Erster deutschsprachiger Roman als Podcast mit 5-minütiger wöchentlicher Fortsetzung.
Vorsichtig öffnete er die Tür und setzte sich neben sie auf die Bettkante. Luisa schlief. Er fasste ihre Schulter an. Sie wachte auf und sah ihn erschrocken an. „Wo bin ich?“ „Keine Sorge, wir sind in Franciscos Haus. Hier ist eine Karaffe mit Wasser.“ Er stellte Glas und Karaffe neben ihrem Bett ab. „Geht es Dir besser?“ „Es tut gut zu schlafen, meine Magenschmerzen sind beinahe weg. Wir können hier nicht bleiben, oder?“ Paco sah weg.
„Señorita“ sagte die Schwester und legte eine Hand auf ihre Schulter, „wachen Sie auf!“ Luisa öffnete die Augen und drehte sich zu ihr. „Es tut mir leid, dass ich Sie wecken muss. Aber es gibt einen Befehl vom Vorsitzenden des Kriegsrates, Mayor Nuñez, dass Sie in ein Militärgefängnis verlegt werden sollen, wo Ihnen dann auch vor dem Militärtribunal der Prozeß gemacht wird. Das neue Gesetz gegen den Terrorismus sieht diese Regelung ohne Ausnahme vor.
Ein Sanitäter und ein Arzt betraten den Raum. Sie sahen sie an. „Wieso haben Sie denn nicht geklingelt?“ „Wir dachten, dass Sie bestimmt nur kurz um die Ecke sind, da will man doch nicht stören!“ antwortete Ramón. „Wo fehlt es denn bei Ihnen?“ fragte der Mann in dem Arztkittel. Paco fasste Ramón um die Taille. „Mein Bruder ist eben gestürzt und kann nicht mehr richtig auftreten. Am Besten, Sie sehen sich das mal an.“
Ramón saß am Küchentisch und ließ immer wieder eine Orange von der einen in die andere Hand fallen. Immer wieder gab es ein leichtes Plopp, wenn die Orange auftraf. Paco sah ihn an. „Kannst Du damit nicht aufhören? Ich bin auch nervös, mache aber nichts, um meine Mitmenschen noch nervöser zu machen.“ Einen kurzen Augenblick legte Ramón beide Hände auf die Orange und war still.
Ihr Magen tat weh. Die Schmerzen schienen sie fast zu zerreißen. Sie lag auf der Pritsche unter der groben Wolldecke, unter der es ihr viel zu warm wurde. Wenn sie die Decke aber zur Seite legte, fror sie gleich. Vorsichtig beugte sie sich vor und nahm einen Schluck Wasser. Luisa sah auf den leeren Topf und verfluchte, dass sie alles aufgegessen hatte.
Der Schlüssel quietschte kurz im Schloß, dann öffnete sich die graue Stahltür. Niemand kam herein, Luisa hörte nur einen knappen Ruf von Elena, der neuen Aufseherin. „Besuch für Dich!“ Luisa versuchte so schnell es ging von der Pritsche aufzustehen und zur Tür zu gehen.
Am nächsten Morgen nahmen sie alle ihr Frühstück schweigsam ein. Niemand sagte etwas und es stand ihnen ins Gesicht geschrieben, dass sie am liebsten gar nicht hier wären. Paco ging kurz der Gedanke durch den Kopf, was er täte, wenn sie ihn jetzt alle verließen. Zumindest sein Bruder würde wohl bleiben.
Ignacio schrie auf. „Du spinnst, du bist völlig verrückt geworden. So etwas schafft in diesem Land nicht einmal die ETA. Weißt du, wie sie die politischen Gefangenen bewachen? Da kommen wir niemals durch, nicht einmal, wenn wir gute deutsche Waffen hätten, die wir im Übrigen nicht haben.“ Aber Ramón dreht sich zu Paco um.
Nachdem eine lange Zeit niemand etwas gesagt hatte, sah Jordi von einem zum anderen. „Sie wird uns nicht verraten, da bin ich sicher.“ „Du und dein Optimismus, Jordi. Sie ist ein Stadtmädchen, die hält nicht lange durch, sage ich Euch.“ Ignacio nickte, um sich selbst noch einmal zu bestätigen. „Und dann“, fragte Ramón, „was machen wir dann?“
Es wurde allmählich dunkel. Im Hintergrund lief das Radio, Jordi stellte es etwas lauter. „Radio Nacional mit dem Bericht vom Tage“, „Mist“, sagte Jordi, „es ist schon halb zehn. Wo bleibt sie denn bloß, dass Treffen mit diesem Typen war heute nachmittag um vier.“ Er sah Ignacio unruhig an.
Kaum war der Wagen zum Stehen gekommen, sprangen zwei Uniformierte heraus, mit der Maschinenpistole im Anschlag. Einer brüllte: „Auf den Boden, los macht schon! Alles was ihr in der Hand habt, fallenlassen.“ Das war das Ende.