Sternengeschichten

Florian Freistetter

Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie.

  • 13 minutes 59 seconds
    Sternengeschichten Folge 596: Die Quintessenz und die Dunkle Energie
    Das fünfte Element in der modernen Physik

    Sternengeschichten Folge 596: Die Quintessenz und die Dunkle Energie

    Wenn wir von der "Quintessenz" sprechen, dann meinen wir damit das "Wesentliche" oder das "Wichtigste". Wörtlich bedeutet der lateinische Ausdruck das "Fünfte Seiende", die "quinta essentia" beziehungsweise etwas freier übersetzt das "Fünfte Element". Ursprünglich gemeint war damit in der antiken griechischen Philosopie der Äther, also ein fünftes Element neben Wasser, Feuer, Erde und Luft. Diese vier sollten nach damaliger Auffassung ja die Bausteine aller irdischen Dinge sein. Aber am Himmel, womit damals alles gemeint war, was sich weiter entfernt als der Mond befindet, sollte es etwas anderes geben; das fünfte Element, den Äther. Im Gegensatz zu den irdischen Elementen, die sich verändern können, sollte der Äther ewig sein, zeitlos und unveränderlich. Der Äther ist nicht heiß oder kalt, nicht feucht oder trocken sondern himmlisch perfekt und darüber hinaus bewegt sich alles, was aus Äther besteht, immer im Kreis. Damit hatte man eine Erklärung dafür gefunden, warum sich die Himmelskörper bewegen, die gut ins damalige philosophische Bild gepasst hat.

    Später, im Mittelalter und der Neuzeit wurde der Äther dann umgedeutet zu einem Material, dass den ganzen Weltraum erfüllt; das Material, in dem sich auch das Licht ausbreiten kann. Dass es so etwas nicht braucht, konnte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gezeigt werden, als entsprechende Experimente belegt haben, dass nirgendwo eine Spur des Äthers zu finden ist und Albert Einstein mit seiner Relativitätstheorie gezeigt hat, dass es so etwas auch nicht braucht.

    Ein paar Jahrzehnte später, gegen Ende des 20. Jahrhunderts, ist die Quintessenz dann aber wieder in die Physik zurück gekehrt. Mit dem antikel Konzept hat sie aber nicht mehr viel zu tun; nur der Name ist noch der selbe. Und genau diese moderne Quintessenz werden wir uns heute ein wenig genauer ansehen. Wir müssen dafür wieder in die dunklen Bereiche des Universums eindringen und uns mit den fundamentalen Eigenschaften des Kosmos beschäftigen.

    Wenn wir wissen wollen, was die moderne Kosmologie mit "Quintessenz" meint, müssen wir bei der dunklen Energie anfangen. Und dafür noch einmal daran erinnern, dass sich das Universum ausdehnt. Das wissen wir seit den 1920er Jahren, als Edwin Hubble und seine Kollegen beobachtet haben, dass sich alle Galaxien voneinander entfernen. Nicht, weil sie sich so schnell DURCH den Raum bewegen, sondern weil der Raum selbst immer mehr wird. Zwischen den Galaxien wird der Raum immer größer und größer und das führt dazu, dass sie sich voneinander entfernen und zwar um so schneller, je weiter sie voneinander entfernt sind - denn desto mehr Raum ist zwischen ihnen und desto mehr kann sich ausdehnen.

    Dieser Befund war gegen Ende des 20. Jahrhunderts sowohl durch Beobachtungsdaten als auch durch theoretische Grundlagen gut bestätigt und soweit verstanden. Dann aber ist etwas überraschendes passiert. In den 1990er Jahren wollte man bestimmen, wie stark sich die Expansion des Universums im Laufe der Zeit verlangsamt. Denn der Expansion wirkt ja die Gravitationskraft entgegen. Die gesamte Masse im Universum zieht sich gegenseitig an und im Laufe der Zeit sollte sich die Expansion dadurch verlangsamen. Vielleicht sogar so weit, dass der ganze Kosmos irgendwann wieder in sich zusammenfällt. Ich werde jetzt nicht erklären, wie man die Beobachtungen gemacht hat, um zu messen, wie sich die Expansionsrate im Laufe der Zeit verändert, das habe ich zum Beispiel in Folge 26 ausführlich erklärt. Man kann es auf jeden Fall tun und das Ergebnis, zu dem mehrere Arbeitsgruppen damals unabhängig voneinander gekommen sind, war äußerst unerwartet. Die Expansion des Universums wird nicht langsamer. Sie beschleunigt sich! Das war genau das Gegenteil von dem, was man dachte, das passiert. Aber die Beobachtungsdaten waren klar: Etwas sorgt dafür, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt.

    Wir wissen nicht, was dieses "Etwas" ist und haben es mit dem Begriff "Dunkle Energie" bezeichnet. Es gibt natürlich jede Menge Hypothesen zur Natur der dunklen Energie. Eine davon ist die "kosmologische Konstante"; ich hab davon in Folge 250 ein wenig mehr erzählt. Im wesentlichen handelt es sich dabei um einen mathematischen Ausdruck, der genau das beschreibt, was man beobachtet: Eine Kraft, die der Gravitation entgegen wirkt und für eine beschleunigte Ausdehnung des Universums sorgt. Physikalische Hypothesen, die erklären wollen, wie das funktionieren soll, stellen sich oft vor, dass es sich um eine Art Energie handelt, die im Raum selbst steckt. Je mehr Raum da ist, desto mehr dieser abstoßenden Energie gibt es und je mehr sich das Universum dadurch ausdehnt, desto mehr Raum und mehr Energie ist da, und so weiter. Die Energie im Raum sorgt dafür, dass das Universum sich immer schneller und schneller ausdehnt. Wie gesagt, das ist nur eine Hypothese, wir wissen nicht, ob das wirklich so ist.

    Die kosmologische Konstante hat aber nichts mit der Quintessenz zu tun. Dafür müssen wir noch kurz einmal auf das schauen, was in der Kosmologie mit "Zustandsgleichung" gemeint ist. Etwas, was in der Praxis enorm kompliziert ist, und was ich hier in dieser Folge nur sehr, sehr vereinfacht erklären werde. Im Wesentlichen dreht sich alles um eine Zahl, die aus dem Verhältnis von Druck zu Energiedichte gebildet wird.

    Schauen wir noch mal kurz auf die Gravitation. Die wirkt immer nur anziehend, im Gegensatz zum Beispiel zur elektromagnetischen Kraft gibt es keine positiven und negativen Gravitationsladungen, die sich mal anziehen und abstoßen, so wie bei Magneten. Masse zieht sich immer an, Abstoßung gibt es nicht. Wenn wir die Gravitation ansehen, so wie es Isaac Newton getan hat, dann spielt auch der Druck keine Rolle. In Newtons Gravitationsgesetzt gibt es nur die Masse und den Abstand, den Massen haben. Aber wir wissen ja auch, dass Albert Einstein die Gravitation besser und genauer beschrieben hat als Newton. Und in Einsteins Gravitationsgesetz kommt der Druck durchaus vor. Denn Einstein ja mit seiner berühmten Formel E=mc² festgestellt, dass Masse und Energie ineinander umgewandelt werden können. Und dass deswegen nicht nur Masse eine Gravitationskraft ausübt, sondern auch Energie. Und Druck ist eine Form von Energie. Man muss also jetzt den Druck quasi doppelt berücksichtigen: Einmal, weil der Druck auf das Material wirken kann, wie es eine Druckkraft eben tut. Und dann aber auch, weil auch der Druck eine Gravitationskraft erzeugt.

    Unter normalen Bedingungen ändert das nicht viel. Wenn wir wissen wollen, wie groß die Gravitationskraft ist, dann bestimmen wir die Energiedichte, also vereinfacht gesagt die Menge an Masse und Energie, die wir haben. Und den Druck. Der ist bei normaler Materie, bei normaler Strahlung positiv. Wir haben also eine positive Energiedichte und einen positiven Druck und damit auch eine Gravitationskraft, die positiv ist, also anziehend wirkt. Was aber, wenn der Druck negativ ist? Wenn er das ausreichend stark ist, kann die resultierende Gravitationskraft auch negativ werden, also abstoßend wirken.

    Wie soll man sich einen negativen Druck vorstellen? Auch das kann ich nur ganz vereinfacht erklären. Der Physiker Paul Steinhardt, von dem wir gleich mehr hören werden, hat das einmal so erklärt: Man kann sich vorstellen, dass die Atome in einem Gas so miteinander wechselwirken, dass das Gas sich nicht ausdehnt, sondern quasi kollabiert. Wenn man damit einen Ballon füllt, dann würde der sofort in sich zusammenfallen, denn wenn der Druck im Ballon negativ ist, und außen positiv (oder null) ist, dann bleibt ihm nichts anderes übrig. Wenn es jetzt aber nicht um einen Ballon geht, sondern um den gesamten Raum, dann gibt es keinen Außendruck, weil es kein außen gibt. Der negative Druck hat also keinen direkten Effekt mehr, seine einzige Auswirkung besteht darin, eine negative Gravitationskraft zu verursachen. Der Raum dehnt sich also aus. Wie gesagt, das ist alles nicht so leicht vorstellbar, aber man kann es auf jeden Mal mathematisch exakt formulieren.

    Zurück zu der Zahl, die aus dem Verhältnis von Druck zu Energiedichte gebildet wird. Wenn der Druck jetzt negativ ist, dann ist logischerweise auch diese Zahl negativ, denn die Energiedichte sollte ja positiv sein. Jetzt kommt es darauf an, wie genau das Verhältnis negativ ist. Bei der Kosmologischen Konstanten ist das Verhältnis immer gleich, nämlich -1. Wenn das Verhältnis aber einfach "nur" negativ ist, und sich darüber hinaus im Laufe der Zeit ändern kann, dann kriegt man eine andere Form der Dunklen Energie. Und die haben der vorhin erwähnte Paul Steinhardt und seine Kollegen Robert Caldwell und Rahul Dave in einer wissenschaftlichen Arbeit aus dem Jahr 1998 mit dem Begriff "Quintessenz" bezeichnet. Sie beziehen sich damit auf das, was die Energiedichte des Universums ausmacht: Die normale Materie, die dunkle Materie, die Neutrinos und die Strahlung und zusätzlich zu diesen vier Komponenten haben sie die "Quintessenz" als fünfte Komponente eingeführt.

    Im Gegensatz zur Kosmologischen Konstante ist die Quintessenz dynamisch. Sie kann sich zeitlich verändern und sie ist auch nicht überall im Raum gleichmäßig verteilt. Das klingt einerseits ein wenig komplizierter, als es bei der kosmologischen Konstante ist. Da war es ja einfach: In jedem Stück Raum steckt eine bestimmte Menge an Energie; die sorgt dafür, dass sich der Raum ausdehnt und je mehr Raum, desto mehr Ausdehnung gibt es. Das ist einfach, aber man hat auch nicht viel Spielraum. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir ja messen können, wie sich das Universum ausdehnt. Und wenn man die dunkle Energie erklären will, muss das zu den Beobachtungen passen. Wäre die dunkle Energie in der Frühzeit des Universums zu groß gewesen, dann hätte sich alles so schnell ausgedehnt, dass gar keine Galaxien entstehen hätten können. Sie darf aber auch nicht zu gering sein, denn sonst würden wir ihre Wirkung ja heute nicht mehr beobachten. Wenn man, wie bei der Kosmologischen Konstant, quasi nur ein Rädchen hat, das man einstellen kann, dann muss es zu Beginn des Universums auf genau dem richtigen Wert eingestellt sein, und man muss erklären können, warum das so war. Wenn man eine dynamischere Theorie hat, wie die Quintessenz, hat man zumindest dieses Problem nicht, denn da kann sich der Effekt der dunklen Energie verändern, in Wechselwirkung mit der Materie im Universum und so unter Umständen ganz von selbst auf den Wert kommen, den wir heute beobachten.

    Was aber nicht heißt, dass es keine anderen Probleme gibt. Die bisherigen Beobachtungen deuten alle darauf hin, dass die dunkle Energie eben NICHT dynamisch ist, sondern sich tatsächlich wie eine kosmologische Konstante verhält. Wir haben auch noch keine wirklich brauchbaren Ideen, was die Natur der Quintessenz sein könnte. Nur weil es sich mathematisch gut formulieren lässt, folgt ja noch nicht, dass es in echt auch existieren muss. Dazu muss uns erst mal etwas einfallen, aus dem die Quintessenz real bestehen kann. Aber das selbe Problem haben wir auch bei der kosmologischen Konstante.

    Am Ende müssen wir festhalten: Die Quintessenz ist, so wie ihre antiken Vorgänger, immer noch höchst mysteriös.

    26 April 2024, 5:00 am
  • 9 minutes 14 seconds
    Sternengeschichten Folge 595: Thomas Harriot, der erste moderne Astronom?
    Wer hat zuerst durchs Teleskop geschaut?

    Sternengeschichten Folge 595: Thomas Harriot, der erste moderne Astronom?

    Im Jahr 1609 machte Galileo Galilei seine Beobachtungen der Jupitermonde, die den Anfang des Endes des geozentrischen Weltbildes einläuten sollten. Im Jahr 1609 veröffentlichte Johannes Kepler sein epochales Werk "Astronomia Nova", das den Beginn der modernen Astronomie darstellt. Das Jahr 1609 war für die Astronomie ein enorm wichtiges Jahr - und es war noch viel mehr los. Es war vor allem auch das Jahr, in dem der englische Forscher Thomas Harriot die Beobachtungen durchgeführt hat, wegen der er von manchen als der erste moderne Astronom bezeichnet wird.

    Aber das kommt erst später. Wir fangen im Jahr 1560 an und zwar in Oxford. Da und dort wird Thomas Harriot geboren und mit 17 Jahren beginnt er an der Universität Oxford auch sein Studium. Er hat sich intensiv mit Navigation beschäftigt, das war damals eine besonders relevante Disziplin für England. Immerhin lag die Entdeckung von Amerika durch Christopher Kolumbus noch keine hundert Jahre zurück und England, so wie viele andere Nationen, war intensiv damit beschäftigt, den für Europa neuen Kontinent zu erforschen und in Besitz zu nehmen. Und um dort hin zu kommen, musste man sich mit Navigation auskennen.

    Harriot wurde dann auch vom englischen Entdecker und Seefahrer Walter Raleigh als Mathematiker engagiert, um bei der Navigation zu helfen, die Schiffe zu designen und so weiter. Gemeinsam mit Raleigh machte er sich auch auf eine Expedition nach North Carolina, wo er nicht nur wegen seiner mathematische Fähigkeiten hilfreich war, sondern auch, weil er damals der erste und einzige Engländer war, der sich die Mühe gemacht hat, Algonkin zu lernen, die Sprache der Pamlico, also der Menschen, die schon lange vor den Europäern dort lebten, wo sich heute North Carolina befindet. Der Bericht, den Harriot später über diese Reise geschrieben hat, hat spätere Forschungs- und Kolonisierungsreisen beeinflusst. Dass er auch dafür verantwortlich war, die Kartoffel aus Amerika zu den britischen Inseln zu bringen, wird zwar ab und zu behauptet, kann aber nicht belegt werden.

    Zurück aus Amerika wurde Harriot von Henry Percy, dem Earl of Northumberland engagiert, als Privatlehrer für die Familie - Harriot hatte aber auch genug Zeit und Möglichkeiten, seine eigenen Forschungsprojekte zu verfolgen. Die beschäftigten sich damals, zu Beginn des 17. Jahrhunderts vor allem mit der Optik und der Astronomie. Deswegen ist es auch nicht überraschend, dass Harriot auch von der Erfindung erfahren hat, die bald alle beschäftigen sollte. Im Jahr 1608 wurde in den Niederlanden das Teleskop entwickelt, wahrscheinlich vom Brillenmacher Hans Lipperhey. An Astronomie hat Lipperhey aber nicht gedacht als er das Instrument baute und auch seine Zeitgenossen sahen vor allem den militärischen Wert des Fernrohrs.

    Auch Harriot besorgte sich eines der neuen Instrumente, aber er richtete es zum Nachthimmel. Am 5. August 1609 beobachtete er damit den Mond und machte detaillierte Zeichnungen von dem, was er dort sehen konnte. Das war übrigens auch genau das, was Galileo Galilei getan hat. Auch der Italiener baute sich ein Teleskop, nachdem er von der Erfindung aus Holland erfahren hatte; er verbesserte es sogar und fing an, den Nachthimmel zu beobachten. Seine ersten nachweisbaren Beobachtungen des Mondes haben Ende November 1609, also gut vier Monate nach denen von Thomas Harriot stattgefunden. Nach allem, was wir heute wissen, war der Engländer also tatsächlich der erste, der ein Teleskop für astronomische Beobachtungen eingesetzt und die Ergebnisse seiner Beobachtungen aufgezeichnet hat. Thomas Harriot war der erste, der Astronomie nicht mehr nur mit dem freien Auge betrieben, sondern optische Instrumente dafür eingesetzt hat; also genau das getan hat, was auch heute noch der Kern der modernen wissenschaftlichen Astronomie ist. War Thomas Harriot also der moderne Astronom?

    Ja. Und Nein. So einfach ist Geschichte leider selten. Ich habe zu Beginn schon gesagt, dass 1609 ein besonderes Jahr für die Astronomie war. Mit der Erfindung des holländischen Fernrohrs hat sich ein komplett neues Fenster für die Himmelsbeobachtung aufgetan und man muss kein Genie sein, um auf die Idee zu kommen, es nicht nur dafür einzusetzen, am Tag weit entfernte Objekte auf der Erde zu beobachten, sondern es auch in der Nacht auf den Himmel zu richten. Thomas Harriot und Galileo Galilei waren beide nicht dumm und dass Harriot seine Zeichungen ein paar Monate früher gemacht hat als Galilei sollte nicht überbewertet werden.

    Aus Sicht der Wissenschaft ist die Arbeit von Galileo Galilei aber mit Sicherheit wichtiger einzuschätzen. Nicht, weil er so viel besser war als Harriot. Seine Mondkarten waren zwar schon ein wenig detaillierter als die des Engländers. Aber Galilei hat vor allem eines getan, was enorm wichtig ist: Er hat seine Erkenntnisse veröffentlicht. Im Jahr 1610 erschien sein berühmtes Buch "Sidereus Nuncius", der "Sternenbote". Darin berichtet Galilei nicht nur vom holländischen Teleskop und seinem Einsatz in der Himmelsbeobachtung. Er beschreibt, wie er den Mond im Teleskop gesehen hat und veröffentlicht ausführliche Karten der Mondoberfläche; berichtet darüber hinaus aber auch von den vielen bis dahin nie gesehenen Sterne, die mit dem Teleskop sichtbar wurden und vor allem auch von der Entdeckung der Monde des Jupiters.

    Hätte Galilei seine Ergebnisse nicht öffentlich gemacht, hätten sie auch nicht die Wirkung auf die Wissenschaft und die Gesellschaft haben können, die sie gehabt haben. Ok, Galilei hätte sich auch viel Ärger mit dem Papst und der Kirche erspart, aber ohne seine Veröffentlichungen wäre die Wende hin zu einer modernen Astronomie erst später erfolgt. Harriot dagegen hat seine Beobachtungen nicht veröffentlicht. Das gilt auch für seine Entdeckung der Sonnenflecken. Auch hier war Thomas Harriot vermutlich der erste. Seine ersten teleskopischen Beobachtungen der Sonne und die Entdeckung der dunklen Flecken auf ihrer Oberfläche fanden im Jahr 1610 statt. Galileo Galilei sah sie im Jahr 1611, ebenso die deutschen Astronomen Johann Fabricius und Christoph Scheiner. Aber auch diesmal hat Harriot nichts veröffentlicht.

    Eventuell lag das daran, dass der Earl of Northumberland, sein Arbeitsgeber, in den Gunpowder Plot verwickelt war; eine Verschwörung britischer Katholiken mit dem Ziel, den protestantischen König zu töten. Das Attentat schlug fehl, aber auch Harriot wurde im Zuge der Aufarbeitung kurzfristig verhaftet und dachte sich vielleicht, dass er sich ab jetzt eher zurück halten sollte, was öffentliche Aufmerksamkeit angeht.

    Was schade ist, denn Harriot hätte jede Menge zu veröffentlichen gehabt. Nicht nur in der Astronomie: In der Mathematik hat er sich zum Beispiel mit Zahlensystemen beschäftigt und das Binärsystem entdeckt, noch vor Gottfried Wilhelm Leibniz, der üblicherweise als Entdecker gilt. Er war der erste, der eine Formel für die Berechnung der Fläche eines Dreiecks auf einer Kugeloberfläche fand - sehr wichtig für die Navigation. Sie wird heute als "Girards Theorem" bezeichnet, nach dem Franzosen Albert Girard, der diese Gleichung ebenfalls fand, aber im Gegensatz zu Harriot eben auch veröffentlicht hat. Thomas Harriot hat ein ganzes Buch über Mathematik geschrieben, das erst nach seinem Tod veröffentlicht worden ist und er hat die Mathematik der Zinseszins-Rechnung entwickelt.

    Thomas Harriot war ein wichtiger Forscher, aber einer, dessen Leistungen sehr lange unbekannt waren. Mittlerweile hat sich das glücklicherweise geändert. Eine Sternwarte einer Universität in Virginia ist nach ihm benannt, genau so wie ein Krater auf dem Mond und ein Asteroid. Die größte Ehre ist aber vermutlich die Benennung des Planeten 55 Cancri f. Der Doppelstern 55 Cancri wird von fünf Planeten umkreist und im Jahr 2015 erhielten diese fünf Planeten die Namen von Wissenschaftlern. Zwei davon heißen Lipperhey und Janssen, nach dem Erfinder des Fernrohrs und Zacharias Janssen, der ebenfalls ein Fernrohr erfunden hat und wo bis heute nicht klar ist, wer von beiden zu erst dran war. Die restlichen drei Planeten sind nach Tycho Brahe und Galileo Galilei benannt und der letzt heißt nun offiziell "Harriot".

    Einen Planeten nach sich benannt zu bekommen ist eine Ehre, die es nicht oft gibt. Und eine, die Thomas Harriot auf jeden Fall verdient hat.

    19 April 2024, 5:00 am
  • 10 minutes 43 seconds
    Sternengeschichten Folge 594: Der Prachtkomet Donati
    Ein Komet begeistert die Welt

    Sternengeschichten Folge 594: Der Prachtkomet Donati

    "Im Jahr des Heils und jenes Prachtkometen,

    Der uns gereift des Achtundfünz’gers Blüte,

    Wagt schüchtern nur ein Lied hervorzutreten,

    Das nicht vom Hauch des jungen Weines glühte."

    Das schrieb der deutsche Dichter Paul Heyse im Jahr 1858 in seinem Werk "Die Hochzeitsreise an den Walchensee". Es war kein astronomisches Werk; direkt auf diesen Vers folgt eine lange Beschreibung der Vorzüge des Bockbiers und auch ansonsten taucht nirgendwo die Astronomie auf. Immerhin: Heyse bekam 1910 den Nobelpreis für Literatur, wenn auch vermutlich nicht für seine Ode an das Bier. Das Bier interessiert uns heute aber ausnahmsweise nicht, sondern natürlich der "Prachtkomet". Es ist kein Wunder, dass er in diesem Gedicht eine Rolle spielt. Im Jahr 1858 gab es vermutlich nicht viele Menschen, die diesen Himmelskörper nicht gesehen hatten. Er konnte monatelang mit freiem Auge am Nacht- und manchmal auch am Taghimmel gesehen werden und war teilweise eines der hellsten Objekte am Himmel. Es handelt sich um den Kometen mit der offiziellen Bezeichnung C/1858 L1 (Donati) und den schauen wir uns heute ein wenig genauer an.

    Wie bei Kometen üblich, besteht der Name nicht nur aus einer Kombination von Zahlen und Buchstaben, die Aufschluss über den Zeitpunkt der Entdeckung und die Form der Umlaufbahn geben, sondern auch den Namen der Person, die ihn entdeckt hat. In diesem Fall war das der italienische Astronom Giambattista Donati. Am 2. Juni 1858 sah er von Florenz aus in seinem Teleskop einen noch unbekannten Kometen. Damals war der Anblick eher unspektakulär, aber das sollte sich bald ändern. Schon Ende August 1858 war er ohne optische Hilfsmittel am Nachthimmel zu sehen, und im September war er so hell, dass er kaum noch übersehen werden konnte. Mittlerweile hatte der Komet auch einen Schweif entwickelt, der immer länger wurde. Am 30. September 1858 erreichte der Komet den sonnennächsten Punkt seiner Umlaufbahn und nun konnte man auch einen zweiten Schweif sehen.

    Wie das mit dem Schweif beziehungsweise den Schweifen eines Kometen funktioniert, habe ich ja früher schon mal erklärt. Nur kurz zur Erinnerung: Ein Komet besteht aus einem Kern, also einer Mischung aus Eis und Gestein. In der Nähe der Sonne kann sich das Eis erwärmen; das gefrorene Material wird gasförmig und entkommt ins All. Dabei reißt es Staub von der Oberfläche mit sich und es entwickelt sich eine große Hülle um den Kern, die Licht reflektieren kann. Erst dadurch wird der Komet sichtbar, denn die Kerne selbst sind nur ein paar Kilometer groß, die könnte man mit freiem Auge nicht sehen. Die Sonnenstrahlung, die auf die Staubteilchen der Hülle trifft kann diese quasi zur Seite schieben. So entsteht der Staubschweif, der meistens eher diffus leuchtet und ein wenig gekrümmt ist. In der Nähe der Sonne spürt der Komet dann aber auch den Sonnenwind, also die Gas-Teilchen, die die Sonne ins All schleudert. Sie können, in Wechselwirkung mit dem Magnetfeld der Sonne, Teilchen von der Oberfläche des Kometen loslösen und antreiben, die dann in Form eines langen und schmalen Plasmaschweifs sichtbar werden.

    Zurück zu Donati: Der hatte jetzt Staubschweif und Plasmaschweif und flog am 10. Oktober 1858 in 80 Millionen Kilometer an der Erde vorbei, dem erdnächsten Punkt seiner Bahn. Ab jetzt war er von der Nordhalbkugel der Erde nicht mehr so gut zu sehen, dafür aber von der südlichen Hälfte. Er wurde jetzt wieder langsam dunkler, irgendwann war er nur noch im Teleskop zu sehen und das letzte Mal sah man ihn im März 1859 von Südafrika aus.

    Kometen sind jetzt an sich nichts besonders. Das Sonnensystem ist voll davon und immer wieder bewegen sich manche von ihnen in die Nähe der Sonne und der Erde, so dass wir sie an unserem Himmel sehen können. Aber die meisten Kometen bleiben selbst dann für unsere Augen unsichtbar; wir brauchen Teleskope um sie sehen zu können. Dass ein Komet nicht nur ohne Hilfsmittel sichtbar ist, sondern noch dazu so enorm hell wird, mit extrem langen Kometenschweifen: Das kommt nicht ganz so oft vor. Diese Kometen werden "Große Kometen" genannt, was keine offizielle Definition ist, aber eben genau diese extrem spektakulären Himmelserscheinungen beschreibt, die immer wieder mal sichtbar sind. Pro Jahrhundert sind das vielleicht zehn bis zwanzig Stück; im 20. Jahrhundert war vermutlich der Halleysche Komet der bekannteste unter den damaligen "Großen Kometen".

    Donati war auf jeden Fall einer der beeindruckensten Großen Kometen des 19. Jahrhunderts. Er hat nicht nur die Wissenschaft beeindruckt, sondern auch den Rest der Gesellschaft. Aber bleiben wir vorerst noch bei der Wissenschaft. Donati war der erste Komet, der nicht nur beobachtet, sondern auch fotografiert worden ist. Die Fotografie existierte damals ja erst ein paar Jahrzehnte und das ganze Konzept steckte noch in den Kinderschuhen. Es ist nicht ganz klar, von welcher Person das erste Foto stammt. Der englische Maler und Fotograf William Usherwood hat ein Bild von Donati gemacht, das leider nicht mehr existiert und von dem er selbst nicht sicher war, an welchen Tag es fotografiert worden ist. Später hat Usherwood den 27. September 1858 angegeben, was einen Tag früher wäre, als der Tag, an dem der amerikanische Astronom William Bond den Kometen ebenfalls fotografiert hat.

    Abgesehen davon musste die Wissenschaft ihre Beobachtungen aber vorerst durch Zeichnungen festhalten und wenn man sich diese Bilder ansieht, erkennt man erstaunlich komplexe Strukturen. Und tatsächlich dürfte Donati auch in dieser Hinsicht ein spezieller Komet gewesen sein. Seine große Helligkeit und seine ausgeprägten Schweife machten sehr detaillierte Beobachtungen mit dem Teleskop möglich. Der deutsche Astronom Wilhelm Foerster fand in der Koma, also der Staubhülle um den Kometenkern, seltsame Büschel, die in Richtung Sonne zeigten; andere sahen eine hüllenartige Struktur um den Kern. Heute geht man davon aus, dass durch irgendeinen Vorgang die Oberfläche des Kometen an einer oder mehrerer Stellen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das darunter liegenden gefrorene Material konnte dann durch die Sonne erwärmt werden und gaste an diesen Stellen aus. Die Rotation des Kometenkerns um seine Achse verwirbelte das dann und erzeugte so die komplexe Struktur; ein bisschen so wie einer dieser Sprinkler, die man im Garten für die Bewässerung verwendet.

    Neben der Wissenschaft war aber auch der Rest der Welt beeindruckt. Abraham Lincoln, damals noch nicht US-Präsident aber schon ein wichtiger Politiker, schrieb in seinem Tagebuch davon, wie er Donati beobachtet hat, ebenso wie zum Beispiel die Autoren Charles Dickens oder Jules Verne oder der Biologe Alfred Russell Wallace, der den Kometen bei einer seiner Expeditionen sah. Der Komet war regelmäßiges Thema in den Zeitungen und Zeitschriften, so sehr, dass es manchen fast zu viel wurde. Der damalige Direktor der Pariser Sternwarte, Urbain Le-Verrier, bekannt durch seine Entdeckung des Planeten Neptun, schrieb zum Beispiel: "Seit der Komet mit freiem Auge sichtbar ist hat sich ein Haufen Journalisten-Astronomen hier in Paris versammelt, die die abstrusesten Beobachtungen und außergewöhnlichsten Theorien publizieren. Wir sehen uns gezwungen, eine zurückhaltende Einstellung einzunehmen, die der ernsthaften Wissenschaft entspricht".

    Neben dem zu Beginn erwähnten Paul Heyse haben sich natürlich auch andere Menschen literarisch mit dem Kometen auseinandergesetzt und natürlich auch in der Kunst. Es gibt ein Bild des berühmten englischen Malers William Turner, das den Kometen über Oxford zeigt. Noch berühmter ist das Gemälde mit dem Titel "Pegwell Bay, Kent – a Recollection of October 5th 1858" auf dem der schottische Maler William Dyce seine Familie beim Muschelsammeln an einem englischen Strand zeigt und am Taghimmel steht, sehr unscheinbar aber dennoch überraschend eindringlich, der Komet Donati.

    In Siam, das wir heute Thailand nennen, war der Komet sogar von höchstem politischen Interesse. Seit 1851 war dort König Rama IV, beziehungsweise König Mongkut im Amt. Er war ein großer Fan der Wissenschaft und insbesondere der Astronomie. Er stellte selbst Beobachtungen an, ließ Sternwarten und wissenschaftliche Einrichtungen bauen und hat sich generell so intensiv mit der Astronomie beschäftigt, dass er eigentlich eine eigene Folge der Sternengeschichten wert wäre. Was er auf jeden Fall auch getan hat, war sein Volk in seinen königlichen Proklamationen immer wieder auch über wissenschaftliche Neuigkeiten zu informieren. So auch in diesem Fall, wo er explizit darauf hingewiesen hat, dass man sich vor dem Kometen nicht sorgen muss. "Ein Komet ist ein Himmelskörper, der sich in einigen Jahren wieder von der Erde entfernen wird. Deswegen sollten die Menschen in Siam nicht in Panik verfallen und sich sorgen, denn der Komet ist nicht nur in dieser und nahegelegenen Städten sichtbar, sondern von überall auf der Erde zu sehen", heißt es da zum Beispiel.

    Entfernt hat sich der Komet Donati mittlerweile ordentlich und er wird das auch noch eine Zeit lang tun. Seine Bahn ist so langgestreckt, dass er ihren sonnenfernsten Punkt erst im Jahr 2718 erreichen wird. Dann wird er ungefähr 287 mal weiter von der Sonne entfernt sein als die Erde. Und wenn er dann endlich den Rückweg ins innere Sonnensystem antritt, wird er noch viele weitere Jahrhunderte unterwegs sein. Mit einer Rückkehrt an unseren Nachthimmel ist erst gegen das Jahr 3577 zu rechnen. Aber bis dahin wird ja noch hoffentlich der eine oder andere "Große Komet" bei uns zu sehen sein.

    12 April 2024, 5:00 am
  • 9 minutes 30 seconds
    Sternengeschichten Folge 593: Hyperion und das Chaos
    Im Osten geht die Sonne auf und dann kennt sich niemand mehr aus

    Sternengeschichten Folge 593: Hyperion und das Chaos

    Die Sonne geht im Osten auf, darauf kann man sich verlassen. Der Grund dafür ist natürlich die Art und Weise wie die Erde sich um ihre eigene Achse dreht, nämlich nach Osten. Wenn man vom Nordpol aus auf die Erde schaut, dann dreht sie sich gegen den Uhrzeigersinn und deswegen sehen wir die Sonne im Osten aufgehen. Aber jetzt stellt euch mal vor, das wäre anders. Mal würde die Sonne im Osten aufgehen. Ein paar Wochen später dann im Westen. Oder im Norden. Stellt euch vor, man könnte sich nicht sicher sein, wo die Sonne aufgeht sondern müsste sich jeden Morgen neu davon überraschen lassen.

    Das klingt absurd. Aber es gibt einen Himmelskörper im Sonnensystem, wo die Situation fast so ist. Der Saturnmond Hyperion ist ein ganz besonderes Objekt und den schauen wir uns in dieser Folge an. Entdeckt wurde der Mond im September 1848 vom amerikanischen Astronomen William Cranch Bond und seinem Sohn George Phillips Bond und unabhängig davon auch vom britischen Astronom William Lassell. Lassell war auch der erste, der die Entdeckung veröffentlicht hat. Und der dem damals achten bekannten Mond des Saturn den Namen "Hyperion" gegeben hat. In der griechischen Mythologie war Hyperion ein Titan, Sohn von Uranos, dem Himmel und Gaia, der Erde. Die Mythologie lassen wir jetzt aber beiseite, denn der reale Mond ist interessant genug. Es ist ein vergleichsweise großer Mond, aber ein Mond mit einer seltsamen Form, die später noch eine wichtige Rolle spielen wird. Man kann keinen Durchmesser von Hyperion angeben, denn dazu ist er zu wenig regelmäßig geformt Er sieht aus wie eine längliche Kartoffel; so wie man es von einem typischen Asteroid erwarten würde. Hyperion ist aber viel größer als ein Asteroid, er ist in der einen Richtung 360 Kilometer lang, und in den anderen beiden 266 Kilometer beziehungsweise 206 Kilometer. Sein Abstand von Saturn beträgt 1,46 Millionen Kilometer und für eine Runde um den Ringplaneten braucht Hyperion 21 Tage und knapp 7 Stunden.

    Wie Hyperion genau aussieht, wissen wir erst seit die Raumsonde Cassini in den Jahren 2005 und 2006 in seiner unmittelbaren Nähe vorbei geflogen ist. Sie hat sich Hyperion bis auf 500 Kilometer genähert und einen Himmelskörper gezeigt wie wir ihn bisher noch nicht gesehen haben. Hyperion schaut aus wie ein gigantischer Schwamm. Er ist - natürlich - voller Krater, aber die sind alle überraschend tief mit scharf abgegrenzten Rändern, so dass der Eindruck einer porösen, schwammartigen Oberfläche entsteht. Und tatsächlich ist die Dichte des Mondes auch sehr gering, sie beträgt nur 0,5 Gramm pro Kubikzentimeter, das ist nur halb so viel wie die Dichte von Wassereis, aus dem der Mond zum größten Teil besteht. Das bedeutet, dass der Mond voller Hohlräume sein muss, ungefähr 40 Prozent seines Inneren müssen leer sein, um die niedrige Dichte erklären zu können. Vermutlich ist der Mond kein zusammenhängendes Objekt sondern eher ein loser Haufen aus Material.

    Trotzdem der Mond zu einem großen Teil aus Eis besteht, ist seine Oberfläche und vor allem das Innere der Krater sehr dunkel. Vermutlich handelt es sich bei diesen dunklen Ablagerungen auf dem Eis um diverse chemische Verbindungen aus Kohlenwasserstoffen. Das Material stammt wahrscheinlich vom weiter außen liegenden Mond Phoebe, auf dessen Oberfläche man entsprechende Kohlenwasserstoffe nachgewiesen hat. Wir wissen außerdem, dass Einschläge auf Phoebe Material weit hinaus ins All schleudern, das dort einen der vielen Ringe um Saturn bildet und durch den Einfluss der Sonnenstrahlung nach innen wandern kann, auch dorthin wo sich Hyperion befindet.

    Aber das wirklich außergewöhnliche an Hyperion ist seine Rotation. 1981 flog die Raumsonde Voyager 2 in der Nähe des Saturn vorbei und machte auch Bilder von Hyperion. Keine sehr detaillierten aber die Beobachtungen legten nahe, dass es sich bei dem Mond nicht um einen kugelförmigen Himmelskörper handelt sondern eher ein längliches Objekt. Genauere Untersuchungen der Bilder bestätigten das; tatsächlich zeigte sich, dass Hyperion von allen größeren Monden im Sonnensystem das am unregelmäßigsten geformte Objekt ist. Die Daten zeigten auch, das Hyperion anscheinend keine gebundene Rotation hat.

    Das ist das, was der Mond der Erde tut und so gut wie alle anderen großen Monde im Sonnensystem: Sie drehen sich genau so schnell um ihre Achse wie sie für eine Runde um ihren Planeten brauchen. Oder anders gesagt: Vom Planeten aus sieht man immer die selbe Seite des Mondes. Grund dafür sind die Gezeitenkräfte, die zwischen Planet und Mond wirken und die Rotation des Mondes langsam abbremsen. Bei Hyperion war das aber nicht der Fall und 1984 veröffentlichte der amerikanische Physiker Jack Wisdom gemeinsam mit seinen Kollegen François Mignard und Stanton Peale eine Arbeit mit einer Idee, warum das so ein könnte.

    Hyperion hat nicht nur eine ungewöhnliche, längliche Form. Er ist auch ein unmittelbarer Nachbar des Titan, der nicht nur der größte Mond des Saturn ist, sondern mit einem Durchmesser von über 5000 Kilometern auch der zweitgrößte Mond des ganzen Sonnensystems. Durch die komische Form ist Hyperion einerseits sehr speziellen Gezeitenkräften von Saturn ausgesetzt, andererseits spürt der Mond aber auch die Anziehungskraft seines großen Nachbarn Titan. Die Details sind komplex, aber es läuft darauf hinaus, dass Hyperion in einer sehr labilen Position ist. Aus allen Richtungen spürt er unterschiedlich starke Kräfte und deswegen kann er sich nicht ordentlich um seine Achse drehen. Normalerweise würde ein Mond wie Hyperion sich mit seiner langen Achse in Richtung Saturn ausrichten und dann um seine kurze Achse rotieren. Durch das gravitative Wirrwarr das auf Hyperion wirkt ist das aber nicht möglich. Er taumelt quasi um den Saturn herum; seine Rotationsachse müsste ständig in eine andere Richtung zeigen und seine Rotationsgeschwindigkeit sich ständig ändern, so die Vorhersage von Wisdom und seinen Kollegen. Oder anders gesagt: Die Rotation von Hyperion muss chaotisch sein.

    Und im Prinzip ist es das, was man später auch bestätigen konnte. Die Vorhersage von Wisdom & Co hat sich nicht exakt bestätigt. Laut ihnen hätte sich die Rotation extrem schnell und stark ändern können, von quasi keiner Rotation bis zu einer Drehung in nur 10 Tagen und das alles während nur zwei Runden um den Saturn herum. Ganz so schlimm ist es nicht, aber Hyperions Rotation ist tatsächlich chaotisch. Wie es genau dazu gekommen ist, ist immer noch unklar. Vermutlich dürfte Hyperion als vergleichsweise normaler Mond begonnen haben. Er dürfte sich auch früher deutlich schneller um seine Achse bewegt haben als heute und, so wie auch beim Mond der Erde, wird die Gezeitenkraft des Saturns diese Rotation langsam abgebremst haben. Anders als beim Mond ist Hyperion aber nicht an dem Punkt angekommen, wo eine Drehung um seine Achse genau so lange dauert wie eine Runde um den Saturn. Denn im Gegensatz zu unserem Mond ist Hyperion nicht allein, sondern hat es mit Titan zu tun. Als Hyperions Rotationsgeschwindigkeit immer langsamer wurde, gab es irgendwann einen kritischen Punkt, wo die gravitativen Störungen die von Titan wirkten so heftig wurden, dass die Rotation chaotisch wurde. Durch diese chaotische Rotation hat sich vermutlich auch die Form und Zusammensetzung von Hyperion verändert. Denn wenn Asteroiden mit Monden kollidieren, was oft genug vorkommt, wie die Krater auf ihren Oberflächen zeigen, dann fällt meistens ein großer Teil des dabei nach oben geschleuderten Materials wieder zurück. Die chaotische Rotation von Hyperion könnte das verhindert haben, was ein Grund für die poröse, schwammartige Form von Hyperion sein könnte.

    Hyperion ist einer der wenigen Himmelskörper des Sonnensystems, wo wir dem Chaos quasi live bei der Arbeit zusehen können. Bis jetzt gab es nur einen kurzen Besuch der Raumsonde Cassini, gelandet ist dort noch nichts und es waren natürlich auch noch keine Menschen auf seiner Oberfläche. Aber wer weiß, vielleicht treiben wir uns irgendwann auch einmal im Saturnsystem rum, vielleicht gibt es irgendwann mal eine Forschungsstation oder eine andere Siedlung auf Hyperion und dann werden sich die Menschen dort ein paar komplizierte Gedanken über ihren Kalender machen müssen - dafür dann aber einen einzigartigen, chaotischen Blick auf die Welt haben.

    5 April 2024, 5:00 am
  • 11 minutes 3 seconds
    Sternengeschichten Folge 592: Killersatelliten und Weltraumwaffen
    Star Wars, aber leider in echt

    Sternengeschichten Folge 592: Weltraumwaffen und Killersatelliten

    Der Satellit Fengyun-1C flog am 10. Mai 1999 ins Weltall. Der Name bedeutet so viel wie "Sturm und Wolken" und passte zur Aufgabe des wissenschaftlichen Instruments: Nämlich das Wetter zu beobachten. Das hat der Satellit auch getan, bis er am 11. Januar 2007 zerstört worden ist. Nicht aus Versehen, es war ein geplanter Angriff. Eine Rakete, die von der Erde aus ins All geschossen wurde, traf den Satelliten und hat ihn komplett vernichtet. Nach der Kollision gab es nur noch eine große Trümmerwolke aus über 40.000 größeren und Millionen kleinerer Bruchstücke. Die absichtliche Zerstörung von Fengyun-1C war allerdings kein kriegerischer Akt. Der chinesische Satellit wurde von China selbst zerstört, um ihre Antisatellitenraketen testen zu können. Aber allein die Tatsache, dass es so etwas wie Antisatellitenraketen gibt und das ihre dramatische Wirkung von China so öffentlich demonstriert worden ist, zeigt, dass Krieg auch im Weltall nicht ignoriert werden kann.

    Es ist traurig, dass auch dieser Bereich nicht von der menschlichen Gewalt verschont bleibt. Aber auch nicht überraschend. Wir sind Menschen und wir bleiben Menschen, auch wenn wir ins Weltall fliegen. Und seit es uns Menschen gibt, führen wir Krieg gegeneinander. Wir scheinen nicht in der Lage zu sein, friedlich miteinander leben zu können. Und auch die Wissenschaft kann sich da nicht entziehen. Kriege waren immer schon Treiber für wissenschaftliche Entwicklungen. Nehmen wir nur den zweiten Weltkrieg: Die Radartechik war ein direktes Resultat der Forschung, die für Kriegszwecke durchgeführt worden ist. Auch Computer und Flugzeuge wurden während des Krieges massiv weiter entwickelt. Und natürlich auch die Raumfahrt selbst. Die deutschen Pioniere der Raketentechnik bauten die ersten richtigen Raketen nicht für die Forschung, sondern als Waffen. Und als Deutschland den Krieg verloren hatte, wurden die Raketentechnik und die Ingenieure von den USA und der UdSSR übernommen, um dort die jeweiligen Raumfahrtprogramme zu entwickeln. Es soll hier aber nicht um die Geschichte der Raumfahrt im zweiten Weltkrieg gehen, das wäre außerdem ein zu umfangreiches Thema für einen Podcast. Ich wollte nur die Verknüpfungen zwischen Technik und Krieg betonen, damit klar ist, dass sich das nicht so einfach trennen lässt. Das gilt auch für die "reine" Wissenschaft: Als gut 400 Jahre früher Menschen wie Galileo Galilei, Johannes Kepler oder Isaac Newton darüber nachgedacht haben, wie und warum sich die Himmelskörper bewegen, da ist es ihnen nur darum gegangen, das Universum besser zu verstehen. Aber wenn damals nicht die Grundlagen der Mechanik entwickelt worden wären und man nicht angefangen hätte, die Gravitation zu verstehen, dann hätte man später auch keine Raketen ins All schicken können. Raketen, die einerseits wissenschaftliche Instrumente transportieren können, die unser Verständnis der Welt verbessern. Oder Bomben tragen und unsägliches Leid anrichten können. Was wir mit dem Wissen anstellen, das wir erlangen, liegt an uns selbst. Und so wie es aussieht, schaffen wir es leider nicht, das Wissen nur zum Wohl der Menschheit einsetzen. Das kann man schrecklich finden und das soll man auch. Aber man kann es nicht ignorieren. Und deswegen geht es in der heutigen Folge der Sternengeschichten um Killersatelliten.

    Beziehungsweise um Krieg im Weltall. Der findet statt, wenn auch ganz anders, als wir das aus den Science-Fiction-Filmen gewöhnt sind. Es gibt keine gigantischen Raumschlachten, in denen sich Raumschiffe mit Lasern, Phasern oder Photonentorpedos beschießen; keine waghalsigen Flugmanöver und all das andere, eher unwissenschaftliche, Standard-Gekämpfe aus den Hollywood-Filmen. Trotzdem ist der Weltraum natürlich auch ein Ort, der für die Kriegsführung wichtig geworden ist. Nicht als Kampfschauplatz, noch nicht - beziehungsweise nur sehr sporadisch, wie wir noch sehen werden. Aber als strategische Position, die es zu besetzen gilt. Seit wir in der Lage sind, Satelliten ins All zu schicken, schicken wir auch Satelliten ins All, deren Aufgabe die Spionage ist. Der Blick von oben liefert Hinweise über Truppenbewegungen, die Stationierung von Waffen, usw. Per Satellitenkommunikatin lassen sich Truppen zielgenau steuern, Einsätze in Echtzeit auch aus großer Ferne verfolgen. Aber in diesen Fällen dient der Weltraum eben nur als strategische Plattform, die Vorteile bei der Kriegsführung auf der Erde bringen kann. Natürlich und leider gibt es aber auch Überlegungen, direkt im All oder vom All aus zu kämpfen.

    Killersatelliten sind dabei nur eine von mehreren Möglichkeiten, andere Satelliten zu zerstören. Das, was China bei der Zerstörung von Fengyun-1C eingesetzt hat, war eine Antisatellitenrakete, die von der Erde aus ins All zielgenau auf einen Satelliten geschossen werden. Das kann entweder direkt vom Boden aus passieren, oder aber auch von hoch fliegenden Kampfjets. Erste Tests solcher Raketen gab es in den USA schon seit den 1950er Jahren, im Gegensatz zu China hat man dabei aber nie etwas im Weltall auch tatsächlich zerstört. Zumindest bis zum 21. Februar 2008. Da wurde der Satellit USA 193, vermutlich ein ehemaliger Spionagesatellit der Vereinigten Staaten durch eine Rakete zerstört, die von einem amerikanischen Kriegsschiff aus gestartet wurde. Der Satellit enthielt noch circa 500 Kilogram Hydrazin, eine extrem gefährliche Chemikalie, die oft als Treibstoff für die Steuerraketen bei Satelliten eingesetzt wird. Der Satellit selbst wurde 2006 ins All geschossen, funktionierte aber nicht. Seine Bahn konnte nicht kontrolliert werden und 2008 drohte er, auf die Erde zu stürzen. Beziehungsweise in der Atmosphäre zu verglühen. Weil das Hydrazin mittlerweile gefroren gewesen sein dürfte und der Eisblock den Wiedereintritt in der Atmosphäre überstehen und am Boden für Schaden Sorgen könnte, entschlossen sich die USA, den Satellit lieber abzuschießen. Dass die Aktion irgendwas mit der kurz zuvor stattgefundenen Demonstration der chinesischen Antisatellitenwaffe zu tun haben könnte, haben offizielle Stellen dementiert.

    So oder so: China und die USA hatten sich jedenfalls gegenseitig gezeigt, dass sie in der Lage waren, Satelliten von der Erde aus zu zerstören. In der Sowjetunion hat man sich dagegen schon früh darauf konzentriert, Raumfahrzeuge zu bauen, die andere Raumfahrzeuge angreifen können. In den 1960er baute man Istrebitel Sputnikow, was so viel wie "Satellitenzerstörer" heißt, also Satelliten, die im All andere Satelliten zerstören können. Was dabei wirklich getest wurde und wie erfolgreich, ist heute schwer herauszufinden. Die Raumstation Saljut 3, die von Juni 1974 bis Januar 1975 die Erde umkreiste, soll zum Beispiel mit einer Maschinenkanone ausgestattet gewesen sein, die kurz vor dem Wiedereintritt der Raumstation in die Erdatmosphäre auch getest worden sein soll. Aber auch das will offiziell niemand bestätigen.

    Was wir definitiv wissen: Am 15. November 2021 wurde der Satellit Kosmos-1408 von einer russischen Anti-Satellitenwaffe zerstört. Der ehemalige Spionagesatellit wurde von einer Rakete zerstört, die von der Erde aus abgeschossen wurde - womit jetzt alle drei großen Raumfahrtnationen demonstriert hatten, dass sie zu sowas in der Lage sind. Und erwartungsgemäß haben sich die jeweils anderen Länder über die Zerstörung der Satelliten des dritten Landes aufgeregt. Vor allem wegen des Weltraummülls: Als China als erstes Land einen eigenen Satelliten abgeschossen hat, beschwerte sich etwa die USA sehr über die vielen Trümmer, die jetzt eine Gefahr für die Raumfahrt darstellen. Genau so haben sich China und Russland dann über den amerikanischen Abschuss beschwert, wegen des Weltraummülls und so weiter. Das alle nur über den Weltraummüll der anderen meckern, mag lächerlich erscheinen. Die Tatsache selbst ist aber durchaus bedenklich: Ein Bruchstück des chinesischen Satelliten ist 2013 zum Beispiel tatsächlich mit einem anderen Satelliten kollidiert. Die Trümmerwolke von der Zerstörung des russischen Satelliten bedrohte sogar die Internationale Raumstation. Die sieben Menschen, die damals gerade an Bord waren, mussten sicherheitshalber in die Raumkapseln übersiedeln, um im Fall einer katastrophalen Kollision schnell zur Erde flüchten zu können. Passiert ist zum Glück nichts, aber die Station musste ein paar Ausweichmanöver fliegen. Die Trümmer des russischen und amerikanischen Satelliten sind dann ziemlich bald in der Atmospäre verglüht und stellen keine Gefahr mehr dar. Aber die chinesische Trümmerwolke kann immer noch Ärger machen.

    Geht man nach den diversen Plänen und Tests der Militärs, könnte im Weltall noch viel mehr passieren. Man könnte Satelliten mit gigantischen Lasern abschießen, oder ganz gezielt Weltraumschrott in der Bahn eines anderen Satelliten aussetzen. Oder anstatt von der Erde aus den Weltraum anzugreifen, ginge es auch umgekehrt: Man könnte von Satelliten aus Objekte auf die Erde werfen. Das müssen dann nicht einmal irgendwelche Bomben sein. Es reicht schon ein sehr kompaktes Objekt, zum Beispiel ein Stab aus Wolfram. Dieses Metall hat einen extrem hohen Schmelzpunkt, würde den Wiedereintritt durch die Atmosphäre überstehen und allein die hohe Geschwindigkeit des Einschlags dieser Metallstangen würde enorme Zerstörung anrichten.

    Bis jetzt haben die Nationen im Weltall nur ihre eigenen Satelliten zerstört. Und wir können hoffen, dass es auch so bleibt. Angesichts der Geschichte der Menschheit ist diese Hoffnung vielleicht naiv. Aber wenn wir nicht wenigstens darauf hoffen, dass wir uns irgendwann ändern; wenn wir nicht hoffen, dass zumindest der Weltraum von unserer menschlichen Zerstörungswut frei bleibt: Dann haben wir nicht nur keine Chance, sondern es auch nicht anders verdient.

    29 March 2024, 6:00 am
  • 8 minutes 58 seconds
    Sternengeschichten Folge 591: Lentikuläre Galaxien
    Mysteriöse Sternenlinsen

    Sternengeschichten Folge 591: Lentikuläre Galaxien

    Lentikuläre Galaxien werden auch linsenförmige Galaxien genannt und man nennt sie deswegen so, weil sie linsenförmig aussehen. Vielen Dank fürs Zuhören, bis zum nächsten Mal! Nein, es geht natürlich weiter. Denn die lentikulären Galaxien haben noch mehr zu bieten. Dazu müssen wir uns aber noch einmal kurz ansehen, was sie von anderen Galaxien unterscheidet. Ich habe in Folge 33 der Sternengeschichten schon mal einen kurzen Überblick über die Galaxienarten gegeben, aber vielleicht schauen wir uns das noch einmal schnell an.

    Also: Es gibt erstmal zwei grundlegend unterschiedliche Arten von Galaxien, nämlich elliptische Galaxien und Spiralgalaxien. Elliptische Galaxien sind im Wesentlichen große, kugelförmige Haufen von Sternen. Diese Haufen können komplett kugelförmig sein oder mehroder weniger ellipsoid, also quasi abgeflachte Kugeln. Spiralgalaxien sind das, an was wir meistens denken, wenn wir uns eine Galaxie vorstellen: Eine flache Scheibe, in der sich die Spiralarme befinden und in der Mitte eine kugelförmige Region, in der die Sterne sehr dicht beieinander stehen, der Bulge. Unsere Milchstraße ist genau so eine Spiralgalaxie und zwar eine Balkenspiralgalaxie. In dieser Untergruppe wächst aus dem Bulge noch eine balkenartige Struktur aus Sternen, aus der dann die Spiralarme wachsen. Es gibt auch noch die irregulären Galaxien, deren Form - wie der Name sagt - irregulär ist. Aber die sollen uns hier nicht beschäftigen, ich erwähne sie nur der Vollständigkeit halber.

    Man bekommt all die unterschiedlichen Galaxienformen oft als Diagramm gezeigt, in der die elliptischen Galaxien entlang einer Linie angeordnet sind, von den komplett kugelförmigen bis hin zu den ganz stark abgeflachten. Von dort zweigen dann zwei Linien ab, wie bei einer Stimmgabel und auf der einen findet man die unterschiedlichen Formen der Spiralgalaxien und auf der anderen die entsprechenden Balkenspiralgalaxien. Das sieht dann oft so aus, als wäre das eine Entwicklungssequenz; so, als würde jede Galaxien als kugelförmige elliptische Galaxie beginnen, dann im Laufe der Zeit immer flacher werden bis sie sich irgendwann zu einer Spiral- oder Balkenspiralgalaxie entwickelt. Das ist definitiv nicht so; genau genommen ist es sogar umgekehrt, denn die elliptischen Galaxien können entstehen, wenn Spiralgalaxien miteinandern kollidieren und verschmelzen. Trotzdem gibt es diese Diagramme immer noch und am Schnittpunkt, dort wo elliptische auf die Abzweigungen zu den Spiralgalaxien treffen, findet man meistens einen Galaxientyp eingetragen, der mit "S0" bezeichnet wird. Genau das sind die Lentikulären Galaxien.

    In den linsenförmigen Galaxien sind die Sterne in einer Scheibe angeordnet, so wie in den Spiralgalaxien auch. Nur gibt es dort keine Spiralarme, es ist einfach eine flache Scheibe aus Sternen; ein bisschen so ein Mittelding zwischen elliptischen und Spiralgalaxien. So weit, so klar. Was weit weniger klar ist, ist die Entstehungsgeschichte dieser Galaxienart. Wie elliptische Galaxien entstehen können, wissen wir halbwegs, das habe ich vorhin schon erwähnt. Wenn zwei Spiralgalaxien kollidieren, dann verschmelzen sie im Laufe von Milliarden von Jahren und bilden einen großen Haufen von Sternen, eine elliptische Galaxie. Und als damals im jungen Universum aus gigantischen Gaswolken die ersten Sterne beziehungsweise eben die ersten Galaxien entstanden sind, waren das vor allem erstmal irreguläre Galaxien, in denen sich erst im Laufe der Zeit und durch weitere Verschmelzungen die Spiralarme ausgebildet haben. Aber die irregulären Galaxien wollte ich ja auslassen. Ich lasse auch die Details der Entstehung der Spiralarme aus, was aber wichtig ist, ist die Tatsache, dass die Spiralarme vor allem aus jungen Sternen bestehen. Spiralarme sind keine "fixen" Strukturen; man darf sie sich nicht vorstellen wie die Speichen eines Fahrrads. Durch das ganze gravitative Wirrwarr in einer Galaxie aus hunderten Milliarden Sternen gibt es "Dichtewellen", also Bereiche, wo die kombinierte Gravitationskraft dazu führt, dass Gaswolken kollabieren und zu jungen, hell leuchtenden Sternen werden. Und weil sich alles in so einer Galaxie ständig bewegt, wandern immer wieder Gaswolken in diese Bereiche, dort entstehen Sterne, die wieder weiterziehen, aber durch neue junge Sterne ersetzt werden, die aus neuen Gaswolken entstehen, die in diese Dichteregionen wandern. Solange es noch genug Gas gibt, aus dem Sterne entstehen können, wird es also auch immer junge Sterne geben, die die Spiralarme quasi ausleuchten.

    Lentikuläre Galaxien haben keine Spiralarme und daraus folgt, dass dort auch kaum noch neue Sterne entstehen. Ist die Sache damit jetzt also schon geklärt? Wir fangen mit einer Spiralgalaxie an, die wird immer älter und älter, irgendwann ist das ganze Gas für die Sternentstehung verbraucht und dann verblassen quasi die Spiralarme. Dazu passt auch folgender Befund: Wenn wir schauen, wo im Universum die Lentikulär-Galaxien zu finden sind, dann sehen wir sie vor allem in unserer Nähe. Oder anders herum gesagt: Wenn wir Galaxien betrachten, deren Licht sehr, sehr lange bis zu uns gebraucht hat; die also aus der Frühzeit des Universum stammen, finden wir dort kaum lentikuläre Galaxien. Oder noch einmal anders herum gesagt: lentikuläre Galaxien scheinen ein Phänomen des gegenwärtiges Universums zu sein; in der Vergangenheit hat es sie nicht gegeben. Was wiederum die Annahme unterstützt, dass es Zeit braucht, bis sie sich bilden und es sich um ausgeblichene Spiralgalaxien handelt.

    Es könnte aber auch genau anders herum sein. Wir wissen, dass Galaxien einander immer wieder in die Quere kommen. Unsere Milchstraße und ihre Nachbargalaxie, die Andromedagalaxie, sind zum Beispiel gerade dabei, miteinander zu kollidieren. Der Vorgang dauert ein paar Milliarden Jahre, aber am Ende werden beide zu einer großen elliptischen Galaxie verschmolzen sein. So eine Wechselwirkung zwischen zwei Spiralgalaxien kann aber auch anders ablaufen. Wenn sie sich nahe kommen, wirken zwischen ihnen enorme Gezeitenkräfte. Dann verformen sie sich; die Spiralarme verformen sich und können regelrecht aufgedröselt werden und auch das Gas, aus dem Sterne entstehen können, kann aus den Galaxien rausgerissen werden. Am Ende kriegt man eine Galaxie ohne Spiralarme und ohne Gas, aus dem neue Sterne entstehen können, die neue Spiralarme bilden könnten.

    Auch für diese Hypothese gibt es Beobachtungsdaten, die das stützen. Wenn wir uns große Galaxienhaufen anschauen; also die gewaltigen Ansammlungen aus hunderten oder bis zu hunderttausenden Galaxien. Dort finden wir alle möglichen Formen, auch die lentikulären Galaxien. Die sind in diesen Haufen aber vor allem in den inneren Regionen der Haufen, also dort, wo die Galaxien am dichtesten stehen und am ehesten miteinander wechselwirken können.

    Beide Hypothesen haben ihre Stärken. Beide haben auch ihre Schwächen. Die Hypothese mit den wechselwirkenden Spiralgalaxien hat vielleicht ein paar mehr Stärken als Schwächen als die Verschmelzungshypothese. Zum Beispiel wenn man sich anschaut, wie schnell die Linsengalaxien rotieren und das mit ihrer Helligkeit vergleicht. Zwischen beiden Größen gibt es bei den normalen Spiralgalaxien einen Zusammenhang, nämlich die "Tully-Fisher-Beziehung" und der selbe Zusammenhang findet sich, leicht verschoben, auch bei den Lentikulärgalaxien. Aber auch das ist kein definitiver Beleg.

    Wie die komischen Galaxien ohne Spiralarme entstehen, wissen wir noch nicht. Aber sie sind dort draußen, sie sind ein Teil unseres Universums und deswegen werden wir nicht aufhören, auch sie verstehen zu wollen.

    22 March 2024, 6:00 am
  • 12 minutes 26 seconds
    Sternengeschichten Folge 590: Joseph Weber und der vielleicht erste Nachweis von Gravitationswellen
    Pionier ohne Erfolgserlebnis

    Sternengeschichten Folge 590: Joseph Weber und der vielleicht erste Nachweis von Gravitationswellen

    Gravitationswellen! Darüber habe ich in den Folgen 102 und 184 der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen. Dieses Phänomen war lange Zeit reine Theorie. Albert Einstein hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorhergesagt, dass es so etwas geben muss und es hat auch eigentlich niemand daran gezweifelt, dass es tatsächlich existiert. Woran man aber immer wieder sehr wohl gezweifelt hat, war die Frage, ob man die Gravitationswellen irgendwann auch nachweisen wird können.

    Aber fangen wir vielleicht noch einmal mit einer ganz kurzen Wiederholung an. Was sind Gravitationswellen? Wir wissen, dass der Raum nicht einfach nur ein abstraktes Dinges ist, sondern ein reales physikalisches Objekt. Der Raum kann vor allem gekrümmt werden und Albert Einstein hat uns nicht nur erklärt, dass die Anwesenheit von Masse den Raum krümmt, sondern wir diese Raumkrümmung als Gravitationskraft wahrnehmen. Die Erde bewegt sich nicht deswegen um die Sonne, weil da irgendeine mysteriöse Kraft wirkt. Oder halt doch, irgendwie. Die Sonne krümmt den Raum und die Erde muss bei ihrer Bewegung dieser Raumkrümmung folgen und umkreist die Sonne deshalb, was für uns so aussieht, wie eine Kraft, die zwischen beiden Himmelskörpern wirkt. Damit ist auch eine Frage beantwortet worden, die vor Einstein nicht beantwortet werden konnte: Wie schnell breitet sich die Gravitationskraft aus? Isaac Newton hat noch gesagt, dass sie unendlich schnell wirkt. Wenn die Sonne verschwindet, würden wir auf der Erde sofort spüren, dass ihre Anziehungskraft weg ist. Einstein dagegen hat erklärt, dass sich die Krümmung des Raums nicht beliebig schnell verändern kann. Sondern nur mit Lichtgeschwindigkeit. Wenn also die Sonne verschwindet, dann dauert es 8 Minuten - so lange braucht Licht von der Sonne bis zu Erde - bis auch die veränderte Raumkrümmung sich bis zu uns ausgebreitet hat und wir das Verschwinden der Anziehungskraft merken. Oder anders gesagt: Wenn Massen sich in der Raumzeit bewegen (ganz genau: beschleunigt bewegen) verursacht das eine Veränderung in der Krümmung der Raumzeit und die breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Es gibt also quasi Wellen im Raum selbst und genau das sind die Gravitationswellen.

    Die Frage die noch bleibt ist: Wie kann man so was messen? Man kann ausrechnen, dass die Effekte winzig sind. Die Erde, die die Sonne umkreist, verursacht durch diese Bewegung Gravitationswellen. Zwei Sterne, die kollidieren, verursachen Gravitationswellen, ebenso wie ein Stern der explodiert oder zwei schwarze Löcher die zusammenstoßen. Wenn diese Wellen sich ausbreiten, dann sorgen sie dafür - sehr vereinfacht - dass der gesamte Raum gestreckt oder gestaucht wird. Wenn so eine Gravitationswelle auf die Erde trifft, dann wird unser Planet dadurch also ein klein wenig verformt. Und man kann sich denken, dass das ein sehr winziger Effekt ist, ansonsten hätten wir davon schon etwas mitbekommen, unter anderem, weil die Erde dabei kaputt gegangen wäre. Tatsächlich sorgen selbst extreme Ereignisse wie die Kollision zweier schwarzer Löcher nur für eine Verformung des Raums, die viel kleiner ist als der Durchmesser eines Atomkerns. Das zu messen ist enorm schwierig und man dachte, es wäre unmöglich. Aber wenn man immer so schnell aufgeben würde, würde in der Wissenschaft nichts vorwärts gehen. Das mag sich in den 1950er Jahren auch der amerikanische Physiker Joseph Weber gedacht haben. Der eigentlich einmal "Jonas" hieß; Webers Eltern sind aus Litauen nach Amerika ausgewandert und hießen ursprünglich "Gerber", aber daraus wurde dann "Weber" und aus Jonas irgendwann "Joseph". So oder so: Joseph Weber, 1919 geboren, ging nach seiner Schulzeit auf die Marineakademie, was deutlich billiger für ihn und seine Eltern war als der Besuch einer normalen Universität. Das führte aber auch dazu, dass Weber, nach seinem Abschluss 1940 als Offizier auf einem amerikanischen Flugzeugträger im zweiten Weltkrieg kämpfen musste. Sein Schiff wurde versenkt, aber Weber überlebte und kommandierte später selbst Schiffe. Nach dem Krieg begann er erneut zu studieren, weil er eine Stelle an einer Uni bekommen sollte, ihm dafür aber noch ein Doktortitel fehlte. Er begann zu Mikrowellentechnik zu forschen, war einer der Pioniere die sich mit der Physik von Lasern beschäftigte und war dafür auch für den Nobelpreis nominiert. Bekommen haben diesen Preis aber Kollegen; er selbst wurde bei der Auszeichnung für die Entwicklung des Lasers übergangen.

    In den 1950er Jahren begann Weber sich für die Relativitätstheorie zu interessieren. Von 1955 bis 1956 war unter anderem bei John Wheeler zu Besuch, einem der wenigen Forscher, die sich damals intensiv mit der Gravitation im Rahmen von Einsteins Theorie beschäfigt haben. Dort lernte Weber auch die Gravitationswellen kennen und beschloss: Die Dinger müssen nachgewiesen werden! Also begann er in den 1960er Jahren, Detektoren zu bauen, die genau das tun sollten.

    Aber wie baut man einen Gravitationswellendetektor? Man kann ja nicht einfach ein Lineal irgendwo hin legen und warten, ob es kürzer wird. Das müsste man ja mit einem anderen Lineal messen, das aber ebenfalls kürzer werden würde, wenn da eine Gravitationswellen durchsaust. Webers Idee sah so aus: Gravitationskraft wirkt auf Massen. Wir brauchen also auf jeden Fall mal ein Stück Masse. In Webers Fall war das zu Beginn ein großer Zylinder aus Aluminium, bis zu einem Meter im Durchmesser und bis zu zwei Meter lang. Dieser Zylinder war frei beweglich aufgehängt. Wenn jetzt eine Gravitationswelle durch die Erde und damit auch den Zylinder läuft; der Zylinder dadurch periodisch gestaucht und gestreckt wird, dann kann er dadurch zum Schwingen angeregt werden, was er auch dann noch tut, wenn die Gravitationswelle wieder weg ist. Wenn man den Zylinder also wackeln sieht, weiß man: Da ist ne Gravitationswelle gewesen.

    In der Praxis ist das natürlich alles andere als einfach. Denn selbstverständlich wird der Zylinder durch eine Gravitationswelle nicht anfangen, wild hin und her zu schwingen. Es geht, wie gesagt, um Schwingungen in Bereichen, die kleiner als der Durchmesser eines Atomkerns sind. Das sieht man nicht mit freiem Auge. Aber Weber installierte Piezo-Elemente am Zylinder, also Geräte, die schon auf kleinste Veränderungen reagieren und dabei elektrischen Strom produzieren. Außerdem ging er sowieso nicht davon aus, jede Gravitationswelle messen zu können, sondern nur die, die gerade die richtige Frequenz haben, um die Eigenfrequenz des Zylinders anzuregen. Der Zylinder würde also stärker schwanken und die Messung des winzigen Effekts möglich machen. Trotzdem war es immer noch eine enorme Herausforderung. Allein das thermische Rauschen war groß genug, um den Effekt von Gravitationswellen zu überdecken. "Thermisches Rauschen" heißt in dem Fall, dass die Atome des Zylinders sich allein aufgrund der Temperatur bewegen und diese Bewegung in der gleichen Größenordnung ist oder größer ist, als der Effekt der Gravitationswellen. Weber installierte daher auch nicht nur einen Detektor, sondern mehrere an unterschiedlichen Orten der USA. Wenn der Zylinder nur wegen einer äußeren, lokalen Störung schwingt, dann würden die beiden Detektoren an den unterschiedlichen Orten das auch unterschiedlich tun. Aber wenn beide zur selben Zeit auf die selbe Weise reagieren, dann muss es ein globales Phänomen sein, zum Beispiel eine Gravitationswelle.

    Genau so einen Ausschlag sah Weber im Juni 1969 in den Daten seiner beiden 1000 km voneinander entfernten Detektoren. Und er veröffentlichte eine Arbeit mit dem Titel "Hinweis auf die Entdeckung von Gravitationsstrahlung". Die Wissenschaft war aufgeregt und beeindruckt. Aber als dann andere anderswo ihre eigenen Detektoren bauten, konnte niemand Gravitationswellen damit messen. Weber meinte, die anderen Geräte wären nicht gut genug; die anderen meinten, Weber hätte sich geirrt. Es gab jede Menge Diskussion und Streit. Als ein andere Wissenschaftler Weber als Scharlaten bezeichnet hat, soll Weber geantwortet haben "Ich werde ihnen gleich zeigen, wozu ein Offizier der Marine fähig ist, den man Scharlatan nennt".

    Weber jedenfalls forschte weiter und veröffentlichte Daten, die zeigten, dass er im Februar 1987 Gravitationswellen messen konnte. Und nicht einfach irgendwann im Februar 1987 sondern genau in dem Moment, als man auch die berühmte Supernova 1987A in der Magellanschen Wolke registriert hat. Die Teleskope der Astronomie sehen also einen explodierenden Stern und Weber misst zum gleichen Zeitpunkt eine Gravitationswelle, also genau das, was ein explodierender Stern verursacht. Aber auch hier war er der einzige, der die Welle gemessen hatte; andere Detektorne waren damals nicht in Betrieb und die Kolleginnen und Kollegen waren skeptisch.

    Mittlerweile hatten andere Forscherinnen und Forscher eine andere Idee zum Nachweis der Gravitationswellen gehabt, nicht mit schwingenden Metallzylindern, sondern durch kilometerlange unterirdische Tunnel, in denen Lichtstrahlen hin und her reflektiert werden; in unterschiedliche Richtungen aber genau aufeinander abgestimmt. Sollte eine Gravitationswelle durch die Konstruktion hindurchlaufen, dann würden die Lichtstrahlen in der einen Richtung einen leicht kürzeren oder längeren Weg zurück legen müssen und das würde man dann merken. Auch hier waren die technischen Herausforderungen massiv und es hat Jahrzehnte gedauert, bis diese Gravitationswellenobservatorien einsatzbereit waren. Aber dann ist es damit im Jahr 2015 tatsächlich gelungen, die Existenz von Gravitationswellen einwandrei und ohne Zweifel nachzuweisen. Joseph Weber war zu diesem Zeitpunkt aber schon tot, er starb im September 2000.

    Webers Arbeit mit seinen Detektoren war umstritten, aber Weber deswegen kein Außenseiter. Er bekam diverse Preise; man war beeindruckt von seinen kreativen Ideen und seiner enorm exakten Ingenieursarbeit. Vor allem aber hat er dafür gesorgt, dass die Forschung an Gravitationswellen von einem Randthema in der Physik zu einem populären Arbeitsgebiet geworden ist. Und vielleicht war er ja tatsächlich der erste, der sie auch nachweisen konnte. Die Astronomin Virgina Trimble, Webers zweite Ehefrau, wurde 2016 gefragt, ob sie glaube, dass ihr Mann Gravitationswellen gemessen hat. Ihre Antwort: "Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, wenn es zwei Technologien gegeben hätte, die sich im Wettstreit zueinander vorangetrieben hätten – und nicht im Konkurrenzkampf – dann hätte man vielleicht schon früher Gravitationswellen beobachten können.“. Und der Physiker Kip Thorne, einer der drei, der für den Nachweis von Gravitationswellen den Nobelpreis bekommen haben, hat über Weber gesagt: "Joe ist in dieses Gebiet eingestiegen, als sonst niemand auf der Welt daran dachte“. Und so wichtig es auch ist, etwas zu entdecken: Es ist mindestens ebenso wichtig, bei etwas den Anfang zu machen.

    15 March 2024, 6:00 am
  • 11 minutes 17 seconds
    Sternengeschichten Folge 589: Das Quark-Gluon-Plasma
    Der Ursprung von Allem

    Sternengeschichten Folge 589: Das Quark-Gluon-Plasma

    In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um das Quark-Gluon-Plasma. Das klingt ein wenig langweilig und vermutlich klingt es auch sehr unverständlich. Aber es lässt sich verstehen und man sollte es verstehen wollen, denn es ist alles andere als langweilig. Das Quark-Gluon-Plasma ist quasi der Ursprung von Allem. Und deswegen definitiv interessant.

    Fangen wir mal damit an, was mit "Ursprung von Allem" gemeint ist. Nicht der Urknall, obwohl der auch eine kleine Rolle spielen wird. Der ist ja tatsächlich der Ursprung von Allem, schon per Definition. Der Urknall ist das Ereignis mit dem unser Universum begonnen hat, aber ganz so weit gehen wir nicht zurück. Wenn ich von "Allem" rede, dann meine ich die Materie. Die muss ja irgendwo her kommen. Ich habe in den Sternengeschichten schon oft darüber gesprochen, wie Planeten entstehen. Oder wie Sterne entstehen. Wie sich die großräumigen Strukturen aus Galaxien im Universum gebildet haben. Aber das meine ich heute nicht. Es geht auch nicht darum, wie die chemischen Elemente entstanden sind, also wie durch Kernfusion im Inneren der Sterne die verschiedenen Arten der Atome entstanden sind, der Sauerstoff, den wir atmen oder der Kohlenstoff aus dem wir bestehen. Es geht nicht einmal um die "primordiale Nukleosynthese", also die Phase, in der sich nach dem Urknall die simpelsten Elemente, nämlich Wasserstoff und Helium, gebildet haben, die die Grundlage für die Entstehung der ganzen anderen Elemente waren.

    Wir gehen heute noch einen weiteren Schritt zurück. Jedes Atom besteht aus einem Atomkern und der besteht aus Protonen und Neutronen. Wenn wir also Materie haben wollen, brauchen wir die Dinger, dann brauchen wir Protonen und Neutronen. In dieser Folge werden wir uns anschauen, wie diese Atomkernbausteine entstanden sind und dafür müssen wir uns mit dem Quark-Gluon-Plasma beschäftigen.

    Wenn wir verstehen wollen, was ein Quark-Gluon-Plasma ist, müssen wir verstehen, was Quarks sind, was Gluonen sind und was ein Plasma ist. Fangen wir mit dem letzten Begriff an: In der Physik bezeichnet man mit "Plasma" ein Gemisch aus Teilchen, das freie Ladungsträger enthält, in dem also geladenen Teilchen enthalten sind. Das muss nämlich nicht so sein. Wenn ich zum Beispiel einfach ein Gas betrachte, in dem sich Atome frei bewegen können, dann müssen diese Atome nicht elektrisch geladen sein und sind es auch meistens nicht. Aber wenn durch irgendwelche Prozesse zum Beispiel die elektrisch negativ geladenen Elektronen aus der Atomhülle vom elektrisch positiv geladenen Atomkern abgelöst werden und sich Kerne und Elektronen frei bewegen können, dann hat man ein Plasma. Beim Quark-Gluon-Plasma ist das nicht ganz so, aber das klären wir später noch. Schauen wir jetzt auf die ersten beiden Begriffe, auf Quarks und Gluonen.

    Bei beiden handelt es sich um Elementarteilchen. Also um Bausteine der Materie von denen wir davon ausgehen, dass sie nicht aus irgendwelchen anderen Teilchen zusammengesetzt sind. Quarks gibt es in sechs verschiedenen Varianten, aber wenn es uns um die normale Materie geht, dann sind eigentlich nur zwei davon relevant, nämlich die Up-Quarks und die Down-Quarks. Wenn man zwei Up-Quarks und ein Down-Quark zusammensteckt, kriegt man ein Proton; bei zwei Down- und einem Up-Quark ist es ein Neutron. Und wie halten die Quarks zusammen? Durch die starke Kernkraft und die Gluonen sind die Teilchen, die diese Kraft vermitteln. Ich lasse jetzt sehr viel Teilchenphysik aus, aber vereinfacht gesagt tauschen die Quarks Gluonen aus und halten dadurch zusammen, so dass sie Protonen und Neutronen bilden.

    Jetzt haben wir die Grundlagen geklärt, aber was wir eigentlich wissen wollen ist folgendes: Wann und wie sind im Universum die ersten Protonen und Neutronen entstanden? Dazu müssen wir bis fast zum Urknall zurück. Wir starten 100 Pikosekunden nach dem Beginn des Universums. Das sind 10 hoch minus 10 Sekunden beziehungsweise 0,00 00 00 00 01 Sekunden nach dem Urknall. Das ist wirklich kurz; in dieser Zeitspanne schafft es selbst das Licht nicht, sich weiter als drei Zentimeter fortzubewegen. Was in diesen 100 Pikosekunden seit dem Urknall passiert ist, lassen wir aus. Einerseits, weil die Wissenschaft selbst noch nicht genau weiß, was da alles abgegangen ist. Und andererseits weil das, was wir wissen, enorm kompliziert ist und den Rahmen dieser Folge sprengen würde. Also: Seit dem Urknall sind 100 Pikosekunden vergangen und der sehr junge Kosmos ist klein, extrem dicht und extrem heiß. Außerdem ist er voll mit Elementarteilchen, die gerade erst aus der Energie des Urknalls entstanden sind. Es gibt Quarks und Antiquarks; es gibt Elektronen und Anti-Elektronen und außerdem noch einen ganzen Haufen Neutrinos und Teilchen wie die Gluonen, die Kräfte zwischen ihnen vermitteln. Was es nicht gibt, sind Protonen und Neutronen und deswegen auch noch keine Atome.

    Und weil das Universum so dicht war, sind die Quarks einander sehr nahe gekommen und haben sich mit Hilfe der Gluonen zu Protonen und Neutronen verbunden. Klingt plausibel. Aber das ist es nicht, was passiert ist. Denn die starke Kernkraft funktioniert ein wenig anders, als wir das von Kräften gewohnt sind. Wenn zum Beispiel zwei Massen sich gegenseitig mit ihrer Gravitationskraft anziehen, dann wird diese Kraft umso stärker, je näher sie sich kommen. Wenn wir zwei Magnete immer dichter aneinander schieben, wird die elektromagnetische Kraft zwischen ihnen immer stärker. Die starke Kernkraft, die zwischen den Quarks wirkt, funktioniert so aber nicht. Sie wird um so schwächer, je näher sich die Quarks sind. Das widerspricht unserer Intuition, aber unsere Intuition ist halt die Welt der kleinsten Teilchen nicht gewöhnt. Und alle Messungen und Beobachtungen zeigen uns genau das: Je näher sich zwei Quarks kommen, desto schwächer ist die starke Kernkraft zwischen ihnen.

    Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Wir haben einen Haufen Bälle, die durch Federn verbunden sind. Wenn die Bälle sich nahe sind, dann sind Federn nicht gespannt und die Bälle spüren keine Kraft dadurch und können sich frei hin und her bewegen. Wenn sie sich aber weit voneinander entfernen, werden die Federn gespannt und jetzt spüren sie eine Kraft von den anderen Bällen. Im jungen Universum jedenfalls waren die Temperaturen so hoch und die Teilchen so dicht aneinander gequetscht, dass sie die starke Kernkraft nicht gespürt haben. Sie sind wild durcheinander geflitzt und weil es nicht nur Teilchen gab, sondern auch Antiteilchen, haben sie sich immer wieder gegenseitig ausgelöscht. Außerdem waren nicht alle Teilchen stabil. Up- und Down-Quarks schon, genau so wie die Elektronen. Aber die anderen Arten der Quarks zum Beispiel nicht, die wandeln sich nach kurzer Zeit in andere Teilchen um, die stabiler sind. Die ganze Sache ist natürlich viel komplizierter als meine Geschichte hier, aber es läuft auf folgendes hinaus: Im Laufe der Zeit wandeln sich die instabilen Teilchen um; löschen sich diverse Teilchen und Antiteilchen aus. Von den Quarks bleiben irgendwann nur die stabilen Up- und Down-Varianten übrig. Und weil bei den Auslöschungs- und Zerfallsprozessen auch Photonen und Neutrinos entstehen, werden auch die im jungen Universum immer mehr und mehr.

    Währenddessen dehnt sich das Universum immer weiter aus, es wird kühler und die Teilchen sind weniger dicht aneinander gequetscht. Und übrigens: Wir sind immer noch ganz am Anfang. Es sind jetzt vielleicht ein paar Mikrosekunden seit dem Urknall vergangen, aber es dauert immer noch, bis die erste Sekunde des Universums verstrichen ist. Auf jeden Fall haben die Quarks jetzt mehr Platz. Sie können sich weiter voneinander entfernen, unter Umständen sogar bis zu 10 hoch minus 15 Meter. Diese Distanz, ein Femtometer, ein Billiardstel von einem Meter, ist die Distanz, wo die starke Kernkraft für die Quarks spürbar wird. Oder anders gesagt: Die Quarks sind auf einmal nicht mehr frei! Sie hängen zusammen und je nachdem wie sie das tun, bilden sie Protonen oder Neutronen. Beziehungsweise auch andere Teilchen, die aber nicht stabil sind und nach kurzer Zeit zerfallen.

    Ein paar Mikrosekunden nach dem Urknall hat sich dann alles ein wenig beruhigt. Das Universum ist jetzt voll mit gebundenen Quarks, die sich zur Protonen und Neutronen zusammengefunden haben. Außerdem ist es voll mit Energie in Form von Photonen, die bei den Zerfällen davor entstanden sind. Und Neutrinos und Elektronen sind natürlich noch auch noch übrig. Das, was jetzt im jungen Universum vorhanden ist, ist das, aus dem später alles andere entsteht. Diese Materie ist es, aus der sich dann ein paar Minuten später die Atomkerne von Wasserstoff und Helium bilden, die sich ein paar hunderttausend Jahre später mit den Elektronen zu kompletten Atomen verbinden aus denen dann ein paar Millionen Jahre danach die ersten Sterne entstehen. Aber angefangen hat alles in diesen ersten Sekundenbruchteilen, in der das Universum von einer wilden Mischung aus frei beweglichen, ungebundenen Quarks gefüllt war. Diesen Zustand nennt man "Quark-Gluon-Plasma" und aus diesem Zustand heraus sind die ersten Bausteine der Atomkerne entstanden.

    Es gibt noch viel, was wir da besser verstehen müssen und viel, was wir noch gar nicht verstehen. Wir können diese ersten Sekundenbruchteile nach dem Urknall nicht direkt erforschen, aber wir können sie - tatsächlich - hier auf der Erde nachstellen. In Teilchenbeschleunigern können wir schwere Atomkerne so heftig aufeinander prallen lassen, dass für extrem kurze Zeit auf einem sehr begrenzten Raum ein Quark-Gluon-Plasma entsteht. Auch hier verbinden sich die freien Quarks natürlich sofort wieder zu anderen Teilchen, zerfallen, und so weiter. Aber für einen Sekundenbruchteil herrschen im Teilchenbeschleuniger in einem unvorstellbar kleinen Raum die selben Bedingungen wie kurz nach dem Urkannl. Und wenn wir die diese Zerfallsprodukte analysieren, die aus diesem künstlichen Quark-Gluonen-Plasma entstehen, verstehen wir vielleicht irgendwann auch besser, wie vor Milliarden Jahren alles angefangen hat.

    8 March 2024, 6:00 am
  • 10 minutes 48 seconds
    Sternengeschichten Folge 588: Fomalhaut - Der staubige Mund des Fisches
    Staubscheiben und falsche Planeten

    Sternengeschichten Folge 588: Fomalhaut - der staubige Mund des Fisches

    25 Lichtjahre von der Erde entfernt hat der Fisch sein riesiges Maul geöffnet. Denn das ist es, was der arabische Name des Sterns Fomalhaut bedeutet: Das "Maul des Fisches". Und passenderweise befindet sich der Stern auch im Sternbild "Südlicher Fisch". Von Mitteleuropa aus ist es und damit auch der Stern nur im Spätsommer zu sehen, aber Fomalhaut gehört zu den hellsten Sternen am Himmel; er ist der 18. hellste Stern, wenn man genau sein will. Er ist daher schon in den frühesten Sternkatalogen zu finden aber wie beeindruckend dieser Stern wirklich ist, haben wir erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt, als wir ihn mit großen Teleskopen beobachtet haben.

    Aber bleiben wir zuerst noch bei den Grundlagen. Fomalhaut ist hell; er leuchtet ungefähr 17 mal so hell wie unsere Sonne. Er ist auch knapp doppelt so groß und schwer wie unser Stern und dementsprechend heißer, mit einer Oberflächentemperatur von über 8000 Grad. Er gehört zum Spektraltyp A, das bedeutet, dass es sich um einen großen, heißen und noch recht jungen Stern handelt; Fomalhaut ist erst gut 400 Millionen Jahre alt und wie es bei so großen Sternen üblich ist, wird er auch nicht allzu lange existieren und nur knapp eine Milliarde Jahre alt werden.

    Fomalhaut muss sein vergleichsweise kurzes Sternenleben aber nicht alleine verbringen; er ist Teil eines Dreifachsternsystems - allerdings eines, das ein wenig unüblich ist. Sein erster Partner ist der Stern TW Piscis Austrini, oder auch Fomalhaut B. Es handelt sich um einen kleineren, eher sonnenähnlichen Stern, der aber fast ein ganzes Lichtjahr von Fomalhaut entfernt ist. So große Distanzen sind bei Doppelsternen eher unüblich und der dritte Stern des Systems ist noch weiter entfernt. Fomalhaut C oder auch LP 876-10 ist ein kleiner roter Zwergstern mit einem Abstand von 2,5 Lichtjahren. Trotzdem hängen alle drei zusammen und das sie ein Mehrfachsystem bilden, bei dem die einzelnen Sterne so weit auseinander liegen, ist nicht die einzige Besonderheit. Aber dazu kommen wir später noch, jetzt werfen wir einen genaueren Blick auf Fomalhaut.

    Schon 1983 hat man dort einen Infrarot-Exzess entdeckt. Und mit "Exzess" ist keine wilde Party gemeint, sondern ein Überschuss. Oder anders gesagt: Man hat mehr Infrarotstrahlung gesehen, als bei einem Stern wie Fomalhaut eigentlich zu erwarten war. Die Ursache dafür war schnell gefunden: Der Stern ist von einer Scheibe aus Staub umgeben. Dieser Staub wird durch die Strahlung des Sterns aufgeheizt und gibt die Wärme dann wieder ab, in Form von Infrarotstrahlung. Fomalhaut war einer der ersten Sterne, bei denen man so etwas entdeckt hat, aber bis man seine Staubscheibe auch im Detail sehen konnte, hat es noch ein wenig gedauert. Zum Glück haben wir mittlerweile viele Infraroteleskope im Weltall, die die Wärmestrahlung des Staubs detektieren und ein genaues Bild der Scheibe um Fomalhaut machen können. Beziehungsweise: Der Scheiben, denn es gibt mehrere. Der Stern ist von Staubringen umgeben von denen der innerste fast direkt am Stern dran ist. Die Staubteilchen dort sind sehr klein, nur ein paar Dutzend Nanometer groß. Größere Partikel gibt es weiter außen in einem Ring, der - wenn man ihn unser Sonnensystem versetzen würde, so breit wäre wie der Abstand zwischen den Umlaufbahnen von Merkur und Erde. Dann kommt eine Lücke und dann noch eine breite äußere Staubscheibe, die so breit ist wie fast das ganze Sonnensystem bis hin zur Umlaufbahn von Neptun und sich bei einem Abstand von gut 130 Astronomischen Einheiten befindet, also mehr als dreimal so weit, wie der Pluto von der Sonne entfernt ist.

    Staub um einen Stern herum ist erstmal nicht außergewöhnlich. Alle Sterne fangen mit Staub an; sie entstehen ja aus großen Wolken voller Gas und Staub und davon bleibt immer ein bisschen was übrig, das sich dann in einer Scheibe um den jungen Stern herum ansammelt. Wir können die ganzen Staubteilchen natürlich nicht direkt sehen. Aber wie ich schon gesagt habe: Sie erwärmen sich durch die Strahlung des Sterns und sie geben die Wärme in Form von Infrarotstrahlung wieder ab. Und die Wellenlänge dieser Strahlung hängt von der Größe der Staubteilchen ab. Deswegen wissen wir auch, dass die Staubteilchen in der äußeren Scheibe circa ein paar Mikrometer groß sind. Und das ist interessant: Denn Staub dieser Art sollte eigentlich rein durch den Druck der Strahlung des Sterns quasi davon gepustet werden. Das geht vergleichsweise schnell und bei einem Alter von 400 Millionen Jahre sollte nichts mehr davon übrig sein.

    Jetzt ist da aber noch was und zwar jede Menge und das bedeutet, dass dieser Staub immer wieder nach produziert werden muss. Das kann durch Kollisionen passieren: Wenn sich dort viele Asteroiden und Kometen tummeln, dann können die miteinander zusammenstoßen und dabei Staub produzieren. Aus den Beobachtungsdaten kann man ausrechnen, dass man ungefähr 10 Billionen Kometen mit einer typischen Größe von einem Kilometer braucht, um so viel Staub zu produzieren, wie man bei Fomalhaut beobachtet. Das klingt nach viel - das ist auch viel - aber es ist nicht unverhältnismäßig viel. Auch die Erde ist von einer Wolke aus Kometen umgeben - der Oortschen Wolke über die ich in Folge 321 mehr erzählt habe - und man schätzt, dass sich dort ebenfalls ein paar Billionen Objekte befinden. Wir wissen auch, dass sich die Objekte der Oortschen Wolke ursprünglich in einer Scheibe in den inneren Bereichen des Sonnensystems befunden haben und wir wissen, dass es auch bei uns heute noch Scheiben aus Asteroiden und Kometen gibt, die wir "Asteroidengürtel" nennen. Hinter der Bahn des Neptun ist zum Beispiel der Kuipergürtel und der muss bei der Entstehung des Sonnensystems eine gesamte Masse gehabt haben, die ungefähr dem 30fachen der Erdmasse entspricht. Bei Fomalhaut braucht man eine entsprechende Masse im Ring von 110 Erdmassen, was - wie gesagt - nicht unverhältnismäßig viel mehr ist.

    Und wir dürfen nicht vergessen: Fomalhaut ist sehr viel jünger als die Sonne. Unser Stern ist 5 Milliarden Jahre alt; Fomalhaut erst 400 Millionen Jahre. Wir hatten sehr viel mehr Zeit, in der das ganze Zeug, das früher da war, in die Oortsche Wolke oder den interstellaren Raum verabschiedet hat. Fomalhaut sitzt, vereinfacht gesagt, immer noch in einer großen Menge des Staubs rum, aus dem er geboren worden ist. Obwohl, das ist schon fast zu vereinfacht. Wenn das so wäre, dann wäre da ja NUR Staub und das trifft vermutlich sogar auf die inneren Scheiben zu. In der äußeren Scheibe muss sich der Staub aber schon zu größeren Objekten, eben den Kometen und Asteroiden, zusammengeballt haben und die produzieren jetzt neuen Staub durch Kollision.

    Aber wenn sich aus dem Staub Asteroiden und Kometen gebildet haben: Haben sich da vielleicht auch schon Planeten gebildet? Weil so ist es ja bei uns weitergegangen: Zuerst war nur Staub, dann Asteroiden und Kometen und daraus sind dann die Planeten entstanden. Und die Lücke zwischen den Staubringen bei Fomalhaut weißt auch darauf hin, dass da vielleicht schon größere Objekte sind, die mit ihrer Gravitationskraft den Staub durcheinander bringen. Tatsächlich hat man 2008 die Entdeckung eines Planeten bei Fomalhaut verkündet. Und nicht nur das, man hat diesen Planeten sogar gesehen. Das Hubble-Weltraumteleskop hat ein Bild gemacht, bei dem der Planet als kleiner Lichtpunkt inmitten der Staubringe von Fomalhaut zu sehen war. Ungefähr so halb so schwer wie Jupiter, und circa 114 mal weiter von seinem Stern entfernt als die Erde von der Sonne. Man hat dem Planeten den Namen "Dagon" gegeben, nach einem mesopotamischen Wetter-Gott, der als Fisch dargestellt wurde. Und wenn es Dagon wirklich geben würde, dann wäre er ein nicht nur enorm spannender Planet, sondern auch der erste Planet gewesen, den man direkt auf diese Art gesehen hätte.

    Aber ich verwende nicht umsonst den Konjunktiv. Man hatte schon einige Jahre nach seiner Entdeckung vermutet, dass es vielleicht etwas anders ist; eventuell kein Planet sondern eine dichte Wolke aus Staub und Trümmern, die bei einer Kollision zwischen zwei größeren Asteroiden entstanden ist. Das konnte 2020 bestätigt werden: In den Daten der vergangenen Jahre sah man deutlich, dass der "Planet" immer größer wurde und gleichzeitig immer weniger hell leuchtete. Also genau das, was man erwartet, wenn sich eine Trümmerwolke im Laufe der Zeit immer weiter ausbreitet.

    Das heißt nicht, dass es dort keine Planeten gibt. Aber entweder haben wir sie noch nicht entdeckt, oder aber sie müssen erst noch entstehen. Und wenn nicht dort, dann vielleicht bei Fomalhaut C. Denn auch bei dem kleinen, fernen Begleitstern hat man 2013 eine Staubscheibe entdeckt. Und auch dort hat man Hinweise auf die Existenz von Kometen und Asteroiden gefunden. Ich habe vorhin schon erwähnt, dass das Dreifachsternsystem wegen seiner großen Abstände außergewöhnlich ist; ein Dreifachsternsystem mit zwei Staubscheiben ist allerdings WIRKLICH was besonderes. Was auch immer da im Maul des Fisches passiert, wird die Astronomie noch lange Zeit beschäftigen.

    1 March 2024, 6:00 am
  • 10 minutes 33 seconds
    Sternengeschichten Folge 587: Das Brummen der Erde
    Alles schwingt, aber nicht esoterisch

    Sternengeschichten Folge 587: Das Brummen der Erde

    Die Erde brummt. Das können wir nicht hören, aber sie tut es trotzdem. Und deswegen schauen wir uns heute das Erdbrummen, wie es umgangssprachlich genannt wird beziehungsweise die Eigenschwingungen der Erde, wie man es wissenschaftlich korrekt nennt, etwas genauer an. Über ein ähnliches Phänomen habe ich schon in Folge 164 gesprochen, als es um Asteroseismologie ging. Aber, wie der Name schon sagt, waren es damals schwingende Sterne, von denen ich erzählt habe. Schwingen tut aber auch die Erde und bevor wir uns das genauer anschauen, müssen wir erst einmal klären, was damit gemeint ist.

    Stellen wir uns eine Kugel aus Metall vor und einen Hammer, mit dem wir auf diese Kugel schlagen. Was passiert ist klar: Es wird "Klong!" machen. Der Hammer hat die Kugel zum Vibrieren gebracht und dadurch wird auch die Luft in Vibration versetzt und wenn die dann auf unsere Ohren trifft, hören wir ein Geräusch. Oder stellen wir uns einen Wackelpudding vor, auf den wir mit einem Löffel schlagen. Auch dann wird der Pudding, ganz seinem Namen gerecht, hin und her wackeln. Ein Geräusch gibt es dabei nicht, oder besser gesagt: Es gibt kein Geräusch, das wir hören können, denn das Wackeln des Puddings ist zu langsam, als dass es ein für unsere Ohren hörbares Geräusch erzeugt.

    Aber es geht ja heute um die Erde. Die ist weder eine Kugel aus Metall und auch nicht aus Pudding. Und es haut auch niemand mit einem riesigen Hammer oder einem großen Löffel auf sie ein. Aber sie schwingt trotzdem. Das merken wir zum Beispiel sehr deutlich, wenn ein Erdbeben stattfindet. Dann breiten sich Erdbebenwellen durch den Planeten aus und das ist ja nichts anderes als eine Schwingung im Gestein der Erde. Aber irgendwann ist so ein Erdbeben vorbei und die Wellen haben sich wieder beruhigt. Die Eigenschwingungen der Erde um die es heute geht, haben mit den Erdbeben allerdings erstmal nicht viel zu tun. Selbst wenn es einmal auf der ganzen Erde keine Erdbeben gibt, keine Vulkanausbrüche, und so weiter, schwingt der Planet trotzdem ein kleines bisschen. Und damit ist wirklich ein kleines bisschen gemeint. Es geht um Bewegungen von ein paar Zehntausendestel Millimeter, die periodisch alle paar Minuten stattfinden. Das Geräusch das dabei entsteht ist erstens enorm schwach und zweitens weit tiefer als das, was unsere Ohren hören könnten.

    Aber es gibt diese Bewegung. Es gibt sogar zwei Arten von Bewegungen beziehungsweise zwei grundlegend unterschiedliche Weisen, wie die Erde schwingen kann. Die erste nennt man "sphäroidale Schwingungen" und das klingt kompliziert. Das kann auch sehr kompliziert werden, aber im Grunde ist es ganz einfach. Wenn die Erde zum Beispiel einfach nur pulsiert, ist das eine sphäroidale Schwingung. "Pulsieren" heißt in diesem Fall, dass die Erde größer wird, kleiner wird, größer wird, kleiner wird, und so weiter. Wie gesagt, es geht hier um winzigste Änderungen, aber das Prinzip bleibt gleich. Dieses Pulsieren ist die einfachste Schwingung die die Erde durchführen kann, aber es geht auch komplexer. Sie kann zum Beispiel abwechselnd in unterschiedliche Richtungen schwingen. Stellen wir uns vor, wir würden die Erde zusammendrücken, sie quasi mit den Fingern an Nord- und Südpol fassen und dann ein bisschen quetschen. Dann lassen wir los, packen sie am Äquator und ziehen sie auseinander. Dann wird wieder an den Polen gedrückt, und so weiter. Die ganze Schwingerei kann noch viel komplexer werden, aber das ist das Prinzip der sphäroidalen Schwingung.

    Es gibt aber auch noch toroidale Schwingungen. Hier können wir uns vorstellen, dass wir probieren, die Erde aufzuschrauben. Wir drehen also die Nordhalbkugel in die eine Richtung und die Südhalbkugel in die andere Richtung. Wenn wir dann loslassen, dreht sich die verdrillte Erde wieder zurück und hin und her, auf unterschiedlichen Hemisphären in unterschiedliche Richtungen. Wenn man es ganz stark und vermutlich zu stark vereinfachen möchte, dann sind sphäroidale Schwingungen welche, bei denen sich der Erdboden auf und ab bewegt und toroidale Schwingungen welche, bei denen sich der Erdboden horizontal hin und her bewegt.

    Dass es so etwas geben kann, ist vorerst keine große Überraschung. Alles schwingt, wenn man es entsprechenden Kräften aussetzt. Bei der Sonne zum Beispiel haben wir diese Schwingungen schon in den 1960er Jahren beobachtet. Aber im Gegensatz zu unserem Stern ist die Erde keine Gaskugel sondern besteht aus fester Materie und hier wirken auch nicht die enormen Kräfte, die das Innere der Sonne beherrschen. Und außerdem gibt es andauernd Erdbeben, Vulkanausbrüche und so weiter, die die winzigen Eigenschwingungen unseres Planeten überlagern. Es ist lange Zeit fast unmöglich erschienen, das Erdbrummen zu messen und es hat tatsächlich bis 1998 gedauert, bis es das erste Mal gelungen ist. Kazunari Nawa und Naoki Suda von der Universität Nagoya in Japan haben das geschafft, aber auch nur, weil sie jahrelang gesammelte seismische Daten sehr genau analysiert und alle Störquellen rausgerechnet haben. Und das, was sie nachweisen konnten, waren nur die sphäroidalen Schwingungen; bis auch die toroidalen Schwingungen entdeckt werden konnten, hat es nochmal fast 10 Jahre gedauert. Dann konnte der deutsche Geophysiker Dieter Kurrle sie am Black Forest Observatory im Schwarzwald nachweisen. Dieses Observatorium befindet sich tief in einem alten Bergwerk; die Messinstrumente sind hinter hunderten Metern von Gestein abgeschirmt. Was auch dringend nötig ist, denn es reichen schon kleinste Störungen, um die Messung zu verhindern. Wenn zum Beispiel sich der Luftdruck ein klein wenig ändert. Oder die Temperatur. Und was passiert, wenn irgendwo ein Auto vorbei fährt, kann man sich vorstellen. Aber im Bergwerk des Schwarzwaldes, hinter luftdicht verschlossenen Schleusentüren ist die Messung gelungen. Aber auch nur, weil die Daten von dort mit denen aus ähnlichen Einrichtungen in China und Japan verglichen werden konnten. Nur wenn man überall auf der Welt konsistente Daten kriegt, kann man sicher sein, dass es sich um ein globales Phänomen handelt und keine lokale Störung.

    Man darf sich das Erdbrummen übrigens nicht so vorstellen wie eine Glocke, die angeschlagen wird. Wie ich vorhin schon gesagt habe, gibt es ja nicht nur eine Schwingung, sondern jede Menge. Die überlagern sich alle, aber eben nicht so wie bei einem Musikinstrument, wo es einen Grundton gibt und diverse Obertöne, die alle harmonisch zusammenklingen. Beim Erdbrummen sind alle möglichen Frequenzen wild durcheinander gemischt und wenn man unbedingt eine musikalische Analogie finden will, dann eher die eines Orchesters, wo vor dem Konzert erstmal sämtliche Instrumente gestimmt werden und ohne Plan durcheinander klingen.

    So, jetzt wissen wir, was das Erdbrummen ist. Aber was ist die Ursache? Warum tut die Erde das? Warum schwingt sie einfach so vor sich hin, auch ganz ohne Erdbeben oder andere große Ereignisse? Das ist eine gute Frage und eine, die schwer zu beantworten ist. Bei den sphäroidalen Schwingungen ist es noch vergleichsweise einfach. Da geht es ja um die Auf-und-Ab-Schwingung und man muss - sehr vereinfacht gesagt - nur auf die Erde drücken, damit das passiert. Und solche Druckkräfte gibt es: Zum Beispiel in der Atmosphäre, wenn sich der Luftdruck verändert. Oder in den Meeren, wenn der Wind Wellen erzeugt, die dann unter Umständen bis tief hinunter auf den Meeresboden drücken. Dass das eine Ursache sein kann, wird auch durch die Beobachtung gestärkt, dass sich das Erdbrummen im Rhythmus der Jahreszeiten verändert. Und im Winter gibt es ja tatsächlich sehr viel mehr und heftigere Stürme, mit entsprechend mehr Wellen. Die Ursache der toroidalen Schwingungen ist dagegen nicht so leicht zu erklären. Hier geht es ja um horizontale Bewegung, nicht um ein Auf und Ab sondern ein Hin und Her. Und dementsprechend braucht es auch eine Kraft, die "schiebt" und nicht "drückt". Beziehungsweise eine "Scherkraft", wie es in der Wissenschaft heißt. Dazu gibt es ein paar Hypothesen, zum Beispiel Berge auf dem Meeresboden, die den Druck der Wellen von oben in eine Scherkraft umlenken. Oder großräumige, lang dauernde Tief- und Hochdruckwirbel, die an der Erde schrauben. Aber all diese Effekte sind viel zu schwach, um das Ausmaß der toroidalen Schwingungen zu erklären.

    Am Ende wird es vermutlich eine kompliziertere Erklärung sein. Irgendwie werden die sphäroidalen und toroidalen Schwingungen auf sehr komplexe Weise zusammenwirken, im Wechselspiel mit all dem anderen, das dauernd auf der Erde los ist. Aber wenn wir das mal verstanden haben, dann werden wir auch genau dieses komplexe Wechselspiel der Vorgänge besser verstehen, das unseren Planeten zu dem macht, was er ist. Und werden dann auch besser verstehen können, wie andere Planeten funktionieren. Oder es läuft umgekehrt: Denn was auf der Erde passiert sollte anderswo auch stattfinden. Zum Beispiel auf dem Mars: Der hat zwar keine Ozeane, aber zumindest ein bisschen Atmosphäre. Und vielleicht führt auch die dazu, dass der Planet schwingt; vielleicht gibt es ein "Marsbrummen". Es gab auch schon Pläne, entsprechende Messinstrumente zu unserem Nachbarplaneten zu schicken, aber daraus ist bis jetzt noch nichts geworden. Aber vielleicht finden wir auch das noch mal raus und wenn wir einen zweiten Planeten brummen hören, hilft uns das eventuell dabei, das Brummen unseres eigenen Planeten zu erklären.

    23 February 2024, 6:00 am
  • 10 minutes 7 seconds
    Sternengeschichten Folge 586: Das Lokale Loch
    Wir leben in einem Loch

    Sternengeschichten Folge 586: Das Lokale Loch

    Wir leben in einem Loch. Gut, das ist missverständlich. Wir leben natürlich auf der Erde und nicht in einem Loch. Aber wenn man sich das Universum auf einem ganz großen Maßstab ansieht, dann leben wir einem Loch. Und um zu verstehen, was das genau bedeutet, muss man natürlich ein bisschen mehr erklären.

    Ich habe in den Sternengeschichten schon oft von der großräumigen Struktur des Universums erzählt. Und "groß" meint hier wirklich groß. Es geht nicht um Galaxien, nichtmal um Galaxienhaufen. Es geht um galaktische Superhaufen, also Ansammlungen von Galaxienhaufen, die selbst wieder aus zehn- bis hunderttausenden Galaxien bestehen können. Diese Haufen, aus Haufen bilden noch größere Strukturen und zwischen den Strukturen ist nichts. Wenn man das gesamte Universum von außen betrachten würde, sich eine Region aussucht, die ein paar Milliarden Lichtjahre im Durchmesser hat und dann die Menge an Materie in dieser Region bestimmt, würde man einen gewissen Wert kriegen. Wenn ich mir eine andere Region mit ein paar Milliarden Lichtjahren Durchmesser nehme und die gleichen Messungen dort mache, werde ich fast den selben Wert kriegen.

    Das bedeutet, dass unser Universum homogen ist: Es gibt keine Ecke, wo sich die ganze Materie drängt und eine andere, wo alles komplett leer ist. Aber das gilt eben nur für die ganze großen Skalen. Wenn man den Fokus ein wenig enger fasst, dann findet man sehr wohl Bereiche im Universum wo mehr Materie ist und Bereiche mit weniger. Und wir leben in einer der Gegenden, wo weniger ist als anderswo.

    Wir wissen schon länger, dass es Filamente und Voids gibt, also die größten Strukturen aus Galaxien-Superhaufen und die gigantischen Leerräume dazwischen; ich habe in Folge 63 mal darüber gesprochen. Aber wenn man deren Verteilung sehr genau misst, dann sieht man, dass es Bereiche gibt, in denen unterdurchschnittlich viel Materie ist. Und als Ryan Keenan von der Uni Taiwan, Amy Barger und Lenox Cowie von der Uni Hawaii im Jahr 2013 so eine Untersuchung angestellt haben, haben sie herausgefunden, dass die lokale Galaxienverteilung ein wenig dünn ist. Oder besser gesagt: Sie haben festgestellt, dass wir uns mitten in einer großen Leere befinden.

    Gut, "Leere" mag übertrieben klingen. Immerhin ist die Milchstraße Teil dieser Leere und die ist ja nicht nichts. Und nicht nur die Milchstraße: Die gesamte Lokale Gruppe sitzt in dieser Leere, also die Galaxiengruppe, zu der neben der Milchstraße und der Andromedagalaxie auch noch über 100 andere Galaxien gehören. Außerdem ist auch der Laniakea-Superhaufen mit dabei in der Leere, der immerhin aus gut 100.000 Galaxien besteht; inklusive des Virgo-Superhaufens der die Lokale Gruppe mit der Milchstraße enthält.

    Man kann also nicht sagen, dass in dieser Leere nichts ist. Unser ganzes lokales Universum ist in dieser Leere, aber wenn man unser lokales Universum mit dem vergleicht, was anderswo zu finden ist, dann gibt es bei uns weniger. Die Milchstraße sitzt fast in der Mitte dieser unterdurchschnittlich bestückten Region die einen Durchmesser von circa einer Milliarde Lichtjahren hat. Und die übrigens wahlweise als "Local Hole", als das "Lokale Loch" bezeichnet wird oder als KBC-Void, oder KBC-Leere, nach den Anfangsbuchstaben der Nachnamen von Keenan, Barger und Cowie.

    Ok, jetzt kann man sich fragen, was das bedeuten soll. Dann gibt es halt im Universum Bereiche mit mehr Zeug und Bereiche mit weniger Zeug. Und wir sind halt zufällig gerade da, wo weniger ist. Es mag fürs Selbstbewusstsein der menschlichen Spezies vielleicht ein Rückschlag sein, dass wir in nem kosmischen Loch wohnen und nicht da, wo die Post abgeht. Aber wenn es so, ist dann ist es halt so. Und das mag alles so sein - aber die Tatsache, dass wir im lokalen Loch leben, hat durchaus Konsequenzen. Keine natürlich, die unseren Alltag betreffen. Da ist das wirklich komplett egal. Wenn unser Alltag aber daraus bestehen sollte, das Universum zu verstehen, ist die Sache mit dem Lokalen Loch wirklich wichtig.

    Wir wissen, dass das Universum expandiert. Darüber habe ich ja schon oft genug geredet. Wir können auch messen, wie schnell es das tut. Wir wissen, dass es in der Vergangenheit langsamer expandiert hat als in der Gegenwart; dieses Phänomen nennen wir die "Dunkle Energie". Aber darum soll es heute nicht gehen. Wir wollen nur wissen, wie schnell das Universum jetzt expandiert und mit "jetzt" ist alles plus minus ein paar hundert Millionen Jahre gemeint. Diese Expansionsrate wird mit dem "Hubble-Parameter" beschrieben und man kann ihn auf unterschiedliche Weise messen. Man kann direkt die Geschwindigkeit und die Entfernung von fernen Galaxien beobachten und daraus die Expansionsrate berechnen. Man kann aber auch indirekt die Entwicklung des Universums beobachten und aus seinem früheren Zustand berechnen, wie es in der Gegenwart aussehen muss. Der erste Fall ist ziemlich klar; beim zweiten Fall brauchen wir zusätzlich zu den Beobachtungsdaten noch ein gutes theoretisches Modell davon, wie das Universum sich verhält. Sowas haben wir, das nennt sich das Lambda-CDM-Modell, landläufig als "Urknalltheorie" bekannt und ich habe in Folge 578 ausführlich davon erzählt. Wir können dann Beobachtungsdaten aus dem frühen Universum nehmen, zum Beispiel von der kosmischen Hintergrundstrahlung und mit dem Urknallmodell daraus berechnen, wie schnell das Universum heute expandieren sollte. Wenn unsere Beobachtungsdaten gut und die Theorie richtig ist, dann sollten wir in beiden Fällen zum selben Ergebnisse kommen. Tun wir auch, aber nur fast. Die Ergebnisse unterscheiden sich nur leicht, aber doch stark genug, dass sie durch Beobachtungsfehler alleine nicht zu erklären sind; der Unterschied wird sogar größer, je besser unsere Beobachtungsdaten sind.

    Daraus kann man natürlich folgern: Ok, dann ist was mit der Urknalltheorie nicht so wie es sein soll! Und das ist ein vernünftiger Ansatz; wir wissen, dass es da noch einiges an Problemen zu lösen gibt. Wir wissen aber auch, dass das Lambda-CDM-Modell in sehr vielen anderen Fällen unsere Beobachtungen sehr gut beschreibt; man sollte und kann es also nicht ohne Not komplett aus dem Fenster werfen. Aber vielleicht hilft uns das lokale Loch!

    Schauen wir uns mal eine Region des Universums an, in der überdurchschnittlich viele Galaxien sind. Die ziehen sich natürlich alle gegenseitig an und diese Anziehungskraft wirkt der Expansion des Universums entgegen. In einer Region mit überdurchschnittlich viel Materie sollte die Expansionsrate also geringer erscheinen, weil sie durch die Anziehungskraft der vielen Galaxien gebremst wird. Zumindest im Vergleich zu der Rate, die ich messe, wenn ich mir das Universum auf sehr viel größeren Skalen anschaue. Und wenn man in einer Gegend mit unterdurchschnittlich viel Materie lebe, ist es genau umgekehrt. Da sind weniger Galaxien, sie ziehen sich nicht so stark an und wir würden eine Expansionsrate messen, die größer erscheint als die, die ich messen würde, wenn ich das Universum auf größeren Skalen betrachte. Und genau das ist es, was wir sehen. Mit der Beobachtung der Galaxien in unserer Umgebung messen wir die Expansionsrate eben in unserer Umgebung. Wenn wir die Daten aus der kosmischen Hintergrundstrahlung benutzen, also Daten die aus der Frühzeit des Universums stammen, dann nehmen wir Daten, die das Universum auf einem sehr viel größeren Maßstab beschreiben. Und mit diesen Daten kriegen wir einen kleineren Wert für die Expansionsrate als mit den lokalen Daten.

    Man hat das auch nachgerechnet: Wenn wir berücksichtigen, dass wir in einem lokalen Loch leben, dann könnte sich das Problem mit dem Unterschied beim Hubble-Parameter in Luft auflösen. Beziehungsweise könnte es im lokalen Loch verschwinden. Wir kriegen nur deswegen unterschiedliche Werte, weil wir halt gerade in einem Loch leben und die Messergebnisse von dort nicht repräsentativ für das ganze Universum sind. Ob das wirklich schon die letztgültige Antwort ist, muss sich zeigen. Aber wenn es so ist, dann sollten wir uns auch nicht mehr darüber ärgern, dass wir nur unterm Durchschnitt sind.

    16 February 2024, 6:00 am
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