ist 1930 gestorben, seine Firma ist aber im Besitz der Familie geblieben und man kann davon ausgehen, dass Gisela Weiss weiterhin dort gearbeitet hat. Zumindest bis 1938, als der Betrieb - so wie viele andere Firmen im Besitz jüdischer Familien - von den Nationalsozialisten enteignet worden ist. Was Gisela Weiss in dieser Zeit gemacht hat, ist ebenfalls unbekannt. Sie muss es allerdings geschafft haben, Österreich zu verlassen, denn im Jahr 1950 wurde sie Staatsbürgerin von Israel und lebte in Tel Aviv. Sie ist aber immer wieder nach Wien zurück gekehrt, dürfte ausreichend viel Geld gehabt haben um auch dort entsprechend gut zu wohnen. Das Ende ihres Lebens hat sie in einem Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde verbracht wo sie am 12. Juni 1975 gestorben ist. Ihr Grab befindet sich am jüdischen Friedhof von Klosterneuburg.

    Das ist mehr oder weniger alles, was wir über Gisela Weiss wissen. Es gibt keine Nachfahren, die mehr über sie erzählen könnten und keine weiteren bekannten Dokumente, die mehr Informationen über ihr Leben verraten. Und das bisschen, das wir wissen, verdanken wir auch nur der Recherche von Anneliese Schnell, ebenfalls eine Astronomin aus Wien, die seit 1966 bis zu ihrem Tod im Jahr 2015 an der Universitätssternwarte Wien gearbeitet hat. Schnell war übrigens selbst auch eine "Erste", nämlich die erste Frau, die 1974 in den Vorstand der Astronomischen Gesellschaft gewählt wurde, eine der ältesten astronomischen Vereine Europas und heute immer noch der Fachverband der deutschen Astronomie. Schnell hat ihre Dissertation übrigens 1967 abgeschlossen: Genau 50 Jahre nach Gisela Weiss.

    25 October 2024, 5:00 am
  • 10 minutes 44 seconds
    Sternengeschichten Folge 621: Blaneten, die um schwarze Löcher kreisen
    Nein, kein Tippfehler. Es geht um Blaneten

    Sternengeschichten Folge 621: Blaneten, die um schwarze Löcher kreisen

    Keine Sorge, da ist kein Tippfehler im Titel dieser Folge und nochmal keine Sorge, ich habe auch keine Probleme damit, das Wort "Planet" richtig auszusprechen. Denn in dieser Folge geht es nicht Planeten, sondern um "Blaneten", mit einem weichen B wie "Brauner Zwerg" oder "Balkenspiralgalaxie" am Anfang. Ich werde mich sehr bemühen, in dieser Folge deutlich zu sprechen, damit klar ist, ob ich gerade von einem Planeten oder Blaneten spreche. Aber, und das ist eine durchaus relevante Frage, was soll das eigentlich?

    Was soll ein "Blanet" sein und warum denkt man sich dafür ein Wort aus, das fast so wie ein anderes Wort klingt? Das ist doch verwirrend… Ja, ist es und die Astronomie ist leider gerne mal verwirrend, wenn es um ihre Begriffe geht. Wir haben planetarische Nebel, die nix mit Planeten zu tun haben, wir messen die Helligkeit von Sternen mit Magnituden, aber je mehr Magnituden ein Stern hat, desto schwächer leuchtet er, der Morgenstern ist kein Stern, und so weiter. Ein "Blanet" hat aber durchaus etwas mit "Planeten" zu tun und bevor es noch weiter verwirrend bleibt, lese ich vielleicht den Titel der Facharbeit vor, in der dieser Begriff das erste Mal auftaucht. Das war im Jahr 2021, als die japanischen Astronomen Keiichi Wada, Yusuke Tsukamoto, und Eiichiro Kokubo einen Aufsatz geschrieben haben, der folgenden Titel trägt: "Formation of 'Blanets' from Dust Grains around the Supermassive Black Holes in Galaxies". Auf deutsch heißt das soviel wie "Entstehung von 'Blaneten' aus Staubkörnern rund um supermassereiche schwarze Löcher in Galaxien". Ein "Blanet" ist also ein Planet eines schwarzen Lochs, ein "black hole planet" oder eben kurz "Blanet".

    Es ist eine komische Idee. Planetenähnliche Himmelskörper, die bei einem schwarzen Loch entstehen? Die Idee ist aber nur so lange komisch, wie man nicht weiter darüber nachdenkt. Und ich fange gleich mal damit an, das erste Missverständnis aus dem Weg zu räumen. Ich habe das in früheren Folgen schon gesagt, aber sage es jetzt nochmal: Ein schwarzes Loch ist kein Staubsauger. Die Dinger saugen nicht gnadenlos alles ein; es ist absolut möglich, dass ein anderer Himmelskörper ein schwarzes Loch auf einer stabilen Umlaufbahn umkreist. Schwarze Löcher sind ja auch nur Ansammlungen von Masse im Universum, die eine Gravitationskraft ausüben und die man, so wie alle anderen Ansammlungen von Masse, auch umkreisen kann. Das einzige außergewöhnliche an ihnen ist ihre Kompaktheit; man kann ihnen so nahe kommen, dass die Anziehungskraft so enorm stark wird, dass man schneller als das Licht sein müsste, um sich wieder zu entfernen. Wenn man ihnen aber nicht sooo nahe kommt und quasi einen Sicherheitsabstand einhält, wird man auch nicht angesaugt.

    Aber das ist es nicht, worum es bei den "Blaneten" geht. Die drei japanischen Forscher haben sich damals folgendes überlegt: Wir wissen, wie Planeten entstehen. Nämlich in sogenannten protoplanetaren Scheiben um junge Sterne. Nachdem ein Stern entstanden ist, ist er noch von jeder Menge Staub und Gas umgeben und das Zeug in dieser Staub- und Gasscheibe kann sich im Laufe der Zeit zusammenballen, so dass größere Objekte wie eben Planeten entstehen. In Wahrheit ist der Vorgang natürlich sehr, sehr viel komplizierter und die Astronomie ist immer noch dabei, die Details der Planetenentstehung zu verstehen. Aber das Grundprinzip ist klar und wir haben nicht nur die Planeten unseres eigenen Sonnensystems als Beispiel, sondern auch schon tausende Planeten bei anderen Sternen gefunden und können bei anderen, jüngeren Sternen sogar die protoplanetaren Scheiben und in seltenen Fällen auch die in Entstehung begriffenen Planeten sehen.

    Aber, so haben sich die japanischen Astronomen überlegt, die protoplanetaren Scheiben sind nicht die einzigen Orte im Universum, wo diese Bedingungen für die Entstehung von Planeten existieren. Es gibt auch die "zirkumnuklearen Scheiben". Die findet man im Zentrum von großen Galaxien, rund um deren supermassereichen schwarzen Löcher. Ich habe in den vergangen Folgen der Sternengeschichten ja schon öfter darüber geredet: Wir wissen, dass alle großen Galaxien in ihrem Zentrum ein schwarzes Loch haben, das ein paar Millionen bis ein paar Milliarden mal so viel Masse wie die Sonne hat. Wir wissen zwar immer noch nicht genau, wie diese Objekte entstehen, haben sie aber einwandfrei nachgewiesen und in einigen Fällen sogar fotografiert. Beziehungsweise: Wir haben nicht das schwarze Loch selbst fotografiert; das geht ja per Definition nicht. Aber in der Umgebung der schwarzen Löcher gibt es jede Menge Gas und Staub, das da rund herum wirbelt und dadurch aufgeheizt wird. Das Zeug leuchtet dadurch hell und ist sichtbar, bis auf den zentralen Bereich, wo das schwarze Loch ist. Fotografiert haben wir diesen dunklen Schatten vor der hell leuchtenden Scheibe aus Gas und Staub und genau die ist es, die uns interessiert, wenn es um die "Blaneten" geht.

    Oder genauer gesagt: Es sind die äußeren Bereiche der Scheibe. In unmittelbarer Umgebung des Lochs ist es unangenehm. Das ganze Material wird zu stark aufgeheizt; erzeugt zu viel helle und harte Strahlung und dort fällt das Material auch irgendwann in das schwarze Loch. Aber weiter außen, eben in der zirkumnuklearen Scheibe, geht es ein wenig ruhiger zu. Dort könnten ähnliche Bedingungen wie in der prototplanetaren Scheibe eines jungen Sterns herrschen, wo sich Material im Laufe der Zeit zusammenballt um planetengroße Himmelskörper zu bilden.

    Ob das wirklich so funktioniert und unter welchen Bedingungen haben die drei Japaner erforscht und das Ergebnis lautet: Ja, das kann klappen. Es geht nur weit genug entfernt vom schwarzen Loch und "weit" heißt hier ungefähr ein paar Lichtjahre. Das bedeutet, dass man auch ausreichend große schwarze Löcher braucht, um so große Scheiben aus Material zu kriegen. Mindestens eine Million Sonnenmassen sollte es schon haben, aber das haben die meisten supermassereichen schwarzen Löcher - das im Zentrum unserer Milchstraße hat zum Beispiel gut 4 Millionen Sonnenmassen. Die Masse ist aber nicht das einzige; es kommt auch auf das Alter an. In einer jungen Galaxie ist noch viel Gas und Staub vorhanden um eine ordentliche zirkumnukleare Scheibe zu bilden; in alten, wie unserer Milchstraße, ist das ganze Material schon verschwunden. Hier können als keine neuen Blaneten mehr entstehen - aber vielleicht ist das ja schon früher passiert.

    Die Blaneten, die entstehen, haben typischerweise mehr Masse als die Erde, teilweise sogar viel mehr. Sie sind auch viel weiter voneinander entfernt als die Planeten in unserem Sonnensystem. Aber, so das Fazit der Arbeit, rein prinzipiell spricht nichts dagegen, dass sich rund um ein supermassereiches schwarzes Loch ein System aus Blaneten unterschiedlicher Größe bildet, die sich dort auf stabilen Umlaufbahnen bewegen.

    Bleiben zwei Fragen. Erstens: Kann man diese Dinger nachweisen, wenn sie da draußen sein sollten? Und zweitens: Kann man dort leben? Fangen wir mit Frage 1 an und die Antwort darauf lautet: Eher nicht. Die Methoden, mit denen wir bisher die Planeten anderer Sterne entdeckt haben, funktionieren alle nicht bei schwarzen Löchern. Sie werden nicht von ihrem Stern angeleuchtet, weil sie keinen haben. Wir können nicht messen, wie das schwarze Loch dunkler wird, wenn der Blanet von uns aus gesehen daran vorüber zieht, weil ein schwarzes Loch schon so dunkel ist, wie es nur geht, und so weiter. Man könnte probieren, die Röntgenstrahlung zu beobachten, die aus der Umgebung des schwarzen Lochs kommt und schauen, ob die in periodischen Abständen schwächer wird. Aber auch das ist eher hoffnungslos, den selbst das schwarze Loch in unserer eigenen Milchstraße ist gut 26.000 Lichtjahre entfernt und bei anderen Galaxien sind die Abstände unvorstellbar viel größer. Mit der absehbaren Beobachtungstechnik werden wir die Blaneten wahrscheinlich nicht finden, wenn sie denn da sind.

    Aber wir können uns trotzdem noch fragen: Könnte man - oder eher: etwas - dort leben? Vielleicht! Es ist durchaus möglich, dass sich diese Blaneten auch eine Atmosphäre zulegen; Gas gibt es in der zirkumnuklearen Scheibe ja genug. Problematisch wird es, was die Energiequelle angeht. Mit Licht und Wärme ist bei einem schwarzen Loch nicht zu rechnen. Und die ganze Strahlung die aus der Umgebung des schwarzen Lochs kommt, hätte die Atmosphäre der Blaneten vermutlich auch schnell zerstört. Wenn es sich nicht um eine Art von Leben handelt, die sich völlig von dem unterscheidet was wir bis jetzt kennen und was wir uns sinnvollerweise anhand dessen vorstellen können, was wir über die Entstehung von Leben gelernt haben, dann werden Blaneten eher lebensfeindliche Orte sein. Trotzdem: Die Vorstellung, man könnte auf einem Himmelskörper stehen und am Himmel ein gigantisches schwarzes Loch mit leuchtender Scheibe drumherum sehen ist verlockend. Selbst wenn man diesen Himmelskörper dann als "Blanet" bezeichnen müsste…

    18 October 2024, 5:00 am
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